15. Mai 2025

"Wir treten wirklich überall auf"

Interview geführt von

Hinter dem Duo Avawaves stecken die beiden Künstlerinnen Aisling Brouwer und Anna Phoebe. Sie verbinden klassische Musik mit elektronischem Ambient, sind darüberhinaus auch in der Filmbranche und für Streaming-Anbieter wie Apple+ tätig.

Kurz bevor das Interview beginnt, frage ich Aisling Brouwer nach der Aussprache ihres Vornamens. "Ich bin soo froh, dass das mal jemand fragt. Die meisten sprechen ihn falsch aus! Die korrekte Aussprache ist Ash-ling." Die Musikerin hat sowohl niederländische als auch irische Wurzeln und meldet sich aus einem Zimmer in London. Leider musste ihre Avawaves-Partnerin Anna Phoebe aus familiären Gründen kurzfristig absagen, so dass Aisling unsere Fragen nach weiblicher Stärke, technische Herausforderungen bei Live-Auftritten und Herzoginnen aus dem 18. Jahrhundert beantwortet.

Aisling, ich habe gelesen, dass Anna und du euch auf einem Event getroffen habt und ihr euch sofort sympathisch wart?

Ich habe zu dieser Zeit ja schon als Komponist für Film- und TV-Produktionen der BBC gearbeitet und ein paar Freunde haben mich zu dem
Event in der indischen Botschaft eingeladen. Da würde eine Violinistin auftreten, deren Musik mir bestimmt gefiele. Das hat mein Interesse geweckt und es war auch wirklich großartig. Ich war von Annas Auftritt absolut fasziniert. Die Art wie sie spielt, ihr Bühnen-Auftreten, ihre starke, weibliche Präsenz. So etwas erlebst du einfach nicht jeden Tag und ich hatte auch genau zu diesem Zeitpunkt Lust, wieder mehr mit anderen zusammen zu arbeiten.

Weißt du, Komponieren kann eine einsame Angelegenheit sein, wenn du stundenlang allein in deinem Studio an einem Projekt arbeitest. Ich bin direkt nach dem Auftritt zu ihr hin und habe ihr gesagt, wie beeindruckend ich sie fand und ob wir uns nicht einmal auf einen Kaffee treffen wollen. Das war wirklich so eine Art erstes Date und wir haben ganz schnell gemerkt, dass wir auf vielen Levels Dinge gemeinsam haben. Das Album ist dann einfach auf eine organische Art und Weise passiert. Wir saßen zusammen und haben beschlossen, einfach mal zusammen abzuhängen und zu schauen was herauskommt, wenn ich auf dem Piano und sie auf der Violine spielt. Ich dachte, dass vielleicht am Ende etwas zu meinen Filmsachen passen könnte. Aber aus diesen Sessions entstand dann eine Kollabo und diese Einheit. Unseren ersten Track "Waves" schickten wir an ein paar Leute und ab da nahm das Ganze dann richtig an Fahrt auf.

Mich interessiert die Dynamik zwischen dir und Anna. Es gibt ja einen gewissen Altersunterschied und vielleicht sind auch eure Persönlichkeiten ganz unterschiedlich?

Gute Frage. Ich würde es eher 50:50, also ausgeglichen sehen. Wir haben beide eine starke Persönlichkeit, aber ja, sie ist etwas älter und bereits Mutter. Da kommt allein dadurch schon eine andere Dynamik rein, aber eine ältere Schwester ist sie deshalb auch nicht, weil wir uns auf Augenhöhe begegnen. Ich würde mich vielleicht als der eher introvertierte Part sehen, der sich zwischendurch auch mal gerne ins Studio zurückzieht. Ich mag natürlich die Live-Auftritte sehr, aber ich bin schon ein Mensch, der auf jeden Fall auch mal komplett Ruhe benötigt.

Es kommt ja auch manchmal auf das Umfeld an, in dem man sich bewegt. Wenn du direkt eine Überschneidung in Interessen siehst, kann auch ein introvertierter Mensch plötzlich sehr extrovertiert agieren. Ich bin auch eher jemand, der erstmal die Lage checkt und dann plötzlich einen Laberanfall bekommt, sobald er sich unter Menschen bewegt, die einen ähnlichen Humor oder ähnliche Ansichten haben.

