2. September 2020

"Die Zeiten sind immer hart"

Interview geführt von

Krachspaß unter deutscher Flagge ("Wir Sind Deutsch"), experimentelle Klänge mit Ecken und Kanten ("Fandigo") und ein huldigender Crossover-Rausch ("Hartgeld Im Club"): Callejon hatten in den vergangenen Jahren ihren Spaß auf verschiedensten Sound-Baustellen. Nun ist aber wieder an der Zeit, die ursprünglichen Trademarks in den Vordergrund zu rücken.

Mit ihrem neunten Studioalbum „Metropolis“ wenden sich die Mannen aus Nordrhein-Westfalen an ihre alteingesessenen Anhänger, denen vor allem drei Puzzlesteile wichtig sind: Härte, Atmosphäre und unbändige Spielfreude. Genau diese Melange bekommt man mit "Metropolis" auf dem Silbertablett serviert. Hinzu kommt ein apokalyptisches Düster-Konzept, mit dem die Verantwortlichen in Corona-Zeiten voll ins Schwarze treffen. Wir verabredeten uns mit Callejon-Gitarrist Bernard "Bernie" Horn zum Vieraugengespräch und plauderten über "Metropolis", Kallejon, die Musik als gesellschaftliches Werkzeug und Corona.

Bernie, an welche Tür müsste ich jetzt klopfen, um dich persönlich anzutreffen?

Oh, ich sitze gerade bei uns im Office. Vor ein paar Minuten hätte man auch gar nicht klopfen müssen. Da stand ich nämlich vor der Tür und hab noch schnell eine Palette entgegengenommen.

Eine Palette mit ...

... Deluxe-Versionen unseres neuen Albums. Die sind vorhin noch angekommen.

Verstehe. Da sind wir ja dann auch gleich beim Thema. Ende August erscheint euer neuntes Studioalbum "Metropolis". Wie ist es denn so in Corona-Zeiten um die Vorfreude bestellt?

Natürlich ist die Stimmung schon ein bisschen gedämpft. Wir sind eine Band, der das Touren sehr wichtig ist. Das gehört bei uns einfach dazu. Jetzt hocken wir aber hier und können erstmal keine Konzerte spielen. Das wurmt uns natürlich total. Auf der anderen Seite haben wir aber auch ein Album am Start, das wir bereits seit Monaten im Kasten haben. Und die neuen Songs wollen wir mit unseren Fans teilen, auch wenn wir im Anschluss nicht mit ihnen feiern können.

Wir werden später noch einmal auf das Corona-Thema zurückkommen. Lass uns aber erst einmal über das neue Album sprechen. Welche Geschichte steckt hinter dem Konzept "Metropolis"?

Der gleichnamige Film von Fritz Lang war sicherlich der Startpunkt des Ganzen. Wir fanden die Idee von einer Großstadt mit dystopischem Eigenleben, in die wir gedanklich richtig tief eintauchen konnten, ziemlich spannend. So entstand erstmal nur der Song "Metropolis". Da war noch gar kein Konzept-Gedanke vorhanden. Das hat sich dann eher so entwickelt. Dieser Song, die Geschichte dahinter, das düstere Themenfeld, das waren Dinge, die uns dann aber irgendwie nicht mehr losgelassen haben. Autoren sagen ja oft, dass ihre Romanfiguren irgendwann ein Eigenleben entwickeln. Bei uns war das genauso. Wir konnten das alles ab einem gewissen Punkt nicht mehr aufhalten.

Wie würdest du so einen Produktionsprozess in punkto Spannung und Herausforderung einordnen?

Wenn man das Songwriting, die Abläufe, die Produktion und das ganze emotionale Drumherum betrachtet, dann ist ein Album wie "Metropolis" natürlich künstlerisch auf einer anderen Ebene einzuordnen als beispielsweise "Man Spricht Deutsch" oder auch "Hartgeld Im Club". Die beiden Coveralben sind ja auch eher Teil eines Spaß-Projekts, das auch ganz bewusst unter dem Namen Kallejon läuft. Hier im Rheinland feiert man ja ganz gerne Karneval. Ich bin jetzt nicht so ein Karneval-Fan. Aber wenn man sich drauf einlässt und mal voll mitzieht, dann macht das auch Spaß. Und genauso läuft das auch mit den Kallejon-Sachen. Wir schlüpfen da in Rollen, die wir sonst nicht annehmen können. Das macht dann auch Laune. Aber wenn's dann vorbei ist, dann ist auch erstmal wieder gut. Jetzt hatten wir einfach mal wieder richtig Lust, das zu machen, was hinter dem Namen Callejon steht: und das ist atmosphärische und harte Gitarrenmusik.

