18. Januar 2016
"Zieh dich warm an, Selfmade Records"
Interview geführt von Simon LangemannSich mit Thees Uhlmann über sein Werk zu unterhalten, bleibt ein Phänomen. Die Summe der Gesprächstermine geht zwar bald ins Dreistellige. Der 41-Jährige könnte längst im wohlverdienten Urlaub sein. Und doch widmet er sich den Fragen so beflissen, dass es sich mit gutem Willen oder Höflichkeit schwerlich erklären lässt.
Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass man ihn neuerdings nicht nur Indie-Musiker und Labelchef, sondern auch Bestsellerautor schimpft: Uhlmanns Debütroman "Sophia, der Tod und ich" erreichte Platz 14 des gängigen SPIEGEL-Rankings. Wir trafen ihn in Berlin-Kreuzberg.
Du hast deinen Autorenvertrag bei KiWi vor über zehn Jahren unterschrieben. Wie kamst du dazu? Hat dein neuer Status als angesagter Musiker ausgereicht?
Zu der Zeit kam es mir so vor, als würden sich alle deutschen Bands zurückziehen, sobald man sie auf ihre Texte anspricht. Vor allem Bands, die ich wegen ihrer Texte geschätzt habe. Da hieß es immer: Ich hab mir die Texte selber ausgedacht. Das ist mein eigenes Universum. Ich möchte nicht vorausgreifen. Ihr müsst euch euren Scheiß dazu selbst denken.
Ich hab zwar gerafft, was die damit meinten. Aber gleichzeitig kam es mir ein bisschen vor wie: Hey, meine abgedrehten Gedanken versteht ihr eh nicht. Außerdem dachte ich: So geil sind die Texte nun auch wieder nicht. Da kannst du ruhig zwei, drei Sätze zu sagen. Es bringt mir schließlich immer Spaß, etwas darüber zu erfahren.
Auch Dirk von Tocotronic betont bei jeder Gelegenheit, dass er eigentlich keine Lust hat, sich zu erklären. Aber wenn er es trotzdem tut, ist es immer schön.
Genau. Die Leute können ja mehr, als sie denken. Mit Tomte war es dann so, wie es bei mir bis heute ist: Wenn das alle machen, dann mach ich halt genau das Gegenteil. Warum benenne ich meine Band nach einem Kinderbuch? Weil ich aus einer Zeit komme, in der alle Bands Nuclear Explosion, Napalm Death oder sonst irgendwas Martialisches hießen.
Für "Hinter All Diesen Fenstern" hab ich angefangen, Liner Notes zu schreiben. Und einfach so erzählt, woher die Texte kommen. Da hat nie jemand gesagt: Jetzt hast du so viel erzählt, dass ich mir kein eigenes Bild mehr machen kann. Diese Liner Notes hat Kerstin Gleba von Kiepenheuer & Witsch gelesen, und wollte sich daraufhin mit mir treffen, um sich über ein Buch unterhalten. Quasi wegen meiner ersten Gehversuche außerhalb von Songtexten.
Dass mir dann jemand einen Vorschuss - auf doof gesagt, einen Vertrauensvorschuss - zahlt, konnte ich kaum glauben. Aber von da an hatte ich diesen Vertrag und bin halt nie dazu gekommen, ein Buch zu schreiben. Das war gerade die Zeit, in der wir anfingen zu touren, statt zu arbeiten und nur am Wochenende unterwegs zu sein. Da wollte ich einfach nur Musik machen. Immer doller, immer härter. Immer tiefer rein ins Loch der Musik.
"Sophia, der Tod und ich" entstand im Nachhinein zum perfekten Zeitpunkt. Mit 32 oder gar 28 wäre es doch nur Coming-of-Age, Abfuck, irgendwas mit Musik, from nothing to fame, bla bla bla geworden. Jetzt bin ich einfach ein bisschen relaxter. Mein Gehirn ist ein anderes. Jetzt hatte ich sozusagen ... die Ruhe? Na ja, ruhig war es in meiner Küche nicht gerade.
Du sprichst gerne an, dass du zum damaligen Zeitpunkt keine Krankenkasse hattest. Eigentlich ein Zeichen von Existenzängsten.
