6. Januar 2012

"Kollegah und ich werden nie Freunde"

Interview geführt von

2011 war kein schlechtes Jahr für ihn: Wiedervereint mit Ex-Erzfeind Bushido, dick abgesahnt mit dem gemeinsamen Baby "23", kurz mal alle Tabaluga-Fans erschreckt und zum krönenden Abschluss der erste eigene Film in den Kinos. Der Mann ist nach wie vor ein Entertainer wie er im Buche steht.Es ist ein verregneter Morgen im Dezember, als das Telefon klingelt und sich ein müder Sido am anderen Ende der Leitung meldet.

Hi Sido! Na? Wie geht's Dir?

Sido: Ja ja ja - noch zu früh.

Interviewmarathon? Hast schon einige hinter dir?

Nee - du bist erst die Zweite.

"Blutzbrüdaz", dein neuer Film kommt am 29. Dezember in die Kinos.

Mein erster.

Dein erster.

Das hört sich so an, als würdest du mit 'nem Schweighöfer reden. So "dein neuer Film" ...

Um was geht's?

Um zwei Freunde: Blutzbrüdaz. Und die wollen unbedingt durch Rappen berühmt werden und versuchen da so einiges. Und dann machen die sich 'n Namen im Untergrund, so mit Tapes und so und dann wird 'ne große Plattenfirma auf die aufmerksam. Und dann stecken die in der Bredouille, denn einer findet das 'ne gute Idee zu 'ner großen Plattenfirma zu gehen und der andere sagt: "Lass uns das lieber weiter so durchziehen wie wir das bisher getan haben." Und da fängt die Bredouille erst an.

Und die wäre?

Das will ich noch nicht erzählen!

Okay. Ist das Ganze denn richtig autobiographisch?

Nee. Gar nicht. Also bis zu einer gewissen Stelle hat der Film anekdotische Ansätze. Zum Beispiel dass wir da sitzen und die Tapes mit diesem komischen Gerät aufnehmen, dem Vierspur. Das haben wir auch so getan. Und zuhause auf der Couch bei Bobbys Mutter haben wir auch so gesessen und haben unsere Tapes aufgenommen, die Tapes vervielfältigt, die Cover ausgeschnitten und geklebt und alles auf dem Tisch gestapelt.

Das haben wir alles auch so gemacht, sind auf Hip Hop-Jams gefahren, haben unsere Tapes in so 'nem Plattenladen verkauft ... Das ist alles ziemlich ähnlich wie bei uns. Aber ab dem Punkt, wo dann die große Plattenfirma ins Spiel kommt, ist alles komplett anders gelaufen.

Was hast du denn am Film alles selber gemacht? Das Drehbuch hast du mitgeschrieben?

Ich hab am Drehbuch mitgewirkt. Ich hab mich nicht an die Schreibmaschine hingesetzt und getippt, sondern hab mich mit den Autoren getroffen, Ideen gesammelt und erzählt, wie's bei mir war, damit das auch alles schön authentisch wird. Also nicht authentisch wie mein Leben, sondern ein authentischer Hip Hop-Musik-Film. Da erfährt man natürlich so ein paar Anekdoten von so einem authentischen Rapper.

Wer spielt denn neben dir und B-Tight noch mit aus der Szene?

Rapper meinste?

Ja.

Alpa Gun, Tony D spielt den DJ, Damian Davis spielt Philipp den Produzenten, der im Schuhladen arbeitet ... Hmmm? Wer ist da noch dabei? Na, die ersten Rapper, die am Anfang auf der Bühne sind, sind Liquit Walker und Hammer. Ich glaub, das war's jetzt so an Rappern.

Du hast im Interview mit den Kollegen von HipHop.de letztes Jahr betont, dass es dir wichtig ist, dass dein Film anders wird als "Zeiten ändern dich". Was unterscheidet deinen Film denn von dem Bushidos?

Erstmal ist es keine Biographie und zweitens ist Musik ein wichtiger Faktor. Bushido hat ja - auch in seinem Buch - die Geschichte mit seinem Vater zum großen Aufhänger gemacht. Also eher so ein Familiending, was ich nicht wollte. Ich wollte, dass es wirklich auf die beiden Jungs, deren kleines Umfeld und die Musik beschränkt ist, die die machen wollen.

