13. November 2018

"Bei Trauer gibt es kein Richtig oder Falsch"

Interview geführt von

Gute zwei Jahre sind seit dem Erscheinen von "All Our Gods Have Abandoned Us" vergangen und damit auch seit dem Tod von Tom Searle, Gitarrist und Hauptsongwriter. Sam Carter erzählt vom Aufarbeitungsprozess mit "Holy Hell".

"Holy Hell" sei sein bis dato liebstes Architects-Album, erklärt Sam Carter am Rande unseres Interviews. Keine ungewöhnlichen Worte von einem Künstler, der sein neuestes Werk promotet. Allerdings gibt der Sänger auch zu: "Zum Start der Sessions hätte es mir davor gegraut, so etwas zu sagen. Denn Tom ist mein liebster Songwriter. Zu behaupten, wir hätten etwas besseres geschaffen als er, wäre verrückt gewesen."

Der Krebstod des damals 28-jährigen Gitarristen Tom Searle, Bruder von Drummer Dan, traf Architects 2016 hart, auch wenn er sich wegen der schweren Krankheit abgezeichnet hatte. Doch es bedeutete nicht das Ende für die britischen Metalcore-Reformer. Relativ schnell rafften sie sich wieder auf und spielten im Jahr darauf die größten Shows ihrer bisherigen Karriere, die nun auch Maßstab sind für eine ausgedehnte Europa-Tour 2019. Mit "Holy Hell" dürfte die Popularität der Band weiter steigen.

Wie schon beim Vorgänger "All Our Gods Have Abandoned Us" bedient ihr euch für "Holy Hell" religiösen Wordings...

Sam Carter: Ach ja, das ist eigentlich keine große Sache. "All Our Gods Have Abandoned Us" war einfach ein ziemlich morbider Titel und "Holy Hell" ist es irgendwie auch. Es ist ein markanter Titel. Denn wie viel schlimmer kann es uns zu diesem Zeitpunkt erwischen? Wir sprechen auf dem Album harten Stoff an, Trauer ist schmerzhaft und "Holy Hell" fängt das ein. Nach dem Motto: "Puh, holy hell, absolut schonungslos."

Es dauerte eine Weile, bis ihr bereit wart, in den Medien über Toms Tod zu sprechen. Wann und warum habt ihr euch letztlich dazu entschieden, das Thema öffentlich zu verhandeln?

Ja, wir schwiegen lange. Trauer ist merkwürdig, du weißt einige Wochen nicht einmal selbst, wie du dich fühlst. Wir brauchten Zeit, um uns zu sammeln, und warteten, bis es sich richtig für uns anfühlte, damit an die Leute zu gehen. Er hätte wahrscheinlich auch nicht gewollt, dass wir kurz nach seinem Tod sofort dauernd darüber sprechen. Erst kürzlich stellte sich dann das Bewusstsein ein, dass wir es auf gewisse Weise auch den Leuten schulden, die ebenfalls jemanden in so jungen Jahren verloren haben oder ganz allgemein jemanden verloren haben. Trauer wird selten thematisiert. Du lernst darüber nichts in der Schule, niemand bereitet dich in der Jugend darauf vor. Man kann sich sehr einsam fühlen, wenn niemand um dich herum versteht, was du durchmachst. Ich war 27 als es passierte. Es kommt der Punkt, an dem du akzeptieren musst, dass es verdammt wehtut und du vielleicht niemals vollständig darüber hinwegkommen wirst. Aber uns ist wichtig, das zu kommunizieren, um anderen zu zeigen, dass sie in ihrer Situation nicht alleine sind. Ich sehe bei unseren Shows Leute, die für Tom weinen, weil er ihnen viel bedeutet hat. Aber in der Menge sind auch welche, die ihren eigenen Verlust betrauern. Als wir uns stark genug fühlten, darüber zu sprechen, wollten wir das auch tun. Bevor wir damit in Interviews rausgingen, thematisierten Dan und ich es täglich auf der Bühne. Es ist wichtig, die Message hinauszutragen, dass man damit klarkommt, wenn man sich durchkämpft.