Ja, ja. Aber das war ja auch Teil des Plans. Romantische Selbstverwahrlosung. Das fand ich schon cool.
Aber es ist vermutlich nicht die beste Situation, um ein Buch zu schreiben. Eine Platte und vor allem Touren führen zumindest ein kleines bisschen schneller zu einer gewissen Sicherheit, oder?
Es hatte schon damit zu tun, dass sich mit "Hinter All Diesen Fenstern" - nach fünf Jahren, in denen keiner zugehört hat - diese ganz kleine Tür öffnete, wirklich meinen Traum leben zu können. Ein berühmter Düsseldorfer Sohn sagt ja gerne: Wir sind immer noch auf Peterchens Mondfahrt. Campino, Tote Hosen.
Peterchens Mondfahrt hatte ich jetzt aber 18 Jahre lang. Da hab ich gedacht: jetzt mal was Neues. Mein Umfeld hat das ebenfalls unterstützt, etwa mein Manager Rainer oder Tobi aus meiner Band. Die meinten: Wir wollen jetzt erst mal ein Buch mit dir machen. Das war für mich ein ganz gutes Setup. Thees Uhlmann angefangen, Erfolg gehabt, durchatmen. Und dann mal was Anderes machen.
Tobi aus deiner Band hat dich insofern unterstützt, als dass er den Druck rausgenommen hat, weiter Musik zu machen?
Nee, er hat eher den Druck aufgebaut, jetzt mal mein scheiß Buch zu schreiben. Tobi ist ein sehr enger Freund. Gleichzeitig verehre ich ihn künstlerisch total. Wenn er zu mir sagt, dass jetzt ein guter Zeitpunkt für mein Buch wäre, dann weiß ich, dass er vorher dreieinhalb Wochen darüber nachgedacht hat. Und nachts nicht geschlafen. Dann hat er vorher noch 20 Mal mit Rainer besprochen, wie sie mir das näher bringen sollen. Im Endeffekt hab ich das Buch nur für meine Lektorin, Tobi und Rainer geschrieben. Und das ist eine Situation, die ich aus künstlerischer Sicht brauche: Sachen für Menschen zu machen.
Wann war dir klar, dass dein Buch nicht von einem jungen Mann handelt, der nach Berlin oder Hamburg zieht und erst mal untergeht, sondern dass du es anders machen willst?
Das war mir vor zwölf Jahren klar. Im alten Vertrag bei KiWi steht als Thema des Buches zwar noch "Hamburg-Roman". Aber mir war damals schon klar, dass es auf keinen Fall biografische Züge haben soll. Dass es nicht um Musik geht. Als ich mich tatsächlich hingesetzt habe, war mir noch viel bewusster, dass es nichts mit mir zu tun haben soll - so sehr das überhaupt möglich ist. Mir war total klar, dass ich einfach eine kleine Geschichte erzählen will.
Einfach weil dich alles andere langweilen würde?
Ich empfinde das, was ich mache, immer noch als mega faszinierend, total romantisch und absolut großartig. Es für andere Leute aufzuschreiben, kommt mir jedoch wahnsinnig langweilig vor. Wenn ich jetzt versuche, die letzten drei Minuten vor dem Auftritt über zehn Seiten zu beschreiben, würde ich wirklich zu viel über die Magie verraten. Und interessant finde ich das nicht. Es entsprach auch nicht meinem künstlerischen Ehrgeiz. Der bestand eher darin, dass die Leute sagen: Glauben wir dir. Kaufen wir. So simpel sich das anhört.
Ich fand es spannend, dass du nicht nur nicht über Musik schreibst, sondern auch jegliches Musikzitat aussparst. Dabei ist es in dieser Art von Literatur total gängig, dass zumindest mal die Musik beschrieben wird, die gerade im Autoradio läuft.
Genau. Das wurde irgendwann zum Sport. Ich fand es irgendwie geil, mir einen Typen auszudenken, der keine Musik hört, und sagt: Das ist nichts für mich.
Stimmt - haben wir beide wahrscheinlich nicht im Freundeskreis, aber gibt es ja durchaus.
