laut.de-Biographie
Caetano Veloso
Seine Stimme ist schmeichelweich wie Seide, aber zu seinen Überzeugungen steht er fest wie ein Fels. Wenn seine Lieder von Liebe oder anderen Herzensdingen handeln, ist ihm die einfachste und eingängigste Melodie gerade recht. Aber er war (und ist) auch ein großer Erneuerer, ja fast ein Revolutionär. Weil er Samba und Bossa Nova mit neuen Elementen auffrischte, wurde er vielfach angefeindet; weil er in seinen Texten auch politisch schonungslos Stellung bezog, musste er erst für Monate ins Gefängnis und später für Jahre ins Exil: Der Brasilianer Caetano Veloso ist ohne Zweifel eine der faszinierendsten Persönlichkeiten in der Musikszene unserer Zeit.
Das große Vorbild des 1942 in Bahia de Janeiro geborenen Velosos war der gleichaltrige Gilberto Gil, ein begnadeter Sänger und Komponist. Gemeinsam mit Gil begründete er in der zweiten Hälfte der 60er Jahre die musikalische Tropicalia, eine Kunstrichtung, die in den bildenden Künsten und der Literatur Brasiliens bereits großen Einfluss gewonnen hatte. Das Konzept der Tropicalia ist der "künstlerische Kannibalismus" - für die Musik bedeutete dies, die althergebrachte brasilianische Volksmusik, den Samba, mit neuen Elementen aufzufrischen. Doch in einer Zeit der Repression und wachsender Angst machte man sich in Brasilien mit Rock'n'Roll, elektrischen Gitarren und mal provokanten, mal surrealistischen Texten nur wenig Freunde. Dem teilweise sehr nationalistisch eingestellten Publikum galten Veloso und Gil bald als Marionetten des US-amerikanischen Kolonialismus.
Als Veloso 1968 auf einem Festival in Sao Paulo "E proibido proibir" (dt.: Verbieten verboten) vortrug, wurde er so laut ausgepfiffen, dass er mitten im Lied abbrechen musste. Ende 1969 steckte das Regime Veloso und Gil wegen staatsfeindlicher Umtriebe für vier Monate ins Gefängnis, nach der Entlassung wurde ihnen nahegelegt, das Land zu verlassen. Doch wie so oft, ging auch dieser Zensurversuch nach hinten los: Durch ihre Verbannung wurden die beiden Ausnahmemusiker bekannter als je zuvor, aus England schickten sie ihre Songs, die dann in Brasilien von Anhängern und Kollegen gesungen wurden.
1972 konnten Gil und Veloso endlich mit einem großen Konzert in Rio ihre Heimkehr feiern. Doch der Quergeist Veloso ließ sich auch jetzt noch nicht vereinnahmen und für fremde Zwecke einspannen. Den Versuch, der brasilianischen Linken, ihn als Symbolfigur des Widerstandes zu etablieren durchkreuzte er, in dem er begann, bei seinen Auftritten wie ein Mädchen zu tanzen. Eine Tunte als Held der Revolution war aber auch im Brasilien der 70er noch völlig undenkbar.
Seinen endgültigen Durchbruch als Musiker erreichte Caetano Veloso mit der gemeinsam mit Chico Buarque aufgenommenen Liveplatte "Caetano e Chico. Juntos e Ao Vivo". Obwohl einige der Lieder noch zensiert wurden und nicht im Radio gespielt werden durften, gewann er mit diesem Album doch erstmals die Herzen der breiten Massen. Seitdem hat sich sein Ruhm als innovativer und gleichzeitig traditionsbewusster Künstler auch im Ausland verbreitet.
So wandeln sich die Zeiten: Heutzutage ist Caetano Veloso einer der beliebtesten und bekanntesten Botschafter der brasilianischen Kultur und aus der Musikszene seines Landes nicht mehr wegzudenken. Die weniger bedrohliche Lebenssituation spiegelt sich in den schönen Popsongs, die er mit einer fast beängstigenden Regelmäßigkeit veröffentlicht. Im Jahr 2004 scheint die Zeit reif für einen Rückblick: auf "A Foreign Sound" versammelt Veloso eigenwillige, teilweise respektlose Coverversionen seiner Lieblingslieder von Bob Dylans "It's Alright, Ma (I'm Only Bleeding)" über Harry Belafontes "Jamaica Farewell" und Paul Ankas "Diana" bis hin zu Nirvanas "Come As You Are".
Im Anschluss an diese Retrospektive schaut Veloso, der in seiner Heimat manchmal etwas spöttisch 'Caetano Meloso' (honigsüßer Caetano) gerufen wird, wieder nach vorne. Nach dem 2005 erscheinenden "Onqotô" gibt er sich 2006 dem Rock hin. Für die härteren Klänge auf "Cê" sorgt in erster Linie der Gitarrist und Coproduzent Pedro Sá, der seit einigen Jahren ein enger Mitarbeiter Caetanos ist. Mit "Cê" festigt Veloso seinen Ruf als wandelbarer Star der MPB-Szene, der mit Honigsüße rein gar nichts am Hut hat.
Nach seinem bislang letzten, wieder mit Pedro Sá aufgenommenen Studioalbum "Zii E Zie" fügt Veloso seiner (bei amazon) deutlich über 100 Platten zählenden Diskografie noch mehrere Live-Aufnahmen hinzu, die er mit verschiedenen Duett-Partnern einspielt. In der Carnegie Hall ("Live At Carnegie Hall", 2012) singt er mit David Byrne, auf dem wunderbaren Live-Album "Multishow Ao Vivo" mit der jungen brasilianischen Sängerin Maria Gadú. Der Mann bleibt auch im reiferen Alter äußerst vielseitig.
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