6. Juli 2006
"Ich nehme Drogen, bis ich sterbe!"
Interview geführt von Michael SchuhIm Juni 2006 spielte Andre "The Black Godfather" Williams eines seiner raren Konzerte in Deutschland. Der Mann, der Mitte der 50er erstmals die Detroiter Musikszene aufwirbelte, ist heute 69 Jahre alt und auf der Bühne noch immer ein wildes Tier ohne Angst vor obszönen Lyrics.
Samstag Nachmittag in der Münchner Monofaktur: Während seine holländische Backingband noch mit dem Soundcheck beschäftigt ist, sitzt Andre Williams etwas abseits des Treibens auf einem Lautsprecher, hört aber ganz genau hin, um an manchen Stellen aufzuspringen und sein Missfallen auszudrücken. Seine Sitzposition wirkt mit einem verschränkten Bein unter seinem Hintern für einen 69-Jährigen extrem lässig, und auch fürs Aufspringen braucht das drahtige Männchen kaum mehr als zwei Sekunden.
In diesem Moment kann man sich sehr gut vorstellen, wie Williams wohl Mitte der 50er Jahre seine Labelbosse genervt haben muss, bis diese seine mit entweder sexuellen oder völlig sinnentleerten Texten versehenen Doo Wop- und R'n'B-Songs ("Sweet Little Pussycat", "Bacon Fat") endlich veröffentlichten. Ohne ihn je kennen gelernt zu haben, preist Keith Richards die Williams-Nummer "Jail Bait" von 1957 bis heute als einen seiner absoluten Lieblingssongs.
Wie der Gitarrist der Rolling Stones blickt auch Williams auf eine facettenreiche Karriere im Musikbusiness zurück, die sogar länger andauert als die des Palmenkletterers. Im Gegensatz zu Richards schien das Rampenlicht allerdings nur etwa 15 Jahre lang auf den geborenen Südstaatler. Erst Mitte der 90er Jahre beendete Jon Spencer Williams' Gossendasein, schleifte ihn ins Tonstudio und verhalf dem "Legendary Lord Of Lascivious Lyrics" so zu einem späten Comeback mit einer Schaufel Dirty Kick Ass-Rock'n'Roll.
"Ja, Jon Spencer hat mir das Leben gerettet", bestätigt der alte Mann kurz darauf im Interview. Nach Rücksprache mit seinem Manager, der gleichzeitig auch der Tour-Keyboarder ist, folge ich Williams in die Garderobe des Münchner Clubs, auf dessen Weg es sich der Alte nicht nehmen lässt, das sehr junge weibliche Personal des Clubs mit übertrieben anzüglichen Komplimenten zu bedenken. Spätestens jetzt ist klar: Andre Williams ist tatsächlich der "bad motherfucker", als den er sich in seinen Songs immer bezeichnet. Er trägt einen roten Baumwollpullover mit weißen Schulterstreifen, und die Tatsache, dass er genau jenen auch auf den Promofotos zu seinem neuen Album trägt, lässt erste Rückschlüsse auf seine finanzielle Situation schließen.
"Ich war ein Drogenabhängiger und lebte in der Gosse, als Jon mich fand. Ohne ihn hätte ich es nicht mehr da raus geschafft. Ich bin einfach nur dankbar." Williams sitzt ruhig in einem Sessel und hat sichtlich Spaß daran, dass er ein Interview führen darf. Er spricht sehr langsam und schmatzt dabei teilweise recht seltsam, was insgesamt nicht den Eindruck eines einwandfreien Gesundheitszustandes vermittelt.
"Im Bus sind Alkohol und Drogen verboten. Aber nur im Bus."
Auch Mick Collins von den Detroiter Dirtbombs gebührt sein Dank: "Er produzierte in den 90ern mein erstes Album für das In The Red-Label. Ich war damals mit Margaret von den Demolition Doll Rods zusammen, einer sehr jungen und hübschen Frau. Sie empfahl mir auch Jon. Und schließlich traf ich ihn dann, diesen ... diesen Wahnsinnstypen mit einem Herzen, so groß wie .... wie der Arsch einer deutschen Frau." Andre Williams liebt solche Witze, auch wenn er nicht selbst über sie lacht, sondern lieber die Reaktionen der Umstehenden beobachtet. "Ich hätte nie erwartet, dass daraus mehr werden würde, als nur Supportshows. Doch nachdem er mich mit auf Tour genommen hatte, war ich plötzlich wieder jemand. Seither versuche ich, mit beiden Beinen auf dem Boden zu bleiben und Ärsche zu kicken."
