15. Juli 2014
"Ein Hype im Netz ersetzt keine Liveshows"
Interview geführt von David Hutzel2013 gehörte ihnen: Mit "Plansch" eroberten Bilderbuch zunächst die erlesenen Kreise ihrer Heimat Österreich, bevor der Hype um "Maschin" die Jungs auch bei uns bekannt machte. Dabei gibt es die Gruppe nunmehr seit fast zehn Jahren.
Ihr spritziger, mit Gitarrenschnörkeln und viel österreichischem Hintersinn versehener Indie-Pop bescherte Bilderbuch eine ordentliche Fan-Basis. Darunter, so sagt man, auch Casper: Eines ihrer Videos soll den Deutschrapper bei der Visualisierung des eigenen Songs "Auf Und Davon" beeinflusst haben. Anfang 2014 supporteten sie ihn dann auf der "Hinterland"-Tour, für diesen Herbst haben die Beatsteaks zugegriffen.
Kein Wunder, dass sich die Presse inzwischen auf die vier Wahl-Wiener stürzt. Doch wie fühlt es sich an, plötzlich die Hoffnung der deutschsprachigen Popkultur zu sein? Wir haben Sänger Maurice Ernst auf dem Maifeld-Derby in Mannheim getroffen.
Hey Maurice. Schön, dass es noch geklappt hat mit dem Interview. Ich habe ehrlich gesagt nicht mehr daran geglaubt, dass das was wird. Man merkt einfach, dass ihr gerade sehr beschäftigt seid.
Maurice: Ja, zur Zeit läuft es wirklich ganz gut für uns.
Euch gab es 2005 zuerst als klassische Coverband, dann habt ihr euch am Vertonen von Märchengeschichten versucht. Das allein klingt ja schon sehr spannend, allerdings kannte ich bis vor kurzem nur ein paar Bilderbuch-Tracks – und das wahrscheinlich auch nur deshalb, weil ich zu Hause öfter den österreichischen Sender FM4 höre. Hast du eine Erklärung dafür, warum sich der Erfolg gerade jetzt so schlagartig eingestellt hat?
Ich sehe das Ganze eigentlich als einen logischen Schritt. Wir sind jetzt zum ersten Mal in einem Alter, in dem man ernst genommen wird. Ich bin ja der Älteste mit meinen 25 Jahren. Grundsätzlich spielt einem das ein bisschen in die Karten. Wir sind einfach nicht mehr die Bubis von früher. Ich bin der festen Überzeugung, dass jedes neue Album und jeder neue Song irgendwo eine Entwicklung in eine bestimmte Richtung bringen sollte.
Und was die Releases und somit unsere Entwicklung angeht sind wir ja noch ziemlich frisch: Unser erstes Album kam in Österreich 2009 und in Deutschland erst 2010 auf den Markt. Deshalb sehe ich das relativ entspannt - trotz des bösen Wortes Hype, das jetzt jeder benutzt. Wir kennen uns schon lange und machen das Ding immer schon so. Wir haben uns vor der "Feinste Seide"-EP ja nicht mit Block und Stift an einen Tisch gesetzt und uns vorgenommen, den Sound von Bilderbuch radikal zu verändern. Das ist nur die Konsequenz einer schönen Zusammenarbeit, die inzwischen über Jahre hinweg gut funktioniert.
Liegt das vielleicht auch daran, dass ihr das Projekt Bilderbuch zum ersten Mal selbst etwas ernster nehmt? Du hast ja bisher eigentlich noch in Wien studiert ...
(lacht) Ja, ich bin momentan noch an der Uni eingeschrieben.
Konntet ihr euch denn trotzdem schon auf die Musik stützen – also auch in finanzieller Hinsicht?
In der Kunstform Musik ist die Mischung aus Kunst, Popkultur und Hobby fließend. Bei uns hat das angefangen mit einer Liebhaberei. Da bist du natürlich schnell in einem ständigen Konflikt – gerade finanziell. Wenn du wirklich dahinter stehst, dann machst du einfach immer weiter und treibst das Ganze auf die Spitze. Unter Umständen musst du dann natürlich mal zur Abwechslung einen Job machen oder deine Aktivitäten ein bisschen runterschrauben, aber im besten Fall kannst du dir das ersparen.
