laut.de-Biographie
Asian Dub Foundation
Der Name lässt schon durchklingen: Diese Formation bezieht Sounds und Inspiration aus den unterschiedlichsten Quellen. Als verbindendes Element dienen dubbige Basslines, darum herum rankt sich allerdings allerlei aus verschiedenen Ecken der Welt. Sitar-Klänge finden Platz neben Gitarren, Jungle, Ragga, Breakbeat, Drum'n'Bass, Rap und einer ordentlichen Portion Punk-Vibe.
Die Keimzelle der Bewegung bildet ein Workshop, den Musiklehrer und Bassist Dr. Das mit Unterstützung des Sozialarbeiters DJ Pandit im Jahr 1993 im Londoner East End abhält. Zusammen mit einem der Teilnehmer, dem zu diesem Zeitpunkt gerade 15-jährigen Rapper Deeder Zaman, heben sie ein Soundsystem aus der Taufe, die Asian Dub Foundation, kurz ADF.
Wie es sich für ein soziales Projekt gehört, nimmt Politik in den Texten von Beginn an großen Raum ein. Ihren ersten Gig spielen sie bei einer Benefiz-Veranstaltung für Quaddas Ali. Er wurde Opfer eines rassistischen Gewaltakts und brauchte dringend Geld für seine medizinische Behandlung. Über die Jahre thematisieren ADF Rassismus, Ungerechtigkeit, die europäische Abschottungspolitik oder den Irakkrieg.
ADF agieren ein Jahr lang als Trio und nehmen in dieser Zeit ihre Debüt-EP "Conscious" auf. Wenig später erweitern Gitarrist und Programmierer Steve 'Chandra Sonic' Savale und Knöpfchendreher und DJ Sanjay 'Sun-J' Tailor das Line-Up. Mit dieser Mannschaft werkeln ADF an ihrem ersten Longplayer, der 1995 unter dem Titel "Facts And Fiction" erscheint.
Packende Grooves verschmelzen mit hervorragendem Songwriting und politischen Texten zu einer Melange, die es bislang so noch nicht zu hören gab. Anders als viele Musiker im Weltmusik-Genre, beziehen diese Herren hier den orientalische Einfluss nicht aus einem musikalischen Selbstbedienungsladen, sondern er ist unmittelbarer Teil des Backgrounds der Musiker: "You're multicultural, but we're anti racist", heißt es im Track "Jericho".
In Großbritannien geht das Album trotzdem weitgehend unter, der Fokus liegt wohl einfach zu stark auf dem Britpop. Auf dem europäischen Festland dagegen sind ADF um Einiges erfolgreicher. Speziell in Frankreich steigt das Musiker-Kollektiv von einem angesagten Insider-Tipp zum Hallen-füllenden Act auf. Nach der Produktion eines Soundtracks für die Antirassismus-CD des Institute of Race Relations macht sich die Foundation ans zweite Album. Das erscheint unter dem Titel "R.A.F.I." 1997, zunächst jedoch lediglich in Frankreich.
Während sich der Release in Deutschland immer wieder verschiebt, tüten ADF einen Deal mit London Records ein und touren ausgiebig zusammen mit Primal Scream. 1998 steht dann - upps! - eine völlig neue Version der Scheibe in den Läden: "Rafi's Revenge" klingt um einiges krachiger, Punk- und Reggae-lastiger und um melodische Parts beraubt.
Ihre politischen Statements haben allerdings nichts an Unmissverständlichkeit eingebüßt. Nach wie vor nennen ADF Ross und Reiter beim Namen: Rassisten, Globaliserer und scheinheilige Politiker bekommen ihr Fett weg. Das Album öffnet ihnen einige Türen. Bis nach Japan und sogar zu Workshops nach Neuseeland führen die Reisen. Im Land ihrer treuesten Anhängerschaft, Frankreich, füllen ADF mittlerweile 10.000er-Hallen, als Support der Beastie Boys touren sie zum ersten Mal durch die Vereinigten Staaten.
Die eher zufällig entstandene Band hat sich etabliert und reist kreuz und quer durch die Welt. Nicht nur, um Konzerte zu geben, sondern auch, um mit Musikern aus aller Herren Ländern in Kontakt zu treten und musikalische Ideen auszutauschen. Die Erfahrungen fließen in das im März 2000 erscheinende "Community Music" ein, mit dem sie im Anschluss Rage Against The Machine supporten.
Auf der Tour zu "Community Music" ist mit Rocky Singh zum ersten Mal ein Schlagzeuger zu hören, der die Beat-Konserven mit konventionellen Mitteln aufpäppelt. Silvester 2000 nimmt Gründungsmitglied Deeder Zaman seinen Hut, um zum einen seine Solo-Ambitionen zu verfolgen und sich zum anderen als Bürgerrechts-Aktivist zu betätigen.
An seiner Stelle stoßen die MCs Aktarv8tr und Spex zur Foundation. Für die Aufnahmen zu "Enemy Of The Enemy" verpflichten ADF zudem On-U-Legende Adrian Sherwood als Produzenten. Das Album klingt punkiger denn je und lässt kaum mehr etwas von den melodiösen Grooves der Anfangstage erkennen. Gastauftritte stammen von Radioheads Ed O'Brien, Sinead O'Connor und On-U Sänger Ghetto Priest.