Andre lebt mittlerweile nicht mehr in Queens, sondern in Joliet/Illinois, bekannt für sein großes Staatsgefängnis. Alle bösen Buben aus Chicago schickt man dort hin. "Mein Schlafzimmerfenster geht genau zum Gefängnis raus", meint Williams plötzlich mit ernster Miene, um gleich lachend nachzulegen: "So weiß ich jederzeit, worauf ich gefasst sein muss." Sein Alter sei kein Problem bei all dem Stress mit Plattenaufnehmen und Tourneen, beschwichtigt er. Nur ohne seinen Bacardi fühle er sich manchmal als müder Senior. "Die Fahrt von Bern hierher war die Hölle, denn wir hatten keinen Bacardi. Wegen den vielen Grenzen hier erlaube ich weder Drogen noch Alkohol im Bus. Sonst kommt nur wieder einer daher, der mit mir Stress anfangen will. Aber wenn ich mal raus bin aus dem Bus, ist es Zeit, die Bacardi-Flaschen und Beine zu öffnen. Ich zahle für alle Höschen, musst du wissen, und außerdem ... ich weiß nicht, ob ich das sagen darf", Williams blickt kurz seinen gerade eingetretenen Manager an, "manchmal darf es auch die eine oder andere Line sein."
Die eine oder andere Line. Die schnupfte der Showman vor allem zusammen mit Ike Turner, als er für Albumaufnahmen mit dem Ex-Ehemann der immer noch berühmten Tina einst seine Erfolgsreviere Chicago und Detroit verließ, um nach Kalifornien zu reisen und dort eine zwölf Monate währende Dauerparty feierte, bei der es der Anstand verlangte, Kokain aus Salatschüsseln zu sich zu nehmen. Das ist 36 Jahre her. Doch Williams zeigt weder Reue noch Schuldgefühle: "Ich bereue höchstens, dass mir Motown heute nicht gehört, denn ich habe diesen verdammten Laden mit groß gemacht. Ich mochte Ike Turner nicht, aber ich respektierte ihn. Genauso wenig mochte ich Berry Gordy (Boss von Motown), aber auch den respektierte ich. Die zwei Ikonen meines Lebens. Berry war ein so humorloser wie fantastischer Produzent. Er wusste genau, was nötig war, damit die Masse abgeht. Es fällt mir schwer, das zu sagen, aber ich habe ihn nie gemocht. Und naja, er hat mich ja auch achtmal gefeuert."
"Ich mochte Gordy nicht"; diesen Satz wiederholt Williams dreimal, als fürchte er, ich könne es vielleicht überhören oder beim späteren Abtippen gar weglassen. Für Gordy schrieb und produzierte Williams ab Anfang der 60er Jahre zahlreiche Hits, darunter das weltbekannte "Mustang Sally". Reich wurde er trotzdem nicht. Im für die damalige Zeit typischen Haifischbecken der Musikindustrie zählten für Williams wie für alle Künstler der 60er vor allem die Schecks, die man in den Händen hielt. War eine Nummer erst mal aus den Charts verschwunden, verdienten nur noch die Manager und Labelbosse daran. "Ja, meine Hits gehören heute anderen. Aber das ist schon okay, ich hätte eh kein Interesse daran, Steuern zu zahlen. Weißt du, Geld interessiert mich nicht. Hauptsache, ich kriege meine Miete zusammen", grinst Andre, dem heute nach wie vor nichts wichtiger ist, als für seine Zuschauer eine anständige Show hinzulegen. "Hey, ich bin fast 70 Jahre alt, könnte ich glücklicher sein?" Es genügt ihm völlig, mit seinen letzten fünf Rock'n'Roll-Platten und vereinzelten Shows Geld zu verdienen.
"Ich nehme Drogen, bis ich sterbe!"
"Neulich meinte ich zu meinem Manager Skip, es sei doch immer wieder aufs Neue verwirrend, auf der Bühne wie ein Superstar abgefeiert zu werden. Darauf meinte er: Stell dich nicht an, du bist ein Superstar. Na schön, aber das will ich gar nicht sein. Er behauptet, ich verdiene es. Wie auch immer, das Wichtigste ist, dass ich wach bin, wenn es Zeit für Showtime ist." Solche Sorgen hatte Williams Anfang der 60er Jahre nicht.