Ich hab eine in meinem Freundeskreis, die sagt: Ich halte das nicht aus, wenn Musik läuft. Wenn ich Musik höre, dann werde ich traurig. Dabei ist es ja der kleine Sinn von Musik, Leute in ein Sentiment reinzubewegen. Du sagst: Hier, dieser eine Radiohead-Song. Sie: Radiohead? Die hat kein Autoradio. Das hat mir gefallen. Und dann ging es so sportlich weiter: keine Musik, kein Lieblings-Fußballverein, keine Marken. Keine Handys. Keine Vornamen. Nur ein bisschen Deutschland. Nur Norden und Süden.
Es ist tatsächlich nie von einem konkreten Schauplatz die Rede, oder?
Genau. Natürlich kommt das alles aus meinem Gehirn raus. Und Leute, die mich kennen, sagen: Das ist doch die Bude bei euch zuhause. Aber ich fand es trotzdem toll, das Buch so zu schreiben, dass es auch gefahrlos ein Holländer lesen kann. Alles, auf das er sich einlassen muss, ist diese kleine Geschichte. Hast dus mitbekommen? Das Buch wird auf holländisch übersetzt.
Dein Freund Olli Schulz hat bei Visa Vie im Interview erzählt, sein Buch sei fast fertig. Er habe aber gerade keine Lust darauf, es direkt nach dir zu veröffentlichen und in diese Schublade der Musik-Literaten eingeordnet zu werden. Hast du dir vor dem Hintergrund von Jochen Distelmeyers Debüt "Otis" ähnliche Gedanken gemacht?
Egal ist das keinem. Das ist Quatsch. Ich musste mich schon an einen gewissen Zeitplan halten. Dann dachte ich: Okay, ein Dreivierteljahr zwischen beiden Romanen - das ist okay. Außerdem liegen sie inhaltlich so weit auseinander, dass das schon in Ordnung geht. Dieses ganze Aufhebens hängt aber auch nur damit zusammen, dass die deutsche Kulturszene so klein ist. In Amerika ist das ja was total Normales.
Dazu kommt Folgendes. Das soll sich jetzt nicht gönnerhaft anhören. Ich hab das Buch nicht gelesen, weil ich in diesem Jahr überhaupt keine Bücher gelesen hab. Ich bin schließlich kein geübter Literat mit eigenem Stil und wollte nirgends klauen. Aber ich dachte: Nachdem alle auf das Distel-Buch eingeschlagen haben, wird jetzt die Ehre der Musiker, die auch Bücher schreiben, wiederhergestellt.
"Wenn du anfängst, Musik zu machen, kannst du auch nicht direkt eine Pink Floyd-Platte schreiben"
Über die Biografie deines Protagonisten erfährt man im Laufe des Buches weniger, als man anfangs erwartet. Man weiß nur: Es ist ein verkorkster, unzufriedener Typ. Was bringt dich dazu? Oder andersrum: Ist es überhaupt reizvoll, über einen zufriedenen Charakter zu schreiben?
Ich wollte den Charakter anhand von Situationen erzählen. Ich wollte keine Literatur, sondern eine gute Geschichte schreiben. Das ist schon ein Unterschied. Eine psychologische Herleitung meines Charakters hätte mich weniger interessiert. Ich muss mich beim Schreiben auch selbst entertainen. Außerdem kann ich es nicht, weil man dafür wahrscheinlich alle 40 Herman Hesse-Bücher gelesen haben muss.
Ich bin Fan von der Idee, dass jeder Mensch drei oder vier Erlebnisse in seinem Leben hat, die ihn irgendwie definieren. Nach dem Abitur meines Bruders sind wir zum Beispiel mit meiner Familie zum Abitur-Essen nach Hamburg gefahren. Ins Astra-Brauhaus über den Dächern von St. Pauli. Das war der Tag, bevor ich zu meinem ersten St. Pauli-Spiel wollte. Wir sitzen am Tisch, und meine Mutter fragt den Ober: Mein Sohn will ja morgen zum St. Pauli-Spiel fahren. Ist das denn sicher?