Bei uns war das jedenfalls ein ständiges Wandeln auf Messers Schneide. Als wir vor der Entscheidung standen, in dieser Form weiterzumachen oder aufzuhören, haben wir uns einfach gesagt: Okay, dieses Risiko nehmen wir in Kauf. Ansonsten säße ich jetzt wahrscheinlich nicht neben dir und würde diese Fragen beantworten. Trotzdem würde ich noch Musik machen und wahrscheinlich mit der Situation kämpfen. Aber natürlich gibt es immer Perspektiven und diese muss man bei allen Dingen verfolgen, um seinen Spaß daran haben zu können.
Hast du das Gefühl, dass sich das Blatt für euch im letzten halben Jahr so weit gewendet hat, dass du nun sagen kannst: Das mit Bilderbuch nimmt langsam die Konturen an, die ich mir heimlich immer gewünscht hatte?
Natürlich ist das ein bisschen so. Wir haben zwei Alben gemacht und dann kommst du natürlich irgendwann an einen Punkt, an dem du es wirklich wissen willst. Ich will nicht sagen, dass wir Druck hatten. Aber du beißt dich einfach an Dingen fest und machst sie wieder und wieder. Natürlich hat sich mit der aktuellen EP jetzt ein kleiner Aha-Effekt eingestellt. Jetzt können wir der Zukunft entspannter entgegenblicken: Wir können ein Album oder ein anderes Release angehen und haben eine größere Hörerschaft. Das ist doch der Traum jedes Musikers.
Ist dieser Traum – einfach gesagt – das, was einen über die Jahre hinweg zusammenhält? Ihr habt schließlich schon als Schülerband angefangen ...
Ich kann das natürlich nur aus meiner persönlichen Sicht beschreiben. Bei uns hat jeder seine eigenen Gründe, warum er immer noch dabei ist. Ich bin da mehr oder weniger in etwas reingerutscht und hatte einfach Glück, das stets mit coolen Leuten machen zu dürfen, die mich inspiriert haben, immer weiter zu machen. Das hängt auch damit zusammen, dass man denkt, man würde etwas verpassen, wenn man endgültig damit aufhört.
Das hätte ich mir nie verzeihen können. Auf der anderen Seite spielt natürlich nicht nur dieses Gefühl eine Rolle, man entwickelt auch eine eigene Sucht. Wenn du mal damit anfängst, irgendetwas zu releasen, zu schaffen und schließlich daran Gefallen findest, setzt das unglaublich intensive Glücksgefühle in dir frei. Egal wie steinig der Weg zu diesem Moment und wie zufrieden man mit dem Endergebnis ist. Das ist mehr so etwas Grundsätzliches.
"Sogar Oma hat jetzt begriffen, dass ich das Richtige mache"
Du besingst in "Plansch" einen dieser Momente des steinigen Wegs zum Glück, den wohl jeder kennt, der sich ins Feld der Kunst wagt: "Kind, du musst was lernen, sonst verdienst du nichts." Wie hast du denn deinen Eltern klar gemacht, dass du daran glaubst, dass dir die Musik einmal mehr gibt, als nur regelmäßigen Bierkonsum im Proberaum?/b>
Das ist wohl die Einserfrage. Und natürlich ständig präsent. Sie begleitet einen eigentlich bis zu dem Moment, an dem man wirklich was in den Händen halten kann. Meistens geht es gar nicht mal nur ums Geld, sondern läuft mehr so über die emotionalen Dinge. Uns bedeutet zum Beispiel ein Austrian Amadeus Award relativ wenig. Aber meine Oma hat in dem Moment, als wir den dieses Jahr gewonnen haben, zum ersten Mal begriffen, dass das vielleicht doch irgendwo etwas Großes sein könnte. Etwas, wofür es sich lohnt, ein Risiko einzugehen. Damit man mich einfach das machen lässt, was ich mache.
Und es scheint ja zu klappen – ihr seid ja inzwischen sogar in den Feuilletons präsent. Eine große österreichische Tageszeitung hat kürzlich über euch geschrieben: "Aufregende österreichische Bands wie Bilderbuch eignen sich einfach nicht für ein Formatradio wie Ö3. Weil sie zu gut sind." Eure Musik hat ja von ihren Grundkonturen her schon sehr viel Pop-Appeal. Sie passt daher eigentlich auch in Mainstream-Gefilde von Formatradios.
