5. März 2003
"Wir sind nicht Teil eines Trends"
Interview geführt von Marc WinkelmannQuinn macht Wurfübungen mit dem Teig und dazu sirenenartige Laute. Im Hintergrund steht ein Tablett mit zerrupften Sandwiches – denen muss es zum Mittag ähnlich ergangen sein. Zunächst also: Small Talk, den Ball flach halten. Ziel: warm werden. Wir lassen uns über den Porno "Schindler's Fist" aufklären und diskutieren die durchschnittliche Geschlechtsgröße deutscher Männer (sehr groß, prahlen wir) im Vergleich zu ihren amerikanischen Kollegen (sehr klein, sagen sie).
Jephs Hände kneten und falten unablässig den Pizzakarton, Quinns jonglieren eine Fantaflasche. Dann aber sieht Quinn auf das Tonbandgerät und sagt: "Ich denke, wir haben genug Zeit verschwendet." Es sieht gut aus für uns ...
In Amerika seid ihr Stars, hier nicht. Ihr habt 30 Sekunden: Was sollten wir über The Used wissen?
Quinn: Wir sind echt. Ehrlich. Tragen keine Masken, malen unsere Gesichter nicht an, versuchen nicht, jemand anderes zu sein. Wir haben Löcher in unseren Schuhen. Und wir versuchen, unsere Mentalität und Musik echt zu bewahren.
Was könnte diese Echtheit verfälschen?
Quinn: Wenn man anfängt, Musik für ein Publikum zu schreiben und nicht für sich selber. Wenn man keine Risiken mehr eingeht und sich nicht ehrlich darstellt. Wenn man also das alte Ding macht, nur weil es sich verkauft.
Beispiele?
Quinn: Ich werde keine Bands nennen, aber The Strokes, The Vines, The Hives, The White Stripes – dieser Sound wird nicht lange halten. Er ist ein Trend, nicht mehr. Keiner, den ich respektiere, würde in so einer Band anfangen.
Eure Musik ist kein Trend.
Quinn: Nein. Wir sind nicht Teil eines Trends. Im Gegenteil, wir hatten immer ein Problem damit, unsere Art von Band zu sein. Aber es ist genau das, was wir sein wollten.
Wie habt ihr überhaupt angefangen?
Jeph: Brendon, unser Schlagzeuger, und ich waren schon in verschiedenen Bands zusammen. Dann kam Quinn dazu und wir haben viel gespielt. Aber erst als Bert dazukam, war die Chemie richtig.
Quinn: Zwei Jahre ist das jetzt her. Wir hatten einen fertigen Song, "Maybe Memories", der erste auf der Platte, und an dem probierten wir verschiedene Sänger aus. Aber als Bert reinkam und sich das Mikro schnappte, das bei uns im Raum von der Decke hing, da habe ich nur gedacht: Unglaublich! Wir konnten nicht fassen, was da rauskam. Wir haben es aufgenommen, angehört, zurückgespult, angehört – es war jenseits allem Vorstellbaren.
Wie ging es weiter?
Quinn: Irgendwann haben wir John Feldman (Sänger und Produzent von Goldfinger) ein Demo geschickt. Wir hatten ihn vorher schon auf Shows kurz kennengelernt. Er mochte das Tape und wollte mehr hören. Und dann rief er an. Aus Norwegen. Er wolle mit uns aufnehmen, mit uns touren, einen Vertrag für uns finden, ein Video aufnehmen – und genau so ist es gekommen. Ein fantastischer Kerl! Wie ein großer Bruder. Und ein sehr guter Produzent. Ihm würde ich auf CD gepresste Scheiße abkaufen.
Ihr kommt aus Utah. Ein schwieriger Ort für Rock-Bands?
Jeph: Die Chancen sind sehr schlecht. In Wyoming wäre es vielleicht noch düsterer, aber Utah? Nicht gut.
Quinn: Es ist aber wie eine große Versuchung. Freunde und ehemalige Schulkumpels sind religiös, gehen auf religiöse Schulen und sind auf einer Mission. Wir wollten anders sein. Und jetzt sind wir ein großer Fisch in einem kleinen Teich. Die Szene ist winzig in Utah. In New York oder Los Angeles wäre es genau andersherum ...
... ihr hättet es dort auch geschafft?
Quinn: Wir vier? Auf jeden Fall! Unser Chemie ist einfach großartig.
Jeph: Das spiegelt sich auch auf der Platte wieder: Da ist kein einziger Ton, der anders sein sollte.
Warum eigentlich "The Used"? Fühlt ihr euch aufgebraucht oder missbraucht?
Quinn: Vor dieser Band haben wir in vielen anderen Bands gespielt. Wir sind recht viel rumgekommen, und haben oft bei Freunden gewohnt. Es gibt aber einige, die sagen, dass wir eben diese Leute dabei ausgenutzt haben. Der Name ist also eher ironisch gemeint: Hey, hier sind die Jungs, die andere ausgenutzt haben.