Das war das Peinlichste, was ich jemals erlebt hab. Meine Mutter will mich beschützen, und fragt allen Ernstes den Ober im Astra-Brauhaus, ob das denn gefährlich sei. Dann meinte der: Nee, also bei St. Pauli passiert nichts, da sind ganz viele junge Leute im Stadion. Durch diesen Ober habe ich das Gütesiegel bekommen, am nächsten Tag dort hinzufahren. Daran werde ich mich immer erinnern.
Und bei meinem Protagonisten war es diese Idee, dass er mit seinem Vater, der kurz danach stirbt, am Asphalt leckt, und ein Gespür bekommt: Normal ist das aber nicht. Sondern komisch. Komisch, aber irgendwie auch geil. Irgendwie cooler als das, was andere Leute so erleben. Anstatt ihn herzuleiten, wollte ich meinen Charakter Story-getrieben erzählen.
Puh, an die Astra-Geschichte hab ich echt lange nicht mehr gedacht. Schön.
Als die Hauptfigur schließlich ihr Kind wiedertrifft, habe ich mich gefragt: Muss man gewisse menschliche Konstellationen selbst durchlebt haben, um feinfühlig darüber zu schreiben? Oder hast du dich auch an Sachen getraut, die du nur aus anderen Büchern oder etwa aus deinem Freundeskreis kennst?
Ich bin ja sozusagen halb alleinerziehender Vater. Für die Story fand ich es irgendwie geil, dass er sein Kind nicht sehen darf, und jeden Tag diese beschissene Postkarte schreibt. Das hört sich ja mega krank an. Ich hab mich auch in irgendwelchen Pädagogik-Foren schlau gemacht, ob das mit dem neuen Besuchsrecht überhaupt noch sein kann.
Aber dann ist mir aufgefallen, dass es in meinem Freundeskreis genau diese Geschichte gibt. Nie zusammen gewesen, Kind auf die Welt gekommen. Der Vater: Ich möchte mein Kind sehen. Die Mutter: nein. Gericht: Du darfst dein Kind sehen. Er: Ich darf jetzt mein Kind sehen. Die Mutter: nein. Dann hat er angefangen, die Gerichtsakten zu sammeln, meinte aber irgendwann: Ich schaff das emotional nicht mehr, mich immer wieder darum zu bemühen, und immer wieder zurückgewiesen zu werden.
Mit der Zeit war das Kind so instrumentalisiert, dass es selber am Telefon gesagt hat: Nee, ich möchte dich nicht sehen. Und ich dachte mir: So, das wird jetzt genauso aufgeschrieben. Und was passiert? Kind wird 14 und sagt: Ich will jetzt meinen Papa sehen. Jetzt sind sie ganz eng. Und das Kind zieht wahrscheinlich bald zu seinem Vater.
An manchen Stellen spielst du offensichtlich mit stereotypen Männer-Komplexen. Etwa als sich der Protagonist über das Kompliment freut, er sei nicht dicker geworden ist.
Ja, ich bin schließlich die längste Zeit meines Lebens Mann gewesen.
Könntest du auch aus der Perspektive einer Frau schreiben?
Zumindest fand ich es geil, mir zwei Frauen auszudenken. Vor allem Sophia zu erfinden, wie sie agiert, wie sie reagiert, wie sie hin und her schwingt, zwischen "Ach, Männer, fuck off" und "So scheiße bist du doch nicht" ... das hat mir schon Spaß gemacht. Aber es ist halt mein erstes Buch. Dann gleich einen mittelalterlichen Frauenroman zu schreiben, wäre schon wahnsinnig schwierig gewesen.
Ich fand es sowieso schon heftig, ein Buch mit 300 Seiten zu schreiben. Wenn ich mich da zu weit rausgewagt hätte, wäre es noch schwieriger geworden. Wenn du anfängst, Musik zu machen, kannst du auch nicht sofort eine Pink Floyd-Platte komponieren. Das schafft vielleicht einer von 1.000. Aber ich nicht. I'm the normal one. (lacht)
Eines hat mir persönlich zunächst Sorgen bereitet: Ich hatte mit Ausnahme von Harry Potter schon immer Probleme mit allem, was ansatzweise mit Fantasy zu tun hat. Wie kamst du dazu? Bist du Fantasy-Leser?
