2. November 2016
"Man soll meine Texte gar nicht verstehen"
Interview geführt von Manuel BergerInspiriert von Hayao Miyazakis "Prinzessin Mononoke" machen Alcest auf ihrem aktuellen Album wieder das, wofür jemand den schönen Schubladenbegriff Blackgaze erfunden hat: Dreampop meets Black Metal. Schuld an der im Vergleich zum Vorgänger "Shelter" etwas düstereren Atmosphäre sind neben stilistischer Gründe teils auch die Pariser Terrorattacken. Bandkopf Stéphane "Neige" Paut wohnt nur wenige Meter vom Ort des Geschehens entfernt. Während der laufenden Europatournee trafen wir ihn zu einem kurzen Gespräch.
Kodama ist doch am besten live zu genießen: Wenn Neige seinen Traumfänger umhängt und gemeinsam mit Drummer Winterhalter, Gitarrist Zero und Basser Indria Geschenke aus der Zwischenwelt teilt, kann wohl selbst der härteste Kuttenträger ein wenig Seelengebaumel nicht widerstehen. Das heute in München anwesende Publikum freut sich außerdem über Besuch aus fernöstlichen Landen: Der japanische Einfluss der neuen Platte schlägt sich nämlich im Tourpackage nieder: Gemeinsam mit Alcest unterwegs sind die Tokioter Post Rocker Mono.
Hi, Neige. Ihr habt ihr ja einiges vor euch: Non-stop Tour bis Dezember, kein einziger Day-Off ...
Ja, das machen wir zum ersten Mal. Ich hoffe, es geht gut – besonders mit der Stimme. Mit Screaming so lang durchzuhalten, wird nicht einfach.
Hast du Strategien?
Ja, du musst viel schlafen, viel Wasser trinken, darfst nicht jeden Tag Party machen. Ab und zu geht schon, aber halt nicht durchgehend. Du musst mit dem Rauchen aufhören, Sport treiben. Ich hab' zwei Wochen vor der Tour für mich allein angefangen zu trainieren. Du musst auf dich aufpassen, sonst ist es gar nicht möglich, solch einen langen Run durchzuhalten.
Meinst du, du weißt am Ende noch, in welcher Stadt du dich gerade befindest?
Jaaa, ich glaube schon.
Ist es eigentlich Zufall, dass ihr mit einer japanischen Band – Mono – tourt oder war das Absicht, nachdem euer neues Album "Kodama" japanische Einflüsse aufweist?
Das war Absicht. Wir haben mit dem Booking begonnen, als wir bereits wussten, dass das Album etwas japanisch beeinflusst sein wird und dachten uns, es wäre cool, eine japanische Band mit dabei zu haben. Wir haben Mono getroffen, als wir in Tokio gespielt haben und sagten damals schon, es wäre nett mal gemeinsam zu touren. Da wir dieselbe Booking-Agentur haben, war es letztendlich recht einfach, das in die Wege zu leiten.
Beeinflusst dich das eigentlich auch beim Schreiben – der Kontakt mit anderen Bands, aus anderen Kulturen?
Ich bin nicht sicher. Naja, die Japan-Touren haben mich schon beeinflusst und die japanische Kultur. Ich mag Japan einfach sehr. Aber es ist ja kein Konzeptalbum über Japan, nur etwas davon inspiriert.
Wie sieht es generell mit asiatischer Musik aus? Interessiert dich das?
Ja, ein bisschen. Aber ich kenne nicht allzu viel. Was ich sehr mag, sind die Soundtracks, zum Beispiel die der Miyazaki-Filme. Joe Hisaishi heißt der Kerl, der sie komponiert hat. Die finde ich großartig. Und ich mag natürlich Mono. Ein paar andere Bands, etwa Envy. Aber ich glaube, es ist nicht einfach für asiatische Bands, in Europa bekannt zu werden.
Das stimmt. Vor ein paar Wochen habe ich Wang Wen entdeckt – ich glaube abgesehen davon kenne ich kaum eine chinesische Band.
Die kenne ich gar nicht. Aber ja, genau. Gute Freunde von uns sind Vampillia aus Japan. Dort sind wir zweimal mit ihnen getourt, aber in Europa ist es viel schwieriger für sie. Ich hoffe, wir können sie mal mitnehmen.
Kommen wir mal direkt auf "Kodama" zu sprechen. Du screamst wieder, der Metal ist zurück bei Alcest. Fühlte es sich für dich auch wie eine Rückkehr an oder ist es doch eher ein Fortschritt?
