1. März 2005
"Was, wenn ich Hitler wäre?"
Interview geführt von Alexander EngelenEs ist schon verrückt, wenn man bedenkt, dass der Gegenüber gleichaltrig ist, neben einer aufregenden Vergangenheit im Ghetto aber auch noch die ein oder andere Million mehr auf dem Konto hat als man selbst. Der Fragenkatalog ist dementsprechend lang, die Interviewzeit dagegen mal wieder enttäuschend kurz. Zusätzlich will das Management auch noch die angeschlagene Kehle ihres neuen Goldesels schützen. So muss sich laut.de den neuen Stern des Westcoastraps auch noch mit der Konkurrenz teilen.
Trotz der widrigen Umstände entpuppt sich Jayceon Taylor als angenehmer Gesprächspartner, der jedoch zu jedem Zeitpunkt eine kalte Professionalität ausstrahlt. Außerdem macht er keinen Hehl daraus, wie er vor der großen Rapkarriere sein Dasein fristete: als Gangster in den Straßen von Compton.
Dein Album verkauft sich in Amerika und hierzulande wie der Teufel. Realisierst du, was da gerade passiert? Ist das überhaupt real?
Es fühlt sich noch nicht wirklich wie die Realität an. Ich bin ja jetzt ständig auf Tour und hatte noch gar nicht wirklich die Zeit, um mich zurückzulehnen und mir alles anzuschauen. Ich kriege schon mit, was da draußen passiert. Alles in allem ist es auf jeden Fall eine wunderbare Sache. Ich versuche einfach, gute Musik zu machen. Ich bin froh, dass die Leute in den Staaten und hier das zu schätzen wissen.
Bei all den namhaften Produzenten und Gästen muss dein Album Millionen gekostet haben. Hast du dahingehend irgendeinen Druck verspürt?
Eigentlich hat das Album gar nicht so viel Geld gekostet, wie man vielleicht vermuten würde. Wenn man mit Dr. Dre zusammenarbeitet, läuft das alles ein wenig einfacher. Für ihn senken die ganzen Leute ihre Preise oder arbeiten nur aus Liebe mit ihm zusammen. Wenn ich von Dr. Dre spreche, rede ich immerhin von dem besten Hip Hop-Produzenten aller Zeiten. Er ist mehr als zwanzig Jahre dabei und alles, was er anfasst, wird zu Gold. Er hat Snoop herausgebracht und über sechs Millionen "Doggystyle"-Alben verkauft. Er hat Eminem groß gemacht und mit ihm 16 Millionen Mal "The Marshall Mathers LP" verkauft. Dann kam 50 Cent mit "Get Rich Or Die Trying", zehn Millionen. Und jetzt bin ich an der Reihe, mit über einer Million verkaufter Platten in Amerika und hier in Europa. Dre ist einfach ein Phänomen.
Auf die Frage des Kollegen von hiphop.de, was es für ein Gefühl gewesen ist, Dr. Dre das erste Mal gegenüberzutreten, funkeln Games Augen. Einen gewissen Stolz kann er nicht verbergen, wenn es um seine Partnerschaft mit einem der größten Produzenten des Genres geht. Selbstbewusst gibt sich Game denn auch auf die Frage, ob er sich einen solchen Erfolg ausgemalt habe. Klar, bei dem Input, der in "The Documentary" steckt, habe es so kommen müssen.
In einem Interview auf allhiphop.com hat dich Nas hoch gelobt. Wie fühlt sich so etwas an?
Auf der einen Seite fühlst du dich großartig im Inneren, aber auf der anderen Seite auch traurig und man könnte weinen. Dieser Mann ist eine Legende, und er bräuchte mir nicht seinen Respekt aussprechen. Diese ganzen Legenden, die mir ihre Liebe und Respekt entgegengebracht haben, müssen das nicht tun. Für jemanden wie mich ist das überwältigend. Weißt du, vor drei Jahren bin ich fast gestorben. Jetzt lebe ich und bin mittlerweile der weltbekannte Game. Jeder liebt meine Musik und respektiert mich. Plötzlich habe ich all diese Leute hinter mir. Interscope unterstützt mich. Es ist wunderbar.