Also empfindet ihr als Band mit gewisser Reichweite eine Verantwortung, das Thema in der Öffentlichkeit anzusprechen?

Inzwischen ja. Inzwischen empfinde ich Verantwortung den Leuten gegenüber, die vielleicht von unserer Geschichte lernen können. Vielleicht können sie etwas Positives daraus mitnehmen und erkennen, dass es nicht für immer so schlimm ist wie zu Beginn. Es wird lange Zeit schlimm sein. Aber mit Hilfe schaffst du es da durch.

Wie habt ihr das Songwriting ohne Tom gestemmt? "Holy Hell" ist euer erstes Album, an dem er bis auf vereinzelte Passagen nicht als Komponist mitgewirkt hat.

Es war echt hart. Wir wussten erst nicht, wie genau wir weitermachen sollten. Zwei Wochen nach seiner ersten gemeinsam mit uns absolvierten Tour sandte Josh (Middleton – Tom Searles Nachfolger; Anm. d. Red.) Dan einige Songs. Dan arrangierte sie, um sie in Architects-Form zu bringen. So hatte er auch mit Tom gearbeitet. Dort knüpften wir an. Wir nahmen ein paar Demos auf, es fühlte sich gut an. Dan nahm sich dann auch Material an, das Tom schon vorbereitet hatte, und bastelte ganze Songs daraus: das Riff von "Doomsday" ist ein Beispiel dafür. Und in "A Wasted Hymn" hörst man tatsächlich ihn Gitarre spielen, wenn es am Ende zum Break geht. Das ist ein toller Moment – gerade vor dem Hintergrund, dass so im Grunde das gesamte Album auf diese Passage zuläuft. Letztlich war es eine Frage harter Arbeit. Wir mussten herausfinden, ob wir eine Platte hinbekommen würden, die mit denen, die Tom geschrieben hatte, mithalten kann. Wir sind sehr stolz auf das Ergebnis und glücklich damit. Ich denke, es steht auf einem Level mit den Werken, die wir gemeinsam mit ihm geschaffen haben.

Josh war also bereits ins Songwriting involviert?

Ja, massiv! Der Großteil des Albums stammt von ihm. Er schickte sein Material an Dan und der gestaltete es dann Architects-mäßiger. Das ist vor allem eine Sache der Struktur. Wir wissen wie ein Architects-Song aufgebaut sein muss, sie funktionieren recht anders als ein Stück von Sylosis (Joshs Hauptband, Anm. d. Red.). Aber er Josh ist einfach ein grandioser Riffschreiber und wahnsinnig talentiert. Wir haben echt Glück, ihn in der Band zu haben. Und es ist super, jetzt ein Album zu haben, auf dem wir alle vertreten sind: Tom ist zu hören und eben auch Josh als neues Mitglied. Josh spielte ja auch schon einen Haufen Shows mit uns als Tom noch am Leben war und er für ihn einsprang. Tom wird immer ein Teil von Architects bleiben, aber jetzt haben wir eben auch Josh.

Dan wollte das Album als metaphorische Reise von "fuck life" zu "life is okay" gestalten. Ist es das letztlich geworden?

