29. Oktober 2021

"Ich wandte mich an Bruce Lee"

Interview geführt von

Eigentlich dachte Tori Amos, sie würde ganz gut durch die Covid-19-Pandemie kommen. Im dritten Lockdown brach dann aber so einiges über ihr und auf sie zusammen. Das verarbeitete die Singer/Songwriterin auf ihrem neuen Album "Ocean To Ocean".

"Ocean To Ocean" ist rein musikalisch eigentlich gar kein untypisches Amos-Album geworden — aber die Ausgangslage war eine andere ganz andere. Amos, die normalerweise ihre Inspiration aus dem Reisen zieht und das Leben gerne on the road verarbeitet, fand sich plötzlich an einen Ort gefesselt. Das war an diesem Fall das britische Cornwall, wo Amos und ihre Familie leben (ihre zweite Heimat ist Florida). Und nicht genug, dass die Welt eingesperrt war und eine weltweite Pandemie tobte, auch die politischen Umstände in ihrer US-amerikanischen Heimat und die Tourabsagen machten ihr ordentlich zu schaffen. Darüber sprachen wir mit Tori Amos im Interview.

Tori, Sie haben mit der Arbeit an "Ocean To Ocean?" während des dritten Lockdowns begonnen, der Sie besonders hart getroffen hat. Warum genau der dritte?

Tori Amos: Der dritte Lockdown war ziemlich schwierig. Beim ersten Mal sind wir als Familie noch gut durchgekommen. Aber beim dritten sind dann alle möglichen Dinge gleichzeitig passiert. Amerika erlebte mit dem 6. Januar eine Verfassungskrise, und danach spielten einige unserer gewählten Vertreter russisches Roulette mit der Demokratie. Dass diese gewählten Menschen Verrat begehen: das versetzte mich in einen Zustand der Wut. Irgendwann kam ich aber an einen Punkt, an dem mir klar wurde, dass ich in dieser Energie nicht mehr bleiben konnte. Ich merkte, dass ich gegen die Aggressivität allergisch wurde. Ich musste einen Schritt zurück machen. Also zog ich mich von allen Songs zurück, die ich geschrieben hatte, und setzte mich dann für eine Weile in die Stille.

Wie ging es dann weiter?

Das verlief nicht linear. Für mich als Songwriterin und Künstlerin ist es ohnehin nie ein linearer Prozess. Man versucht, das Leben normal weiter zu leben. Man sorgt dafür, dass das Essen auf dem Tisch steht, solche Dinge eben. Ich habe angefangen, alles Mögliche über die Natur zu lesen und über Menschen, die eine tiefe Beziehung zur Natur haben. Leute, die Berge besteigen oder Leute, die die Netzwerke studiert haben - die seltsamen Netzwerke unter den Bäumen und das, wie Bäume untereinander kommunizieren. Was auch immer das für Bücher waren, ich habe sie unersättlich gelesen und versucht, mich selbst dadurch zu verändern. An einem bestimmten Punkt war es jedoch klar, dass die Musen zu mir sagten: "Du musst von dort aus schreiben, wo du bist. Und weißt du, wo du bist? Du bist in deiner eigenen kleinen privaten Hölle, T. Also musst du von dort aus schreiben." Und ich suchte nach Kämpfern, denn ich musste das Monster der Niedergeschlagenheit bekämpfen. Also wandte ich mich an Bruce Lee, einen der größten Kämpfer aller Zeiten, und seine Weisheit lautete: Sei wie Wasser. So öffneten sich die Schleusen.

Für die meisten Menschen waren die Lockdowns absolute Ausnahmesituationen. Sind Sie während der Isolation über Probleme mit sich selbst gestolpert, mit denen nicht gerechnet hätten? Oder haben Sie etwas über sich selbst herausgefunden, das Sie überrascht hat?

Was mir klar wurde, ist, dass die Bewältigungsmechanismen der meisten Menschen nicht funktionierten, weil sie einfach vom Tisch waren. Es sei denn, man ist jemand, der generell gerne allein ist, und man hatte gerade das Glück, alleine zu sein. Wenn all das zusammenkam, dann konnte man, glaube ich, diese Krise gut überstehen. Denn dann konnte man seinen Bewältigungsmechanismus anwenden. Manche Menschen müssen einfach alleine sein. Wir sind von einem Haus voller Menschen, ob das nun die Kinder sind, die vom College kommen, oder die Schwiegermutter. Mein Bewältigungsmechanismus ist es zu reisen. Der Bewältigungsmechanismus meiner Schwester ist es, unter Menschen zu sein. Sie ist ein sozialer Schmetterling, aber auch sie war allein. Sie sehen also, dass sich viele Menschen in Situationen befanden, in denen sie diese bewährten Bewältigungsmechanismen nicht anwenden konnten, um Dinge zu verarbeiten. Ich glaube, viele von uns waren wie Fische auf dem Trockenen und wurden ein bisschen verrückt.

