7. Mai 2001
Von Ingolstadt nach Abbey Road
Interview geführt von Joachim GaugerGibt es schon einen Plan für eine neue Single?
Es gibt bereits die neue Radiosingle "Andy" und als Single mit Video ist auch schon was angedacht: das wird wahrscheinlich "No Time".
Wie kam es zu der Idee des Andy?
Das kam schon relativ früh. Wir haben einfach mehrere Kunstfiguren erfunden, denen wir unsere Lieder in den Mund hätten legen können. Das eigentliche Thema der Platte sind ja Identitätsgeschichten. Deshalb hat es da nicht nur eine Figur gegeben, sondern im Sinne einer gesunden Schizophrenie mehrere. Es hat sich dann aber doch auf eine reduziert, das war wohl einfach eine Maßnahme, um unsere ursprüngliche Idee und das, was wir eigentlich machen wollten, nämlich ein Buch, zu unterstützen. Wir wollten eigentlich vor eineinhalb Jahren ein Buch machen, dann ist es darauf hinaus gelaufen, dass das kein Roman wird, sondern ein Schaubuch, ein Lookbook, das wie ein Tagebuch aus aneinander gereihten Informationen besteht. Keine abgeschlossene Handlung, kein Anfang, kein Ende. Da haben wir uns gedacht, wenn wir so verschiedene Episoden in Form von Liedern haben, dann müssten wir ja eigentlich auch einen Autor haben, der das alles schreibt. Und vielleicht müssen das ja gar nicht wir sein, sondern eine Person, die uns fünf alle ganz gut repräsentiert und in der wir uns auch wiederfinden. Deshalb haben wir diesen einen Andy kreiert, als Protagonisten von dem Film, den es nicht gibt oder als Autor von dem Buch, das es nicht gibt.
Wie kommt man als Musiker darauf, ein Buch schreiben zu wollen?
Weil wir, glaube ich, gar keine so richtigen Musiker sind. Wir haben alle vorher was anderes gemacht, auch parallel. Wir haben zu viele Interessen, um ausschließlich Musik zu machen. Es hat sich auch angeboten, ich mache die Texte, einer von uns studiert Grafikdesign und hat das Ganze gelayoutet, das geht alles Hand in Hand und auch fächerübergreifend, nicht nur Musik, auch ein bisschen schreiben, ein bisschen zeichnen.
Gibt es für die Figur des "Andy" ein reelles Vorbild?
Ein wirkliches Vorbild gibt es nicht, das soll uns fünf widerspiegeln, fünf in einer Person.
Fünf in einer Person?
Man kennt sich ja untereinander. Dieser Andy ist ja ein Mensch, der so seine Probleme hat, das ist auch das, worum sich die Texte der Platte drehen. Das ist eine Bestandsaufnahme eines jungen Mannes, der eine Identitätskrise hat. Das hat jeder, auch jeder von uns, und da wir uns kennen und uns fast täglich sehen, hat wirklich jeder zur Formung der Figur Andy beigetragen. Am allermeisten der Chris, da er alle Texte schreibt, der Sänger, mein Bruder. Aber jeder von uns kommt in dieser Figur vor. Aber es gibt ihn nicht als reale Person, es ist keiner von uns.
Und was läuft im Tourbus, wer setzt sich da mit seinen musikalischen Vorlieben durch?
Inzwischen ist das so, dass jeder seinen Diskman oder Walkman dabei hat, früher war das immer Wahnsinn. Aber heute haben wir alle Hörspiele gehört.
Oh, und was?
Thomas Mann, der Zauberberg. Ich bin wunderbar eingeschlafen dabei. (lacht)
Gibt es einen musikalischer Nenner auf den ihr euch alle einigen könnt?
Es ist schon sehr unterschiedlich. Was wir gerne hören, wenn wir vorne was rein tun, wo wirklich keiner mault, ist Jazz. Das ist nicht anstrengend.
Draußen läuft Notwist, ist das Zufall? Ich hab mir damals eure erste CD angehört und dachte, prima, ihr klingt wie Notwist - gekauft. Jetzt habt ihr euch aber ganz schön verändert und mit dem letzten Album einen großen Schritt in Richtung Eigenständigkeit gemacht.