Ja! Eine der letzten Zeilen des Albums lautet: "All is not lost." Das ist eine sehr wichtige Zeile. Über das Album hinweg erlebst du ein breites Spektrum an Emotionen, wie beim Trauern eben auch. Du fühlst dich nie einfach nur scheiße, sondern dein Kopf steht dir mal da und mal dort. Manchmal fühlst du dich sogar gut. Manchmal machst du dich genau dafür fertig und fragst dich: "Warum empfinde ich Glück? Das sollte nicht sein." Und zack sitzt du wieder im Trauerloch. Am einen Tag kannst du total motiviert sein, willst Dinge verändern, zum Besseren wenden, und am nächsten Morgen wachst du im Elend auf. Bei Trauer gibt es kein Richtig oder Falsch. Das Album bildet den gesamten Prozess ab, dessen Essenz im Grunde ist: Du kannst nicht davor weglaufen. Das wurde mir selbst erst in den vergangenen drei Monaten so richtig bewusst, als ich begonnen habe, Hilfe in Anspruch zu nehmen, um die Sache mit Tom zu verarbeiten. Lange versuchte ich, davonzulaufen und mich zu verstecken. Ich hatte Angst, darüber zu sprechen, steckte in einer Blase voller Ärger und ließ mich durch all das runterziehen. Wenn ich mich auf eines festlegen müsste, was das Album sein soll, dann wäre es die Lehre, dass alles wieder in Ordnung sein kann. Du musst nur deine Hand ausstrecken. Psychologische Beratung in Anspruch zu nehmen, darüber zu reden, ehrlich zu sein, ist gesund. "Holy Hell" ist sehr ehrlich. Wir stellen unsere Gefühle in den Vordergrund, um die Verwundbarkeit zu zeigen, die man einfach zeigen muss, wenn man so etwas durchmacht. Es endet mit der Aussage "Alles wird gut" und das ist echt wichtig für das Album. Andernfalls wäre es echt heavy. Wir mussten das ganze Emotionsspektrum abbilden, damit man nach dem Hören nicht denkt, alles wäre verloren. Ich bin froh, dass es auf einer positiven Note endet.

Kannst du genauer darauf eingehen, welche Hilfe du in Anspruch genommen hast?

Wir haben echt Glück in Brighton. Dort gibt es eine Einrichtung namens The Rock Clinic, wo man sich um so ziemlich jeden kümmert. Sich für psychologische Betreuung zu entscheiden, scheitert teilweise ja auch am Finanziellen. Dort gibt es verschiedene Abteilungen, zum Beispiel Nachwuchskräfte ihre Dienste zu einem sehr niedrigen Preis an, und natürlich gibt es auch Professionelle zu höheren Raten. Und es gibt zwei Stellen in der Stadt, wo du hingehen kannst. Ich war dort schonmal vor einigen Jahren, habe aber aufgehört, als das mit Tom passierte. Es war wichtig, wieder damit anzufangen. Es kam eine Menge Zeug ans Licht, von dem ich gar nicht wusste, dass es mich so beschäftigt. Es kann helfen, sich einem im Grunde völlig Fremden zu öffnen. Wenn du mit der Familie – was unsere Band quasi ist – trauerst und innerhalb des vertrauten Kreises nach Trost suchst, wenn es dir schlecht geht, kann es passieren, dass es deiner Go-To-Person gerade gut geht und du sie deswegen nicht mit deinen Problemen runterziehen möchtest. Aber es ist vor allem auch Dan zu verdanken, dass ich mich dazu durchgerungen habe, mich wieder in Therapie zu begeben. Dieser Prozess dauert an, er ist sicher noch nicht abgeschlossen. Das beste, was der Berater zu mir sagte war: "Du kommst in einen Raum, wo totales Durcheinander herrscht und du hast keine Ahnung, wo sich etwas befindet. Du findest nichts und gerätst deshalb in Panik." Zur psychologischen Beratung zu gehen entspricht gewissermaßen dem Aufräumen eines Bücherregals. Sie hilft, Dinge zu ordnen, auch solche, die wehtun. Denn so trifft dich nicht unerwartet eine schlimme Erinnerung, während du versuchst, eine gute zu finden. Das hilft. Ich denke, dass wirklich jeder davon profitieren kann, mit jemandem über sein Leben zu sprechen. Es ist schön, sich zu öffnen und verwundbar zu sein. Aber besonders wenn du Verlust erlebst ist es eben wirklich wichtig.

Dan wurde kürzlich Vater. Das war so bald nach dem Verlust seines Bruders sicher ein Lichtblick oder?

