16. Dezember 2013

"Die hatten Schaum vor dem Mund"

Interview geführt von

Erst vor zwölf Monaten feierten die Metalcore-Rabauken ihr 15-jähriges Bandjubiläum. Für die fünf Hattinger ist das aber noch lange kein Grund, die Beine baumeln zu lassen. Nach einem ereignisreichen Live-Jahr, steht im Januar bereits das nächste Caliban-Studioalbum in den Startlöchern ("Ghost Empire").

China, Russland, USA, Japan, Indonesien, Südamerika – Wenn es um die Verbreitung von metallischen Extremklängen geht, dann ist den Jungs von Caliban kein Weg zu weit. Wer viel reist, hat viel zu erzählen. Und so trafen wir uns knapp sechs Wochen vor der Veröffentlichung des neuen Caliban-Studiowerks "Ghost Empire" Sänger Andreas Dörner zum Plausch.

Hi Andreas, aus aktuellem Anlass zum Einstieg mal was anderes: Du wohnst mittlerweile in Ostfriesland. Stichwort: Orkan 'Xaver'. Haben bei euch die Deiche gehalten?

Andreas: (lacht) Ja, haben sie. Wir wohnen ja zum Glück auf dem Festland. Hier hat es zwar ordentlich gestürmt, aber es ist alles soweit heile geblieben. Auf den Inseln sah das schon ganz anders aus, habe ich mir berichten lassen.

Also kein unterspülter Keller im Hause Dörner?

Nein, zum Glück nicht.

Okay, freut mich! Ihr wart ja in den letzten beiden Jahren unheimlich viel unterwegs. Wie ist es denn so, wenn man aus China, Indonesien oder Russland ins behagliche Ostfriesland zurückkehrt?

Bisweilen etwas seltsam (lacht).

Kann ich mir vorstellen. Wo habt ihr denn bis heute die außergewöhnlichsten Erfahrungen gemacht?

Ich denke, je weiter man sich von der Homebase entfernt, desto eindringlicher und bisweilen auch skurriler werden die Eindrücke. Indonesien war sehr inspirierend. China war auch der Hammer. Da bekommt man einen doppelten Flash. Ich meine, alleine schon das Land und die Leute. Da kriegt man Dinge zu Gesicht, die man sonst nur aus dem Fernsehen kennt. Und wenn man abends auch noch eine Show spielt, hat das schon was ziemlich Surreales an sich.

Gibt es denn in China eine Metalcore-Szene?

So wie ich das bisher mitbekommen habe, gibt es die überall auf der Welt. Es gibt lediglich Unterschiede in der Art und Weise, wie sich die Szenen präsentieren. Der Tanzstil, die Frisuren, die Klamotten: Das ist überall ein bisschen anders. Ich kann mich noch erinnern, wie wir in China auf einem Festival spielten. Das war ein Riesending mit zig Bands und tausenden von Leuten. Wir waren quasi als Headliner gebucht.

Den ganzen Tag über spielten die verschiedensten Bands, aber keine hat es wirklich so richtig derbe krachen lassen. Da hatten wir schon ein bisschen die Hosen voll, weil wir überhaupt nicht einschätzen konnten, wie die Leute auf unseren Sound reagieren würden. Aber als wir dann auf die Bühne gingen, brach auf einmal die Hölle los. So was kannst du dir nicht vorstellen. Die sind plötzlich abgegangen wie die Tiere. Unglaublich. Das sind dann so die Momente, in denen man sich echt an den Kopf fasst und sich fragt, ob man das wirklich gerade alles miterlebt.

"Alle wollen alle dabei sein und mitmachen"

Russland soll auch krass gewesen sein.

Ja, absolut. Da haben wir in Moskau in einem kleinen Club gespielt, der fast auseinander gefallen wäre. Da waren die Leute extrem aggressiv drauf. Nicht bösartig, aber aggressiv. Die hatten fast alle Schaum vorm Mund (lacht). Das ist wirklich toll. Man weiß halt nie, was einen erwartet, wenn man sich in die Ferne wagt.

Südamerika ist übrigens auch immer eine Reise wert. Da gehen die Leute auch tierisch ab. In all diesen Ländern sind die Leute noch richtig hungrig auf Musik. Da gibts noch keine Übersättigung und keine Gruppen, die sich mit verschränkten Armen das ganze Konzert über nicht vom Fleck rühren. Die wollen alle dabei sein und mitmachen. Das ist schon geil.

Ihr wart fast überall auf der Welt zu Gast. Auch hierzulande werdet ihr seit Jahren derbe abgefeiert. Vor zwölf Monaten wurde dann auch noch aufs 15-jährige Bandjubiläum angestoßen. Wir reden ja schon die ganze Zeit von den Fans. Wie siehts denn bei euch in Sachen Übersättigung aus?

Das klingt vielleicht komisch, aber dafür passiert einfach zu viel (lacht). Es kommen dauernd neue spannende Sachen auf uns zu. Da bleibt echt keine Zeit für müde Gedanken. Die ganzen Dinge, die uns in den letzten beiden Jahren passiert sind, die stacheln uns nur noch weiter an. Ich meine, die Entwicklung ist schon echt krass. Irgendwie wirds jedes Jahr immer fetter. Wenn man sich dann kurz mal hinsetzt und überlegt, dass das alles ja Bestandteil des Traumes ist, den man vor zig Jahren angefangen hat zu träumen, dann läuft man irgendwie ganz automatisch auf Hochtouren.