Das war für uns auch ein ziemlich wichtiger Schritt. Es kann schon sein, wir haben Notwist früher sehr gerne gemocht...
...ihr produziert auch mit Mario Thaler...
...ja, die Infrastruktur war einfach sehr ähnlich, die Möglichkeiten. Die Musik läuft jetzt glaub ich da draußen, weil unser Mischer auch der Notwist-Mischer ist, eine weitere Überschneidung (lacht).
Auch wenn ihr das wahrscheinlich schon tausend Mal erzählt habt, wie kam der Kontakt zu den Abbey-Road Studios zustande?
Das war Marios Idee. Mario meinte halt, in Deutschland mastern ist nicht so toll, und wenn, dann will er gleich was richtig Gutes. Also hat er bei Abbey-Road angerufen und dann haben wir auch prompt einen Termin bekommen und es hat alles gepasst im Zeitplan.
Musstet ihr da große Geschichten erfinden, um eure Plattenfirma zu überzeugen, euch nach London zu fliegen?
Nein, komischerweise nicht. Als der Vorschlag kam, haben die sofort gesagt, wenn ihr das wollt, dann ist das okay.
Hört sich sehr locker an.
Die sind auch sehr locker, muss man schon sagen. Sind sehr zufrieden mit Virgin.
Als ihr dort wart, hieß es dann "okay, zwei Wochen habt ihr hier Zeit"?
Nein, es ging ja nur ums Mastern. Also die Platte war fertig gemischt und fürs Mastern haben wir für die 15 Stücke zwei Tage veranschlagt, das ist eine ganz realistische Zeit gewesen. Haben letztendlich nur einen gebraucht, wir hatten da den absoluten Checker, der dort schon 32 Jahre arbeitet, der hat bei der letzten Beatles-Platte auch schon mitgewirkt. Chris Blair heißt er und dem haben wir ungefähr erklärt, wie wir den Sound haben wollen und er hat das sofort verstanden. Bei jedem Lied, das er da eingelegt hat, hat es eineinhalb Minuten gedauert oder so - und wir saßen da und dachten: ja, genau! (lacht) So soll es sein.
Der ist fest angestellter Produzent bei Abbey-Road?
Das ist der Mastering-Chef. Der hat auch ziemlich gute Referenzen. Die Beatles eben wie gesagt, von Radiohead hat er alle Platten gemacht, von Sting hat er die letzte gemacht. Das waren alles Dinge, die uns bewogen haben, dahin zu gehen. Und deshalb hat er auch nur einen Tag gebraucht, am nächsten haben wir uns London angeschaut, das war auch sehr gut.
Also nach zwei Tagen wieder zurück?
Ja. Waren ja bloß er und sein Bruder da, London ist ja sehr teuer. (lacht) Dass wir da alle mitfahren, das konnten wir uns nicht leisten.
Ist das ein großer Schritt, plötzlich in so einem Weltklasse-Studio zu arbeiten?
Für mich war es ein ganz besonderer Schritt, weil ich seit zwei Jahren meine ganz persönliche Beatlemania durchlebe und insofern war das natürlich echt der Hammer, für mich war es gigantisch. Wir haben dann noch eine Führung bekommen, durch das Studio, waren auch im Studio 2, in dem die Beatles alles aufgenommen haben. Da ist alles noch unverändert seit der Zeit, das war schon toll. Aber grundsätzlich kann jede Band da zum Mastern hingehen, da muss man keinen Namen haben, da geht es um Geld, wenn man das zahlt dann kriegt man den Job erledigt. Das ist nichts für Privilegierte oder so.
Als der ominöse Anruf vor dem Robbie Williams Konzert kam, musstet ihr die ganze Mannschaft ja erst zusammen trommeln. Könnt ihr das noch mal kurz erzählen?