Naja, das Ding, zu dem wir zurückgekommen sind, ist unser Sound. Wir sind zu dem zurückgekommen, was den Alcest-Sound ausmachte. Musik voller Kontraste. Du hast sehr ruhige Momente, aber genauso heavy Momente. Aber ich finde, "Kodama" unterscheidet sich klanglich doch ziemlich von unseren ersten Alben. Es ist eine ganz andere Reise. Ich glaube, mit jeder Alcest-Platte macht man eine eigene Reise durch. Das erste Album bringt dich nicht an denselben Ort wie das zweite. Ich empfinde sehr visuell, wenn ich Musik komponiere. Deshalb sind auch die Cover-Artworks immer sehr wichtig. Sie veranschaulichen gewissermaßen den Ort, wohin dich die Musik bringen soll. In der Hinsicht unterscheidet sich eben auch "Kodama". Es ist wild, es ist etwas dunkler. Es ist zwar heavy und ich screame und all das, aber es hat auch diesen obskuren Post Rock-Sound: sehr roh, sehr einfach – es klingt nicht wie ein Metalalbum, eher wie heavy Mogwai oder sowas in der Art.
Ja, ich glaube, wenn du es einem Metalhead vorspielst, würde er das nicht als Metal bezeichnen. Umgekehrt jemand, der normalerweise keinen Metal hört, aber vermutlich schon. Es steht so dazwischen.
Ja, genau. Im Metal hast du manchmal Bands, die nicht besonders melodisch sind und sich vor allem auf die Energie fokussieren. Für uns ist es super-wichtig einprägsame Melodien zu komponieren. Etwas, das du – so blöd das klingt – unter Dusche singen kannst. Jedes Riff muss in deinem Gedächtnis hängen bleiben.
"Es gibt keinen Hass in unserer Musik"
Da du vorhin schon das Artwork erwähnt hast: Kommt die Idee dazu immer von dir?
Ich arbeite dafür immer mit anderen Leuten zusammen, aber verfolge und kontrolliere den Prozess. Für "Kodama" waren die französischen Designer Førtifem verantwortlich. Wir wollten japanischen Stil, aber eben auch den Alcest-Touch. Also sind wir zum alten Logo zurückgekommen. Durch das Wasser und die weiblichen Figur darauf erinnert es dazu ein bisschen an das "Écailles De Lunes"-Cover. Wobei "Kodama" ein bisschen gruseliger ist – so wie der Tod da rumschwimmt. Das hat glaube ich auch etwas mit meinem damaligen Gemütszustand zu tun. Das Paris-Ding ... Es ist direkt hinter meiner Wohnung passiert. Das war schon ziemlich entsetzlich. In Deutschland hattet ihr vor Kurzem ja auch was Ähnliches.
Darauf wollte ich später ohnehin noch zu sprechen kommen – und damit zusammenhängend die Trennung von Musik und Politik. In deiner Vita existiert ja die ehemalige Mitgliedschaft bei Peste Noir, einer Band die immer wieder durch rechtes Gedankengut aufgefallen ist. Ich will dir bestimmt keinen Rassismus unterstellen, aber mich würde interessieren, wie und ob du in dieser Hinsicht Musik und Gesinnung trennst.
Ja, natürlich. Ich glaube, ich mag keine Band, die über politische Dinge spricht – egal, ob rechts- oder linksorientiert. Das interessiert mich nicht so sehr. Ich meine: klar verfolge ich das, aber ich habe kein besonders großes Wissen, was Politik angeht und ich will mir nicht anmaßen zu sagen, dass ich zu dieser oder jener Partei gehöre. Es gibt in vielen Parteien Dinge, die mir gefallen, aber in keiner für sich allein. Alcest war dementsprechend niemals politisch. Aber nach den Paris-Attacken hat man schon gemerkt, dass einige Leute, die sich über ihre politische Orientierung nicht ganz im Klaren waren, sich vielleicht eher der rechten Seite zugewandt haben.
Zu Peste Noir: Mich wundert es ehrlich gesagt, dass ich das nicht öfter gefragt werde. Die Leute sehen aber wohl, dass Alcest mit sowas nichts zu tun hat. Es gibt keinen Hass in dieser Musik, keine politische Message. Es ist Musik außerhalb unserer weltlicher Grenzen, außerhalb unserer Realität und kann deshalb auch nicht über etwas so "Bodenständiges" wie Politik sprechen. Ich war sehr jung, als ich bei Peste Noir spielte und mich hat nur die Musik gekümmert. Es ist Teil meiner Geschichte, aber ich weiß nicht, ob ich es nochmal tun würde, wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte.