Genau dort liegt ja das Problem der deutschsprachigen Musik: Der Begriff Mainstream ist von vorn herein negativ belegt. Musik muss ja nicht kreativ flach sein, weil sie kommerziell ist. Das Wahrnehmen der eigenen Popmusik ist in Österreich noch viel schlimmer als in Deutschland. Es darf nicht funktionieren, denn dann kann es ja nicht cool sein. Erschwerend kommt noch hinzu, dass wir in Österreich ein radiolandschaftliches Problem haben, das die Künstler daran hindert, einen gewissen Schritt vom Untergrund in den Mainstream zu machen.
Da gibt es auf der einen Seite diese wunderbare Subkultur im öffentlichen Radio. Grundsätzlich kannst du dadurch in Österreich Dinge im Radio hören, die du in Deutschland wahrscheinlich nie hören wirst. Das ist schön, denn dadurch sprießt eigentlich alles vom Unkraut bis zum Krokus und bekommt die Chance zu blühen. Das Problem liegt darin, dass irgendwo eine Decke eingezogen ist. Angenommen, dort würde ein Bäumchen wachsen wollen, dann wäre das nicht möglich. Da tut sich das System dann selbst ein bisschen weh, auch aufgrund der Monopolstellung des ORF. Es gibt einfach keine Option, dass Dinge im kleinen Subkultur-Radio laufen und dann die Chance erhalten, ein paar Slots in großen Mainstream-Radios zu bekommen. Da gibt es nur einen Dualismus: Schlecht und gut, groß und klein – Ö3 oder FM4. Das Kulturradio Ö1 ist sowieso nur etwas für Intellektuelle.
Ich hatte eigentlich einen ganz anderen Eindruck von der österreichischen Musikszene. Denn es gibt ja sehr viele Projekte, die von Österreich aus zumindest den Schritt zur größeren Bekanntheit in Deutschland geschafft haben. Zum Beispiel Ja, Panik oder Kreisky. In Deutschland würden sich ähnliche Künstler nicht in der gleichen Art und Weise durchsetzen können. Haben es solche Acts in Österreich nicht sogar tendenziell leichter als hier?
Es gibt in Deutschland viel eher ein Bild von Popkultur und damit auch eins von "Ich kann von der Musik leben". Bei uns gibt es oft nur diese "Würde ich mich selber verraten, dann könnte ich von der Musik leben"-Einstellung. Nur der kleine Hoffnungsschimmer namens FM4 verleiht diesem speziellen Kunstgedanken eine Daseinsberechtigung. Um jetzt auf deine Frage zurückzukommen: Eine etwas avantgardistischere Band hat in Österreich trotzdem die Chance, auf FM4 zu laufen, bevor sie nirgends läuft. Aber wir beschreiben hier gerade ja sowieso nur ein Schema – Ausnahmen gibt es natürlich immer.
Ich glaube einfach, dass die Radiolandschaft den Output dieses musikalischen Landes dahingehend beeinflusst, dass sehr exzentrische Popmusik trotzdem eine Plattform bekommt. Aber weil die anderen Plattformen sowieso sowas von unmöglich sind, gibt es keinen Schulterschluss zwischen der Popmusik, mit der man Geld verdient, und der frischen, coolen Popmusik. Das macht vielleicht den Charme, den eigenen Sound der österreichischen Popbands aus – sie klingen so, wie sie klingen, weil sie von vorn herein weniger Perspektiven haben.
Und nachdem sie im eigenen Kosmos groß geworden sind, schwappt es zu uns rüber.
Im besten Fall. Man kann ja nicht sagen, dass Bands wie Bilderbuch, Ja, Panik oder Kreisky es in Österreich geschafft hätten. Wir brauchen viel Glück und müssen unser Ding immer weiter machen, dass wir irgendwann von uns selbst sagen können, wir sind jetzt stark genug und brauchen die Unterstützung dieser Landschaft nicht. Das ist aber ein harter Weg.
Glaubst du, dass ihr in Deutschland deshalb inzwischen weiter seid als bei euch zu Hause?
Das glaube ich noch nicht. Wir haben mit unserer Band über 200 Auftritte in Österreich gespielt – das ist etwas, was dir keiner nehmen kann. Wir haben uns die Bindung zu unseren Fans hart erspielt. Die lässt sich durch einen Hype im Internet nicht einfach künstlich erzeugen. Das ist etwas Intimes und das spürt man auch.
Wenn man sich ein bisschen durch die Social-Media-Plattformen wühlt, dann stößt man auch auf einige Hater bei euch zuhause, die bezweifeln, dass ihr die Zukunft des österreichischen Pop darstellt und die sich auch vom Austro-Pop-Hype um euch abwenden.
