8. Dezember 1999

Weil wir wunderschön traurige Menschen sind...

Interview geführt von

Wir werden in den Umkleideraum von Suede im Longhorn in Stuttgart gebeten, Richard und Brett sitzen schon auf dem schwarzen Ledersofa. Brett hat eine Gitarre auf dem Schoß, klimpert vor sich hin und nach freundlicher Begrüßung kann's losgehen.

"Hallo, ich bin Brett" sagt er und schüttelt mir die Hand. "Setzt euch!". Wir setzen uns, packen ein paar Schoko-Nikoläuse aus und wünschen ihnen einen schönen Nikolaustag. "Was, es ist doch noch gar nicht Weihnachten". Brett schaut verwundert, und er nickt interessiert, als ich ihm erkläre, dass in Deutschland am 6. Dezember Nikolaustag ist.

"Kann einer meiner Diener ... kann irgendwer mir einen großen Orangensaft bringen, bitte?" schreit Brett nach draussen, und Simon kommt zur Tür herein: "Wollt Ihr mich dabei haben?" - "Klar", lacht Brett, "lass uns Scheisse reden! Wir müssen sagen, dass es sehr schön ist, in Deutschland zu sein, wirklich. Ich meine, Gigs in Deutschland waren früher oft sehr langweilig für uns, um ehrlich zu sein. Und bei dieser Tour waren sie toll."

Ich frage, ob das Publikum in verschiedenen Ländern anders reagiert, aber Simon, der es sich inzwischen neben mir gemütlich gemacht hat, verneint: "Eigentlich ziemlich ähnlich zur Zeit, sogar in Deutschland. Wir dachten, wir gehen nach Deutschland und die Menschen würden nicht so begeistert sein, aber sie sind genauso gut wie anderswo."
Ich kann mir kaum vorstellen, dass es genauso wie in Großbritannien ist, aber Simon bekräftigt: "Doch doch, ich meine, wir haben dort mehr Zuschauer, aber weißt du...sie sind trotzdem sehr enthusiastisch. Wenn sie einmal in Fahrt sind, das kann man schon nach dem ersten Song sagen... also sobald wir 'Can't get enough' gespielt haben, kann man schon sagen, ob es ein rockiges Publikum ist oder nicht."

Für "Head Music" habt Ihr zum ersten Mal mit einem neuen Produzenten gearbeitet, Steve Osborne. Denkt Ihr, dass sein Produzierstil - er ist ein Dance-Produzent - angemessener war für die Art von Musik, die Ihr machen wolltet, ich meine für die kleinen, aber bemerkbaren Veränderungen in Eurer Musik?

Brett: "Nun, er war nur dieser Typ, er hat einige gute Platten gemacht. Ja, es war notwendig, mit jemand anderem zu arbeiten. Sein Produzierstil ist sehr soundbasiert, und wir waren interessiert daran, genau das in 'Head Music' anzusprechen. Es ist das erste soundbasierte Album in einigen Gesichtspunkten. Wir haben dem Sound mehr Aufmerksamkeit gegeben als nur den Songs an sich, es ist eine viel größere Bandbreite als auf den letzten drei Alben. Wie zum Beispiel der Bassklang, der ist viel besser und so."

Wart ihr gelangweilt von Eurem alten Produzenten oder wolltet ihr einfach nur eine Veränderung?

Brett: "Ed Buller (der alte Produzent, Anm. d. Red.) hat viele gute Qualitäten, das gefällt mir, vielleicht arbeite ich ja mal wieder mit ihm. Er weiss sehr sehr gut, wie er die Band zusammenbringen und
anspornen kann. Und er weiß genau, was ein guter Song ist."

Ich frage, was sie inspiriert hat, diese wundervoll traurigen Songs wie 'Down', 'Indian Strings' und 'He's Gone' zu schreiben und Brett lacht: "...weil wir wunderschön traurige Menschen sind! Ich weiss nicht, es ist einfach die Art, wie ich Songs schreibe." Ob es etwas mit dem Älterwerden zu tun habe, interessiert mich, aber Brett will nichts davon wissen: "Ich habe schon immer traurige Songs geschrieben, hör Dir doch mal die Songs auf dem ersten Album an. Eigentlich werde ich immer weniger traurig irgendwie. Ich finde, dass viel mehr Tragödie auf dem ersten Album ist." Richard fügt hinzu, dass die Songs jetzt weniger bitter wären, und Brett schaut ihn vollkommen verständnislos an und äfft ihn nach:" Sie sind nicht so bitter!!!".