Im Jahr 2001 stoßen ADF zudem ein Projekt an, das sie noch Jahre später auf die Bühnen bringen sollen: Zum Spielfilm "La Haine" führen sie live einen alternativen Score auf. Was eigentlich als einmalige Sache im Rahmen eines Gigs geplant war, findet - auf Einladung von David Bowie - seine erste Wiederholung bei der 2002er-Ausgabe des Meltdown Festivals. Zehn Jahre später touren ADF damit noch immer.
Was andere als große Ehre betrachten würden, ringt Pandit G ebenfalls 2002 allenfalls ein "Danke, aber: nö!" ab. Er lehnt den Most Excellent Order of the British Empire für seine Verdienste um die britische Musikindustrie mit dieser Begründung ab:
"Ich finde das einfach nicht angemessen. Ich habe dieses Würdenträger-System nie unterstützt. Wenn ihr Projekte wie Community Music würdigen wollt, die Arbeit, die diese Organisationen leisten, dann finanziert sie. Es ergibt keinem Sinn, einer Einzelperson einen Orden umzuhängen, um sie ins Establishment aufzunehmen, das hilft diesen Organisationen rein gar nichts. Wenn man wirklich würdigen will, was solche Organisationen leisten, dann muss man sie bei der Finanzierung priorisieren, damit sie wachsen und expandieren können und ihre Arbeit machen: neue Musik kreieren, Leuten die Möglichkeit geben, Musik zu machen, neue Musiker*innen aufzubauen und ihnen Wege ebnen, damit sie sich selbst in der Musikindustrie etablieren können."
Zu alter Stärke finden ADF im Februar 2005 zurück. "Tank" vereint wieder ihre besten Seiten. 2006 verkündet Mitbegründer Dr. Das, ADF verlassen zu wollen, um wieder als Lehrer zu arbeiten und eigene Musik zu produzieren. An seiner Stelle kommt Ex-Swami-Bassist Martin Savale alias Babu Stormz in die Band. Im September des gleichen Jahres feiert die Dub-Punk-Oper "Gaddafi: A Living Myth" in London Premiere. Die Musik dazu steuern ADF bei.
2007 entwickelt sich zum Jahr der Rückblicke und Rückkehrer: Zunächst rekapituliert die Best-Of-Compilation "Time Freeze" die Bandgeschichte bis hierhin. Dafür ziehen ADF nicht nur einen Gastauftritt von Chuck D aus dem Hut, sondern es greift auch der frühere MC Deeder Zaman wieder zum Mikrofon. Mit zwei neuen Sängern nehmen sie ab August 2007 die Arbeiten am nächsten Studio-Album "Punkara" in Angriff: Neben dem Ex-King Prawn-Frontmann Al Rumjen ist auch der zwischenzeitlich ausgestiegene Aktarv8tr wieder im Boot.
"Punkara" erscheint im Frühjahr 2008, der nächste Streich folgt gleich ein Jahr später: Das als "A New London Eye" angekündigte Album heißt dann allerdings "A History Of Now".
Ausstiege bei ADF scheinen immer nur eine Phase zu sein, irgendwann kommen sie, so scheint es zumindest, alle zurück. 2012 steht die Combo immer noch mit ihrer Version des "La Haine"-Soundtracks auf den Bühnen und vertont mit "THX 1138" gleich den nächsten Film (den ersten abendfüllenden Streifen eines gewissen George Lucas), und plötzlich ist Bandgründer Dr. Das wieder mit von der Partie. Auch Ghetto Priest scheint es in den Reihen der Formation so gut gefallen zu haben, dass er sich erneut die Ehre gibt.
"The Signal And The Noise" erscheint, warum auch immer, nur in Japan. Bis es als "More Signal More Noise" auch anderswo zu haben ist, ziehen drei Jahre ins Land. Inzwischen trommelt der ehemalige Prodigy-Drummer Brian Fairbairn bei der Asian Dub Foundation.
"Access Denied" soll das nächste Album heißen, das ADF im Juni 2017 in Aussicht stellen. Fans, die sich darauf freuen, brauchen jedoch einen sehr langen Atem: 2019 ist von dem Werk noch immer nichts zu sehen. Die Combo allerdings agiert nicht im Verborgenen, sondern positioniert sich als Unterstützer von Klimaschutz-Organisationen und den Aktivist*innen von Extinction Rebellion.
"Stealing The Future" heißt passend dazu das erste Häppchen aus "Access Denied", das es im April 2020 endlich zu hören gibt. Das zugehörige Album birgt unter anderem Features von Ana Tijoux und Dub FX.
Mehrere Dekaden nach ihrer Gründung steht der Name Asian Dub Foundation noch immer für explizite politische Aussagen, eingewoben in eine Melange aus den unterschiedlichsten musikalischen Einflüssen. Dafür, dass all das zusammenhält, sorgt ungebrochen der allgegenwärtige dubbige Bass.
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