Mittlerweile habe ich ja auch einen Sohn. Am Ende des Tages bringen mich all diese Dinge dazu, mich hinzusetzen und eine Träne für diejenigen zu vergießen, die nicht mehr da sind. Es gibt so viele Menschen, bei denen ich mir wünsche, dass sie meinen Erfolg miterleben könnten: meine Großmutter, mein Bruder, mein bester Freund Billboard, und viele andere, die ich in der Zeit verloren habe, als ich in Compton aufgewachsen bin. Jetzt zu sehen, dass Nas einen Teil seiner kostbaren Interviewzeit dazu benutzt, das Rampenlicht auf meine Karriere zu richten, ist schon unglaublich.
Er hat dich einen "Hip Hop-Schüler" genannt. Dahingehend gab es auch einige Kritiker, denen die zahlreichen Namensnennungen alter Legenden auf deinem Album nicht gefallen haben.
Immer wenn du etwas machst, kann es unter einer Millionen Menschen 999.999 geben, die dich großartig finden und einen, der dich nicht mag. Alles in allem arbeite ich einfach weiter an meiner Karriere. Dabei ist es mir egal, was die Kritiker sagen. Die können mich am Arsch lecken.
Was hältst du als "Hip Hop-Schüler" von dem "Each One, Teach One"-Gedanken von KRS-One?
Natürlich bin ich ein Schüler des "Games". Mir geht es aber nicht groß darum, irgendwelche Situationen zu analysieren. Ich mache mir nur Gedanken über mich selbst. Und ich versuche, den Leuten, die mich in meiner Vergangenheit begleitet haben, ein wenig vom meinem Erfolg abzugeben. Ich mache das hier für meine Fans. Vielleicht schaffe ich es auch, manche Kids von dem Weg abzubringen, den ich gegangen bin. Eigentlich versuche ich einfach nur meine Familie zu versorgen.
Der Kollege scheint an diesem Thema nicht interessiert zu sein und fällt gleich mit der Frage ins Haus, die vielleicht etwas mehr Feingefühl benötigt hätte. Schon die Erwähnung des Namens Jay-Z veranlasst den mitgebrachten Manager, energisch die nächste Frage zu fordern.
Du hast den Namen "The Game" von deiner Großmutter bekommen, richtig? Wie ist deine Definition vom Hip Hop-Game?
Ja, der Name stammt von meiner Großmutter. Meine Definition des Games ist: General Amount of Money Earned. Darauf arbeiten wir alle hin. Du als Reporter. Ich als Hip Hop-Künstler. Man arbeitet, um sich seine Zukunft zu sichern. Das ist alles, was ich tue. Und das ist schon ziemlich viel Game für die meisten da draußen. Wir alle leben unser Leben nach dem Gefühl, das wir haben, wenn wir morgens aufstehen. Was bringt dich dazu, morgens aufzustehen und zu sagen: "Ich mache heute ein Interview mit The Game"? Es ist deine Karriere und die Aussicht auf Bezahlung. (Wenn der wüsste ..., Anm. d. Red.) General Amount of Money Earned ist also das, was alle antreibt.
Auf der anderen Seite sprichst du aber ständig von all den Legenden des Genres. Ist Hip Hop für dich also nur ein Job oder bedeutet es mehr für dich?
Es ist mehr. Aber letztendlich ist das Wohlbefinden meiner Familie das Wichtigste. Ist Hip Hop wichtiger, als das Wohlbefinden meines Sohnes? Ich liebe Hip Hop, aber meine Familie liebe ich noch mehr. Das wichtigste ist, die Zukunft meiner Familie finanziell abzusichern. Da könnte ich auch Basketballspieler sein und Basketball spielen, weil ich es liebe. Aber wichtiger sind die Menschen, um die ich mich kümmern muss.
Von Beef will Game nichts wissen. Die Wenigen, die ihm seinen Erfolg nicht gönnen, sollen ihm doch den Buckel runterrutschen, lässt er ohne viel Nachdruck in Richtung des Kollegen verlauten.