Wie Sie sagten, war das Reisen für Sie ein wichtiges Ventil. Haben Sie, während Sie nicht reisen konnten, neue Erkenntnisse über die Notwendigkeit des Reisens gewonnen und warum es so sinnvoll und wichtig für Sie ist?

Nun, ich habe das Prinzip verstanden, das darin besteht, dass man seine Routine buchstäblich umkrempelt. Denn wenn man sich an einen Ort begibt, an den man normalerweise nicht geht, werden die Sinne geschärft, und man hat keine Ahnung, was als Nächstes passieren wird. In Cornwall weiß ich so gut wie immer, wann die Traktoren auf den Bauernhöfen anrollen werden. Ich weiß, wann Lammzeit ist, ich weiß, um welche Uhrzeit die Kühe gemolken werden. Wenn ich in die Wüste fahre und schon eine Weile nicht mehr dort war, gibt es neue Dinge, von denen ich nicht wusste, dass es sie überhaupt gibt. Nun, es gibt dort tatsächlich eine Menge Dinge, die ich nicht kenne. Das schärft die Sinne. Und wenn meine Sinne in einem geschärften Zustand sind, nehme ich auch anders wahr. Es gibt keine Routine, durch die ich irgendwie schlafwandeln kann. Es gibt eine Menge Überraschungen, wenn ich reise, und das allein bringt schon meine Motoren in Gang. Diese Songwriting-Motoren drehen dann voll auf. Das war nicht möglich – und ich habe eine lange Zeit Pilgerreisen gemacht, bevor ich eine Platte geschrieben habe.

"Der Rock'n'Roll reist mit dem Bus"

Wie reisen Sie am liebsten?

Der Rock'n'Roll reist mit dem Bus, denke ich. Ja, ich weiß, dass Iron Maiden einen eigenen Piloten in ihrer Band haben. Schön für sie! Aber der Punkt ist, dass ich nichts gegen den Bus habe. In den 1990er-Jahren brauchte ich eine Weile, um mich daran zu gewöhnen. Aber sobald ich mich daran gewöhnt hatte, gefiel es mir sehr gut. Es hat einfach etwas, einen Venue zu verlassen und dann über Nacht zu reisen und in einer neuen Stadt aufzuwachen und nicht durch die Sicherheitskontrollen am Flughafen gehen zu müssen. Man ist sozusagen in seinem eigenen Kokon mit seinem eigenen Team von Leuten. Man teilt die Erfahrungen miteinander. Es ist schließlich ein Roadtrip, nicht wahr? Ich mag die Kameradschaft. Ich genieße es, und ich finde es überhaupt nicht langweilig. Ich kann es nicht fassen, wenn ich höre, dass Leute sagen, sie fänden das Touren langweilig. Es gibt so viel zu entdecken, was man tun kann. Wenn man das will, ist es da. Es gibt so viel zu sehen, wenn man an einem neuen Ort ist, selbst wenn man in einer kleinen Stadt ist. Es gibt so viel über die Geschichte eines Ortes zu lernen. Das liebe ich wirklich.

Sie verbringen Ihre Zeit zwischen Cornwall und Florida. Was vermissen Sie an Florida, wenn sie nicht da sind?

Ich vermisse das Kajakfahren. Ich vermisse die Wärme. Südflorida hat etwas Schläfriges an sich. Vielleicht liegt es an der Hitze. Es gibt dort eine wirklich ruhige Schönheit. In Cornwall ist das anders. Es kommt darauf an, zu welcher Jahreszeit man sich in Cornwall aufhält. Im Herbst und Winter beginnen die Stürme zu wehen. Im Moment gibt es biblische Regenfälle. Die Jahreszeiten sind sehr, sehr lebendig. Und das muss man akzeptieren. Ich habe ein paar Jahre gebraucht, um das zu begreifen. Aber ich habe das Gefühl, dass ich heute besser mit Unwettern umgehen kann als früher.

Kommen wir noch einmal auf den Entstehungsprozess zurück. Wann beginnen Sie, ein größeres Bild zu sehen, wann erkennen Sie, wohin die neuen Songs gehen?

