16. August 2002
"Ich glaube nicht, dass man seine Identität jemals finden kann!"
Interview geführt von Alexander CordasDass das Rockerleben nicht immer nur positiv ist, bekommt Daniel Johns am eigenen Leib zu spüren. Gerade, als die Aufnahmen zu "Diorama" im Kasten sind und etliche Festivalauftritte in Europa geplant waren, stellen Ärzte bei ihm die deprimierende Diagnose: eine fiese Form von Arthritis plagt den Sänger und setzt ihn außer Gefecht. Wir sprachen mit Johns über die neue Platte und seine Krankheit.
Hallo Daniel. Die erste Frage ist fast unvermeidlich blöde: wie geht es dir?
Ich habe zwar immer noch große Probleme, aber eigentlich bin ich ok.
Wann können wir hier in Europa damit rechnen, euch live zu sehen?
Ich weiß es wirklich nicht, wann wir wieder live spielen werden. Im Moment bin ich immer noch krank und ich kann beim besten Willen nicht sagen, wann es mir wieder besser geht. Sobald es mir wieder besser geht, werden wir auch wieder proben und auftreten. Ich weiß nicht, wann das sein wird, aber es wird mit Sicherheit passieren.
Mit "Diorama" ist euch ein großer Wurf gelungen. Wie waren die Reaktionen in Ländern, in denen das Album schon einige Zeit auf dem Markt ist?
In Neuseeland und Australien waren die Reaktionen darauf sehr gut und ich bin auch froh, dass es gut ankommt. Die Leute scheinen zu verstehen, um was es bei diesem Album geht.
Wie ist es dann, in der jetzigen Situation nichts für die Promotion tun zu können?
Das ist schon frustrierend. Wir haben wirklich hart an der Platte gearbeitet und wir würden sie liebend gerne live vorstellen. Auf der einen Seite ist das zwar ärgerlich, auf der anderen Seite gibt es aber auch nichts, was ich dagegen tun könnte. Das einzige, was mir bleibt ist, Interviews zu geben, um so vielleicht zu erreichen, dass man sich das Album anhört.
Habt ihr genau gewusst, wie sich "Diorama" anhören sollte, als ihr angefangen habt, daran zu arbeiten?
Ja. Als ich angefangen habe, die Songs zu schreiben, wusste ich schon, in welche Richtung sie gehen sollten. Ich habe sehr hart an den Arrangements gearbeitet, weil ich eine bestimmte Struktur haben wollte. Dabei hatte jeder Song für sich gesehen etwas Einzigartiges. Der Aufnahmeprozess war dann relativ unkompliziert, weil ich genau wusste, was ich wie mit den Songs machen wollte. Wir haben auch kaum Zeit verschwendet. Wir sind ins Studio gegangen und haben unsere Parts aufgenommen. Im weiteren Verlauf habe ich dann viel Zeit darauf verwandt, zu erreichen, dass alles das, was ich im Kopf hatte, auch so auf Platte kommt.
Wie lange hat das insgesamt gedauert?
Wir haben acht Wochen gebraucht, um alles auf zu nehmen und vier Wochen, um den Mix zu beenden.
Das ist nicht unbedingt sehr lange.
Ja, das mag schon stimmen, aber dieses Mal haben wir so lange an dem Album gearbeitet, wie noch nie zuvor. "Frogstomp" wurde in nur neun Tagen aufgenommen, "Freakshow" in zwei Wochen und "Neon Ballroom" in sechs Wochen. Das mag sich zwar nicht so lange anhören, aber für uns war es definitiv die längste Zeit, die wir an einer Platte gearbeitet haben.
Seid ihr jetzt komplett zufrieden mit dem Ergebnis, oder würdest du im Nachhinein noch etwas ändern wollen?
