17. März 2022

"Ich würde Waffen und Autos verbieten"

Interview geführt von

Die große Bühne sucht Peter Doherty nur noch mit seiner Musik. Ansonsten lebt der Libertine zusammen mit seiner Frau und seinen Hunden zurückgezogen in der Normandie. Hier hat er am Küchentisch zusammen mit dem französischen Musiker Frédéric Lo ein neues Album geschrieben. Ein Gespräch über sein ruhiges Leben, die Pandemie, Paparazzi-Fotos und Tabakverbote.

Anders als zu Karrierebeginn könnte das Leben von Peter Doherty heute kaum entspannter sein. Damals in der Großstadt London zu Hause, lebte er das Rockstarleben. Drogen, Promibeziehungen, ein Leben auf Volldampf. Das alles hat sich schon länger geändert. Seit zwei Jahren lebt Doherty in einem kleinen Dörfchen an der Küste der französischen Normandie. Vor Kurzem hat er seine Bandkollegin der Puta Madres, Katia de Vidas, geheiratet. Mit dem französischen Komponisten Frédéric Lo entstand das Album "The Fantasy Life Of Poetry & Crime", das morgen erscheint. Als ich Peter im Februar zum Interview auf Zoom treffe, sitzt er gerade backstage in Nottingham, kurz vor einer Libertines-Show.

Hey Peter, ich sitze hier gerade in Luzern mitten in der Schweiz vor dem PC. Erinnerst du dich an den Ort?

Hallo Andreas. Ja, ich erinnere mich an Luzern. Hat dort nicht Charlie Chaplin gelebt?

Hm. Das weiß ich gar nicht. Aber du bist hier schon zwei Mal aufgetreten. Am Blueballs-Festival.

Ah! Das Blueballs! Das ist ein cooles Festival. Ihr habt einen wunderschönen See. Von meinem Hotel aus hatte ich eine herrliche Aussicht.

Ich habe dich zweimal hier spielen sehen. In einer Soloshow und mit den Puta Madres. Beide Konzerte waren toll.

Danke, Kumpel. Hast du letzte Woche abgestimmt?

(überrascht) Ja, klar.

Hast du für oder gegen das Tabakwerbeverbot gestimmt?

Dafür.

Dafür?! Oh, no way, man! Die Schweiz war das letzte Land, in dem du frei Werbung machen konntest.

Ja, aber das Werbeverbot bezog sich nur auf Tabakwerbung, die sich an Kinder und Jugendliche richtet.

Glaubst du wirklich, dass Kinder dermaßen von Werbung beeinflusst werden? Glaubst du, die fangen mit dem Rauchen an, weil sie eine Werbung gesehen haben? Nein. Die fangen mit dem Rauchen an, aus welchen Gründen auch immer. Aber sicher nicht wegen einer Reklame.

Aber Zigaretten sind nicht das Beste für Kinder.

Ja, aber das ist auch der Benzinmotor nicht und trotzdem siehst du überall Autowerbung. Weißt du, was ich meine? Autos zerstören den Planeten. Trotzdem verbieten wir die Autowerbung nicht. In 100 Jahren werden sie auf uns zurückblicken und sagen: Meine Güte, sie wussten, dass sie den Planeten zerstören und trotzdem sind sie nicht komplett auf Elektroautos umgestiegen und haben erneuerbare Energie genutzt. Die werden denken, dass wir verrückt waren.

Findest du, dass es überhaupt keine Verbote in der Werbeindustrie geben sollte?

Ich kenne mich im rechtlichen Bereich nicht so gut aus. Außerdem bin ich nicht im Anzeigengeschäft tätig. Ich glaube einfach nicht, dass Kinder wegen Werbung mit dem Rauchen anfangen. Wenn du wirklich um die Gesundheit der Kinder besorgt bist, dann musst du die Zigaretten verbieten. Das haben sie ja zum Beispiel in Neuseeland getan. Wenn du nach 2008 geboren bist, darfst du keinen Tabak kaufen. In 50 Jahren wird Tabak wohl illegal sein (zündet sich eine Zigarette an).

Sollte Tabak verboten werden?

Meiner Meinung nach nicht. Glaub mir, alle meine bevorzugten Substanzen sind komplett illegal. Und trotzdem waren sie mein verdammter Untergang. Obwohl, ich habe mich sehr verändert. Ich verstehe, warum man sie verbieten will. Doch wo fängt man an? Ich würde nicht bei Tabak anfangen. Ich würde bei Waffen beginnen, bei Autos und Kerosin. Bei chemischen Substanzen, die die Flüsse vergiften. Tabak ist wohl unsere kleinste Sorge.

Gerade der sogenannte "War on drugs", also der Kampf der Regierung gegen harte Drogen, ist ja grandios gescheitert.

Das Verbot von Drogen sorgt nur für volle Gefängnisse. Wären Drogen legal, wären wohl 80 Prozent der Gefängnisinsassen frei. Der Krieg gegen die Drogen ist gut für die Polizei oder den Staat, um ihre Energie darauf zu konzentrieren.

