10. März 2008

"Wir klangen wie Roboter auf Acid"

Interview geführt von

Am 22. März erschien "Pretty. Odd", der Nachfolger von Panic At The Discos Debütalbum "A Fever You Can't Sweat Out". Entdecker und Ziehvater Pete Wentz von Fall Out Boy offenbarte schon vor einiger Zeit, dass die Band mit einem vollkommen neuen, für sie untypischen Sound überraschen werde, ansonsten hüllte er sich aber in geheimnisvolles Schweigen. Grund genug für uns, da im Gespräch unter zwölf Augen mal nachzuhaken.Im Backstagebereich des M4Music Festivals in Zürich treffen wir wenige Stunden vor ihrem allerersten Konzert auf Schweizer Boden Brendon Urie, Jon Walker, Ryan Ross und Spencer Smith von Panic At The Disco. Vier Jungs Anfang zwanzig stehen vor uns, von deren Erscheinung und Attitüde man kaum auf ihr turbulentes Dasein als Rock-Stars schließen könnte. Die vier sympathischen Amis erwecken eher den Eindruck, als befänden sie sich gerade auf Klassenfahrt.

Eigentlich sollen uns Panic At The Disco Rede und Antwort stehen. Stattdessen fragen Sänger Brendon, Bassist Jon, Gitarrist Ryan und Drummer Spencer erst mal UNS Löcher in den Bauch: "Wo kann man denn in Zürich weggehen?", "Liegt Konstanz im Norden von Deutschland?", "Kennt ihr die anderen Bands, die heute noch hier spielen? Was machen die für Musik?" wollen sie u.a. wissen.

Zwischen angeregten Gesprächen über das Züricher Nachtleben, Toblerone und berüchtigten Parties in ihrer Heimatstadt Las Vegas schaffen wir es erstaunlicherweise dann doch ab und zu, wieder in unsere Rolle des Fragestellers zu schlüpfen und mit den vier Spaßvögeln auch mal ein ernstes Wörtchen über musikalische Dinge und vor allem über ihr neues Album zu wechseln. Beim Probehören vor dem Interview konnten wir uns selbst davon überzeugen, dass das Quartett mit ihrer neuen Platte unüberhörbar vom alten Emo-Band-Image Abschied nehmen will.

Spencer bestätigt unseren Eindruck: "Die neue Scheibe ist vollkommen anders. Auf dem ersten Album klangen wir wie Roboter auf Acid", scherzt er. Und jetzt? "Jetzt sind wir mehr wir selbst und machen richtige Musik mit richtigen Instrumenten", so Jon. Aha, die da wären? "Na, Gitarren natürlich", lacht er. Brendon fügt hinzu: "Wir haben auch ein paar neue Instrumente ausprobiert. Ukulele und Banjo zum Beispiel." The Beatles, die Rolling Stones und ausgerechnet die Beach Boys nahm man sich für "Pretty. Odd" als Vorbild.

"Ist doch scheiße, immer gleich zu klingen."

Für einen wilden Stilmix waren Panic At The Disco ja immer schon berühmt-berüchtigt. Doch während man früher lustig Indie mit Alternative mit Elektro mit Hardcore mixte, macht man nun auf Retro-Rock. "Darf man ab jetzt also behaupten, dass ihr Amerikaner seid, die sehr britisch klingen", wollen wir wissen – "Ja, dafür klingt Amy Winehouse sehr amerikanisch", kontert Brendon Urie schmunzelnd. Na gut, da ist was Wahres dran.

"Wir wollten einfach mal was anderes machen. Ist doch scheiße, immer gleich zu klingen", fügt er hinzu und der Rest der Band nickt einvernehmlich. Viel hat sich also verändert seit "A Fever You Can't Sweat Out". Eigentlich alles, wenn man ganz ehrlich ist. "Während den Aufnahmen zum ersten Album hausten wir zu viert über mehrere Wochen hinweg auf 12 Quadratmetern. Nun hat jeder sein eigenes Haus, was wesentlich angenehmer ist", so Brendon.