Ja total! Manchmal ist so etwas auch besser, wenn man Unterhaltungen erstmal laufen lässt, aber andererseits hänge ich wirklich oft im Studio rum und bin dann froh, wenn ich mal mit Menschen in Kontakt komme.

Wo du gerade auf die Live-Erfahrung ansprichst: Ich war vor ein paar Tagen auf einem Incubus-Konzert und sie hatten als Support die Künstlerin Lucian Cha dabei. In solchen Mehrzweckhallen ist der Sound schon für Bands nicht so bombastisch, aber Rockbands können natürlich noch etwas rausholen. Benötigen klassische Künstler*innen für Auftritte eigentlich besonderes Sound-Engineering?

Ja, ich habe bei unseren Live-Aufritten auch so eine Art Mini-Studio dabei, das ich für die ganzen elektronischen Sachen benötige. Die Kombination kann mit Annas Violinenspiel manchmal herausfordernd sein. Sie spielt natürlich nicht komplett akustisch, sondern hat auch einen Verstärker, Effekte und Reverb-Pedale. Ihr Set-Up kann mit dem wuchtigen, elektronischen Sound mithalten.

"Jeder soll seinen eigenen Film im Kopf starten"

In der Storyline zu eurem neuen Album "Heartbeat" geht es nach eurer Aussage viel um Selbstbestimmung und Mut. Ich gehe davon aus, dass auch viele persönliche Erfahrungen eine Rolle spielten?

Ja, es geht sehr um uns. Wir haben es deswegen "Heartbeat" genannt, weil es darum geht, sich wieder zu spüren, zu erfahren und sich wieder lebendig zu fühlen. Während unseres zweiten Albums bin ich nach Berlin gezogen und eigentlich sollten das nur ein Jahr werden, aber am Ende wurden es einfach mal sechs Jahre.

Was umgerechnet in Berlin-Jahre ungefähr das Doppelte an Lebenszeit bedeutet ...

Haha, exakt. Die Covid-Zeit war wirklich unfassbar anstrengend, mit den ständig neuen Regelungen, jedes Land hatte ja andere Vorgaben. So sehr ich unser zweites Album auch liebe ("Chrysalis" von 2021, Anm. d. Red.), aber alles drumherum war unfassbar anstrengend und frustrierend. Bei Musik geht es darum, Erfahrungen und Ideen direkt auszutauschen, Synergie zu erzeugen, und all das war während dieser Zeit einfach nicht möglich.

Für "Heartbeat" waren wir endlich wieder gemeinsam in einem Raum und das war befreiend. Nach dem Motto: Oh mein Gott, wir können die Musik wirklich wieder richtig spüren und fühlen! Wir wollten diesmal gar kein Konzept für das Album, sondern einfach schnell loslegen, ohne zu viel nachzudenken. Es kam direkt aus unseren Herzen, "Heartbeat" eben.

Also ist vieles auf "Heartbeat" spontan und improvisiert?

Ja, absolut! Aus einer Session wurde ein stundenlanger Jam. Wir haben erst später überlegt, aus welchen Momenten man eine Idee und einen Track formen sollte. Es sollte sich diesmal nicht perfekt anfühlen. Gerade diese Imperfektion macht uns ja menschlich und diesmal wollten wir davon auch möglichst viel drin lassen.

Es gibt allerdings eine Ausnahme: Der Song "Sleep Tight". Mein Großvater lag damals im Krankenhaus und wir wussten nicht, ob er die Nacht überlebt. Aber als typische, irische Kämpfernatur hat er durchgehalten und ist erst ein Jahr später gestorben. "Sleep Tight" entstand aus einer Art Katharsis heraus und ich hatte den Chorus schon im Kopf. Anna hat dann ein paar Arrangements hinzugefügt.

Puh, ich kann die Schwere dieses Moments nachvollziehen. Meine Mutter ist über 80 und man sieht einfach, wie sehr die Kraft jeden Tag schwindet und so war es bei meinem Vater kurz vor seinem Tod auch. Es ist nicht einfach, so etwas mitzuerleben.