Wenn etwas zu funktionieren beginnt, dann hört man Dinge, die mit den anderen Stücken nicht funktionieren. Man denkt sich, dass man vielleicht versuchen kann, sich diesen Stücken wieder anzunähern, indem man sie umschreibt, überarbeitet, oder man fängt von vorne an. Denn Sie wissen dann ja, was Ihr Maßstab ist. Wir hatten das Glück, diesen Maßstab mit "Metal Water Wood" zu erreichen, dann wussten Mark [Hawely, Toris Ehemann und Engineer], und ich, die wir hier im Kontrollraum und in Cornwall arbeiteten, dass alles in der Lage sein musste, neben dem Maßstab dessen zu bestehen, was das Kraftfeld von "Metal Water Wood" werden würde. Man weiß, was die Ziele sind, man weiß, wo die Songs stehen müssen. Das schafft Klarheit. Matt Chamberlain trommelte von LA aus, John Evans spielte von Cape Cod aus den Bass - das Ganze kam zurück, nachdem jeder Musiker darauf gespielt hatte. Dann arbeiteten wir damit, fügten etwas hinzu, und dann ging es wieder hinaus und kam wieder zurück. Die Tracks gingen buchstäblich von Ozean zu Ozean. Vom Atlantik zum Pazifik und zurück.

Ist das Ihr regulärer Arbeitsprozess?

Nein. Normalerweise kommen die Leute in meiner Welt zusammen. Aber das war seit 18 Monaten nicht mehr möglich. Also haben wir letztes Jahr eine Weihnachts-EP namens "Christmas Tide" gemacht. Mit dieser EP haben wir das mal getestet, um zu sehen, ob das Konzept funktioniert, das heißt: ob wir grooven können. Groove ist das Schwierigste, das es zu erreichen gibt. Es ist eine knifflige Sache, das mit dem Groove. In the pocket zu sein. Eine Menge Leute können nicht grooven. Das tut mir leid sagen zu müssen, es ist aber so. Manchmal überprüft man seinen Groove, wenn man zusammen spielt, und dann nimmt man gemeinsam Änderungen vor. Ich glaube, wir haben alle so lange zusammen gespielt, dass wir in über 20 Jahren eine Sprache entwickelt haben. Und innerhalb dieser Sprache habe ich vielleicht gar nicht bemerkt, wie tief in den eigenen Knochen verankert die Chemie zwischen uns ist und die Fähigkeit, durch Musik zu kommunizieren. Denn all die Jahre, in denen wir zusammen gespielt und getourt haben, haben uns gezeigt, dass sich die ganze Arbeit dann doch gelohnt hat.

Haben Sie eine Routine beim Schreiben? Gehen Sie los, wenn Sie die Inspiration überkommt? Ich erinnere mich, dass Nick Cave mal sagte, dass er sich Bürozeiten setzt und jeden Tag von 7 bis 17 Uhr arbeitet.

Ich habe wirklich viel Respekt vor Nick Caves Arbeitsweise. Das ist aber nicht mein Prozess. An die Schriftsteller da draußen: Ich denke, ihr müsst herausfinden, was für euch funktioniert. vielleicht ist es eine Kombination aus: "Okay, diese Woche versuche ich es mit der Nick-Cave-Schule, ich stehe auf und sehe, was ich schreiben kann." Meine Art der Denkweise ist: Ich orientiere mich eher an Mutter Erde, an den Jahreszeiten und am Zyklus. Ich sehe die Dinge also als Input und Output. Input ist, wenn ich etwas aufnehme. Ich nehme Informationen auf, und es könnte so aussehen, als ob das nur eine Überwinterungstaktik ist. Aber was passieren kann, ist, dass man Dinge hört und liest, sie aufnimmt und in sich aufsaugt. Wir haben über die Pilgerreise gesprochen, über das Reisen, das Beobachten, das Aufnehmen von Dingen, das wirkliche Zuhören, das Stillsein, das Beobachten, das Notieren von dem, was ich höre und sehe. Diese Erfahrungen zu machen, sie auf mich wirken zu lassen und dann all diese Essenzen oder klanglichen Zutaten zu sammeln und sie dann zurück in die Klavierküche zu bringen. Ich bringe sie zurück in den Kessel. Wissen Sie, ich habe ein bisschen was von einem Hexenmeister in mir.

"Man wird von wütenden Leuten angespuckt"

Wäre es angemessen zu sagen, dass diese Platte aus einem Gefühl des Unbehagens heraus entstanden ist?