'Elephant Man', ein sehr außergewöhnlicher Song auf "Head Music" wurde allein von Neil Codling geschrieben, der einzige Song, bei dem Brett Anderson nicht die Fäden in der Hand hatte. Wie ernst meint ihr diesen Song?

"Da musst Du Neil fragen, sollen wir ihn holen?" weicht Brett aus, "ich finde, es ist ein großartiger Song" und Simon fügt hinzu:" Es kommt auf die Betrachtungsweise an. Das muss man für sich selber rausfinden."
Brett aber findet ihn lustig:" Viele Leute mögen den Song nicht. Es gab viele Diskussionen im Internet darüber, ob der Song nun scheisse oder großartig ist. Aber ich finde ihn super, live ist er auch toll", und dann hustet er sich die Seele aus dem Leib.

Ich frage nach "Crack in the Union Jack", der letzte, kleine Song auf der Platte, der irgendwie ungewöhnlich politisch klingt für Suede.

Brett: "Warum ich diesen Song geschrieben habe? Keine Ahnung, ich denke, es ist der erste eindeutig politische Song, aber ich denke, wir hatten viel Politisches in unseren früheren Liedern, ich habe nur noch nie so eindeutige Wörter wie 'Union Jack' im Titel benutzt. Wie zum Beispiel 'Black or Blue' aus 'Dog Man Star' - in diesem Song geht es um Rassismus. Wenn dieser Song einen Titel hätte wie zum Beispiel "Es gibt Rassismus im Vereinigten Königreich", dann würden die Leute sagen 'Oh, das ist ein politisches Lied', aber in dem Song wurde nun mal in einer poetischeren Art und Weise mit dem Thema umgegangen. Du schaust dir 'Head Music' an und sagst: 'Oh, das muss über Politik sein', nur weil es die Wörter 'Union Jack' drin hat. Es könnte jede Flagge sein, nicht nur der Union Jack. Ich wachte nur eines Tages auf und dachte, dass Großbritannien ein ziemlich beschissenes Land zum leben ist."

Warum er dann nicht woanders hinziehe, will ich wissen, und Brett schaut mich verständnislos an: "Weisst du, das ist es, was die Leute nicht kapieren, wenn man Songs schreibt: Es ist nicht unbedingt eine Aussage darüber, wie man über das restliche Leben denkt. Man schreibt einen Song mit einem bestimmten Gefühl, aber das heißt nicht, dass man die ganze Zeit so darüber denkt. Und 'Crack in the Union Jack' ist ein perfektes Beispiel."

Schreibst Du die Texte zuerst und versuchst dann mit der Musik deren Atmosphäre einzufangen, oder ist es umgekehrt?

Brett: "Beides. Es gibt keine einfache Antwort darauf. Es gibt viele verschiedene Arten, wie ich Songs schreibe. Normalerweise habe ich viele Phrasen im Kopf, die irgendwo herumschwirren, und habe keine fertig geschriebenen Songs, nur kleine Ideen. Ich stecke sie dann einfach auf kleine Stücke von Musik, die die Band vorbeibringt und rationalisiere den Wörter-Dschungel, den ich da habe, ein wenig und versuche dem Ganzen eine Bedeutung zu geben. Ich habe das aber auch schon genau andersrum gemacht, also dass ein Text einen Song inspiriert hat, das variiert von Song zu Song. Es ist ein magisches Ding - es ist sehr spontan. Plötzlich ist da ein Song, der fünf Minuten vorher noch nicht da war. Mit 'Can't get enough' war das so. Ich sass eines Tages zu Hause, völlig
weggetreten, und schrieb 'Can't get enough', und plötzlich gab es den Song einfach."