Mhm, nein. Ich bin wirklich rundum zufrieden mit der Platte. Natürlich dachte ich, als ich das Ergebnis dann gehört habe, dass man verschiedene Sachen noch besser hätte machen können. Es ist wirklich schwer, zu sagen, dass man vollkommen zufrieden ist. Man entdeckt immer wieder Sachen, die man hätte besser spielen können, aber ich immer noch sehr zufrieden damit.
Ich habe Fan-Reaktionen gelesen. Jemand hat die Scheibe so umschrieben: "wenn die Platte ein Tier wäre, dann wäre sie ein Adler."
Ich finde, ein Adler ist ein guter Vergleich. Wenn man es von der Warte aus betrachtet, dass "Diorama" eine optimistische Platte ist und wenn du es mit einem Tier vergleichen müsstest, dann fliegt sie sicher im Himmel herum und deswegen ist ein Adler schon sehr treffend.
Ihr habt mit Van Dyke Parks zusammen gearbeitet, dem ehemaligen Produzenten der Beach Boys. Hattest du ihn schon im Hinterkopf, als du die Songs geschrieben hast?
Ich wusste überhaupt nicht, wer Van Dyke Parks ist. Ich hatte genaue Vorstellungen der Arrangements, als ich die Songs geschrieben habe, hatte aber keine Ahnung, wer fähig wäre, das auch umzusetzen. Ich hörte von Van Dyke erst, als man ihn mir vorgeschlagen hat. Ich habe dann mit ihm geredet und fest gestellt, dass uns auf der musikalischen Ebene viel verbindet. Wir sind gut miteinander ausgekommen und es hat sich heraus kristallisiert, dass er die perfekte Besetzung war.
Er sagte auch, dass er seit Brian Wilson mit keinem größeren musikalischen Talent gearbeitet hat. Was denkst du persönlich über ein Zitat von einem Schwergewicht wie ihm?
Oh, ich war geschmeichelt, als ich das hörte. Das ist schon etwas Großartiges, obwohl ich dem nicht unbedingt Glauben schenke.
Der Titel "Diorama" leitet sich ja von einer Erfindung des 19. Jahrhunderts ab. Wie bist du auf diesen Namen für das Album gestoßen?
Wir haben wirklich lange nach etwas Passendem gesucht. Wir suchten nach etwas, was beschreibt, worum es bei diesem Album geht, jemanden in eine Welt innerhalb einer Welt mit zu nehmen, oder an andere Plätze. Irgendwann fiel dann der Satz "das hört sich an wie ein musikalisches Diorama" und das war es dann. Ich hielt es für einen perfekten Titel.
Denkst du, ihr habt mit dieser Platte eure musikalische Identität gefunden?
Ich dachte eigentlich bei jeder Platte, die wir bislang gemacht haben, ich hätte endlich meine musikalische Identität gefunden. Aber um ehrlich zu sein, glaube ich nicht, dass man seine musikalische Identität jemals finden wird. Das macht die Herausforderung, Musik zu machen aber umso interessanter, denn man sucht immer nach etwas Neuem oder Frischem. Auf eine Art habe ich wohl meine musikalische Identität gefunden, aber auf der nächsten Platte werde ich sie wahrscheinlich wieder neu finden, die Frage ist auch sehr schwer zu beantworten.
Kannst du es aber verstehen, wenn Fans vom neuen Album erst einmal irritiert sind?
Selbstverständlich. "Diorama" ist schon Welten von dem entfernt, was wir bislang veröffentlicht oder geschrieben haben. Ich kann mir schon vorstellen, dass es einige geben wird, die unsere alten Sachen mochten, sich mit den neuen Songs aber nicht anfreunden können aber es wird auch jene geben, die uns bislang nicht mochten und uns jetzt gut finden werden. Ich schreibe Musik aber, damit ich mich gut fühle, und nicht, um anderen einen Gefallen zu tun. Wenn wir damit anfangen würden, wären wir wirklich eine Scheißband.
Was würdest du denjenigen sagen, die diesen Schritt nicht mit euch gehen wollen?