Dass der Spaßfaktor innerhalb der Band trotz getrennter Wohnungen noch recht hoch ist, ist kaum zu übersehen: Brendon, Spencer und Jon amüsieren sich köstlich über Ryan, der während unseres Interviews kontinuierlich Model-Köpfe aus einem Werbeprospekt ausschneidet und sie auf andere Körper klebt. Währenddessen schnappt sich Spencer Teile der Raumdekoration, Papp-Instrumente in Übergröße, mit denen er eine imaginäre Jamsession veranstaltet.

Auf die Frage nach dem Ausrufezeichen, durch dessen Kürzung man vor kurzem Panic! At The Disco zu Panic At The Disco machte, gibt sich Frontman Brendon genervt: "Oh Mann, jeder fragt das ständig. Dabei ist das überhaupt keine große Sache. Wir fanden einfach, dass es grammatikalisch nicht richtig ist. Wer schreibt schon mitten im Satz ein Ausrufezeichen? Das hatte unsere Plattenfirma damals so eingebürgert und wir wollten das einfach nicht mehr. Mehr gibt's da nicht zu erzählen". Ryan springt daraufhin wortlos auf und streicht mit einem Filzstift das Ausrufezeichen auf dem M4music-Plakat, das an der Wand hängt.

"Gibt's ein besseres Kostüm als Pyjama und Boxershorts?"

Als die Panic At The Disco-Mitglieder vor zwei Jahren von Pete Wentz' Decaydance Record unter Vertrag genommen wurden, befanden sie sich alle noch in ihren besten Teenager-Jahren. Inzwischen sind sie älter, erfahrener und haben scheinbar auch ihren eigenen Kopf. "Hört sich so an, als kämt ihr mit eurer Plattenfirma nicht so gut klar?" haken wir nach. Bedeutungsschwangere Blicke und Schweigen. Alles klar.

"Hängen die vielen Veränderungen auch damit zusammen, dass ihr weg vom Emo-Image wolltet, das euch immer aufgedrückt wurde?" - "Ja, ich habe das nie so richtig verstanden", gesteht Brendon. "Ich meine, was soll das denn bedeuten? Das setzt ja voraus, dass sich diese Bands, die gemeinhin als 'Emo' abgetan werden, durch besonders emotionale Texte und Sound auszeichnen. Und um ehrlich zu sein: Keine dieser 'Emo'-Bands, die ich kenne, macht sonderlich gefühlvolle Musik. Deshalb werden wir auch nicht gerne in diese Schublade gesteckt."

Bei musikalischen und persönlichen Veränderungen soll es für Panic At The Disco aber nicht bleiben. Die Bühnenshow wird in Zukunft weniger pompös ausfallen, so Jon. "Wenn wir in Europa auf Tour sind halten wir es sowieso immer etwas schlichter. Eine Bombast-Show wie in den USA können wir uns zum Beispiel in Deutschland gar nicht leisten. Alleine das ganze Equipment zu transportieren wäre zu teuer." Zur puristischen, simpleren Musik des neuen Albums wirkte eine aufwändige Deko vermutlich sowieso fehl am Platz.

Bei ihrem Züricher Auftritt gäben sie leider nur fünf Titel von "Pretty. Odd" zum Besten, bedauert Brendon. "Eigentlich spielen wir die neuen Songs viel lieber als die alten." Und werden die Rokoko-Kostüme, die bisher als eines der Panic At The Disco-Markenzeichen galten, noch aufgetragen oder hält man es auch modisch eher nach dem Motto "Back To Basics"? "Habt ihr unser neues Video zu 'Nine In The Afternoon' gesehen? Da habe ich nur Pyjama bzw. Boxershorts an. Gibt's denn ein besseres Kostüm", antwortet Brendon und grinst. Keine weiteren Fragen, die Botschaft ist angekommen: Weniger ist für Panic At The Disco von nun an einfach mehr.

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