Bushidos Film ist eher eine Biographie als ein Musikfilm. Ich weiß auch gar nicht unter welcher Kategorie man den kriegt. Man sieht hier und da mal 'n Auftritt von ihm, aber ein richtiger Musikfilm ist es nicht. Ich hatte schon den Anspruch, einen richtigen Musikfilm zu machen.

Zum Thema Peter Maffay: Mund auf, Schwanz rein? Oder wie stehst du jetzt dazu?

Kurzes Schweigen. Das ist mir egal.

Ist dir egal?

Was soll ich denn da jetzt machen? Maffay hat seine Entscheidung getroffen und dann ist das okay. Und um nochmal auf "Mund auf Schwanz rein" zurückzukommen: das ist ein Lied von Otis. Man darf das bitte nicht verwechseln, dass Sido hier eine Rolle spielt. Der da den Song gemacht hat, ist ein zwanzigjähriger Junge aus Berlin im Jahr 2000. Da war so was noch an der Tagesordnung.

Das ist jetzt nicht mehr deins?

Doch. Na klar. Und ich finde den Song auch großartig. Nur dass ich als Sido den nicht mehr verkaufen würde, weißte? Dafür bin ich zu alt. Aber Otis ist zwanzig Jahre und ein Typ, der noch nichts erreicht hat in seinem Leben und der noch seinen Groll gegen das System und gegen die Gesellschaft hegt und das bringt er zum Ausdruck mit seiner Musik.

Der Song läuft aber ja schon unter Sido.

"Sido - die Mukke zum Film". Das ist kein Sido-Album, das ist ein Soundtrack. Blutzbrüdaz. Da sind Songs drauf, auf denen ich noch nicht mal auftauche.

Was den Ausschlag für die Pressemitteilung von Maffay gab, in der er sich von euch distanziert hat, weißt du auch nicht? War das die Sendung beim Lanz neulich?

Keine Ahnung. Ich sag ganz ehrlich: ich akzeptiere die Meinung, genauso wie er unsere Meinung akzeptieren muss. So einfach ist das. Und da hegt keiner dem anderen 'n Groll gegenüber. Alles okay.

"Berlin ist Kollegah bisschen zu gruselig"

Die erste Single "Geboren um frei zu sein" vom Soundtrack ist mit Rio Reiser von Ton Steine Scherben. Der Promotext bezeichnet euch als "Brüder im Geiste". Wie ist das bitte zu verstehen?

Den Text hab ich nicht geschrieben. Das wär mir zu hoch gegriffen. Ich würde ohne Rios Zustimmung - und die kann man leider nicht mehr einholen - so einen Satz nie sagen. Die Schuld gib bitte der Plattenfirma, dass so ein Satz entstanden ist. Das hätt ich so nich geschrieben. Aber trotzdem wär ich froh, wenn das so wäre. Von meiner Seite her fühl ich mich so.

Du findest den Typen richtig gut, ne?

So die Attitüde, die Texte – ich finde den Typen einfach großartig. Genial.

Und wie war das mit Favorite?

Ich hab bei Twitter geschrieben: "Wer kann mir die Nummer von Favorite besorgen?" Ich hatte ein, zwei Sachen von ihm gehört, die ich wirklich cool fand. Und dann hat mir einer bei Twitter Favorites Nummer geschickt und ich hab ihn angerufen. Dann hab ich gesagt: "Hier bitte, komm mal vorbei, ich find dich cool, lass mal treffen ... Ich brauch mal bitte hier 'ne Strophe".

Hab ihm auch alles geschickt, was er brauchte und er hat sehr lange gebraucht. Ist ein sehr verpeilter Typ. Er erinnert mich sehr an mich, als ich so alt war wie er – bisschen alles scheißegal und so. Weißt du: Mittlerweile kenne ich meine Pflichten und weiß, was ich zu tun hab und tu das dann auch gewissenhaft.

Er weiß noch nicht alles einzuordnen, was jetzt gerade wichtig für ihn ist, ob Party jetzt wichtiger ist als Musik – das hat der noch nicht richtig auf die Waage gebracht. Zumindest zu der Zeit, als ich die Strophe unbedingt von ihm gebraucht habe. Da is er, glaub ich, lieber auf irgendeiner Party versunken.