Die Schönheit von Musik äußert sich ja nicht zuletzt darin, dass man mit so vielen verschiedenen Mitteln arbeiten kann. Was dann dabei heraus kommt, kann niemals allen gefallen. Es wird aber hoffentlich einige geben, die diese Herausforderung suchen, sich auf Neues einzulassen.
Habt ihr schon darüber nachgedacht, wie ihr diesen bombastischen Sound hinbekommt, wenn ihr live spielt?
Ich habe mir schon bei den Aufnahmen sehr viele Gedanken darüber gemacht, wie wir das gebacken bekommen. Wir haben Anfang des Jahres geprobt und wir können fast alles von der Platte auch auf die Bühne bringen. Das war gar nicht so schwer, wie ich anfangs dachte. Songs wie "Tuna In The Brine" und "Across The Night" können wir live spielen und es hörte sich besser an, als ich zuerst vermutete. Das beunruhigt mich nicht so sehr. Ich weiß, wenn wir wieder auf Tour gehen werden, werden wir die ganze Platte gut performen können.
Wollt ihr denn die komplette Platte spielen?
Ja. Ich denke, wir werden so ungefähr 95% spielen. Als wir probten, hat uns wirklich jeder Song des Albums gut gefallen. Wir werden uns deshalb hauptsächlich auf das neue Material und das von "Neon Ballroom" konzentrieren und weniger Zeugs von den vorhergehenden Alben spielen.
Wenn man deine Songtexte betrachtet, sind diese sehr emotional, intim und berühren Bereiche deiner inneren Psyche. Ist es nicht etwas seltsam, sich in seinen Texten so zu offenbaren?
Ja, sicher ist das etwas seltsam, aber als Künstler oder Songwriter fühlt es sich gut an und hat etwas Reinigendes und Angenehmes. Ich habe das schon immer getan, mich durch die Musik und die Texte auszudrücken, für mich ist es zur Gewohnheit geworden.
Ist das so eine Art Therapie?
Ja schon, aber auf "Neon Ballroom" war das noch viel mehr der Fall. Damals hatte ich eine wirklich schlechte Zeit und habe auch viel mehr von mir preis gegeben. "Diorama" ist um einiges optimistischer und das fühlt sich auch viel besser an.
Alles in allem waren die Reaktionen auf Diorama durch die Bank positiv. Bono würde ja sogar nach Australien schwimmen. Trägt man da nicht eine schwere Last mit sich herum, wenn man von allen Seiten Zucker in den Hintern geblasen bekommt?
Nein, nicht wirklich. Diese Last hat doch etwas Gutes. Man weiß, dass die Platte, an der man so hart gearbeitet hat, gut ankommt. Ich hätte einen viel größeren Druck, wenn alle sagen würden, dass sie scheiße wäre.
Hast du eigentlich einmal daran gedacht, Kooperationen mit anderen Künstlern ein zu gehen?
Ich habe noch nie konkret darüber nachgedacht. Im Moment schreibe ich Musik für mich selbst. Wenn ich in die Zukunft blicke, dann werde ich das sicher einmal machen, aber auf unseren letzten beiden Alben war ich schon sehr auf unsere eigene Arbeit fokussiert.
Um noch mal auf deinen Gesundheitszustand zurück zu kommen. Wie kann man sich deinen Tagesablauf im Moment vorstellen?
Ich stehe morgens auf und muss erst einmal viele Medikamente und Schmerzmittel nehmen. Ich sitze den ganzen Tag auf dem Sofa und ruhe mich aus, da ich nicht richtig aufstehen kann. Krank wie ich bin, kann ich nicht einmal Gitarre oder Klavier spielen.
Ich glaube, ich kann für die meisten Leute sprechen, wenn ich dir gute Besserung wünsche. Komm schnell wieder auf die Beine.
Danke, ich werde mich beeilen. Ich kann es kaum abwarten.
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