laut.de-Kritik
Das finstere Herz schreit nach Zuversicht.
Review von Jan Hassenpflug"What It Means To Be Defeated", davon konnte die Post-Hardcore-Crew aus Kalifornien auf ihrem gleichnamigen Debüt mehr als ein Lied singen. Wer sich auf der Sonnenseite des Lebens wähnt oder zumindest einen gesunden Optimismus pflegt, dem dürften Dayseeker wie ein Trübsal blasender Fremdkörper aufstoßen. Konsequent durchwühlen sie die pechschwarzen Abgründe menschlichen Seelenlebens. Die Zeile "No rest for the sick and weary" bringt die nimmermüde Crux ganz gut auf den Punkt. Textlich ersticken negative Schwingungen so ziemlich jede Flamme. Ist da noch Platz für Zuversicht?
Ja, denn Rory Rodriguez trägt sie auf den Stimmbändern. Im schizophrenen Zwiegespräch wechselt er zwischen zerberstenden Schreien und verheißungsvollen Gänsehaut-Vocals. Eine Symbiose, die nur wenige seiner Zunft auf die Kette bekommen. Rory gehört zum erlesenen Kreis von Wunderknaben im melodiösen Hardcore, deren Stimmfarbe jede noch so kühle Schulter zum Schmelzen bringt.
Als Alexisonfire Anfang der Jahrtausendwende das Licht der Welt erblickten, verkörperte Dallas Green aka City & Colour den Prototyp des verkappten Singer/Songwriters inmitten brachialer Zerstörungswut. Wenngleich deren sensibles Gespür für aufwühlende Melancholie, sie einzigartig erscheinen lässt, hat die Gabe ihren Preis. Der dünnhäutige Feingeist in ihnen wandelt bisweilen am Rande der Depression. Musik ist das Gegengift, der Brustlöser, um sich der schattigen Visionen zu entledigen.
Ohne Zweifel atmen Dayseeker durch ihr Sprachrohr das gewisse Etwas ein. Rodriguez' instrumentale Wegbegleiter halten ihm im Kampf gegen die inneren Dämonen mit findigen Lead-Harmonien und jeder Menge Geknüppel den Rücken frei.
"This is the death of my origin", schlachtet der Titeltrack suizidale Tendenzen bis zur Ausweglosigkeit aus, ohne Kalkül einzufordern. Dazu geht es einfach zu schonungslos, zu persönlich und zu ernüchternd zur Sache. "Better Off Dead" bollert es durch die Gehörgänge. Nicht ein Streichholz erhellt die Verzweiflung: "The future seems so dark, I'm trying to keep my head above the water." Am Ende bleibt nur die Schlacht gegen die Resignation. Brutal und zerbrechlich zugleich, bäumt sich die Bestie von Song auf.
Im Minutentakt reißt der Barde alte Wunden auf. "The Earth Will Turn" beehrt gar die eigene Mutter mit einer hasserfüllten Abrechnung. Der Track startet im komatösen Zustand, um mit den Worten "because you're dead to me" plötzlich in einen Wutausbruch umzuschwenken. Alkohol statt Fürsorge, darin manifestiert sich der Vorwurf: "God damn you, for leaving when we needed you."
Demgegenüber erscheint die Hommage an den an Parkinson erkrankten Vater in "A Cancer Uncontained" nicht minder emotional formuliert: "Once invincible, your head held up so high, who knew this disease, would change it all in a blink of an eye."
Auf Clean-Terrain hat der introvertierte Kalifornier eine Range, die jeden Pop-Sänger vor Neid inne halten lässt. Spätestens, wenn er die Höhen auspackt, stellen sich einem die Nackenhaare auf. Es gibt keine Autotune-Kavallerie, die den Weg frei macht. Was da nach draußen will, ist reines Herzblut.
Der Schmerz lässt sich nicht ausschließlich auf autobiografische Erlebnisse zurückzuführen. Doch wann immer die fünfköpfige Band ihre unmittelbare Erfahrungswelt verlässt, strotzen die Lyrics vor Emapthie-Vermögen. So zu hören in "Never See The Sun". Der finale Track wendet sich dem Schicksalsschlag eines Freundes zu, der das Trauma einer Totgeburt aufarbeiten muss.
Vom Prozedere geraten viele Songs ähnlich. Im phasenweise willkürlichen Shout-Gewitter sind es die Hooklines, die nicht loslassen wollen. Besonders paralysierend übermannen einen die Melancholie-Wogen in "The Burning Of Bridges" und im Opener "The Nail In Our Coffin". Chapeau, will man klatschen. Stattdessen ein betretenes Schlucken. Leidenschaftlicher kann man den Kummerkasten nicht ausmisten. Demütig reinigt "Spotless Mind" die verlorene Seele sogar ganz ohne Aggression.
Bei allen Lobeshymnen auf die bannende Kraft der Kompositionen hat auch das zweite Album seine Durchhänger. Es gibt Stücke, in denen sich der Kurs nicht erschließt, in denen sich das Gesangsgenie nicht so recht von der inneren Zerrissenheit löst. Auf der Suche nach der leitenden Melodie-Hand bringen ihn die Shouts immer mal wieder aus dem Konzept. Denen fehlt es zuweilen an Varianz. "Lucid Dreamer", "A God Without A Face" oder "Dead To The World: Alive In My Eyes" scheitern am Sprung aus der Beliebigkeit. Genau dann, laufen die Amerikaner Gefahr, das Maß an Trauerarbeit zu überreizen.
Allerdings, lassen sich diese Makel für die noch junge Formation wohl ziemlich schnell unter "Jammern auf hohem Niveau" abhaken. Auch auf dem zweiten Eintrag in ihrer Diskografie bleiben Dayseeker absolut authentisch und keinen Deut schwächer. Bisher verharren sie noch als Geheimtipp in den Schubladen von Metal- und Post-Hardcore. Doch entgegen ihrer Natur dürfen sie optimistisch sein, dass sie mit Rodriguez am Steuer bald sonnigeren Tagen in die Arme segeln. Das finstere Herz schreit nach Zuversicht und findet sie.
1 Kommentar
Super Stimme