Porträt

laut.de-Biographie

Mike Patton

"Mike Patton is many things to many people" / "Patton always sounds like himself" - zwei Sätze aus der Biografie des Musikers auf der Seite seines Labels Ipecac Recordings, die man im Hinterkopf behalten sollte. Der Kalifornier ist auf den großen Rockbühnen und in der Avantgardemusik gleichermaßen zuhause. Das musikalisch Außergewöhnliche dürfte ein steter Antrieb seiner Arbeit sein. Auch als Bühnenfigur zieht er alle Register, ob vor großem oder kleinem Publikum. Da reckt der Faith No More-Frontmann auf deutschsprachigen Bühnen im Affekt schon mal den Arm zu Adolfs Gruß. Nur, um beim nächsten Projekt als General Patton, dem berühmten US-Militär, der im zweiten Weltkrieg Hitlers Truppen bekämpfte, zu firmieren.

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Mike Patton gilt als einer der talentiertesten Sänger der Alternative/Metal-Szene, besonders hervorgehoben wird der große Tonumfang seiner Stimme. Platten hat er oft vor den eigentlichen Studiosessions bereits fertig im Kopf.

Der Name eines seiner zahlreichen Projekte, Maldoror, ein Duo mit dem Japaner Masami Akita, bezieht sich beispielsweise auf den französischen Vorläufer des Surrealismus, Comte de Lautréamont. Die Songtitel des von ihm produzierten Norwegers Kaada (2004) rühren aus der französischen Romantik. Zum Soloalbum "Pranzo Oltranzista" inspiriert ihn ein italienisches Futuristen-Kochbuch. Beim Zweitling seiner Rockband Tomahawk, "Mit Gas", horchen Deutsche auf. Patton und seine Bandkumpels denken an Sprudelwasser.

Die im Rockbiz unorthodoxe Art spiegelt auch seine Karriere wider. Als Sänger einer der berühmtesten Alternative Rock/Crossover-Bands löst er Faith No More auf der Höhe des Erfolgs auf und kümmert sich fortan u andere Vorlieben. Der American way of life mal andersrum. Eine oder zwei Bands alleine reichen offensichtlich nicht aus, um sich künstlerisch zu verwirklichen. Patton ist hier, um Musik zu produzieren. Manchmal geht sie leicht ins Ohr, dann wieder nicht, so der lapidare Kommentar.

Geboren am 27. Januar 1968 im kalifornischen Eureka gründet Michael Allan Patton 1985 mit High School-Kumpels Mr. Bungle. Die Band, die offiziell nie aufgelöst wird, kommt zu lokalen Ruhm, auch aufgrund des '95er Killeralbums "Disco Volante"). Als Faith No More in der Stadt weilen, drückt ihnen der Sänger ein Demo in die Hand. Gitarrist Jim Martin ist hellauf begeistert, 1988 engagieren ihn die Bay Area-Jungs, die zu dem Zeitpunkt ein Sängerproblem plagt. Patton stellt gleich klar, dass er Mr. Bungle nicht verlassen will. Bereits mit dem ersten gemeinsamen Album "The Real Thing" (1989) beginnt der weltweite Aufstieg (seit einem der ersten FNM-Konzerte ist Pattons rechte Hand nach einem Stageunfall taub, gleichwohl er sie benutzen kann). Er bricht sein Englisch-Studium an der Humboldt State University endgültig ab, und Mr. Bungle erhalten im Zuge seines Ruhms 1991 einen Warner-Deal.

1994 heiratet er eine italienische Künstlerin. Die Ehe hält bis 2001, in dieser Zeit pendelt Patton zwischen Bologna und San Francisco und lernt italienisch - der Grund, warum Bezüge zur italienischen Kultur immer mal wieder in seinem Werk auftauchen. Die künstlerische Selbstverwirklichung bleibt ein roter Faden in Pattons Karriere, ob kontemplative Elektronik, Pop und Beats oder kompromisslose Thrash-Attacken.

Tetema - Necroscape
Tetema Necroscape
Nur für mental stabile Mike Patton-Fans geeignet.
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Mit einem seiner Vorbilder, dem experimentierfreudigen Konzept-Jazz-Rocker John Zorn tritt er z.B. seit Beginn der 90er kontinuierlich auf. Mit dem New Yorker nimmt Patton auch zahlreiche Platten auf - als Duo bzw. in verschiedenen Projektkonstellationen wie Moonchild Trio, Weird Little Boy oder Hemophiliac.