Die Selfmade-Aggro-Geschichte von vor drei Jahren spielt für dich inzwischen keine Rolle mehr?

Das hat für mich nie so 'ne große Rolle gespielt. Ich meine, Kollegah und ich werden nie Freunde, denk ich ma. Ich finde den auch einfach affig, den Typen. Musik muss authentisch sein und ich muss glauben, was ein Typ mir erzählt und das geht bei Kollegah einfach nicht. Bei Favorite geht das wunderbar. Kollegah ist nicht authentisch für mich.

Deswegen werde ich das nie gut finden und das wird der Grund sein, warum wir nie Freunde werden, Kollegah und ich. Und so 'n Farid Bang hat mit denen ja jetzt nix zu tun. Also, ich hab keine Probleme mit Selfmade und nie wirklich gehabt. Ums Label ging's mir nicht. Wenn Kollegah irgendwann mal was gesagt hat, dann hab ich natürlich 'n Problem mit Kollegah gehabt.

Du wirst jetzt also kein gutes Wort bei den Veranstaltern in Berlin für ihn einlegen, damit er da endlich mal wieder auftreten darf?

Der will nich.

Der will nich? Das hat er im Interview mit uns vor ein paar Wochen ganz anders dargestellt. Da hat er betont, wie gerne er in Berlin auftreten würde und die Veranstalter ihn einfach nicht lassen.

Das is so ein Unsinn. Nee! Der würde auf jeden Fall 'n Club finden, in dem er auftreten kann. Der will nicht mehr auftreten, weil die Angst haben. Weil die gestürmt wurden hier im Kato.

Aha, bei uns hat er es so dargestellt, dass die Veranstalter Angst haben, dass wieder alles kaputtgeschlagen wird.

Unsinn. Die machen einfach seitdem alle einen riesen Bogen um Berlin. Vielleicht auch schlau. Der Typ reißt so seine Fresse auf und in Berlin da haben wir schon so ein paar Leute ... Das mussten wir damals schon erfahren. Weißt du, wenn du 'ne große Fresse hast, dann kommen Leute, die auch 'ne große Fresse haben und wissen wollen, ob deine große Fresse auch wirklich gerechtfertigt ist.

Das ist so 'ne Berliner Attitüde. Sowas passiert in Berlin einfach. Und dann wurde eben mal geguckt, als sie bei diesem einen Konzert im Kato da waren. Seitdem wollen die nicht mehr nach Berlin, das war denen bestimmt bisschen zu gruselig.

Wie gesagt, bei uns hat er das ganz anders dargestellt.

Hat er das erzählt, dass da im Kato mal ein Konzert von denen gestürmt wurde? Berlin ist groß genug und es würde sich hundertpro irgendein Veranstalter finden lassen, der Kollegah hier auftreten lassen würde – immerhin gibt es da ja auch die ein oder andere Mark mit zu verdienen. Das hat dann ganz bestimmt andere Gründe, kannst du dir vorstellen.

"Es geht tatsächlich noch bergauf bei mir"

Jetzt noch zum Thema Castingshow: Du hast ja deine eigene Show "Blockstars" im ORF.

Das ist keine Castingshow. Es ist schade, dass das immer so hingestellt wird. Das ist eher ein soziales Projekt, bei dem ich Jugendlichen, die sonst keine Perspektive haben, unter die Arme greife und auf die Beine helfe. Die Art und Weise, wie ich das mache – einfach weil ich da die besten Füße in der Tür habe – ist Musik. Ein Album, eine Band mit denen gründen ... Das ist 'ne bessere Möglichkeit für mich, als durch die Betriebe zu laufen und zu fragen: "Habt ihr 'ne Arbeit für den?"

Da habe ich eine Infrastruktur, die ich nutzen kann, um mit denen ein Album rauszubringen. Aber es gibt nicht dieses "Die stellen sich auf irgend'nen Stern und singen was vor und ich überlege, wer der bessere ist usw." Sondern ich suche mir Schicksale, also Leute, von denen ich weiß, die brauchen Hilfe.