Auf die Frage, wie er mit 50 Cent und G-Unit zusammengekommen ist, antwortet er mit einem gelangweilt-trotzigen Unterton. Das sei doch alles nicht wichtig. G-Unit brauchte nach Young Buck aus dem Süden eben noch einen Repräsentanten von der Westküste. Mit gemeinsamen Kräften versucht G-Unit jetzt das Hauptaugenmerk darauf zu legen, Platten zu verkaufen.
Was ist 50 Cent für dich? Freund, Mentor, Geschäftspartner oder Seelenverwandter?
Nein, ganz sicher kein Seelenverwandter. Er ist mein Geschäftspartner und auch mein Freund. Wir sind alle eine große Familie. Wir sind Freunde, und wir verdienen alle unser Geld zusammen.
Wie sieht es mit Beef aus? Es gibt ja definitiv Leute, mit denen du Probleme hast. Bist du deswegen beunruhigt? Hast du Angst? Ich habe davon gehört, dass vor wenigen Wochen dein Haus in Compton beschossen wurde.
Die Sache, die in Compton passiert ist, war ganz anders, als es in den europäischen Medien dargestellt wurde. Es gab ein Einschussloch in einem Haus in meinem Block. Es war nicht einmal meins. Wir reden hier von Compton. Schießereien gibt es da jeden Tag. Es gab halt einen Schusswechsel um die Ecke, und eine Kugel hat dabei ein Haus getroffen, das nicht mir gehört.
Aber in deinem Song "Start From Scratch" heißt es: "I would change a couple of lines when I wrote 'Soldier' so I wouldn't have to live looking over my shoulder". Du hast also vor nichts Angst?
Ich fürchte mich vor rein gar nichts. Vor was sollte ich denn Angst haben? Wir sind alles nur Menschen und das Blut ist bei jedem gleich. Am Ende liegen wir alle alleine in einer Ecke und sterben alleine. Wovor soll ich Angst haben? Wenn mich jemand anmacht und mich erschießt, dann sterbe ich. Auch wenn ich 90 Jahre alt werde, sterbe ich. Auch wenn du 170 Jahre alt werden würdest, musst du immer noch irgendwann sterben. Es gibt nichts, wovor man sich fürchten müsste. Man sollte das Leben in den vollsten Zügen genießen. Egal, was du machen willst, tu es. Ich fürchte mich vor gar nichts.
Auch die Gefahr, dass Künstler wie er oder 50 Cent für zuhörende Kids das Leben des Gangsters verherrlichen, ist für Game nicht gegeben. Er spricht den Eltern eine entscheidende Rolle zu. Ein Gangster in der Öffentlichkeit bringe noch lange kein Kind dazu, selber ein Gangster zu werden. Und obwohl er betont, etliche Freunde und Verwandte durch den Gangster-Lifestyle verloren zu haben, kann er dem Gangbanging auch positive Seiten abgewinnen. Immerhin ernähren viele Menschen in Los Angeles ihre Familien damit.
Ich bin an der von dir gegründeten Organisation The Black Wall Street interessiert. Kannst du kurz die Philosophie dahinter erläutern? Ist es nur ein Label oder etwas Größeres?
Black Wall Street ist eine Bewegung. Es ist kein Label. Wir werden zwar bald eine Plattenfirma starten, aber das ist nur ein Zweig des gesamten Baumes. The Black Wall Street ist ein Unternehmen, bei dem ich der CEO bin. Es beinhaltet unter anderem eine Filmgesellschaft und eine Klamottenlinie. Ich werde außerdem bald darüber Musik veröffentlichen.
The Black Wall Street hat seinen Ursprung im frühen 20. Jahrhundert in Oklahoma. Dort gab es eine von Schwarzen gegründete Stadt, die ihr eigenes Geld, ihre eigenen Busse, Kirchen und Geschäfte hatte. In dieser Stadt haben sie alles selbst gemacht. Das hat der Regierung und dem Ku Klux-Klan aber nicht gefallen und so haben diese Leute die Stadt mit Bomben beworfen und über 3000 Leute getötet. Darüber habe ich in der Schule eine Arbeit geschrieben und bin irgendwie daran hängen geblieben. Als ich dann einen Namen für mein Unternehmen suchte, ist mir der Name The Black Wall Street wieder eingefallen.