Unbehagen ist ein interessantes Wort. Ich denke, es ist ein gutes Wort. Ich denke, das Wort muss aber noch ein bisschen radikaler sein als das. Ich glaube nämlich, dass die Welt zu verschiedenen Zeiten durch den Wahnsinn gegangen ist. Ich glaube, einige Menschen waren zu verschiedenen Zeiten in diesem Wahnsinn. Ich habe gesehen, wie einige Leute bei der ersten Abriegelung wirklich durchdrehten. Sie waren schockiert. Alles blieb stehen. Die Menschen brachen zusammen. Wir haben das Glück, hier ein Aufnahmestudio zu haben, und das haben wir genutzt, um die virtuelle Buchtour zu machen. Ich sollte also überall in den Staaten unterwegs sein, quer durch die Staaten und in England, um eine Signierstunde zu geben, als das Buch im Mai 2020 herauskam. Und wie Sie wissen, musste all das nach dem Einschluss im März aufhören, aber wir mussten trotzdem ein Buch herausbringen. Also haben wir überlegt, wie wir von hier aus filmen können, damit das funktioniert. Normalerweise würde man in Person auftreten, zu NPR oder Sirius Radio gehen, um aufgenommen zu werden... wir haben es eben von hier aus gemacht. Wir waren also während des ersten Lockdowns sehr beschäftigt. Beim dritten Mal jedoch ... nachdem ich eine Amerika-Tournee verschoben hatte, eine Platte verschoben hatte, all die Dinge nach den Wahlen in Amerika, wo die Demokratie so herausgefordert wurde und aus dem Ruder lief: Ich bin einfach gegen eine Wand gefahren, und das ist passiert.

Der österreichische Schriftsteller Thomas Bernhard hat einmal – ich paraphrasiere das jetzt — gesagt, er könne nur in Zuständen des Unbehagens schreiben. Denn wenn er sich gut fühle, wolle er sich das ja nicht durch Schreiben verderben.

Das zeigt, dass er wusste, was für ein Schriftsteller er war. Ich habe vollen Respekt vor dem Prozess eines Schriftstellers. Ich kenne einige Leute, die ihr Leben immer wieder zerstören. Ich weiß nicht, wie vielen Ehen einige meiner Freunde schon hinter sich haben. Weil sie das ausnutzen und zerstören, um aus dieser Zerstörung heraus zu schreiben. Das ist nicht mein Ding. Ich mag es, verheiratet zu sein. Ich mag es, ein wirklich geerdetes Leben zu Hause zu haben. Ich möchte, dass mein Kind und meine Nichte ein Gefühl der Stabilität haben. Aber mit dieser Stabilität im häuslichen Leben wurde mir klar, dass die Künstlerin umherziehen muss. Sie muss wachsen. Und sie muss diese Dämonen loswerden. Manchmal kommen die Dämonen daher, dass ich beobachte, was wir als Menschheit so treiben. Was tun wir eigentlich? Was machen wir wirklich? Wie behandeln wir uns gegenseitig? Wie reagiere ich darauf? Reagiere ich aus meinem beschädigten Selbst heraus? Oder reagiere ich aus einer geheilteren Tori heraus, nachdem ich jahrelang in Therapie war und diese Werkzeuge erlernt habe - aber manchmal werfe ich diese Werkzeuge weg und reagiere einfach. Die Art von Schriftsteller, die man ist, muss man also wirklich verstehen. Und das bedeutet nicht, dass das, was vor zwanzig Jahren für dich funktioniert hat, auch in zwanzig Jahren noch funktionieren wird. Sie könnten feststellen: "Oh, ich werde das ausprobieren. Ich werde versuchen, eine Pilgerreise zu machen" . Aber das ist wirklich schwer, wenn man eingesperrt ist und sich nicht bewegen kann. Die Dinge müssen zusammenkommen, damit man herausfinden kann, welche Schreibtechniken für einen funktionieren, was seine Absichten als Schriftsteller sind und was einen motiviert.

Sie schienen immer eine sehr starke Bindung zu Ihren Fans zu haben. Hatten Sie während des Lockdowns Kontakt mit ihnen?