Nee, bin ich eigentlich nicht mal. Diese Gibt's-ja-gar-nicht-Ebene benutze ich, um darzustellen, wie jemand die Welt zum ersten Mal sieht. Da kenne ich mich vielleicht ein bisschen aus, weil ich Vater bin - mit dieser Erkämpfung des Bewusstseins in der Welt. Ich werde niemals vergessen, wie ich meine Tochter auf den Schultern zum Kindergarten getragen hab, und sie dann sagte: Wenn mein Mund nicht mehr redet, redet mein Gehirn einfach weiter.
Und ich so: alter Schwede. Da müssen Philosophen lange drüber nachdenken. Ihr Geist hat die Herrschaft übernommen. Vorher war es immer nur ein Leben in der absoluten Supersekunde. Aber plötzlich hat sich das Gehirn eingeschaltet. Ich denke gerne darüber nach, was die Dinge im Kern ihrer selbst sind. So habe ich auch den Tod erfunden.
Und diese Action-Szenen? Ehrlich gesagt habe ich das auch gemacht, um zu gucken, ob ich damit durchkomme. Und vielleicht wollte ich auch ein bisschen was for the boys schreiben. Leude, hier ist auch was für euch. Meine Lektorin meinte dazu nur: Ach, schreib erst mal. Aber geh nicht davon aus, dass ich es gut finde.
Etwas zu machen, um zu gucken, ob man damit durchkommt - das kennt man ja schon von deiner zweiten Soloplatte.
Auf jeden Fall. Total. Oder vom Konzept Casper. Das find ich gut. Aber das Ernsthafte dahinter ist, dass ich einfach Action reinbringen wollte. Ich wollte kein Roadmovie schreiben. Keine deutsche Erzählung. Keine kleine Novelle. Sondern etwas, das noch nicht tausend Mal da ist.
Als Musiker machst du keinen Hehl aus deinen Vorbildern. Hast du als Autor auch welche?
Eigentlich ganz wenige. Ich bin nicht so ein Super-Leser. Ich hab zum Beispiel wahnsinnig wenige Klassiker gelesen. Wenn ich etwas lese, dann auch gerne mehrere Male. Aber es bringt ja keinem was, wenn ich sage, dass ich "Die Korrekturen" von Jonathan Franzen fünf Mal gelesen habe - aber den Rest seiner Bücher noch nicht. Stephen King bringt auch keinem was. Oder dass ich von Paul Auster nichts gelesen habe, dafür aber seine Biografie.
Von der hab ich allerdings auch nur einen Satz behalten, nämlich: Das Einzige, was ich von meinem Vater erinnere, ist, dass es bei ihm immer nach Mentholzigaretten und Orangenlimonade gerochen hat. Dieser Satz hat für mich so eine unfassbare Schönheit, dass sich das ganze Buch mit 500 Seiten - kleingeschrieben auf Englisch - total gelohnt hat. Aber Vorbilder hab ich eigentlich keine.
"Ein Rapper - Immer noch ein großer Traum von mir"
Gab es Momente der Versagensangst, in denen du nicht wusstest, ob das Buch jemals zustande kommt? Dieses Gefühl müsstest du als Musiker ja eigentlich kennen.
Bei der Musik kenne ich das in einem Tagesrhythmus. Du fühlst dich morgens genial und kommst mit einer wahnsinnig tollen Idee ins Studio. Und um 16 Uhr denkst du dir: Das ist scheiße. Als ob wir in den letzten 20 Jahre nichts dazu gelernt hätten. Dann versuchst du, abends wieder diesen Dreh zu bekommen. Das ist wie eine schnelle Achterbahnfahrt.
Beim Buch war es ungleich härter, weil ich auch mal für drei Wochen dachte, dass es scheiße wird, und trotzdem weitergeschrieben hab. Schlechte Laune, 10 Seiten weggeschmissen, 20 neu geschrieben, davon wieder 12 weggeschmissen, und gedacht: Thees, das ist alles scheiße. Dann Lektorin angerufen. Sie: Guck doch mal auf Seite 40, das ist doch ganz süß. Das sind mir bloß ein paar Seiten zu wenig. Kerstin hat mich langsam wieder aus den Löchern rausgeholt. Versagensängste sind jedenfalls keine Übertreibung. Das war wirklich "Nackte Angst Zieh Dich An Wir Gehen Aus".