Auf der Homepage ist mir etwas aufgefallen, was nicht wirklich zusammenpasst. In der Erklärung über die Tätigkeiten von Black Wall Street wird auch Gangintervention genannt. Daneben prangt aber ein Bild von dir mit zwei Knarren in der Hand. Wie bringst du das zusammen?
Was haben Knarren mit Gangtätigkeiten zu tun? Kanonen stammen aus einer Zeit, als es nur Kanonen gab. Damals gab es noch gar keine Gangs. Was, wenn ich die beiden Knarren dazu benutzte, jemanden davon abzuhalten, einen Menschen zu töten oder meine Familie zu verletzen? Wir Menschen müssen uns verteidigen und ich kann kein Karate. Deswegen trage ich zu jeder Zeit eine Kanone mit mir.
Hat dir denn schon mal jemand in die Brust geschossen? Lagst du jemals im Koma? Nein? Dann hast du keine Ahnung, wie es ist, dich selbst und den Rest deiner Familie zu beschützen. Jeden Tag. Für den Rest deines Lebens. Weil ich weiß, dass mich schon einmal jemand umbringen wollte, werde ich bis an mein Lebensende eine Kanone mit mir tragen. Ist es so, dass ich nicht versuchen darf, Gangbanger aus Los Angeles zusammen zu bringen, nur weil ich mich selbst verteidigen will? Ich sage nicht, ihr sollt damit aufhören, Kanonen mit euch herum zu tragen. Ich sage, ihr sollt aufhören, euch umzubringen. Man kann sich schützen. Solange man aber nicht Bruce Lee ist oder gut mit einem Stock umgehen kann, braucht man unter Umständen eine Kanone. Ich kenne sogar Ärzte, die eine Kanone haben. Heißt es etwa, nur weil sie während ihres Jobs Leben retten, dürfen sie keine Kanone haben?
Das verrückteste Erlebnis während seiner Europatour hat Game in Paris erlebt, als er ein Bad in der Menge aus 17.000 Menschen genossen hat. Die europäischen Fans wüssten eben alles besser zu schätzen, als die Leute zu Hause. Ein nächster Besuch hierzulande sei schon geplant. Aber dann definitiv als Headliner, verspricht Game mit verschmitztem Lächeln.
Wie ist dein Verhältnis zu Suge Knight?
Manager: Du brauchst diese Frage nicht beantworten!
Kein Problem. Suge Knight respektiere ich von einem musikalischen Standpunkt her voll und ganz, aufgrund der Dinge, die er erreicht hat. Er ist ein schwarzer Mann in Amerika, der während der Death Row-Zeit viel erreicht hat. Ich habe keine Angst vor ihm. Das meiste, was über ihn geredet wird, ist von den Medien aufgebauscht. Generell ist er ein guter Mensch. Manchmal findet man halt eine schlechte Seite an einem Menschen und reitet darauf herum. Das ist bei Suge passiert und hat ihm seine musikalische Karriere gekostet. Er mag mit wem auch immer Probleme haben. Das sind nicht meine Probleme. Ich kenne ihn. Er respektiert mich und ich habe großen Respekt für ihn. Alles ist gut.
Kannst du dir vorstellen, wo du jetzt stündest, hätte Suge dich gesignt?
Weißt du, ich vergeude nicht meine Zeit damit, darüber nachzudenken, was gewesen sein könnte. Diese Gedanken sind nicht real. Ich kann nicht in die Vergangenheit zurückgehen.
Interessant wäre es auf jeden Fall.
Naja. Was, wenn ich Hitler wäre? Was, wenn ich George Bush wäre? Dann würde mich die ganze Welt scheiße finden. Ich bin aber nicht George Bush. Ich wurde nicht von Suge Knight gesignt. Ich bin auch nicht Hitler. Ich bin The Game und ich konzentriere mich darauf, mein Album "The Documentary" zu verkaufen.
Das Interview führte Alexander Engelen.
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