Hast du noch Kontakt zu ihnen?
Nein.
Das Paradebeispiel in der Hinsicht ist ja auch immer Burzum, die zum Beispiel auch bei Wikipedia als einer deiner Einflüsse gelistet sind. Hörst du die Musik?
Ja, sicher. Aber trotzdem denke ich, dass der Typ ein Wichser ist.
Also trennst du das.
Ja. Die Musik ist verdammt gut, der Typ total wahnsinnig.
"Es ist langweilig immer dasselbe zu tun"
Okay, dann kommen wir jetzt wieder zur Musik und "Kodama" zurück. Es gibt auf dem Album ja zwei Songs ohne Lyrics, mit Vocalimprovisation. Hast du stattdessen etwas anderes im Kopf, wenn du an den Lines arbeitest?
Nein, das ist nämlich genau der Punkt: nichts dabei im Kopf zu haben. Du kannst Klänge erzeugen, indem du einfach irgendwas singst. Für mich ist das die instinktivste Art zu singen. Ich kann mir gewissermaßen einen Satz bauen, der zwar keiner echten Sprache entstammt, aber für mich die perfekte Verbindung zur Musik aufbaut. Weißt du, was ich meine? Manchmal hast du einen Text, der einfach nicht gut zur Musik passt. Und auf diese Weise kann ich Wörter bilden, die so passen, wie ich das möchte. Das ist cool. Und ich mache das ja auch schon länger. Jedes Album hat das. Beim ersten Album zum Beispiel "Les Iris". Viele Leute fragen mich dann immer, wie der Text geht, weil sie denken, es gibt einen.
Ja, ging mir genauso, als ich die Songs zum ersten Mal gehört habe. Ich spreche kein Französisch, verstehe den Rest also auch nicht, deswegen wäre mir das gar nicht aufgefallen.
Manche dachten auch, es wäre vielleicht Japanisch, haha. Es wurde irgendwie zum Trademark. Aber auch wenn ich auf Französisch singe, versuche ich, nicht zu artikulieren, weil ich gar nicht will, dass die Leute es verstehen. Wenn sie es verstehen wollen, müssen sie die Lyrics lesen. Also mach dir keine Sorgen: Auch Franzosen verstehen kein Wort von dem, was ich singe. (lacht)
Für dich ist also wichtig, zunächst die Musik für sich sprechen zu lassen.
Ganz genau. Wenn du es auf die nächste Ebene bringen und verstehen willst, reicht Hören nicht. Da sind nur die Melodien. Du musst tiefer gehen und dir die Lyrics ansehen.
Wie läuft bei dir eigentlich das Songwriting ab? Ich finde, manchmal haftet dem ganzen eine gewisse Jam-Atmosphäre an, aber nichtsdestotrotz ist es auch viel Struktur.
Ich würde sagen, es ist zu hundert Prozent durchstrukturiert. Quasi jede Note ist geschrieben. Komponieren tue ich zuhause in meinem Schlafzimmer. Ich habe kein Equipment, keinen Computer, bloß einen kleinen Cube-Amp und ein paar Pedale, kein Studio oder so. Dann schreibe ich haufenweise Riffs, behalte aber wirklich nur sehr, sehr wenige davon. Ich versuche, sehr selektiv vorzugehen. Deswegen sind die Alben auch so kurz – komprimiert. Weißt du, ich komme von klassischer Musik und mag es einfach, wenn die Sachen geschrieben sind, feststehen.
Schreibst du also auch in Noten?
Nein, das nicht. Ich nehme mich auf dem Handy auf. Ziemlich Hobo-Style. (lacht)
Welche Musik hörst du denn gerade so? Bei "Shelter" hattest du Slowdive als großen Einfluss erwähnt, kürzlich konnte man dich mit Grimes-Shirt auf Instagram bewundern.
Vieles. Aber ja, ich bin riesiger Grimes-Fan. Sie ist so talentiert, so großartig, sehr extravagant. Sie ist frei, weißt du? Frei zu tun, was immer sie will. Es ist toll, eine solche Person in unserer Welt zu sehen. Jemand, der noch in der Lage ist, Leute träumen zu lassen.