Was ist schwieriger, Song-Enden oder Roman-Anfänge?
Ich hab über das erste Kapitel, bis die Ex an der Tür klingelt, zwar ein viertel Jahr lang nachgedacht. Aber letztlich wurde es dadurch leichter, dass der Anfang tatsächlich biografisch ist. Ich hatte mal einen Mitbewohner, mit 24 in meiner ersten WG in Hamburg, der hat das genauso gesagt. Und irgendwie dachte ich: So, ich vollende jetzt deinen Roman. Somit musste ich mir keine großen Gedanken machen. Das war ganz geil. Aber es war auch mein erstes Buch, da hat man einen Freifahrtschein. Song-Enden sind vor allem deshalb schwierig, weil man es vor allem für sich selbst interessant halten möchte, wie ein Stück aufhört.
Francesco Wilking hat mal gesagt: Musik machen ist cooler als Bücher schreiben. Schon allein deswegen, weil man dabei nicht so einsam ist. Sehnst du dich auch wieder nach dem Musizieren?
Es war sehr einsam, ja. Es ist eigentlich auch nicht meine Sache, etwas alleine zu machen. Gerade zum Ende hin haben meine Lektorin und ich aber sehr eng zusammengearbeitet. Sie war perfekt darin, mich mit der Knute durch dieses Buch zu treiben. Ich hab vor zwei Jahren angefangen zu schreiben. Dann hatte ich es irgendwann zum ersten Mal fertig und hab es mir alleine durchgelesen, Teile rausgeschmissen, neugeschrieben, hinzugefügt, rübergeschickt.
Von da an ging es ewig hin und her, und die Einsamkeit war vorbei. Im Juni haben wir uns noch mal zusammengesetzt und hinter jede Seite einen Haken gemacht. Allerdings nicht ohne noch mal 30 Punkte aufzuschreiben, mit denen wir noch nicht zufrieden waren. Heute freu ich mich zwar wieder auf die Musik, aber für mich hat sich der Schmerz auch gelohnt.
Bist du in all diesem Trubel eigentlich auch noch im Tagesgeschehen deines Labels Grand Hotel van Cleef vertreten?
Nee, gar nicht. Das geht schon allein wegen der Distanz zwischen Berlin und Hamburg nicht. Und zuletzt war ich aus dem ganzen Musik-Ding eh raus. Ich warte einfach auf eine Band, die ich so sehr liebe, dass ich wieder einsteigen kann.
Du streckst also nicht aktiv die Fühler aus?
Fühler ausstrecken hat bei mir noch nie etwas gebracht. Das waren immer lustige Zufälle. Ich hab auch noch keine Band aufgrund eines Demos gesignt. Die Kilians hat mir damals der Journalist Lukas Heinser beim Interview vorgespielt. Ich dachte, wenn der eine Idee hat, dann könnte das was sein. Und das war es dann auch.
Was ich mich bei Grand Hotel manchmal frage: Würdet ihr denn nochmal einen Act mit aufbauen, oder seid ihr eher eine Art JKP der Indie-Szene - indem ihr hauptsächlich das Werk eurer Inhaber verwaltet?
Ich warte ein bisschen auf eine Band, die sagt: "Wir heißen Watt. Oder What. Könnt ihr euch aussuchen. Kettcar kenn ich eigentlich nur, weil mein Vater das immer gehört hat. Tomte fand er nicht so gut. Wir machen das jetzt auch, aber ein bisschen moderner. Eigentlich wollen wir erst mal anderthalb Jahre lang nur spielen. Danach dürft ihr mit uns eine Platte machen. Aber bucht uns erst mal ein paar Konzerte."