Im Laufe der Recherche haben wir auch Leute gefunden, die richtig gut gerappt haben, die ich vielleicht auch gut in der Band hätte gebrauchen können, aber die haben mitten in der Ausbildung gesteckt, zum Beispiel als Koch. Solche Leute nehme ich dann nicht mit. Denn die Perspektive, die ich denen bieten kann, nämlich ein Album zu machen, ist nicht so sicher, wie wenn du jetzt noch die eineinhalb Jahre Koch weiter machst, denn dann hast du 'ne fertige Ausbildung.

Das ist natürlich viel sicherer, als jetzt ein Album mit mir zu machen, von dem wir noch nicht mal wissen, ob das funktioniert und so. Und dann ist der Vorschuss irgendwann alle und du stehst wieder da. Ich biete denen 'ne Chance, die man nutzen kann und dann gucken wir, ob's gut wird, aber so sicher wie die Ausbildung, die du schon hast, kann das hier nicht sein. Deswegen geht es nur um die Leute, die es richtig, richtig nötig haben.

Also sozial Schwache oder Leute, die noch keine Ausbildung haben?

Ja, genau. Oder: Eltern beide Alkoholiker und keiner kümmert sich um ihn und deshalb bleibt er voll sozial auf der Strecke.

Aber das Ganze funktioniert schon nach dem klassischen Castingprinzip und es wird immer wieder einer rausgeschmissen.

Also eigentlich war mein Anliegen, dass ich da drei Jungs habe und eine Frau, die am Ende auch die Band sind, und die ganze Sendung nur das Thema ist: Wird das klappen, dass die jetzt 'ne Band werden oder nicht? Vertragen die sich? Aber im Laufe der Recherche habe ich so viele Schicksale getroffen, die ich nicht auf der Strecke lassen wollte und dann sind's ein paar mehr geworden.

Die Plattenfirma wollte keine acht Leute in der Band. Die haben gesagt: "Bitte reduzier' das auf vier." Da stand ich dann in der Bredouille, weil ich dieses Castingformat nicht machen wollte. Ich wollte niemandem sagen: "Hier ist dein Traum, jetzt biste raus und jetzt geh wieder zurück in dein Loch, in die Scheiße, aus der du gekommen bist!" Deshalb habe ich mich verpflichtet, mich auch um die, die es nicht in die Band schaffen, darüber hinaus zu kümmern, also einen Job zu finden, aus der Wohnung rauszukommen usw. In erster Linie - und ich hoffe, das ist jetzt ein bisschen rüber gekommen - ist das ein soziales Projekt, keine Castingshow.

Du lebst vorübergehend auch grad in Wien?

Ja - ich hab da 'ne Wohnung.

Überlegst du dir denn auch über die Castingshow ... äh ... Show - Entschuldigung: das soziale Projekt! - hinaus dort zu leben.

Wenn's die Zeit zulässt würde ich gern da meine Freizeit verbringen. Fänd ich schön.

Du machst dort auch einen Tatooladen auf?

Ja. Da suche ich gerade eine Lokalität.

Abschließend noch einen kurzen Jahresrückblick für 2011 bitte: was war geil, was war scheiße?

Geil war, dass ich so viel zu tun habe und meine Karriereleiter noch mal ein zwei Sprossen nach oben geklettert bin. Nach so vielen Jahren. Das finde ich wirklich klasse und zeigt, dass sich die harte Arbeit auch irgendwie bezahlt macht. Man könnte ja auch sagen, nach acht oder zehn Jahren oder wie lange ich das jetzt mache, könnte es mal allmählich bergab gehen, aber es geht tatsächlich noch bergauf bei mir, was ich wirklich großartig finde. Das war also das Gute.

Und das Schlechte ist genau dasselbe, weil mir das meine Freizeit nimmt. Ich hatte seit eineinhalb Jahren keine Freizeit mehr, hatte lange Nächte und wenig Schlaf. Dieses Jahr war also Fluch und Segen zugleich für mich. Ansonsten, wenn du jetzt weltpolitische Sachen oder irgendwas gemeint hast: Mir ist das alles scheißegal!

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LAUT.DE-PORTRÄT Sido

"S wie der Stress, den du kriegst wenn ich am Mic bin. I wie 'Du Idiot!' Mich zu battlen wär' Leichtsinn. D wie die Drogen, die ich mir täglich gebe.

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