laut.de-Biographie
Ohrbooten
Reggae aus der Hauptstadt besitzt einen guten Klang. Spätestens seit Seeed steht fest, dass das dicke B weit mehr zu bieten hat als das Elend in den Blocks des Märkischen Viertels. Dass "Straße" nicht immer mit "Ghetto" gleichzusetzen ist, beweist ein Quartett aus Berlin und demonstriert im angenehmsten Wortsinne street credibility. Bei den Ohrbooten handelt es sich nicht nur um Stadtkinder. Diese Jungs kennen die Straße, denn die Straße ist ihre Arena.
Die Geschichte der Band beginnt Ende der 90er in den Fußgängerzonen der Hauptstadt. Da nämlich tun sich Texter und Sänger Ben Pavlidis (der Name lässt zurecht griechische Wurzeln vermuten) und Gitarrist Matze zusammen. Am Anfang braucht es reichlich Mut und Überwindung, doch bald entwickeln sich die Plätze vor Einkaufszentren und Schnellrestaurants zu überaus geeigneten Bühnen.
Nirgends sonst ist der Kontakt zum Publikum so direkt, die Reaktionen so unverfälscht. Wer es hier schafft, die Passanten zum Stehenbleiben und Mitwippen zu bewegen, hat den schwierigsten Teil des Geschäfts verstanden. Ben und Matze formieren sich zu Debaska und zelebrieren und perfektionieren diesen Lifestyle fünf ganze Jahre lang. Etliche Verfahren wegen Ruhestörung dokumentieren die Anfangsphase ihres musikalischen Schaffens.
Obwohl es sich (vorausgesetzt, man legt ausreichend Engagement an den Tag) von Straßenmusik nicht übel leben lässt, steht Ben und Matze doch irgendwann der Sinn nach Höherem. Percussionist Onkel M, der neben zahlreichen anderen bereits für Jeanette Biedermann tätig war, stößt zur Combo.
Kurz danach kreuzt Noodt aus Hamburg ihren Weg; der Klavier- und Orgelspieler bringt den Jazz-Background an Bord. Die Ohrbooten sind komplett. Nach ersten gemeinsamen Sessions zu viert ist schnell klar: Die Sache muss mächtiger aufgezogen werden. "Wir wollen natürlich auch größere Konzerte spielen und CDs verkaufen", so die Ohrbooten im Interview. Ab 2004 sind sie in kleineren Clubs und auf gar nicht mal so kleinen Festivals zu hören.
Die Ohrbooten möchten verstanden werden, deswegen texten sie auf Deutsch. Genaugenommen texten sie Berlinerisch. So können sie sich am besten ausdrücken, und außerdem: "Berliner Schnauze bounct einfach." In eine Genre-Schublade lässt man sich ungern sperren, macht sich stattdessen lieber eine eigene auf: "Gyp Hop" vereint die musikalischen Wurzeln aller Beteiligten.
Der reggaelastige Sound nimmt Elemente aus Hip Hop und Pop sowie etwas Jazz in sich auf. Alles wird ausprobiert. Berlin, der Schmelztiegel unterschiedlichster Kulturen, liefert verschiedene weitere Einflüsse. In ihrer Musik spiegelt sich, dass sämtliche Ohrbooten in der Großstadt aufgewachsen sind. "Würden wir auf dem Land leben, klänge unsere Musik sicherlich anders." Diese wird zu einhundert Prozent live erzeugt: Die Ohrbooten sehen sich als "Natural Sound System".
Straßenmusik ist und bleibt ein zentrales Thema für die vier Herren. Nicht zuletzt bietet sie ihnen eine erstklassige Möglichkeit, um auf sich und ihr Debüt-Album aufmerksam zu machen. "Spieltrieb" erscheint 2005 bei JKP, dem Label der Toten Hosen, bei dem sich die bunte Truppe erstklassig aufgehoben fühlt. Über JKP kommt der (für eine Straßenband doch ein wenig ungewöhnlich anmutende) Kontakt zum Vertriebsriesen Warner zustande. Der Veröffentlichung von "Spieltrieb" folgt im Oktober 2005 eine deutschlandweite Tour. Noch bevor das erste Album in den Läden steht, basteln die Ohrbooten bereits am zweiten.
Die Fußgängerzonen müssen ein wenig zurückstecken: Die Ohrbooten mausern sich zum gefragten Bühnen-Act. Beim größten Folk-Roots-Weltmusik-Festival in Rudolstadt greifen die Herren 2006 den deutschen Weltmusik-Preis RUTH ab. "Eine solch hoffnungsvolle Mischung aus deutschen Landen frisch auf den Tisch hat es lange nicht gegeben. So wenig Asbach Uralt ist diese Musik, dass sie unbedingt eine RUTH in der Kategorie Newcomer verdient", so das Urteil der Jury.
Anfang Juni 2007 steht mit "Bewegung" die erste Single aus Album Nummer zwei in den Regalen. "Babylon Bei Boot" in voller Länge folgt eine Woche später. Für "Keine Panik" geht, wie schon beim Debüt-Album, Culcha Candelas Johnny Strange mit an Bord.
Diesmal nicht live eingespielt sondern im Studio zusammengestellt, bewahrt sich der zweite Streich der Ohrbooten dennoch seinen Live-Charakter. Neben Reggae- und Dancehall-Klängen greift man ein weiteres Mal unbekümmert in die Schubladen Ska, Hip Hop, Pop und Rock. Dazu werden unverkennbar berlinernde Lyrics gereicht.
Den Titel für Album Nummer drei liefert 2009 der längst zum Markenzeichen der Band avancierte "Gyp Hop". Eine gemeinsame Reise nach Marokko im Vorfeld verleiht der ohnehin bunten Mixtur eine unverkennbar orientalische Note. Die Ohrbooten präsentieren sich quirlig, lebens- und farbenfroh.
Das ausgiebige Aufeinander-Hocken hat aber auch seinen Preis. "Eine kleine Krise" nennt Gitarrist Matze diese Phase später. So klein, dass die Ohrbooten am Ende ohne Management, ohne Plattenfirma und ohne Noodt dastehen.
Statt an den internen Problemen zu zerbrechen, nutzen die Ohrbooten die Zwangspause für ausgiebige Reisen. Neue Eindrücke öffnen auch wieder neue Perspektiven. In Spange findet sich ein neuer Mann für Bass und Tasten. Die Reise kann weitergehen.
Getreu dem Motto "Alles Für Alle Bis Alles Alle Ist" werfen die Ohrbooten ungebrochen hemmungslos alles in einen Topf: Reggae, Ragga und Ska feiern mit Punk, Elektro und Dubstep die fette Überraschungsparty. Der Stargast heißt "Bestie Bass".
Spätestens nach über fünfhundert Live-Shows sollte auch dem letzten klar geworden sein: Die Konserve geht in Ordnung. Am besten taugt der Ohrbootensound aber immer noch heiß und fettig, live und direkt.
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