Zunächst mal machen wir ja keinen Austro-Pop. Dieses alte Genre jedes Mal wieder aufzugreifen, sobald eine neue Band in Österreich auftaucht, ist in meinen Augen so ein Nationalstolz-Scheiß. Uns als Austro-Pop zu bezeichnen ist so wie alle Bands aus England Britpopper zu nennen, nur weil sie von der Insel kommen. Natürlich hört man einer Band immer ein bisschen an, aus welchem Land sie kommt. Das macht uns aber noch lange nicht zum Teil des eigentlich schon abgeschlossenen Genres Austro-Pop. Eigentlich war ja schon Falco kein Austro-Pop mehr. Kruder & Dorfmeister sind auch kein Austro-Pop. Deshalb muss man da immer etwas vorsichtig sein.
Gibt es denn aufgrund der Tatsache, dass ihr aus denselben geografischen Gefilden stammt, trotzdem Dinge, die euch mit den Austro-Poppern verbinden?
Vielleicht der schwarze Humor, oder dass wir gerne zu Ironie greifen. Ich glaube auch, dass die Österreicher immer ein bisschen mehr Mut bewiesen haben – auch damals schon. Wir haben nie so glatte, große Produktionen wie in Deutschland gehabt. In Österreich gibt es bis auf die Volksmusik oder Schlager weniger glatte Musik. Oder halt welche, die so glatt ist, dass sie nicht der Rede wert ist. Natürlich geht man in so einem kleinen Land die Sachen etwas anders an. Muss man ja auch, wenn man als Österreicher auf den großen, deutschsprachigen Markt drängen will.
Gerade in "Maschin" stellst du ja typische Sehnsuchtsmotive in den Vordergrund. Dabei habe ich mir irgendwann gedacht: Ist das nicht eigentlich dem Schlager und der Volksmusik entliehen? Kannst du mir sagen, warum deine Texte in diesem Pop-Kontext so gut funktionieren?
Ich kann das jetzt vielleicht mal direkt an "Maschin" festmachen. Ich habe ja generell schon ein bisschen abstraktere, weniger nachvollziehbare Gedankengänge. Im Vergleich dazu ist "Maschin" sehr strukturiert und klar gezeichnet. Es geht eigentlich um viele Dinge – und doch um so wenige. Männerdomäne, Liebe, Sehnsucht, Klischees und klare Bildsprache. Ich glaube, dass sich Popmusik über diese Diversität definiert. Es gibt keine Regel oder kein Grundsatz, denn dann wären wir ja wieder beim Schlager. Gute Popmusik sollte sich an verschiedensten Sachen bedienen, aber trotzdem nicht mehr nachvollziehbar sein.
Das ist bei "Maschin" halt gelungen: Obwohl man nicht ganz klar spricht, trifft man ein bestimmtes Gefühl, das was erweckt. Mittlerweile habe ich keine Angst mehr, auch deutlichere Liebeswörter zu sprechen. Das ist eine Selbstentwicklung, die damit zusammenhängt, wie du selbst artikulierst. Irgendwann traut man sich dann, neue Sachen zu singen, die man früher nicht gesungen hätte. Und das ist jetzt auch bei mir der Fall.
Woran machst du dann fest, ob ein Text im Endeffekt gut klingt?
In erster Linie muss ich mich beim Singen wohlfühlen. Das kennt glaube ich jeder Sänger: Ausschlaggebend ist diese Kontrollhürde. Da geht es gar nicht so sehr darum, ob man etwas grundsätzlich sagen darf. Ich frage mich stattdessen immer: Ist mein Charakter groß genug für dieses Wort? Das herauszufinden braucht halt seine Zeit. Ich stehe nun seit zehn Jahren auf der Bühne und inzwischen habe ich das Gefühl, dass mir die Worte öfters entgegen kommen als früher. Das heißt aber noch nicht, dass der Schreibprozess kürzer ist.
Ihr habt ja mit englischem Material angefangen und Bands wie die Strokes gecovert. War die Tatsache, dass du als Muttersprachler zwingend näher am Text bist, für dich entscheidend, die Texte ausschließlich auf Deutsch zu schreiben?
Ab den ersten eigenen Songs war für mich immer klar, auf deutsch zu singen. Ich war an dem Punkt eben realistisch, dass ich die englische Sprache mit 15 Jahren selbst kaum verstanden habe. Ich hätte aus dem Schulbuch zitieren und Dinge wie "Canada is really big" singen können. Aber im Endeffekt hätte mir das nichts bedeutet. Insofern war es eine Entscheidung, an der ich nie gezweifelt habe.