"Ich habe seit zwei Jahren weder einen Laptop noch ein Telefon"

Gleich geht dein Konzert mit den Libertines los. Wie fühlt es sich an, nach der Pandemie wieder Shows zu spielen?

Es ist wichtig, die Leute wiederzusehen. Diese religiöse Erfahrung machen zu können und die Liebe zur Livemusik und alles, was damit zusammen hängt, zu spüren.

Verhält sich das Publikum anders als vor der Pandemie?

Oh ja. Als wir im Dezember nach einer langen Pandemie-Pause gespielt haben, war das Publikum komplett verrückt. Es war die beste Crowd, die wir je hatten. Sind Konzerte in der Schweiz noch verboten?

Nein, seit einer Woche sind sie wieder möglich.

In England haben sie die Pandemie für beendet erklärt. Du musst dich nicht mal mehr isolieren, wenn du infiziert bist. Das ist wirklich interessant.

Die Pandemie hast du in einem kleinen Dorf in der Normandie in Frankreich verbracht, wo du noch immer lebst. Wie sieht dein Leben dort aus?

Hm ... (überlegt lange). Ruhig. Ich habe einen ziemlich simplen Lebensrhythmus. Ich habe geheiratet. Ich gehe viel mit den Hunden spazieren und verbringe Zeit in Wäldern und an den Klippen. Um die Leute kennenzulernen, besuche ich oft das Dorf. Ich schreibe und lese viel. Ich habe seit zwei Jahren weder einen Laptop noch ein Telefon, bin also komplett offline. Meine Frau hat ein Telefon. Mein Leben hat sich wirklich vollkommen verändert.

Für die Leute vor Ort bist du einfach Peter und nicht der weltbekannte Rockstar?

Ja, dort gibt es nicht so diese Rock'n'Roll-Kultur. Es ist ein kleines Dorf, in dem die Familie meiner Frau schon seit vielen Generationen lebt. Sie hat hier viele Cousins und Onkel. Die meisten jungen Menschen gehen von dort weg.

Obwohl du so abgeschieden lebst, haben dich letzten Sommer einige Paparazzi aufgesucht und heimlich Bilder von dir gemacht. Die Fotos landeten in den einschlägigen Boulevardmedien. Nervt dich das?

Die haben die Bilder richtig hinterhältig geschossen. Ich habe erst davon erfahren, als ich sie in den Medien sah. Mich hat das nicht so gestört, aber meine Frau sehr. Sie war echt wütend und hat die Paparazzi und Medien verklagt. Mit dem gewonnenen Geld sind wir nach Griechenland gefahren. An mir prallen solche Dinge mittlerweile ab. Sonst wäre ich wohl schon lange zu paranoid.

Vermisst du manchmal dein früheres Leben in London?

Wenn ich in England bin, in Paris oder in der nächsten größeren Stadt Le Havre, dann genieße ich es schon, durch die Straßen zu flanieren und in Bars zu gehen. Städte haben etwas Geheimnisvolles. Ja, klar vermisse ich das.

Die letzten zwei Jahre waren wegen der Pandemie sehr ungewöhnlich. Wie bist du mit diesem Ereignis umgegangen?

Es sind schon so viele große Katastrophen in mein Leben gekommen: Du siehst die aktuelle am Horizont und kannst nichts dagegen unternehmen. Du kannst nur versuchen, damit klarzukommen. Es fühlte sich an, wie wenn du einen Song auf der Bühne startest und du mitten im Song merkst, dass du nicht an ihn glaubst. Und du fragst dich, wie zur Hölle du die nächsten drei Minuten überstehen sollst. Genau so fühlte sich die Pandemie an. Sie hat uns nicht mit voller Wucht erwischt. Sie kam schleichend, über Wochen und Monate. Plötzlich waren die Nachbarn infiziert, oder deine Freunde und auf einmal hatten es fast alle.

Und dann kam die ganze Impfgeschichte. Du lässt dich impfen, benötigst noch eine weitere Impfung. Andere wollen sich gar nicht impfen lassen. Yeah, es ist eine langwierige Geschichte. Ich denke, die Leute realisieren gar nicht, wie viel Glück wir in dieser Pandemie hatten. Wenn dieses Virus nur ein Stück infektiöser oder tödlicher gewesen wäre, dann hätten wir echt Probleme gehabt. Denn wir waren beim Herunterfahren der Gesellschaft dermaßen langsam. Speziell England. Man darf nicht vergessen, dass über 150.000 Menschen in England daran gestorben sind. Diese Zahlen können einem schon Angst machen. Im Verhältnis hätte es aber schlimmer kommen können.

"Fred war ein Geschenk Gottes"

Einige Songs auf deinem neuen Album mit Frédéric Lo beziehen sich auf die Pandemie. Einer heißt "The Epidemiologist", ein anderer "Yes I Wear A Mask".

