laut.de-Kritik
Electro-Pop mit einer guten Portion Melancholie.
Review von Johannes Jimeno"The Great Escape" war vor vier Jahren ein beachtliches Debüt der Münchner Gruppe Claire. Mit international klingendem Electro-Pop erschlossen sie sich schnell eine große Fangemeinde, ihre Singles liefen im Radio und wurden für TV-Produktionen verwendet. Josie-Claires klare, weiche Stimme passt formidabel ins etwas unterkühlte Fiepen und Wabern ihrer Bandkollegen. Wenn man so will ist sie die deutsche Jessie Ware. Diesen musikalischen Weg gehen Claire konsequent weiter und diversifizieren ihn mit feinen Versatzstücken. "Tides" entpuppt sich als wunderbares Nachfolgealbum!
Die Auskopplung "Friendly Fire" legt einen ordentlichen Start hin mit direktem Beat, funky Licks und sanfter Sirene im Refrain - passend zum Titel. Dynamik und Melodie gehen hier Hand in Hand. "End Up Here" und "No Way To Save It" behandeln lyrisch Beziehungsprobleme, jeweils aber mit unterschiedlichem Ausgang. Musikalisch entspricht das in beiden Fällen reduziertem Electronica, bei Letzterem treten sogar verdrehte Snippets auf, die einen Hauch UK Garage Sound in sich tragen.
"Two Steps Back" mit Vocodereinsatz in der Bridge markiert den melancholischen Höhepunkt des Albums, wenn die schwermütige und dissonante Synthiemelodie sich ins Ohr frisst und emotional berührt. Der dazugehörige Text erzählt von der Sinnsuche, persönlicher Weiterentwicklung und schwierigen Entscheidungen. Ein erhabener Song zum Schwelgen!
In eine ähnliche Kerbe schlägt "Drowning" mit elegischem Minimal-Electro und wehenden Synthieflächen. Von der Atmosphäre und der Architektur her erinnert es entfernt an Daughter, nur eben mit mehr Keyboards und Soundeffekten.
Nicht ganz so depressiv gestaltet sich "Treading Water", das sich an Trentemøller und Lake People bedient: sinister, pulsierende Beatstrukturen und ein gewisser Ansatz von Undurchdringlichkeit umgeben Claire.
Doch Bürkle, Hauck und Co demonstrieren auch Fröhliches: "Say It" ist ein Clubhit, der tief im Deep-House wandert und mit 8-Bit-Sounds bestückt ist. Der Refrain pumpt nach vorne mit tiefem Bass und man meint, Todd Terje hat an den Regeln hantiert. Dazu gesellen sich verspielt-naive Lyrics, die dem leichtfüßigen Vibe schmeicheln: "The way you touch my hands, the way you touch my lips / I know for sure / that this is something new I haven’t known before".
Reduzierter, melancholischer Electro-Pop gehört zu Claires Stärken, und ein paar mehr den Schleier des Introvertierten lüftende Songs wie eben "Say It" hätten "Tides" noch abwechslungsreicher gemacht. Der Rest des Albums bleibt nämlich nur selten hängen: "Burn", "Masquerade" oder "The Crash" (trotz Kinderchor) haben viel zu ähnliche Trackstrukturen und präsentieren sich zu zaghaft.
Claire beschließen ihr zweites Machwerk mit dem Wiegenlied "Come Close", das zunächst ruhig beginnt und sich immer mehr steigert bis zum unkenntlichen Filter-verzerrten Rauschen. Danach gleitet es sanft ins Nichts - wie das leise Rieseln am Meer, nachdem die letzte große Welle bricht. Ein versöhnliches Ende für ein insgesamt überzeugendes Album. Mit den filigranen Berlinern Me And My Drummer bilden Claire die Speerspitze in puncto sophisticated electronic pop music made in Germany.
3 Kommentare
"Mit den filigranen Berlinern Me And My Drummer bilden Claire die Speerspitze in puncto sophisticated electronic pop music made in Germany."
Hundrets? Buttern aus meiner Sicht die oben genannten weg, auch wenn ich diverse Songs beider Bands ab und zu gern hör.
Claire und Me And My Drummer sind nicht nur kreativ und fantasievoll, sondern darüber hinaus sympathisch und bescheiden. Sie haben es nicht nötig andere Bands herabzusetzen.
Danke für diese Album Kritik, hat Spaß gemacht zu lesen, ins besondere da alle gefallen Künstlernamen auf uns großen Einfluss haben, und somit die Vergleiche mit deren Musik uns ehrt. Lg die Claires