Es ist so großartig! Sie ist so süß, die kleine Zephie. Und Dan und seine Frau Emily sind so starke, tolle Menschen. Nach Toms Tod waren sie die stärksten von uns und halfen der Band durch einiges hindurch. Unsere Freundschaft vertiefte sich währenddessen noch. Dass sie jetzt diesen verblüffenden kleinen Ball aus Liebe haben, den sie geschaffen haben, ist fantastisch. Dir geht das Herz auf, wenn du Dan mit Zephie siehst. Das ist das Licht aus der Dunkelheit, wenn aus der Finsternis etwas so Schlimmem ein solcher Sonnenstrahl heraus scheint – in ihr Leben, aber auch in unseres. Sie ist ein gesundes Baby, wunderschön und wird bald ein kleiner Rocker. Wir nehmen sie mit auf Tour. Ich bin sicher, sie wird uns im Tourbus des Öfteren aufwecken. (lacht) Wir freuen uns echt wahnsinnig für Dan. Wenn jemand das verdient, dann er.

"Alles auf diesem Album hat mit Tom zu tun"

Auf den vorangegangenen Alben habt ihr euch textlich viel mit Umweltthemen und Sozialkritik beschäftigt. Spielten aktuelle gesellschaftliche und politische Entwicklungen auch für „Holy Hell“ eine Rolle oder wurde diesmal alles von Toms Scheiden überschattet?

Alles auf diesem Album hat mit Tom zu tun. Wir blicken bei "Holy Hell" mehr nach innen als nach außen. Was passiert ist, prägte in den vergangenen zwei Jahren unsere Leben. Wir beschäftigen uns mit mit dem, was wir von ihm gelernt haben und mit der Traurigkeit über den Verlust. Aber ich denke, trotzdem schwingt in Untertönen auch Traurigkeit über den Status der Welt mit. Weißt du, du kannst auch nicht jedesmal über dieselben Themen sprechen. Die Songs von "All Our Gods Have Abandoned Us" und "Lost Forever // Lost Together" existieren weiterhin. Wenn wir jetzt über etwas anderes schreiben, bedeutet das nicht, dass wir uns nicht mehr um die Welt scheren. Wir sprechen darüber immer noch jeden Abend auf der Bühne, wir marschieren weiterhin bei Demonstrationen mit, die uns richtig erscheinen, und wir werden weiter protestieren. Einige Songs auf "Holy Hell" neigen sich auch in diese Richtung, aber es war wichtig, bei diesem Album den Fokus auf Tom zu legen und diese Angelegenheit zu thematisieren.

Zum Singlerelease von "Hereafter" habt ihr auch direkt die Lyrics zum Song veröffentlicht. Warum ist es dir so wichtig, dass die Leute ihnen auch wirklich Aufmerksamkeit schenken?

Ich will nicht wie meine Mama klingen, aber der Hauptgrund dafür ist wohl tatsächlich, dass für Leute mit antrainiertem Ohr das Meiste einfach nur nach Geschrei klingt. (lacht) Es steckt viel Tiefe in den Texten und Dan ist durch die Hölle gegangen, um sie perfekt hinzukriegen. Ich finde es wichtig, dass die Leute die Verletzlichkeit wahrnehmen, die er in den Lyrics zeigt. Viel davon geht durch mein Shouting einfach verloren. Die Leute sollen sie als das Kunstwerk sehen, das sie sind.

Du hast mal zu Protokoll gegeben, dass Musik als Eskapismus für dich sehr wichtig ist. Wie geht das für dich zusammen, wenn du gleichzeitig in deiner Musik sehr reale, sozialkritische Themen behandelst?