Wir teilen alle diese Erfahrungen und müssen uns daran gewöhnen, aber es ist trotzdem sehr hart. Ich habe "Sleep Tight" auch auf seiner Beerdigung gespielt, das war wirklich close to my heart. Der Song ist dann mit Anna und Imogen nochmal besonders geworden. Ich kann nun mal nicht so gut singen wie Imogen. Mein Gott, sie hat es wirklich so unfassbar schön eingesungen - wir sind dankbar und glücklich mit dem Ergebnis.

Entstand der Song "Escape" auf "Heartbeat" nach dieser Erfahrung? Der Songtitel deutet es ja schon an, aber es klingt für mich auch musikalisch wie eine Befreiung nach einer schweren Zeit.

"Escape" ist auch wieder aus einem Jam entstanden und wir wussten am Anfang noch nicht genau, was wir mit der Idee anfangen sollen. Wir wollten eine hoffnungsvolle Note für das Album und auch einen Song, der Kraft spendet.

Also soll es nicht nur für euch kathartisch sein, sondern der Hörer soll auch an diesem Prozess beteiligt werden?

Auf jeden Fall! Wir sind alle Individuen und haben verschiedene Sichtweisen auf bestimmte Dinge, aber der wirklich spannende Moment kommt, wenn Leute uns ihre Gefühle über einzelne Songs mitteilen.

Bei "Escape" hatte ich sofort diesen Film im Kopf, wie ich in einer bedrückenden Situation eine enge Wohnung verlasse und immer weiter einen Berg hinauf gehe, bis ich oben ankomme und mit Blick auf meine Stadt durchatmen kann. Natürlich im Sonnenschein, haha! Sorry, das ist nun wirklich richtig viel Klischee ...

Hey, daran ist gar nichts falsch. Wenn wir schreiben, arbeiten wir ja auch sehr visuell und haben genau solche Szenarien im Kopf. Wichtig ist dabei: Es löst etwas in dir aus, du fühlst irgendwas und es bringt dich an diesen Ort. Das ist übrigens auch der Grund, warum wir mittlerweile auf Visuals bei unseren Live-Shows verzichten. Wir hatten mal Landschaften oder einen Strand im Hintergrund laufen, aber später kamen die Leute auf uns zu und sagten: Wow, ich hatte bei dem Song komplett andere Bilder als diesen Wald. Wir wollten nicht mehr die Vorstellungskraft der Leute beeinflussen, jeder soll ganz frei seinen eigenen Film im Kopf starten.

"Du machst eben Fehler, aber brauchst dich dafür auch nicht zu schämen."

Ihr schreibt ja auch Songs für Filme und Serien wie "The Buccaneers". Könnt ihr euch da auch einfach frei ausleben und das Kopfkino starten oder gibt es da von Anfang an feste Vorgaben?

Nein, das läuft in der Tat komplett anders. Da gibt es dann Deadlines und einen festen Terminplan. Aber wir finden es auch toll, Teil eines großen Teams zu sein. Es gibt wirklich viele wichtige Puzzleteile, die zum Gelingen einer High-End-TV-Produktion beitragen. Es gibt sogar extra einen Spezialisten, der sich darum kümmert, wie die Farbgebung bei den Wolken im Hintergrund ist oder jemand der genau darauf achtet, dass der Akzent richtig ausgesprochen wird. Es ist komplett faszinierend, wie viele Details da hineinspielen. Wir haben meistens nicht die komplette Verantwortung für die Musik in unseren Händen und für gewöhnlich zeigen sie uns ein Edit und beschreiben uns dann, was für eine Art von Musik sie dafür benötigen.

Sehr häufig geht es darum, eine Stimmung wiederzugeben. Bei "The Buccaneers" war es so, dass die Serienmacher bereits große Fans von Avawaves waren und sie uns unser Ding haben machen lassen. Es ist natürlich trotzdem ein komplett anderer Prozess wie bei einer Albumaufnahme, wo du die absolute Freiheit und Kontrolle über deine Kreativität hast.

Obwohl "Heartbeat" diesmal keine Score-Arbeit ist, klingt es trotzdem sehr cineastisch. Ist es so, dass die Arbeiten für Soundcsores Auswirkungen auf die Alben haben und umgekehrt?