Die Zahl der Releases, internationalen Kollabos und Projekte wird langsam immer unübersichtlicher. 1996 veröffentlicht er mit "Adult Themes For Voice" eine Soloplatte, die nur auf Voice-Effekten beruht. "Pranzo Oltranzista" folgt ein Jahr später und featured Instrumentalisten aus Zorns Umfeld.

1999 gründet Patton nach dem Ende von FNM gemeinsam mit Greg Werckman, dem früheren Alternative Tentacles-Manager, das eigene Label Ipecac Recodings - bei nicht wenigen der gesignten Acts ist er involviert. Die veröffentlichte Musik ist durchaus einzigartig. Kommerz, Mainstream, Underground - derlei Begriffe spielen im Ipecac-Universum keine große Rolle. Auch stilistisch ist man kaum festgelegt. Das Debüt einer seiner bekanntesten Bands abseits von FNM, der unberechenbare Metal-Fusion-Vierer Fantômas, wird der erste Ipecac-Release. 1999 erscheint das dritte Mr. Bungle-Album bei Warner ("California"). 2001 gründet Patton mit Jesus Lizard-Gitarrist Duane Denison und Helmet-Drummer John Stanier die Alternative-Rockband Tomahawk und hebt mit Dan The Automator das Elektronik-Pop-Projekt Lovage aus der Taufe. Auf das Debüt seines zweiten Projekts mit Dan, Peeping Tom (mit Kid Koala und Jennifer Charles), muss die Fangemeinde aber bis 2006 warten.

Auch abseits der Rockbühnen ist Patton aktiv: Er komponiert Soundtracks (etwa 2013 für den Ryan Gosling-Streifen "The Place Beyond The Pines" oder 2018 Stephan Kings "1922"), arbeitet als Sprecher für Videogames und als Schauspieler (u.a. im wilden Undergroundmovie "Firecracker" oder" Amnesia"). 2007 steuert er die Geräusche der Kreaturen für Will Smiths "I Am Legend" bei. Sein Organ hat im Laufe der Jahre eine erstaunliche Entwicklung durchgemacht: FNMs Abschieds-Platte "Album Of The Year" präsentiert ihn 1997 mit voll ausgeprägter Stimme. Die Palette reicht von nahezu operntauglichen Passagen bis zu stimmschädlichem Gebrüll. In die unterschiedlichen Projekte steckt er aber dasselbe Herzblut: ob Welterfolg oder abseits der öffentlichen Wahrnehmung.

Ungezählt bleiben seine Gastauftritte und Veröffentlichungen, z.B. mit Björk, Handsome Boy Modeling School, Sparks, dem Ipecac-Signing Melvins, The Dillinger Escape Plan, Sepultura oder The Kronos Quartet. Hinzu kommen Avantgarde-Events, die extra für einen oder mehrere Live-Gigs aus dem Boden gestampft werden (Moonraker, u.a. mit Buckethead oder House Of Disciples, u.a. mit Bob Ostertag). Patton beteiligt sich auch an Tributes für Burt Bacharach, Serge Gainsbourg, Marc Bolan oder Black Flag. Nebenbei steht er einer New Orleans-Kapelle namens Flat Earth Society vor und schreibt Soundtracks .

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Im Januar 2005 veröffentlicht Patton mit den Turntable-Artists X-Ecutioners ein Album, im April folgt die vierte Fantômas-Platte "Suspended Animation". Im Jahr zuvor verkauft sich deren Album "Delìrium Còrdia" bereits unerwartet gut und steigt in die Billboard-Charts ein: Kontinuierliche Arbeit zahlt sich am Ende eben aus. Patton tourt zudem mit dem The Roots-Beatboxer Rahzel durch Europa. Im Oktober 2005 führen Fantômas beim Vibration Walls-Festival, einem U-/E-Musik-Crossover-Event, Pattons Komposition "Metal And Orchestra" in Stuttgart auf.