Man hat bestimmte Bands für bestimmte Stimmungen, glaube ich. Seit sechs Monaten habe ich eine neue Freundin und befinde mich gerade noch in der Phase, in der ich einfach alles an ihr liebe und total glücklich bin. Die Musik dazu sind frühe Beatles! Aber andere Perioden deines Lebens sind sehr traurig. Dafür gibts Beatles-Platten, die dich zu Tränen rühren. Andere Alben hörst du vornehmlich im Fitnessstudio. Musik ist für mich wie ein bester Freund, mit dem du einfach immer sprechen kannst. Hast du Musik, bist du nicht allein. Je nachdem wie du dich fühlst, legst du auf. Musik funktioniert auch fantastisch als Tagebuch. Einige Alben hörst du vielleicht drei Jahre lang nicht mehr und gräbst du sie dann wieder aus, bringen sie lauter Erinnerungen zurück. Das ist so kraftvoll! Ich hoffe, auch unsere Musik kann Menschen in dieser Hinsicht helfen. Vielleicht helfen sie ihnen beim Trauern, vielleicht im Fitnessstudio oder auf der letzten Meile beim Laufen oder einfach nur, um die Langeweile beim Gassigehen mit dem Hund zu bekämpfen. (lacht) Was auch immer unsere Musik auslösen mag – wenn sie eine Emotion bei jemandem hervorrufen kann, ist das so cool! Ich bilde mir ein, dass wir nicht bloß eine durchschnittliche Metalband sind, sondern eine Menge Emotion in unsere Musik stecken und das auch durchkommt.

Schon in den ersten dreißig Sekunden des Albums passiert wahnsinnig viel: Es gibt Electronics, Streicher, dann kickt schon der Refrain mit seinem Alternative-Vibe rein. In anderen Songs arbeitet ihr viel mit mehrstimmigem Gesang. Gab es bestimmte Einflüsse, an denen ihr euch dabei orientiert habt oder kommt das mittlerweile in erster Linie aus euch selbst?

Wir haben schon immer Orchester geliebt. Aber bisher hatten wir nie genug Kohle, ein richtiges Orchester anzuheuern. Entweder es kam über MIDI oder wir haben es in die USA geschickt und dort von Leuten aufnehmen lassen. Diesmal konnten wir tatsächlich mit dem Orchester in einem Raum sein. Wir saßen da und sahen ihnen beim Recording zu. Als wir wussten, dass das passieren würde, fingen wir an, genau dafür Parts zu schreiben. Dan arbeitete wahnsinnig hart daran, die Partituren fertigzubekommen.

Er hat die Streicher auch arrangiert?

Ja, hat er. Ich sage dir, Mann: In einem Raum zu sein mit einem Orchester, das deine Songs spielt, ist ein verrücktes Gefühl. Davon ausgehend, baute sich alles weitere auf. Mit elektronischen Elementen haben wir schon ab und an geflirtet, aber diesmal wollten wir es sehr stark einbringen. Einen Song mit Orchester zu beginnen, dann diese dermaßen dicken Electronics draufzumachen, aber trotzdem noch mich als mich reinzusetzen, verleiht der Band eine ganz neue, coole Ebene. Gesanglich höre ich schon, was auf anderen Alben passiert. Zuerst achte ich beim Hören zwar immer auf den Drumsound. Ich habe lange Schlagzeug gespielt und es ist nach wie vor mein erster Anlaufpunkt. Mit einem guten Drumsound kriegst du mich. Aber dann achte sofort auf die Vocals, interessiere mich für die Harmonien, welche Stimmeffekte verwendet wurden, wie alles zusammenhängt. Bei "Holy Hell" hatten wir keinen Zeitdruck. Wir konnten ausufern so viel wir wollten. Ich bin sicher, es gibt einiges an aufgenommenem Material, an das ich mich gar nicht mehr erinnere. Wir wollten alles so massiv und magisch wie möglich klingen lassen. Mit Kopfhörern ist dieses Album ein wahrer Genuss.

Offensichtliche Frage: Würdest du gern mal mit Orchester live auftreten?

