laut.de-Kritik

Gitarrenlastiger Reggaesond und knackige Dancehalltunes.

Review von

Ist es wahr? Mutiere ich etwa auf meine alten Tage zum Berlin-Fan? Sehr unwahrscheinlich. Sollte es dennoch passieren, dann haben die Ohrbooten massiv dazu beigetragen. Reggae aus der Hauptstadt: Da fällt es schwer, nicht automatisch Vergleiche zu Seeed zu ziehen. Klar, der Sound der Ohrbooten ist lange nicht so gewaltig; wenn man nur zu viert antritt, sind die Kapazitäten geringer. Für eine fette Bläserfraktion, wie die Music Monks sie auffahren, fehlt den Ohrbooten beispielsweise das Personal - was sie in keinster Weise daran hindert, ordentlich einzuschenken. Ihr Sound beinhaltet gitarrenlastigen Reggae, den einen oder anderen knackigen Dancehalltune, eine kräftige Portion Ska und eine Prise Punk. Zu Hall und Echo plärren sie hier statt "Rastafari!" mal eben "Lasterverleih!". Jochens Kleine Plattenfirma hat einen exzellenten Griff getan.

"Ich glaube" legt Sänger und Texter Ben los, "an den Glauben, der mich erhellt." Ich fühle mich von der leicht näselnden Stimme sofort an Nosliw erinnert - nicht die unangenehmste Assoziation, das. Die Illusion hält ungefähr drei Textzeilen lang vor. Dann nämlich kippt Ben rettungslos in Berliner Slang. Wie charmant ist das eigentlich? Dauergrinsen bitte an diesem Punkt einschalten. "Ich glaub an keine Wahrheit, aber an meine Klarheit, an Reime und Narrheit und jede Möglichkeit breit verpeilter Freizeit in der City, ich glaube an Graffiti, bunt besprühte Wände und magische Umstände suburbanischer Verbände, den Mauerfall der Wende und an ein gutes Ende." Wo kann man den bitteschön dieser Kirche beitreten?

Ja, es sind die Texte, die mich sehr bezaubern. In "Autobahn" wechselt sich Ben zeilenweise mit Johnny Strange ab, dessen tiefes kratziges Organ in krassem Kontrast zu Bens Stimme steht: wahrhaft umwerfende Vocals, witzige Dialoge und die Geschichte einer Reise ans Ende der Welt und weiter - das hört man sich doch wirklich gerne an. Die Reime fließen auch in "Stadtkind" vollkommen mühelos, "Eurose" philosophiert übers Pleitesein (Wer kennt das nicht?), "Und Tschüß!" plant den Ausbruch aus dem Alltag inklusive Flucht in die Sonne (Wer will das nicht?), "Kommen Und Gehen" präsentiert Gedanken über den Sinn des Lebens, über Leben und Tod (Wer macht sich die nicht, dann und wann?).

OK, stellenweise gerät es, wie in "Maschine", schon ein wenig langatmig. Das Abgleiten in Peinlichkeit oder Betroffenheitslyrik vermeiden sie aber weitgehend - wenngleich sich "Müde Krieger" furchtbar mühselig anhört. Diese vermeintliche Kitschnummer möchte man am liebsten überspringen; wer kann schon ahnen, dass sie sich im Laufe der vier Minuten zu einem ganz schön bösen und realistischen Statement mausert: "Bitte geh nicht, ich werd so gern bestätigt." Mit "An Alle Ladies" erfährt die Damenwelt eine angemessene Huldigung. Seht ihr, Jungs? So geht das. (Nicht etwa "Auf die Knie, Bitch, blasen!") Stimmlich erinnert Ben verblüffend an Thomas D, so dass man zweimal checken muss, ob man bei "Taub" nicht doch versehentlich die falsche Platte hört.

Etwas mehr Wucht in die Bässe, und die Ohrbooten werden abgehen wie die Hölle; soweit meine Prognose. Dass sie es können, zeigt "Politix", das ich aus aktuellem Anlass (neben "Autobahn") als Anspieltipp empfehlen möchte: Zwerchfell-kickende Beats, Tempo und kritische Lyrics verbinden sich zu einem Dancehall-Hammer, der in der gar nicht armseligen deutschen Ragga-Landschaft problemlos vorne mitspielen kann. Die "Wahl zwischen scheiße und ungut" am 18. September erleichtert das allerdings auch nicht.

Trackliste

  1. 1. Ich Glaube
  2. 2. Stadtkind
  3. 3. An Alle Ladies
  4. 4. Maschine
  5. 5. Autobahn
  6. 6. Müde Krieger
  7. 7. Eurose
  8. 8. Junge Dame
  9. 9. Und Tschüß
  10. 10. Dschungelpartei
  11. 11. Taub
  12. 12. Kommen Und Gehen
  13. 13. Politix

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