Ich habe Themen verwendet, die mich beschäftigt haben. Im Song "The Epidemiologist" geht es darum, dass die Epidemiologen ständig in den Nachrichten waren wie Rockstars. Ich habe die Nachrichten echt intensiv verfolgt. Die gleichen Leute tauchten immer wieder auf, auf unterschiedlichen Sendern. Die haben lange studiert und ihr ganzes Leben der Medizin gewidmet und auf einmal kam die Pandemie und Peng, waren sie im Fokus. Ich schaute mir die Interviews mit ihnen an, die oft auf Zoom geführt wurden und achtete darauf, welche Bücher im Hintergrund in ihren Regalen standen.

Für einige waren die Epidemiologen aber keine Rockstars, ganz im Gegenteil. Sie wollten ihnen nicht glauben. Auch in der Impffrage gab es Skeptiker. Hast du ähnliches in deinem Umfeld erlebt?

Zu den Leuten, die sagten, dass die Impfung nicht genug erforscht sei und sie sich deswegen nicht impfen lassen wollten, sagte ich: Shut up und lass dich impfen! Wir haben auch schon andere Impfungen bekommen, gegen Tetanus, Masern und so weiter. Natürlich ist die Coronaimpfung vielleicht nicht das Brillanteste für deinen Körper. Aber das ist nicht der Punkt. Chemie steckt auch in unserem Essen und unserer Luft. Warum sind plötzlich alle bei der Impfung so besorgt?

Hattest du Freunde, die sich nicht impfen ließen?

Es gab manche. Meine Frau wollte sich zuerst nicht impfen lassen. Sie hatte Angst, dass es negative Auswirkungen auf die Fruchtbarkeit haben könnte. Sie sagte, dass sie das irgendwo online gelesen habe. Ich sagte ihr, dass das Schwachsinn sei. Ich wollte, dass sie mir ihre Quellen zeigt. Als ich sie nachprüfte, war schnell klar, dass dahinter keine Substanz steckt.

Am Ende ließ sich doch impfen?

Ja, zum Glück! Als sie dann Covid bekam, war sie richtig krank. Und das trotz der Impfung. Was wäre wohl passiert, wenn sie sich nicht hätte impfen lassen?

Hast du dich auch infiziert?

Ach, wahrscheinlich habe ich mich irgendwann mal infiziert, ohne es zu merken. Die ganze Band hatte Covid im Dezember, als wir auf Tour waren. Und ich schlief auch im gleichen Bett mit meiner Frau, als sie Covid hatte. Wurdest du infiziert?

Nicht, dass ich wüsste.

Hast du dich impfen lassen?

Selbstverständlich! Lass uns über dein neues Album sprechen. Wie hast du Frédéric Lo kennengelernt?

Ich lebe, wie gesagt, sehr abgeschieden und ohne Telefon. Doch Fred schaffte es, meine Frau zu kontaktieren. Er fragte mich, ob ich an einem Compilation-Projekt mitmachen möchte über Daniel Darc, einen französischen Singer-Songwriter. Ich sagte zu und wir haben zusammen einen wunderschönen Song aufgenommen. Als wir gemeinsam am Küchentisch rumgehangen sind, hat Fred ein bisschen Gitarre gespielt. Bei einer Melodie fragte ich plötzlich: Was ist das? (singt einige Töne). Das kam mir bekannt vor. Er meinte, das sei bloß ein Song, der noch keinen Text habe. Ich sagte zu ihm, lass mich den Text dazu schreiben. So entstand "Yes I Wear A Mask". Danach folgten weitere Songs und plötzlich hatten wir ein Album zusammen. Ich habe nur die Texte geschrieben, was für mich sehr ungewöhnlich ist.

Wie war es, nur die Texte zu schreiben?

Ich hatte gar keine andere Wahl, da ich schon sehr lange keine Gitarre mehr gespielt habe. Ich war etwas uninspiriert für ein paar Monate. Es war schrecklich. Dann hörte ich seine Melodien und dachte: Scheiße, wenn ich diese Melodien geschrieben hätte, hätte ich locker die passenden Texte dazu schreiben können.

Die Melodien klingen tatsächlich so, als hättest du sie geschrieben.

Nicht alle, manche klingen da und dort ein wenig anders. Aber grundsätzlich sind es Frédérics Songs. Ich war angenehm überrascht über seine Melodien. Es war wunderbar, mit ihm zu arbeiten und mit ihm zusammen Ideen zu erforschen. Fred war ein Geschenk Gottes. Er hat einen guten Einfluss auf mich. Er ist professionell, hat aber gleichzeitig eine sehr kreative Seite. Er arbeitet hart und kennt sich auch mit dem technischen Zeug aus. Er ist sozusagen im Studio zu Hause. Ich bin nicht so gern im Studio. Ich liebe es eher, live zu spielen. Während des Lockdowns habe ich mit ihm in den örtlichen Bars ein paar Guerilla-Konzerte gespielt. Aber das war nicht wirklich sein Ding.

Peter, unsere Zeit ist bereits um. Eine letzte Frage: Sind neue Libertines-Songs in der Pipeline?

Yes. In den letzten Tagen haben ich, Carl, John und Gary an neuen Songs gearbeitet. Es war aufregend. Wir haben ziemlich auf den Putz gehauen!

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