"Die Zeiten sind immer hart"

Der Sound auf "Metropolis" ist ein gutes Stichwort. In meinen Ohren klingt das Album wie ein Trademark-Best-Of. Gerade in punkto Härte, Atmosphäre und Spielfreude erinnern mich viele Passagen an vergangene Glanztaten auf Alben wie "Blitzkreuz" und "Fandigo". War das so geplant?

Geplant war das eigentlich nicht. Das hat sich eher so ergeben. Da kann man dann auch wieder von einem eigendynamischen Prozess reden. "Fandigo" war ja eher ein experimentelles Album. Und diesmal sind wir dann doch wieder ziemlich zielstrebig zum Kern von Callejon zurückgekehrt. Dieser Kern hat sich aber auch entwickelt. Wir haben also nicht nur darauf geachtet, möglichst oldschoolig zu klingen, sondern auch Facetten mit einzubeziehen, die sich im Laufe der Jahre mit in den Vordergrund gedrängt. Ich meine damit beispielsweise die epischen Sequenzen von "Blitzkreuz" oder auch den Härtegrad von "Wir Sind Angst".

Apropos Härtegrad: Die Rezension wird von einem geschätzten Kollegen übernommen. Und diesem sind während des Hörens auffallend viele Elemente aus den Extreme-Metal-Bereichen aufgefallen. Er lässt nun fragen, ob der Eindruck passt: Je härter die Zeiten, desto härter die Mucke?

(Lacht) Am Ende des Tages sind wir ja eine Metal-Band. Und ich denke, dass die Zeiten immer irgendwie hart sind. Sicher, momentan ist es schon ziemlich derbe. Aber es gab auch vor Corona schon viel Finsternis auf Erden. Ich weiß nicht, ob es etwas mit der aktuellen Zeit zu tun hat, oder eher mit der Tatsache, dass wir als Musiker einfach mal wieder so richtig aus uns rauskommen wollten.

Dem Kollegen ist auch noch eine besonders ausgeprägte literarische Belesenheit aufgefallen. Wie passt die denn mit plakativen Songtitel wie beispielsweise "Gottficker" zusammen? Ist das ein bewusstes Spielen mit den Extremen?

Nein, absolut nicht. Wir sind weder eine Band, die darauf Wert legt besonders plakativ zu Werke zu gehen, noch denken wir, dass wir zu einem gesondert intellektuellen Zirkel dazugehören. Wenn wir das Gefühl haben, dass Dinge für uns irgendwie passen und Sinn ergeben, dann machen wir es einfach.

Als Freund von atmosphärischen Klängen habe ich "Die Krähe Mit Dem Schädelbauch" zu meinem ganz persönlichen Lieblingstrack auf dem Album auserkoren. Wie sieht's da bei dir aus? Liegt dir ein Song besonders am Herzen?

Das ist total schwierig zu beantworten. Jeder einzelne Song hat Momente, die mich berühren und beschäftigen. Ich habe jetzt keinen Song, der mir mehr am Herzen liegt als andere. Das sind irgendwie alle meine und unsere Babys. Das klingt zwar abgedroschen. Aber so ist es.

"Wir werden einen Weg finden"

Mit "Metropolis" zeichnet ihr ein Szenario, das in vielerlei Hinsicht nah dran ist am aktuellen Zeitgeschehen. Inwieweit hilft euch die Musik im Umgang mit dem Hier und Jetzt?

Ich denke, dass uns die Art und Weise wie wir Musik machen dabei hilft, unseren Gefühlen freien Lauf zu lassen. Ich glaube auch, dass es unseren Fans beim Hören ähnlich geht. Wenn man sich alles um einen herum einfach nur faktisch und nüchtern vor Augen führt, all die politischen, sozialen und humanitären Ungerechtigkeiten, dann würde man einfach nur verzweifeln. Die Musik ist für uns ein ganz wichtiges Werkzeug, um vor all diesem Chaos nicht in Ohnmacht zu verfallen. Menschen sind besonders unglücklich wenn sie das Gefühl haben, dass sie nichts ausrichten können. Ich will jetzt nicht sagen, dass wir mit unserer Musik besonders viel bewirken können. Aber wir können Dinge ansprechen und mit anderen Menschen in den Dialog treten. Und das hilft mir, als jemand der sich nicht vorstellen will, wie es sich anfühlt, wenn man gar nichts ausrichten kann, schon sehr weiter.