Und sie ist unglaublich populär – auch im Mainstream.
Sie ist riesig! Ich folge ihr seit "Visions". Damals war sie noch eher Underground. Dann entdeckten sie Pitchfork und Co. und sie kam groß raus. Das neue Album ist nicht mehr ganz so gut, finde ich, ein bisschen zu Mainstream, aber ich mag es immer noch. Und abgesehen davon mag ich zum Beispiel Cocteau Twins, Dead Can Dance, New Wave à la Depeche Mode, Joy Division, ein paar Metalbands, zum Beispiel Darkthrone ...
Die haben ja auch gerade ein neues Album draußen.
Ja, die Single hab ich gehört. Fand ich ziemlich cool. Geht wieder zurück zum Black Metal.
Du bist selbst ja mit einer Menge Projekte abseits von Alcest verbunden. Ist dahingehend momentan auch was Neues in Planung oder bist du aktuell mit Alcest voll ausgelastet?
Ich bin sehr beschäftigt mit Alcest. Aber ich werde auf dem neuen Heretoir-Album singen.
Die kenne ich gar nicht.
Oh doch, die kennst du! Das ist ein Kerl aus München. Den musst du kennen. Wart mal. (zieht sein Telefon raus und buchstabiert es) Derselbe Stil wie Alcest. Du hast noch nie von ihm gehört? Er kommt auch heute Abend zum Konzert. Naja, jedenfalls werde ich auf seinem Album singen. Und ich werde auch auf dem nächsten Sylvaine-Album wieder Schlagzeug spielen (Neige trommelte zuvor bereits auf dem diesjährig erschienen "Wistful" für Sylvaine; A.d.R.). Das war es dann erstmal – neben Alcest.
Diese anderen Projekte sind ja in der Regel musikalisch recht ähnlich zu Alcest.
Ich würde total gerne auch mal ganz anderes Zeug machen!
Genau danach wollte ich fragen, ja.
Ich würde liebend gerne irgendwas in Richtung Electronic Pop oder so machen. Aber die Leute, die mich kennen, sind halt normalerweise in der Metalszene unterwegs.
Schreibst du selbst andere Musik?
Nein, das nicht. Aber als Gastmusiker würde wirklich sehr gerne mal etwas in einem anderen Genre machen. Einfach etwas, das sich komplett von dem Gewohnten – Black Metal, Post Black Metal, Shoegaze – unterscheidet. Auf Dauer wird es langweilig, immer dasselbe zu tun.
Du machst das jetzt auch schon knapp zwanzig Jahre – aufgerundet.
Ja, ganz so alt bin ich noch nicht, haha. Seit 2000, also sechzehn Jahre. Angefangen hab' ich mit 14, 15.
Alcest steht ja eigentlich immer in Verbindung mit Philosophie, Spiritualität... Was machst du eigentlich, wenn du gerade nicht über Leben, Tod und Jenseits nachdenkst oder Musik machst?
Ziemlich normale, blöde Dinge. Ich gehe mit meiner Freundin ins Restaurant, gucke mir Filme und Ausstellungen an. Ich geh' gern spazieren. Dafür ist Paris ein ganz guter Standort. Wobei ich die Natur vermisse. Echten Grünraum zu finden, ist in Paris echt schwierig. Wir haben Parks, aber die sind ein bisschen beschissen.
Ist eben trotzdem noch in der Stadt.
Ja, es ist halt ein Park und einfach nicht dasselbe. Die Verbindung zur Natur vermisse ich momentan wirklich sehr. Und zum Thema Spiritualität: Das ist ein Teil von mir, dem ich nicht immer verbunden bin. Irgendwie ist es immer in mir, jeden Tag – ein Teil existiert getrennt von der Realität... Ich weiß nicht, wie ich das am besten ausdrücken soll ... Es ist, als würde ich mit einem Fuß hier und mit einem an einem anderen Ort stehen. Manchmal habe ich wirklich tiefe spirituelle Momente, die mich auch sehr dazu inspirieren, Musik zu machen. Aber wie die Zeit vergeht, wird es bisweilen auch schwer, diese Verbindung zu den wirklich tiefen Dingen in dir zu halten. Du bist gestresst vom Leben, der Arbeit ... Es ist wichtig, diese Beziehung aufrechtzuerhalten, glaube ich.
1 Kommentar mit einer Antwort
Die zu erwartenden ausweichenden und relativierenden Ausreden.
Was möchtest du denn gerne von ihm hören?