Liebend, liebend gern! Ich schaute mir unsere guten Freunde Bring Me The Horizon in der Royal Albert Hall an, als sie dort mit Orchester gespielt haben. Das war eins der coolsten Dinge, die ich jemals gesehen habe. Es klang so klasse. Irgendwie passen klassische Musik und Heavy Music total gut zusammen. Eines Tages würde ich das sehr gern selbst machen.

"Es gibt sicher Black Metal-Fans, die Architects mögen"

Ihr wurdet einst mit derselben Welle hochgespült wie Parkway Drive, mit denen ihr auch viel getourt seid. Auch sie haben ihren Sound über die Jahre deutlich vorangetrieben. Erkennst du Parallelen zwischen ihrer und eurer Entwicklung?

Sie haben glaube ich einen größeren stilistischen Sprung hingelegt als wir. Und das ist cool. Ich liebe die Jungs und wenn man sich ihre Shows anguckt, ergibt das alles total Sinn. Die Platten klingen unfassbar geil. Wir selbst möchten immer nach Architects klingen. Wir wissen, worin wir gut sind. Wir wollen nicht zu sehr das ändern, worin wir gut sind. (lacht) Aber wir wollen stetig neue Elemente zu unseren bestehenden Stärken addieren. Das hält es sowohl für uns als auch unsere Fans interessant. Wir schulden den Fans alles und werden sicher nicht plötzlich ein Akustikalbum aufnehmen, auch wenn das einige von uns vielleicht unbedingt möchten.

Wer denn?

Nee, ich weiß nicht, ob das wirklich jemand im Sinn hat. (lacht) Es würde auch einfach nicht funktionieren. Architects bedeuten vielen Menschen etwas und natürlich auch uns und möchten nicht zu "seltsam" werden. Dennoch wollen wir uns selbst als Musiker herausfordern und antreiben und Neues hinzufügen. Ein bisschen weird ist okay, solange es nicht zu weird wird.

Inzwischen spielt ihr nahezu dieselben Hallengrößen wie Parkway Drive.

Verrückt, nicht wahr?

Beeinflusst euch die Hallengröße auch beim Songwriting?

Natürlich, denn du möchtest ja Songs schreiben, die sich beim Livespielen gut anfühlen. Du schreibst sie für die Momente, wenn du auf der Bühne stehst, auf die Setlist blickst und es kaum erwarten kannst, diesen Song zu spielen. Wir wollen Riffs schreiben, die das Publikum am Rad drehen lassen, und Refrains, die einen Raum voller Leute dazu bringen, dir deine Lyrics entgegenzuschreien. Es gibt kein vergleichbares Gefühl. Es fühlt sich unfassbar an, wenn die Musik stoppt, du das Mikrofon ins Publikum hältst und Tausende deine Texte singen Wir möchten Alben schaffen, die sich einerseits perfekt für Livesituationen eignen, aber andererseits Menschen auch emotional berühren. Auch das trägt ja letztlich zur Liveshow bei – wenn die Leute, eine besondere Verbindung zu den Songs aufbauen.

Was glaubst du ist nötig, dass klanglich so harte Bands wie ihr und Parkway Drive, dieses Level an Popularität erreichen?

Ich habe keine Ahnung. Ich finde es total seltsam. Vor zwei Jahren spielten wir die Räume, die wir heute selbst spielen, als Supportact für Parkway Drive. Ich versteh es echt nicht, wie es soweit kommen konnte. (lacht) Oder doch, eigentlich verstehe ich es schon, denn ich liebe diese Musik. Ich liebe die gesamte Heavy-Szene. Es ist so großartig zu sehen, wie ein ganzer Raum bei derart harter Musik mitsingt. Vielleicht ist es genau das! Wir haben nie versucht, so groß zu werden, aber wir werden es genießen, solange wir es sind, und die Shows so hardcore wie nur irgend möglich zu gestalten. Jeder im Genre soll den Konzerten etwas abgewinnen können – sei es das Hardcore-Kid, ein Black Metaller oder ein Metalcoreler. Einige Elemente unserer Musik sprechen Leute an, die einfach den generellen Vibe von Metal mögen. Ich bin sicher, da draußen gibt es ein paar Black Metal-Fans, die Architects mögen. Denn ich mag Black Metal. Und die Beatles. (lacht) Es gibt bestimmt auch Leute, die Coldplay und Architects mögen. Und ich bin sicher, dass "Holy Hell" ein bisschen was für jeden Metal-Fan bietet.