Niemand weiß, wie lange uns die Coronakrise noch begleiten wird. Hast du Hoffnung, dass man am Ende auch etwas Positives mitnehmen kann?

Diese Pandemie ist so weitreichend, und dauert auch schon so lange an, dass ich mir ziemlich sicher bin, dass danach auch irgendwas anders laufen wird. Ich weiß nur nicht, ob das, was sich dann ändert, gut oder schlecht sein wird. Vielleicht hat diese Krise das Potential dazu, den Leuten irgendwann wieder vor Augen zu führen, was wirklich wichtig ist im Leben. Welche Verantwortung trage ich? Welche Konsequenzen haben meine Taten? Was bin ich bereit zu tun, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen? Das sind Fragen, die sich jeder stellen muss.

Ihr seid eine ziemlich erfolgreiche Band. Ihr verkauft viele Alben und ihr spielt auch in großen Hallen. Nun grätscht die Coronakrise dazwischen und beschert euch ein Jahr auf der Standspur – zumindest was das Touren angeht. Wie lange kann eine Band wie Callejon ohne Konzerte überleben?

Da kann ich dir jetzt kein genaues Datum sagen. Fakt ist: Sollte es auch im kommenden Jahr so sein, dass wir keine Konzerte und auch keine Festivals spielen können, dann müssen wir schauen, dass wir das Ganze irgendwie anders managen. Eins ist klar: Für eine Band, in der Berufsmusiker zu Gange sind, die sich neben dem Musikmachen auch noch mit vielen anderen Dingen rund um die Band beschäftigen, kann so eine Phase wie jetzt nicht allzu lange andauern. Ich bin aber Optimist und wehre mich dagegen zu sagen, dass wir die Band unter gewissen Umständen irgendwann einstampfen müssten. Ich meine, wir sind Musiker und Künstler. Wir werden auch im Ernstfall einen Weg finden, da bin ich mir ganz sicher. Wir haben uns ja ganz bewusst für diesen Werdegang entschieden. Als Musiker hat man nun mal nicht die berufliche Stabilität eines verbeamteten Volkswirts im Rücken. Das ist einfach so. Wir müssen jetzt einfach schauen, dass wir so gut es eben durch diese Phase kommen. Irgendwann wird es einen Impfstoff geben. Und dann werden auch wieder Konzerte erlaubt sein. Da bin ich mir ganz sicher.

Viele Experten sagen, dass Deutschland gut bis sehr gut mit der Krise umgeht. Es gibt aber auch kritische Stimmen. Wie siehst du die Situation? Würdest du in diesen Zeiten lieber woanders leben und musizieren?

Mir gehen grundsätzlich schon so einige Dinge gegen den Strich wenn ich mir die Politik in Deutschland vor Augen führe. Aber ich will jetzt auch keinen sozial-theoretischen Vortrag darüber halten wie eine Gesellschaftsform im späten Kapitalismus auszusehen hat, oder was besser wäre. Bezogen auf das Hier und Jetzt steht sicherlich außer Frage, dass viele Dinge wesentlich beschissener hätten laufen können. Man muss dafür ja nur mal nach Amerika schauen. Ich denke, dass man in einer Situation, in der sich täglich etwas ändert, nie immer die richtigen Entscheidungen treffen kann. Grundsätzlich denke ich aber, dass viele Entscheidungen auch richtig und nachvollziehbar sind. Es ist nun mal eine Pandemie. Und die zwingt das komplette Leben in die Knie. Als Künstler steht man dieser Tage natürlich vor diversen Baustellen. Aber als empathiefähiger Mensch, geh ich mit den Entscheidungen natürlich konform, ganz klar.

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Callejon

Wer des Spanischen mächtig ist, wird in dem Begriff das spanische Wort für Sackgasse erkennen. Dennoch hat die fünfköpfigen Band ihren Wohnsitz keineswegs …

Noch keine Kommentare