Stolz?

Ja, absolut. Dass wir nach all den Jahren heute immer noch am Start sind, und es Leute gibt, die mit uns am selben Strang ziehen, ist schon krass. Das bedeutet uns unheimlich viel und lässt, wie gesagt, gar keine Müdigkeit zu.

Mitte Januar steht ein neues Studioalbum in den Startlöchern - ein Album, das mit der einen oder anderen Überraschung aufwartet – vor allem in punkto Gesang. Du singst jetzt mehr, statt fast durchgehend zu schreien. Wie kommts?

Wir haben das auf der letzten Scheibe schon mal kurz aufblitzen lassen. Nur hatten wir damals einfach zu wenig Zeit, um wirklich intensiv daran zu arbeiten. Wir haben aber gemerkt, dass es passen würde. Diesmal haben wir uns dann einfach ein bisschen mehr Zeit für die Gesangsaufnahmen genommen und dabei sind dann eine Menge neue und spannende Passagen entstanden, mit denen wir super zufrieden sind. Wir wollten halt das ganze Paket ein bisschen lockerer schnüren und gucken, was man vielleicht noch zusätzlich mit reinnehmen kann.

"Dieses ganze Gedisse ist doch Murks"

Ihr habt euch diesmal entschieden, andersrum aufzunehmen. Sprich: mit den Vocals. Stell ich mir ziemlich kompliziert vor.

Wenn man sich erst mal drauf eingestellt hat, dann funktioniert das ebenso reibungslos wie die herkömmliche Abfolge. Wir haben halt zuerst die Gesänge auf bereits fertige Demos aufgenommen. So hatten wir den ganzen Aufnahmeprozess Zeit, uns immer wieder mit den eingesungenen Passagen beschäftigen zu können. Daher konnten wir dieses stellenweise komplett neue Gesangsschema richtig ausfahren. Das war schon ziemlich cool.

Es gibt auch einen Song komplett in deutsch, er heißt "Nebel". Auch das hatte ihr ja bereits auf dem letzten Album ausprobiert. Auf den Geschmack gekommen?

Schwer zu sagen. Ich denke, dass wir erst mal abwarten werden, wie die Leute draußen auf den Song reagieren. Ob das in Zukunft irgendwie ritualisiert wird, kann ich dir noch nicht sagen. Bei diesem Song hat es einfach super gepasst, finde ich.

Du warst eigentlich immer der größte Skeptiker innerhalb der Band, wenn es um das Einfließen deutscher Texte ging. Was hat sich geändert?

Eigentlich nicht viel. Ich finde immer noch, dass sich unsere Musik mit englischem Gesang besser transportieren lässt. Die richtigen deutschen Worte zu finden, die dann auch noch gut zur Musik passen, ist echt schwierig. Bei "Nebel" hat es aber sehr gut funktioniert. Basti von Callejon ist ja bei dem Song auch mit von der Partie und ich finde, dass wir das zusammen richtig gut hinbekommen haben. So etwas sorgt auch für einen gewissen Spannungsbogen auf einem Album. Immer nur dasselbe Schema runter zu prügeln, wird auf Dauer auch langweilig.

Auch inhaltlich steht Neues an. Statt sich, wie auf dem Vorgänger, weiter mit den Abgründen der Gesellschaft zu beschäftigen, stellt ihr euch diesmal in den Schatten des Menschen selbst. Selbsttherapie? Oder eher Anregungen für die Außenwelt?

(Lacht) Ich bin mittlerweile glücklich verheiratet. Meine Selbsttherapie-Phase habe ich lange hinter mir. Mir ist es wichtig, dass die jungen Leute, die nach unseren Konzerten zu uns kommen und uns erzählen, dass wir sie dazu gebracht haben, selbst eine Band zu gründen, etwas mitnehmen. Dabei wollen wir aber nicht mit dem erhobenen Zeigefinger agieren, sondern lediglich Denkanstöße geben.

Du sprachst vorhin von Callejon. Es gibt noch eine andere Band, die immer wieder gerne mit eurem Namen in Verbindung gebracht wird. Die Rede ist natürlich von Heaven Shall Burn. Beide Bands, also HSB und Caiban, wurden etwa zur selben Zeit gegründet. Ihr bildet seitdem auch unangefochten die Speerspitzen des Genres – zumindest hierzulande. Statt sich allerdings mit Ellbogen und Neid das Leben gegenseitig schwer zu machen, tourt ihr zusammen und feiert Backstage die Feste, wie sie fallen. Eine eher ungewöhnliche Entwicklung, oder?

Für uns nicht. Ich weiß aber, was du meinst. Bei uns gab es in all den Jahren noch nie Konkurrenzgedanken oder Ähnliches. Wir sind untereinander alle befreundet, und das auch schon seit Ewigkeiten. Früher waren wir sogar noch viel öfter zusammen unterwegs. Mittlerweile kommt es ja leider nur noch zu sporadischen Zusammentreffen. Umso doller freuen sich alle Beteiligten dann, wenn man sich mal wieder unverhofft über den Weg läuft.

Dieses ganze Gedisse ist doch eh Murks. Letztlich entwickelt sich viel mehr Energie, wenn man Wege gemeinsam bestreitet, anstatt immer wieder zu versuchen, sich gegenseitig von der Straße zu drängen. Wir kommen mit den Jungs auf jeden Fall super aus und stehen auch total auf ihre Mucke. Das hat schon immer gepasst. Und so wird es auch bleiben. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.

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