Es gibt ja viele deutsche Bands, aber häufig haben sie diesen gewissen Gestus: "Eigentlich sind wir schon eine richtig geile Band, denn unser künstlerisches Konzept ist richtig ausgefuchst. Wir machen Musik, weil wir die Menschen verachten. Aber uns verachten wir auch. Wir wollen keinen Erfolg haben. Damit wollen wir aber mega Erfolg haben." Das ist mir zu lebensfremd und aufgesetzt. Das soll dann immer was ganz Neues sein, hört sich aber an wie England '84. Was überhaupt kein Problem ist! Ich hab mich die ersten 12 Jahre auch angehört wie Gießen '92. Aber dass man da gleich so ein künstlerisches Konzept draus bauen will, trifft einfach nicht meinen Geschmack.
Ich mag eher diesen Ansatz: "Aufregender als zuhause ist es in Saarbrücken vor zehn Leuten auf jeden Fall, daher lass uns mal losfahren." Das fehlt mir. Wenn so eine Band mal wieder kommt, dann wird sie von GHvC aufgebaut. Wobei der Begriff aufbauen fast schon wieder zu spießig ist.
Ihr kämpft andererseits auch nicht um mittelgroße Bands, die gerade auf Labelsuche sind?
Sechste Turbostaat-Platte?
Witzigerweise dachte ich bei der Frage exakt an die.
Ich weiß noch, wie wir in Hamburg zusammensaßen. Oh Gott, ist das lange her. Da hab ich gesagt: Leude, kommt doch zum GHvC. Wir können dieses machen, wir können jenes machen. Dann sind sie aber zu Warner gegangen - was auch zu 100.000 Prozent in Ordnung ist. Ich weiß gar nicht, ob sie uns bezüglich der neuen Platte gefragt haben. Aber eine Turbostaat-Platte würde ich natürlich wahnsinnig gerne rausbringen. (denkt nach) Was würde ich denn noch gerne machen?
Einen Rapper.
Immer noch ein großer Traum von mir. Vielleicht muss man da aber auch auf die nächste Talsohle warten. Bis da wieder ein anderer Slang reinkommt. Aber die wollen halt auch einfach zu den großen Labels. Manchmal fühlt sich das für mich ein bisschen spießig an. Wir haben allerdings Kontakt zu einer kanadischen Rap-Crew, die mit einem von den Beastie Boys was produziert hat. Jetzt geht's nämlich wieder zurück zur Oldschool. Zieh dich warm an, Selfmade Records.
3 Kommentare mit 3 Antworten
Dieser Kommentar wurde vor 8 Jahren durch den Autor entfernt.
Übelste Clickbait-Überschrift
Dieser Kommentar wurde wegen eines Verstoßes gegen die Hausordnung durch einen laut.de-Moderator entfernt.
Was für ein durch und durch schmutzig schleichwerbender Beitrag! Ich hasse es, wenn lautuser nicht zu ihren usernamen aufleben, aber das hier war doch wahrscheinlich von vorneherein Selbstbetrug in der Hoffnung, sich selber danach nicht immer so dreckig zu fühlen, wenn anderen ins Forum zu scheißen das eigene täglich Brot auf den Tisch bringt, hm?
Wärst Du nun bitte so freundlich, dich selbst zu löschen, bevor es die bereits verständigte Bannhammertruppe unweigerlich tut? Es könnte als Indiz gewertet werden, dass doch noch irgendwo ein Funken Anstand in deinem offensichtlich viel zu billig verkauften Leib steckt.
Also der lautuser lebte doch recht oft zu genannten Namen auf. Aber du hast recht. Was bleibt ist Hoffnung. Beziehe mich auf deinen Post, den anderen hab ich nicht gelesen
Mensch kann und mag lautuser ja vieles vorwerfen, aber ganz sicher nicht, dass er nie zu seinem uaernamen auflebte! Er war user bei laut.de, und das gemessen an seiner zeitweisen Beitragsfrequenz sicher intensiver als die meisten anderen user von laut.de vor oder nach ihm.
Der lautuser ist bis heute das Gardemaß bei der Beurteilung der Frage, ob es ein frischer, aufstrebender Stufe 0-Fake im Falle einer Muppetisierung wenigstens schaffen wird, halbwegs ordentlich und anständig dieses goldene Kommentarspaltengrundprinzip des Auflebens zum selbst gewählten usernamen zu achten und zu ehren.