Siehst du Architects noch als Metalcore-Band?

Ja, würde ich schon sagen. Oder sagen wir: Metal. Wir sind eine Metalband. Nicht dass eine Metalcore-Band etwas Schlimmes wäre... Zu Zeiten von "Lost Forever // Lost Together" waren wir ganz sicher eine Metalcore-Band. Und es wird immer Elemente von Metalcore in unserer Musik geben. Aber wahrscheinlich trifft es mittlerweile eher die Umschreibung: "Wir sind eine Metalband, beeinflusst von Hardcore-Moral und Hardcore-Vibes." Wir streben außerdem danach, die besten Musiker zu werden, zu denen wir fähig sind, pushen uns selbst und haben unter anderem deswegen mittlerweile Klassik-Elemente im Sound. So weit, uns als Klassik-Band zu bezeichnen, gehe ich natürlich jetzt nicht. (lacht) Ach, es ist komisch. Du kannst uns glaube ich nicht in ein Genre stecken. Deswegen sind wir einfach eine heavy Band. Aber nicht Heavy Metal! (lacht)

Die letzte Frage ist vielleicht etwas weit hergeholt, aber "A Wasted Hymn" brachte mich auf Folgendes: Gibt es Momente, in denen du deine Musik als verschwendet empfindest?

Gerade in der Anfangszeit der Band fragte ich mich schon manchmal, warum manche Songs in den Köpfen der Leute hängen bleiben und andere nicht, obwohl du auch in diese stundenlang, tagelange, monatelang Arbeit investiert hast. Auf "The Here And Now" steht der Track "Year In Year Out". Ich finde, das ist so ein geiler Architects-Song! Greg Puciato von The Dillinger Escape Plan singt mit. Aber weil dieses Album bei den Leuten irgendwie nicht richtig Klick gemacht hat, wird der Song gerne übersehen. Das fällt mir gerade als Beispiel ein. Als junge Band ist es hart. Wenn du all deine Energie in etwas reinsteckst, aber die Leute nicht anerkennen, wie viel Aufwand dahintersteht, kann das echt schmerzhaft sein. Irgendwann wirst du erfolgreich und jeder hört dir zu. Dann war es die dreizehn Jahre Arbeit wert.

Und im besten Fall graben die Leute dann auch in den alten Alben.

Genau! Deshalb sollte man auch immer von sich selbst und den Entscheidungen, die man in jüngeren Jahren traf, beeinflusst bleiben. Als junge Band bist du zu gewissem Grad sorglos. Einige dieser sorglos getroffenen Entscheidungen können sich wirklich auszahlen. Wir dachten nicht groß nach, als wir "Hollow Crown" geschrieben haben. Da war nichts berechnet. Wir waren 19 und wollten ein scheiße hartes Album schreiben, mit dem wir um die Welt touren konnten. Die Leute mögen es noch immer. Danach machst du eine Platte wie "The Here And Now", worüber du mehr nachgedacht hast, und es schlägt fehl. Das haben wir auch beim Machen von "Lost Forever // Lost Together", "All Our Gods Have Abandoned Us" und auch "Holy Hell" gelernt: Es fühlte sich im Bauch richtig an, ein Album in Angriff zu machen, also arbeiteten wir uns den Arsch ab, um es richtig zu machen. Das hat super geklappt. Ich hatte noch nie so viel Vertrauen in ein Album wie in das neue. Ich bin sicher, dass die Leute es mögen werden. Wenn du ein Architects-Fan bist, wirst du es mögen. Und ich hoffe, dass es auch noch ein paar andere Leute erreicht.

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