Ich möchte mehr wissen über die Texte. Simon zuckt die Schultern und meint:" Ich kann dazu nichts antworten" und grinst. Trotz allem frage ich, wie es kommt, dass Brett das normale Alltagsleben in einer so romantischen und lyrischen Weise betrachtet. Brett überlegt kurz, macht ein "dididididi"-Geräusch und entschließt sich dann zu antworten: "Ich habe eigentlich immer gedacht, dass Romantik nicht auf beschissene ("fucking") Malereien beschränkt sein sollte oder so. Es gibt ein traditionelles Verständnis darüber, was Romantik ist und was nicht. Aber ich denke, dass das alte Verständnis darüber, was Romantik ist oder was es nicht ist, vollkommen überholt ist. Weisst Du, ich finde nicht Schönes an einer beschissenen alten Malerei von irgendeinem alten Bastard, der schon lange tot ist oder irgendein doofes altes Gedicht von einem alten Bastard, der vor langer Zeit gestorben ist...."

Bei diesen Worten lacht Richard laut auf, aber Brett lässt sich nicht beirren und fährt fort: "Das ist langweilig. Du läufst die Strasse runter und da kann etwas dramatisches oder schönes sein, das poetischer ist, als das traditionelle Verständnis von dem, was dramatisch und schön bedeutet. Es hat genau dieselbe Relevanz. Ich habe einfach angefangen über das Leben zu schreiben, das um mich herum war, weil es genau um das geht."

Genug des Lyrischen, denke ich und fange an, endlich eine Frage über die Musik zu stellen, werde aber von Brett unterbrochen: "Simon möchte über verschiedene Schießpulverarten sprechen." Ich schaue Brett verwirrt an, drehe mich zu Simon und der fängt an: "Ja, weißt du, man muss das Schießpulver in 'Blunder Buster' stopfen, weisst du, die großen Dinger. Das sind meine Lieblingsdinger. Mein Zweitlieblingsding sind diese Teile, mit denen man Schafe schert."

Okay, Schafe scheren. Gut, denke ich, lass ihn reden, während Brett sich vor Lachen kaum mehr auf dem Sofa halten kann. Ich frage Simon, ob er diese Schafscherteile zu Hause hat, und er meint, er würde sie das nächste mal mitbringen, ich müsste dann aber die Schafe mitbringen. Okay, wir machen aus, dass wir beim nächsten Interview Schafe scheren werden. Außerdem will Simon sein 'Blunder Buster-Gewehr' mitbringen, weil die Dinger wirklich sein Hobby wären. Brett und Richard lachen sich halb tot und Brett meint: "Weisst du, Simon ist ein Bauer, echt wahr, kein Witz, er hat einen kleinen Bauernhof...."

Ich denke, es ist an der Zeit, diese Schafgeschichte zu einem Ende zu bringen und frage, ob es irgend etwas anderes gäbe, über das sie gerne reden möchten. Simon schaut mich mit ein wenig schlechtem Gewissen an und meint:" Nein, nein, über was willst Du denn reden, jetzt darfst Du wieder sagen, über was wir reden."

Also frage ich über die Schwierigkeit, die doch sehr elektro-lastigen Stücke auf 'Head Music' live auf der Bühne umzusetzen und nun meldet sich Richard zu Wort: "Es ist gar nicht schwierig. Es ist sowieso sehr schwierig, die Stücke genauso hinzubekommen und sie genauso klingen zu lassen wie auf der Platte. Aber das machen wir sowieso nie, Songs sind live anders. Wenn du einen Song aufnimmst, dann dauert das eine ganze Weile and er nimmt ganz unterschiedliche Gestalten an, bevor er endgültig fertig ist. Wenn man ihn live spielt, hat man drei Minuten und man muss die Message in einer solch kurzen Zeit rüberbringen. Also verändern sich die Songs sowieso, der Spirit eines Gigs unterscheidet sich einfach von dem, wie es ist, wenn man ein Album anhört."
Simon fügt hinzu:" So muss es auch sein, sonst gäbe es auch überhaupt keinen Grund, live zu spielen. Ich kann diese Bands nicht ausstehen, die sich auf die Bühne stellen und nur die Single spielen. Das ist langweilig, da kann man gleich zu Hause bleiben. Man
kann erstaunliche Gigs spielen wie in Asien..."

War da nicht sowas, dass Ihr etwas unterschreiben musstet, dass Ihr nicht als Frau verkleidet auf der Bühne erscheint?