Eure Plattenfirma wirbt für euch und schreibt, dass ihr drogensüchtig und obdachlos gewesen seid.
Jeph: Mir persönlich ging es nie so schlecht. Ich habe bei Freunden für einige Wochen auf der Couch geschlafen, aber obdachlos kann man das wohl kaum nennen.
Quinn: Bert war stark abhängig. Er war auf Heroin. Als er bei uns anfing, haben wir überlegt, ihn wieder rauszuschmeißen. Wir wollten nicht unbedingt einen Junkie in der Band haben. Der Umgang mit ihm war nicht einfach. So wie er redete, war schnell klar, dass er schon sehr viel Scheiße gesehen und durchgemacht hat. Auch Branden, unserem Drummer, ging es sehr schlecht. Seine Eltern zogen weg, als er 17 war. Er entschied sich zu bleiben, hat aber keinen Schulabschluss und schlief eine Zeit lang auf dem Garagenboden einer Autowerkstatt.
So schlecht die Erfahrungen waren – sind sie gut, um Musik zu schreiben?
Jeph: Auch für das Leben sind sie gut. Man weiß, was man eigentlich nicht braucht: Videospiele oder sieben verschiedene Sets von Klamotten – überflüssig, eigentlich.
Quinn: Künstler, die auf ihrem Tiefpunkt und ohne Geld sind, haben nichts anderes als ihre Ideen. Und um groß zu werden, müssen diese Ideen verdammt gut sein. Sie müssen von Herzen kommen, denn man kann sie durch nichts verfälschen. Es ist kein Geld da, um sie zu verfälschen.
Verkauft man mit diesem Image mehr Platten?
Quinn: Viele Bands, auch aus dem Genre, in das wir gesteckt werden ...
... welches ist das?
Quinn: Das Post-Hardcore-, Screemo-, Emo-, Whateverthefuck-Genre, keine Ahnung. Viele dieser Bands kämpfen verzweifelt um Anerkennung und wollen glaubwürdig wirken. Das ist für sie das Wichtigste und Obdachlosigkeit kann ihnen dabei helfen, denken sie. In Wirklichkeit haben sie dann aber doch schon immer Designerklamotten getragen. Diese "Wir mussten im VW-Bus schlafen und sind daher cool"-Bands meinen, dass ihre Musik besonders echt oder Indie ist. Das ist aber reichlich zurückgeblieben.
Quinn, im Booklet zu eurer Platte sagst du: "I love being me, and I am very proud of who I am." Wer bist du?
Quinn: Wer bin ich ... nun, ich bin ... verdammt dankbar für den, der ich bin. Es gab Zeiten, da war ich sehr verloren, aber in dieser Band habe ich etwas erreicht. Ich bin durch schwierige Zeiten gegangen und habe etwas gefunden habe, wo ich mich niederlassen kann.
In Deutschland lief in den letzten Monaten eine komische Fernsehshow. Menschen mit gewissen Talenten ließen sich darin zu angeblichen Superstars wählen und dabei öffentlich ausschlachten. Ihr seid jung, ihr seid neu in diesem Geschäft: Wie kommt ihr mit dem Druck zurecht?
Jeph: Gut, wir nehmen jeden Tag wie er kommt. Und wir spielen unsere Shows so, wie wir es wollen. Klar, wir lernen jetzt die ganz wichtigen Leute kennen, von der Plattenfirma zum Beispiel. Oder bei einem Gig heißt es: Dave Grohl ist im Publikum, ihr müsst jetzt besonders gut sein. Das hat uns eine Zeit lang nervös gemacht, aber inzwischen könnte selbst der Präsident zuschauen, na und? Es macht keinen Unterschied. Wir spielen einfach nur einen Gig.
Diese Gigs habt ihr auch beim Ozzfest gespielt und auf der Warped Tour. Wie werden Frischlinge in diesem illustren Kreis von namhaften Bands aufgenommen, haben sie es schwer?
Quinn: Ja, schon. Es ist wie einem alten Hund einen neuen Trick beizubringen. Ozzy zum Beispiel hat unsere Show nicht mal gesehen.
Ihr habt Ozzy nie kennengelernt?
Jeph: Nee, wir haben immer zu früh gespielt für ihn. Da war er wohl noch nicht wach. Bert hat ihn natürlich kennengelernt.
Er ist mit Kelly Osbourne zusammen. Geht euch das auf den Sack, danach gefragt zu werden?
Jeph: Schon ein wenig. Aber nur, weil es absolut unbedeutend ist. Für uns und die Musik macht es einfach keinen Unterschied, mit wem Bert zusammen ist.
Das Interview führte Marc Winkelmann
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