2009 passiert worauf nicht wenige seit elf Jahren warten: Faith No More kehren im Line-Up von 1998 zurück - vorerst nur auf die Bühne. Diese betritt Mike 2010 gleich mit einem ganzen Orchester, um eine Hommage an italienische Popsongs der 50er und 60er Jahre abzuliefern ("Mondo Cane"). 2013 steht er wiederum oft mit Tomahawk auf der Bühne, es gilt "Oddfellows" live zu promoten. Dann schlägt erneut die Stunde FNMs: Für April 2015 kündigen die Recken tatsächlich das neue Studioalbum "Sol Invictus" an. Im selben Jahr erblicken die ersten Songs eines Projekts das Licht der Welt, mit dem Patton schon Jahre schwanger geht: Mit Tunde Adepimbe und Adam 'Doseone' Drucker gründet er die Nevermen. Das gleichnamige Debüt erscheint Anfang 2016.

2017 debütiert er mit einer weiteren Combo im Metal/Hardcore-Bereich: Dead Cross folgt sogleich. Und so fragt man stets: Auf wen könnte das Label 'Workaholic' besser zutreffen als auf den Mann aus der Bay Area? Im Herbst 2019 erscheint via Ipecac Recordings "Corpse Flower", Ergebnis einer Kollaboration mit dem französischen Komponisten Jean-Claude Vannier, der in den 1970er Jahren unter anderem für seine Arbeit als Arrangeur von Serge Gainsbourgs "Histoire De Melody Nelson" bekannt wird.

Auf der Platte ist zudem eine ganze Reihe von Musikern aus Los Angeles und Paris zu hören. Aus L.A. sind Smokey Hormel (Beck, Johnny Cash), Justin Meldal-Johnsen (Beck, Air, Nine Inch Nails) und James Gadson (Beck, Jamie Lidell) beteiligt. Aus Pariser Sicht sind Denys Lable, Bernard Paganotti (Magma), Daniel Ciampolini, Didier Malherbe, Léonard Le Cloarec und das Bécon Palace String Ensemble vertreten. Der erste Track auf "Corpse Flower" heißt "Ballad C.3.3.". Der Text dazu ist inspiriert von Oscar Wildes "Die Ballade vom Zuchthaus zu Reading".

2020 kehren auch Tetema wieder auf die Bildfläche zurück, eine jener Bands, die das breite Publikum eher verstören, denn umgarnen: "Necroscape" stellt nach "Geocidal" (2014) die zweite Veröffentlichung Pattons mit dem australischen Avantgarde-Musiker Anthony Pateras, dem Experimental-Drummer Will Guthrie sowie dem Violinisten Erkka Veltheim dar.

Parallel der Veröffentlichung schlägt Corona zu - im wahrsten Sinne des Wortes, wie sich herausstellen wird: Patton nimmt die erzwungene Auszeit erst mal als willkommene Abwechslung, um zuhause in Ruhe arbeiten zu können, kommt aber, anders als gedacht, mit der Isolation auf Dauer überhaupt nicht zurecht. Im Herbst 2021 cancelt er aufgrund schwerer mentaler Probleme quasi von heut auf morgen Touren mit Faith No More sowie Mr. Bungle und begibt sich in Therapie.

Die Diagnose: Agoraphobie, wie er erst zehn Monate später in einem Interview mit dem US-Rolling Stone offenbart. Er befinde sich mittlerweile auf dem Weg der Besserung, sein Selbstvertrauen sei aber noch nicht wieder zu 100 Prozent hergestellt. Die Rückkehr auf die Bühne plant Patton dennoch bereits: mit Mr. Bungle im Dezember 2022 in Südamerika.

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Tetema - Necroscape: Album-Cover
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2020 Necroscape

Kritik von Eberhard Dobler

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Live 2003 Mit Tomahawk live in der Kantine Köln 2003

Mit Tomahawk live in der Kantine Köln 2003, Live 2003 | © LAUT AG (Fotograf: Martin Mengele) Mit Tomahawk live in der Kantine Köln 2003, Live 2003 | © LAUT AG (Fotograf: Martin Mengele) Mit Tomahawk live in der Kantine Köln 2003, Live 2003 | © LAUT AG (Fotograf: Martin Mengele) Mit Tomahawk live in der Kantine Köln 2003, Live 2003 | © LAUT AG (Fotograf: Martin Mengele)

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