Simon: In Singapur, ja. Es war das erste mal, dass wir dort waren und die hatten eine ganze Liste mit Dingen. Der Sänger darf nicht mehr als zwei Knöpfe seines Hemds aufknöpfen und wir dürfen nicht auf das Publikum spucken, was wir sowieso nicht vorhatten....".
Brett fängt an zu lachen und Simon meint über Brett: "Naja, manchmal tut er es doch... Also wir mussten lauter blöde Sachen wie diese unterschreiben, aber schließlich war doch alles prima. Man konnte auf der Straße rauchen und die Unterhosen runterlassen und so weiter...".

Meine nächste Frage, und ich gebe zu Verstehen, dass sie mir leid tut, dreht sich um Suedes Ex-Gitarristen Bernard Butler.

Brett: "Bernarld Butlerrrr"
Simon: "Berald Butter...."
Brett: "Was ist mit ihm?"

Ich frage, was sie über seine Platte denken, die er neulich rausgebracht hat. Simon sagt: "Ich denke, dass ist einer der besten Erfolge in der Geschichte!"

Okay, ist gut. Nächste Frage.

Brett: "Nee, es macht mir nichts aus über ihn zu reden, wenn du willst."

Aber ich leite das Gespräch auf ein ganz anders Thema und die Jungs setzen sich aufrecht hin: "OKAY".

Ich möchte etwas wissen über ihre persönlichen Internet-Erfahrungen. Simon rückt sofort seine Hotmail-Email Adresse raus, wiederholt sich zweimal laut und deutlich und erklärt, dass er manchmal sogar antwortet, wenn er Zeit hat. Weiter interessiert mich, ob sie durch das Internet einen neuen Weg sehen, um mit ihren Fans zu kommunizieren, wie zum Beispiel durch ihre eigene Webseite SUEDE.net, durch Mailinglisten oder durch Webchats.

Simon: "Erst gestern hatten wir so einen Chat."

Brett: "Klar, wie machen das die ganze Zeit, gerade erst gestern."

Richard: "Ich HASSE sie. Ich hasse die total....."

Brett: "Die sind brutal nervig, die gehen immer so verdammt lang."

Simon macht ein Geräusch wie der Text über den Bildschirm huscht und nickt krankhaft schnell mit dem Kopf:" Dideldideldideldidel...".

Richard: "Ich mach nie wieder sowas...."

Brett: "Richard hasst sie."

Richard: "Nie wieder mach ich bei so einem mit!"

Ich möchte wissen, ob sie trotz Richards totaler Abneigung das Internet als Fankontakt betrachten und Simon erwidert zögernd: "Ja, kann schon sein. Wenn man nicht so viel ausgeht, wenn man zu Hause sitzt und keine Platten kauft oder nicht zu Konzerten geht... eigentlich ziemlich traurig, aber okay, es ist gut zum Kommunizieren. Aber es ist auch schlecht. Die Leute können ins Internet gehen und sagen 'Hallo, ich bin Brett und ich hasse alle unsere Fans' und so. Und leider glauben es die Leute wirklich." Da unterbricht ihn Brett vehement: " Das glauben die doch nicht, das würde nie passieren!"

Eine letzte Frage habe ich noch, dann seid ihr frei!

Brett: "Warum, sind wir so ein Haufen Saftärsche?"

Quatsch!
Gelächter

Was macht ihr zu Silvester dieses Jahr?

Wie aus der Pistole geschossen kommt:

Brett: "Nothing."

Simon: "Nothing."

Richard: "Nothing. Ich gehe schlafen, werf mir eine Schlaftablette ein und geh ins Bett."

Simon: "Ich hasse Silvester. Ich hasse Weihnachten, ich hasse Silvester und ein bisschen hasse ich auch Geburtstage."

Also wird es ein ganz normaler Tag für Euch?

Simon: "Es wird ein weniger als durchschnittlicher Tag für uns sein. Ich gehe morgens mit meinem Hund raus ...."

Richard:" ...dröhnst dich zu...."

Simon: "Ja, dröhne mich mit 45 Gramm Kokain zu und gehe schlafen."

Vielen vielen Dank an Euch!

Brett: "Es war uns eine absolute Freude!"

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