Er war als vergnügungssüchtiger Lebemann, Womanizer und Trunkenbold in der Szene bekannt, trug auf der Bühne ausschließlich elegante, lavendelfarbene Anzüge und blitzblank polierte Lederschuhe. Die Frauen liebten ihn. Und Andre liebte die Frauen. Das Jahrzehnt der 60er war gut zu ihm, sein '65er Song "Cadillac Jack" auf Chess Records in Chicago ist bis heute sein größter Stolz. "Leonard Chess glaubte an mich. Ich kam gerade aus Houston/Texas und hatte mehrere Sachen am Laufen. Dann brachte ich 'Cadillac Jack' an. Das war ein elementarer Wendepunkt meiner Karriere." Williams wirkt nicht nostalgisch, wenn er das erzählt. Sein Erinnerungsvermögen scheint seinem Sprachzentrum allerdings immer einen kleinen Schritt voraus zu sein.
Wie Keith Richards hat auch er den hoch verehrten Johnny Cash nie getroffen. Aber auch Cash ist immer in seinem Herzen. "Ich wurde geboren, Johnny Cash zu lieben und zu respektieren", setzt Williams an. "Er ist wirklich der Größte von allen, der 'Man In Black'. Jeder zweite Herzschlag von mir gehört Johnny Cash. Ich hatte einige Male die Möglichkeit, ihn live zu sehen, aber ich wollte es nicht. Er sollte der unantastbare Gott bleiben, der er für mich war."
Im Gegensatz zu Cash könne er sich nicht vorstellen, im hohen Alter mit jungen Künstlern zu arbeiten, die seine Musik verehren, beispielsweise aus dem Hip Hop-Bereich. Auch wenn sich das für den "Father Of Rap" sicher ganz gut auszahlen würde. Doch André will sich nicht verstellen: "Ich will Hip Hop jetzt keinesfalls runtermachen. Meine Enkel stehen auch auf den Sound. Aber für mich ist es zu schnell, da sind zu viele Worte auszusprechen. Mein Style ist es eher, Worte häufig zu wiederholen, während Hip Hop-Acts von heute eine richtig lange Story in einen Song packen. Hip Hop ist wie Rock'n'Roll im Jahr 1957, als man heute Vinyl presste und es morgen auslieferte. Es ist der Sound der Zeit. Aber für mich ist es zu schnell." Meinen Einwand, er könne die Texte doch im Studio ablesen, lässt er nicht gelten. "Ich bin keiner, der Sachen vom Monitor abliest, und Befehle hasse ich sowieso. Seit ich Alabama und die Jobs bei Burger King und McDonalds verlassen habe, nehme ich keine Befehle mehr entgegen."
Zum Schluss möchte man dann aber doch wissen, ob er den alten Partykollegen Ike Turner nach dem zwölfmonatigen Drogendesaster 1970 jemals wieder gesehen hat. "Hab ich. Die Katze lebt noch und es geht ihr erstaunlich gut. Ike hat ein tolles Haus, einen Mercedes, und er nimmt keine Drogen mehr. Vor rund sieben Monaten habe ich ihn in San Marco in Kalifornien besucht. Er saß am Computer und gab mir ein paar Songs, für die ich Texte schreiben sollte. Ich schrieb die Texte, er gab mir ein paar hundert Dollar, setzte mich in den Flieger und schon war ich wieder daheim." Scheinbar hat Turner also wirklich den Absprung geschafft.
Ob es vor allem an der Drogenabstinenz liegt? "Ich denke nicht, Drogen können dich zwar töten, aber auch am Leben erhalten", findet Williams. "Ich nehme seit 40 Jahren Drogen, und schau mich an, ich bin immer noch hier. Ich würde gerne behaupten, dass ich es nicht der Abhängigkeit wegen genommen habe, sondern um Stress abzubauen. Na ja. Eigentlich rede ich nicht gerne über das Thema, denn man wird leicht missverstanden. Wer nie Drogen genommen hat, sollte jedenfalls auch keine Vorträge halten. Wenn du keine Drogen nehmen willst, dann lass es, Mann. Wenn du keine Pussies magst, auch kein Problem. Wenn du Arschlöcher toll findest, dann lade sie zu dir nach Hause ein. Aber arbeite für dein Vergnügen, you know? Wenn du auf Kokain stehst, dann such dir einen Job und kauf dir ein Gramm."
Williams redet sich nun so richtig in Rage: "Man muss sich alles selbst verdienen. Das ist der Leitspruch meines Lebens. Ich weiß genau, dass ich Drogen nehmen werde, bis ich sterbe. Aber ich werde sicher nicht in der Öffentlichkeit damit hausieren gehen oder Leuten auf der Tasche liegen. Ich habe nicht das Gefühl, dass ich ein Gesetz breche, und ich bin auch nicht der Meinung, dass es illegal bleiben sollte, aber ich kanns eh nicht ändern." Sagts und bekommt von seinem Manager den Hinweis, dass das Buffet nun bereit stehe. "Ich muss jetzt dringend etwas essen", grinst er mich an, "ich habe heute Abend einen Auftritt."
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