100 Prozent! Vor unserem neuen Album "Heartbeat" hatten wir ja die Arbeiten für "The Buccaneers" abgeschlossen und die ganzen Erfahrungen für diese Produktion wirkten sich darauf aus, wie "Heartbeat”"klingt. Die Sängerin, die wir für "The Buccaneers" eingesetzt haben, ist dann auch auf diesem Album gelandet. Und der Sound von "Heartbeat" hat wiederum großen Einfluss auf unseren Score für die zweite Staffel.

Wir haben bereits über weibliche Stärke gesprochen. Ist es gut für euch beide, dass ihr euch abseits dieser immer noch männlich dominierten Musikindustrie einen eigenen Space erschaffen könnt?

Naja, am Ende des Tages wollen Frauen nicht abseits einen Space haben, sondern Teil des Ganzen sein. Aber ich verstehe total, was du meinst und wir führen ja auch diese Diskussion innerhalb der Band. Wie schaffen wir es, mehr Frauen in diesen Space zu bekommen, in dem sie in Ruhe wachsen können, sich wohlfühlen, andere Frauen ermutigen und als Teil der Musikindustrie akzeptiert werden? Es war wirklich gut, dass wir uns sofort verstanden und gemerkt haben, wie viel gemeinsame Erfahrungen wir in dieser von Männern dominierten Branche hatten. Es hat sich einfach gut und selbstbestimmt angefühlt, dass wir uns als Frauen gegenseitig Mut zugesprochen haben und auf Erwartungen nichts geben mussten

In "The Buccaneers" geht es um Frauen, die Normen aufbrechen und in "Savage Waters" erleben wir eine Person, die an oder über ihre Grenzen geht. Ist das so ein Narrativ, mit dem ihr auch verbunden fühlt?

Hmm, mal überlegen. Fühle ich mich wie eine Herzogin im 18. Jahrhundert? Ich würde jetzt sehr gerne mit "Ja!" antworten. Aber nein, was Avawaves mit diesen beiden Stories verbindet und wo wir uns auch sehen ist, dass es dort viel um Widerstandsfähigkeit und das Überwinden von Widrigkeiten geht. Auch wenn viele von uns ein privilegiertes Leben führen, gibt es trotzdem für jeden von uns einen Moment, wo man Hilfe oder Unterstützung benötigt.

Und genau deswegen ist Musik für so viele Menschen wichtig, weil sie einem in solch schweren Lebensphasen hilft. Womit Anna und ich uns absolut verbunden fühlen, wenn es gerade um die Story von "The Buccaneers" geht, ist diese starke weibliche Kraft. Es ist eine tolle Geschichte über starke Frauen, von starken Frauen geschrieben, die Musik kommt auch ausschließlich von Frauen. Das ist unfassbar inspirierend und kraftvoll. Es wird ja auch nicht großartig mit einer "Schaut mal her! Unser Kampf für Feminismus!"-Lore beworben, sondern einfach mal aus einer anderen Perspektive beschrieben.

Bei "Savage Waters" wiederum geht es primär nicht um diese Themen, sondern in erster Linie ist es ein Surf-Film über einen genialen Typen. Es geht aber auch in dieser Story darum, dass man nicht alles im Leben kontrollieren kann und man jederzeit mit einer schwierigen Situation konfrontiert werden kann. Auf den Boden fallen, wieder aufrichten und nochmal von vorn anfangen, das ist wirklich ein wichtiges Learning für das Leben. Dir gelingt nicht immer alles sofort, du machst eben Fehler, aber du brauchst dich dafür auch nicht zu schämen. Gerade für die Musikindustrie ist das ein wichtiges Mindset, weil du dich immer wieder neu ausrichten musst und vom Startpunkt aus anfängst.

Das ist ein schöner Schlusspunkt und ich gebe dir absolut recht. Wir müssen aber leider zum Ende kommen.

Alles klar. Ich kann es wirklich kaum noch abwarten, bis wir auf Tournee gehen, sicherlich auch in Deutschland. Kennst du vielleicht eine passende Location in deiner Stadt?

Puh, also Köln ist in meiner Nähe, aber hier in meinem Kaff sehe ich leider wenig Möglichkeiten oder Orte, die passen.

Ach, wir treten wirklich überall auf, wo man uns lässt. Wir sind froh, dass jetzt alles losgeht und wir unsere Musik mit Menschen teilen können. Danke, dass du dir für uns Zeit genommen hast.

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