Die Briefe erreichen mich. Während des dritten Lockdowns gab es ein großes Paket mit Briefen aus der ganzen Welt. Ich konnte wirklich sehen, mit welchen Herausforderungen die Menschen konfrontiert waren. Sie waren sehr unterschiedlich. Manchmal findet man Gemeinsamkeiten. Ähnlichkeiten in der Herausforderung. Aber die Umstände waren unterschiedlich, das muss man betonen. Es kann sein, dass jemand kleine Kinder hat und sowohl sie als auch ihr Partner berufstätig sind. Und dann sind sie dort mit den kleinen Kindern und machen ihre Zoomcalls - und bekommen keine Hilfe. Der Druck, der auf ihnen lastete, und was mit ihnen geschah: Unerbittlich, schlaflos. Das war ein mögliches Szenario. Dann gibt es noch das Szenario von jemandem, der an vorderster Front im medizinischen Bereich tätig ist. Man versucht, den Menschen in einem Schutzanzug zu helfen, und wird von Leuten angespuckt, die einfach wütend werden. Weil sie sich in ihren Freiheiten beeinträchtigt fühlten. Man hört die Geschichte dieser Person. Sie geht nachts nach Hause und fragt sich: "Warum tue ich das? Warum setze ich meine eigene Gesundheit aufs Spiel, um Menschen zu helfen, die so undankbar sind? Ich bekam viele Briefe, die mich auf die verschiedenen Probleme aufmerksam machten, die die Menschen durchmachen. Und es war mir klar, dass die Menschen erschöpft waren. Zum größten Teil. Irgendwo gab es aber immer einen kleinen Introvertierten, der einfach am Gewinnen war. (lacht) "Weißt du, für mich sind jetzt alle meine Weihnachtswünsche wahr geworden! Denn ich bin ein Mauerblümchen. Und jetzt hat mich mal jemand gefragt, warum ich nicht an mittendrin bin." Es gibt also immer einen, der sagt: "Oh, diese Pandemie, ich bin der Gewinner!" Und du sagst dann so etwas wie: "Okay, schön für dich. Juhu." Aber abgesehen davon konnte ich sehen, dass die Menschen etwas brauchten. Sie brauchten einen Ort, an den sie sich wenden konnten. Und das ist schwierig, wenn man unter Hausarrest steht, außer man geht für seinen Job raus. Und wenn man keinen Job hat, der als würdig erachtet wird, dass man dafür rausgehen muss, dann gerät man in diese Grauzone. Deshalb dachte ich, wir brauchen etwas Magie. Die Menschen brauchen jetzt keine Wut. Sie brauchen diese Energie nicht. Sie brauchen keine Zwietracht. Was sie brauchen, ist ein Zaubertrank. Einen Zaubertrank.

Was sollen Ihre Zuhörer von "Ocean To Ocean" mitnehmen?

Hoffentlich wird es ihnen Leichtigkeit geben. Es wird sie zum Lächeln bringen. Und wenn man eine kleine Träne verdrücken muss, gibt es auch dafür einen Platz. Aber es ist auch dazu da, ihnen zu helfen, den nächsten Schritt zu machen ... Und wenn man nicht weiterkommt, wird es einen begleiten. Und hoffentlich hilft es einem dabei, aus einem Trott herauszukommen. Das könnte ein emotionaler Trott sein, in dem man sich befindet. Das ist jetzt nur meine Erfahrung: Ich finde, dass die Lieder mir geholfen haben, nach draußen zu gehen, sogar in der Kälte, und herumzutanzen. Vielleicht habe ich mich wie eine gute kleine Schlange von meiner alten Haut befreit und bin in die Zukunft gegangen. Eine andere Zukunft, als ich sie mir vielleicht vorgestellt habe, wenn Sie mich vor drei Jahren gefragt hätten. Diese gilt es aber zu umarmen und in ein neues Energiekraftfeld zu treten.

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Eine englische Originalfassung des Interviews findet ihr auf dem Hyperlocrian-Blog von Markus Brandstetter.

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2 Kommentare

  • Vor 3 Jahren

    …. Die Menschen brauchen jetzt keine Wut. Sie brauchen diese Energie nicht. Sie brauchen keine Zwietracht. Was sie brauchen, ist ein Zaubertrank. Einen Zaubertrank…….

    Jep, nennt sich Impfstoff!

  • Vor 3 Jahren

    Guter Kommentar, stimme dir vollkommen zu.
    Jetzt aber noch was zu Tori ...
    Oute mich zuerst mal als Tori-Fan. Bin aber trotzdem immer wieder überrascht von der hochkomplexen Gedankenwelt dieser großartigen Künstlerin. Sie ist extrem offen, intelligent, reflektiv, empathisch und gleichzeitig pragmatisch - man kann immer wieder viel von ihr lernen. Habe mir (natürlich!) sofort ihr neues Album gekauft. Fand auch ihre letzten beiden (+ Christmastide) sehr, sehr gut und genoss diese des öfteren in Verbindung mit einem guten Rotwein. Hoffe, dass mir dies heut Abend wieder gelingen möge, und Tori uns auch in Zukunft weiterhin mit ihrer wunderbaren, sirenenhaften Stimme und einfühlsamen, virtuosem Pianospiel beglückt und betört.
    Cheerio Tori