"Die Arbeit fängt beim fertigen Song erst an"
Lass uns mal ein wenig detaillierter auf euren Songwriting-Prozess blicken: Stehen diese abstrakteren Sounds, wie sie auf der aktuellen EP zu finden sind, schon am Anfang als Idee eines Songs oder arbeitet ihr lieber mit Akustikgitarre und Klavier?
Die meiste Zeit ist die Grundidee ein Gefühl, das benannt werden möchte. Und wenn man das geschafft hat und schließlich sagen kann, das Gefühl heißt jetzt beispielsweise "Maschin", dann ist schon ein großer Schritt getan. Das gibt dir den Grund dafür, warum du einen Song überhaupt fertig machen musst.
Wie konkretisiert ihr dann euren Sound?
Jeder Mensch hat so viele Ideen. Du musst es nur schaffen, ihnen einen Namen zu geben – dann sind sie es wert, zu Ende gedacht zu werden. Das finde ich wichtig – und das ist momentan auch unsere Herangehensweise. Es kann einmal ein Beat sein, ein Synth, eine Zeile – aber es sollte ein Gefühl vorgegeben werden, das es wert ist, weitergedacht zu werden.
Eure letzten drei Tracks waren auf einer EP zusammengefasst. Was auf den Hype momentan jeder wissen möchte: Steht ein Album in nächster Zeit zur Diskussion oder haltet ihr mehr vom Konzept EP? Gerade heute, wo die Konsumzyklen viel enger sind und man das Touren dem Aufnehmen vorzieht.
Ich möchte hier nicht ein Medium zum Lösung aller Probleme stilisieren. Ich glaube, es geht vielmehr darum, wie du etwas präsentierst. Der Sänger von Arcade Fire, Win Butler, hat kürzlich gesagt, dass es heute kein schlichter Release mehr sein darf, sondern dass jeder Release ein Ereignis sein muss. Das ist der Punkt: Musikalisch sind Alben heute gleich gut wie früher, jetzt musst du sie nur in Szene setzen.
Ganz allgemein bietet ein Album einen guten Umfang, um einen künstlerischen Querschnitt über eine gewisse Dauer abzugeben. Im Moment ist es für mich jedenfalls schön, sagen zu können: Roxy Music – welches Album sollte ich mir da mal anhören? Oder wo war denn da dieser eine Song drauf? Klar sind Best Ofs dafür auch eine Alternative – aber sie sind halt nicht so sexy wie ein Album. Dabei ist natürlich nicht zu verschweigen, dass Alben vielleicht nicht mehr so cool sind, nicht mehr so neu und eigentlich vermarktungstaktisch nicht so schlau. Doch wegzudenken ist es auch noch nicht ganz. Es kommt eben darauf an, wie ein Künstler für sich mit dem Thema Album umgeht.
Du hast gerade Win Butler zitiert: Arcade Fire haben ja auch um ihr letztes Album so ein riesiges Marketing-Feuerwerk veranstaltet, indem sie in Städten auf der Ganzen Welt dieses Reflektor-Logo an die Wände gemalt haben.
Wenn du vor der Veröffentlichung von "Yeezus" die Homepage von Kanye West besucht hast, dann konntest du eine Weltkarte sehen, auf der bestimmte Orte gekennzeichnet waren. Wenn man dann zu jenen Adressen gegangen ist, hat dort ein Projektor Kanyes Gesicht auf eine weiße Wand projiziert, während "New Slaves" gelaufen ist. Das sind zwar Major-Geschichten, die für die wenigen Leute, die bei uns an diesen Dingen arbeiten, so nicht zu realisieren sind. Aber dennoch hört es heutzutage nicht mehr beim fertigen Song auf – sondern die Anstrengung fängt eben genau da an. So ein Musikvideo macht sich ja nicht von allein, sondern ist Schwerstarbeit für jeden, der daran mitarbeitet. Und genau so sieht es beim Release aus. Wir lassen uns ja nichts von einem Major-Label vorgeben, das uns zum nächsten großen Ding machen möchte. Sondern wir überlegen uns einfach Sachen, die uns selber kicken und unsere Releases unterfüttern.
Es würde euch also auch Spaß machen, hinsichtlich eines kommenden Albums eher in Richtung Gesamtkonzept zu denken?