Am Vorabend waren alle fünf in alle Winde verstreut und unser Busfahrer, der Nick, der hatte eine Band aus Nürnberg nach München gekarrt. Der Rainer hat erst mal abgesagt, ohne Bus das ganze Equipment in Autos zu fahren, das geht nicht. Nachdem ich mit Rainer und Holger, unserem Mischer noch mal darüber geredet hatte, dachten wir, eigentlich sind wir ja echt total bescheuert. Dann hat unser Manager angerufen und hat gesagt, ihr fahrt da jetzt hin, das war echt ein Befehl. Dann haben wir auch schon angefangen, das Zeug zu packen. Nick hat das Zeug von der anderen Band rausgeladen, unseres eingeladen, dann das von den anderen wieder rein und dann sind wir nach München gedüst, alle anderen im Auto. Ich war bei Nick im Bus und 20 km vor München war schon Stau. Während der Soundcheckzeit standen wir also im Stau und haben eine nach der anderen geraucht. Als wir dann bei der Olympiahalle ankamen, war unser Soundcheck schon eine halbe Stunde vorbei, also wir hatten überhaupt keinen Soundcheck, schnell rein, das Zeug aufgebaut, und schon standen wir auf der Bühne.
Wie lange hattet ihr nicht geprobt zu dem Zeitpunkt?
Bestimmt ein paar Wochen, drei oder vier. Aber es hat alles super funktioniert. Alle Geräte, keine Seite gerissen, wir haben keine Fehler gespielt. Haben 40 Minuten Zeit zu spielen gehabt, das Publikum war auch super dankbar, ist ja auch gefährlich, wenn die auf Robbie Williams warten und die Vorband war eigentlich Toploader, wir waren ja nicht angekündigt. Da gab es dann auch viele, die im Publikum standen und meinten, "was, 'It was easier' ist auch von Toploader?" oder sich gedacht haben, "warum spielen die ihren größten Hit nicht, 'Dancing in the moonlight'?" Aber das war echt super.
Wart ihr denn noch lang genug im Backstage, um ein Feedback zu bekommen?
Was das Publikum angeht, da hat die Reaktion, die wir in der Halle gehört haben, für sich gesprochen, aber auch die Leute hinter der Bühne, die uns als Ersatz für Toploader vorgeschlagen hatten, haben dann auch gemeint, dass das eine sehr gute Idee war. Vom Feedback her war es echt ganz hervorragend. Hätten wir nicht gedacht.
Wie ist das dann eigentlich, der Bühnengraben ist fünf Meter breit und man sieht nur die Gesichter von der ersten Reihe?
Ja, anfangs war so, die ersten zwei Lieder hab ich sowieso nicht ins Publikum geschaut, das ging gar nicht, und dann dachte ich so, na ja, da kommt ja was rüber.
Wie viele Zuschauer waren es denn?
Als wir angefangen haben, waren es etwa 5000, dann hat es sich gefüllt, und als wir fertig waren, war es voll, 10 000 Leute. Und dann beim dritten oder vierten Lied siehst du plötzlich, wie die Feuerzeuge angehen und dann siehst du erst mal die Ausmaße von dem Teil. Nur noch Gänsehaut, uua, geil. Das ist schon echt super.
Wie ist es, wenn du ausgehst und da läuft dann was von euch, du hörst deine Stimme?
Ich geh ja nicht so oft in Diskos, aber bei uns gibt es eine, die ist ganz lustig und da spielen sie uns auch rauf und runter. Das Gute ist, dort ist es relativ dunkel und die Tanzfläche wird von Säulen eingefasst, hinter denen man sich hervorragend verstecken kann. (lacht)
Wirst du dort erkannt?
Ein Mal wollte ich in die Disko rein und hatte die Jacke aus dem Video an und alle Finger zeigten auf mich. Das war echt komisch, ich bin dann gleich wieder gegangen. Das ist schon nett, ehrt einen ja auch furchtbar, aber anfänglich ist es schon ein komisches Gefühl. Dann wollen alle Leute, zumindest die Mutigen, noch was sagen zu einem. Das ist schon nett, was sie sagen, das geht dann vom Hundersten ins Tausendste und jeder braucht eine dreiviertel Stunde. Dann sag ich halt "Oh..."
"...mein Bus."
Ja, genau (lacht).
Das Interview führten Vicky Butscher, Michael Schuh und Stefan Friedrich.
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