Ob das jetzt gleich wieder im künstlerischen Konzept endet oder mehr in einer Sammlung von Songs, die eine Phase abbildet, lasse ich mal offen. Wir hatten im letzten Jahr so viele konzeptuelle Gedanken, dass wir uns mit der EP eigentlich ein bisschen davon befreit haben. Die EP besitzt zwar irgendwo auch ein Konzept – aber das Ganze einem solchen Gedanken vollkommen zu unterwerfen, fühlt sich für uns derzeit nicht richtig an.
War dieser Gedanke, euch von irgendetwas befreien zu müssen auch der Grund dafür, dass ihr für die EP ein eigenes Label gegründet habt?
Das war so ein bisschen der Punkt. Ich will keinesfalls über unser altes Label schimpfen, denn wir kommen ja von einem Indie-Label, das uns grundsätzlich viele Freiheiten geboten hat. Im Vordergrund stand bei uns eher eine Abwägung: Was können dir die Leute bieten – und was brauchst du davon eigentlich? Dann stellst du fest, dass du die meisten Kompetenzen, die du zum Aufnehmen brauchst, selbst mitbringst. In unserem Fall hatten wir noch ein bisschen Angst davor, gleich ein Album selbst zu machen, weswegen wir uns auf die EP beschränkt haben.
Und so haben wir uns halt ausprobiert, um mehr Kontrolle zu bekommen und uns auf das zu konzentrieren, was wir eigentlich wollen: ein paar Lieder. Wir wollten für uns das Gefühl von Proberaum-Demos einfangen. Deshalb haben wir die Tracks ja auch zu 85 Prozent selbst produziert und sind dann erst mit dem weitestgehend fertigen Material zu den Produzenten des letzten Albums gegangen. Mit deren Hilfe haben wir dann noch mal ein paar Prozent rausgekratzt. Im Endeffekt haben wir uns da tatsächlich von einer Art Ballast befreit, indem wir den kreativen Kreis auf ein Minimum heruntergebrochen haben.
2 Kommentare
Mit "Die Pest im Piemont" waren die Jungs im Prinzip allem, was zu dieser Zeit im deutschsprachigen Raum ähnliches fabrizierte, wirklich um Lichtjahre voraus. Der Gitarrist ist einer der ganz wenigen Poser, die das so augenzwinkernd können, dass es unpeinlich kommt. Überhaupt, der Humor dieser Band, auch in den Texten... Wahnsinn. Und dann dieser krasse Wandel mit der EP - bin wahrlich auf's nächste Full-length-Release gespannt.
Viele Dinge, die Maurice im Interview als Unterschiede zwischen deutscher und österreichischer Musikszene benennt, sehe ich ähnlich. In Österreich scheint die Nische, in der Bands sich finden, entwickeln, wandeln können bevor sie von der Marketingmaschine entdeckt, als verwertbar eingestuft und glattgebügelt werden, deutlich größer. Das beziehe ich auch und vor allem auf Acts mit deutschsprachigen Texten. Dies zeigen für mich auch andere aktuelle Österreicher Acts, die es aber bereits seit Jahren gibt, wie Garish, finde ich. Ähnlich interessiert, aber auf andere Weise fasziniert bin ich auf deutscher Seite derzeit nur von Bands wie Messer (nicht aber DieNerven oder Heisskalt).
An dieser Stelle auch noch ein paar lobende an laut.de/den Schuh-Plattler und seine Verlosung für die Karten inklusive Presseausweise für's Maifield Derby 2014. Es war ein herrliches Festivalwochenende, die wichtigsten Stellen (Bilderbuch, Warpaint, Fenster und so) kann ich sogar noch halbwegs erinnern klar erinnern, alles andere habe ich scheinbar aus den Fotogräben heraus dokumentiert und ich hoffe jetzt einfach mal wir haben uns nicht allzu sehr daneben benommen. Gib 2 Slackern im mittleren Alter Karten für ein Indiefestival und sie machen einen Hunter S. Thompson-Trip draus:
"Lassen Sie uns durch! Wir sind seriöse Journalisten, sehen Sie unsere Ausweise?! Wir haben hier einen Job zu erledigen, verdammt, das ist ne ganz große Sache!"
Danke für dieses herrliche und unvergessliche Wochenende, laut.de
Hey Soulburn, danke für die warmen Worte. Das klingt wirklich nach einem astreinen Wochenendvergnügen. Das Hunter S. Thompson-Zitat sollte man als Online-Journalist auch stets im Ärmel haben, hat sich schließlich noch nicht großflächig durchgesetzt, dieses Internet