laut.de-Biographie
CashMo
Der Horizont eines 15-jährigen Jugendlichen in Deutschland reicht in den meisten Fällen vom heimlichen Rauchen auf dem Schulhof bis zum Ende seines Instagram-Feeds. Wird rebelliert, geschieht das nur selten außerhalb der Grenzen der Pubertät. Doch während die meisten Jugendlichen hustend ihre erste Malboro paffen, sitzt Cashmo, der bürgerlich Achim Welsch heißt, bereits das erste Mal hinter Gittern.
15 Jahre alt und zu drei Jahren Knast verurteilt: Das macht sich nur schlecht im Lebenslauf, das hinterlässt auch unweigerlich seelische Narben. "Ich komm' eh in den Knast", war Achim schon zuvor klar, erzählt er in einem Interview mit Backspin. Am 17. April 1984 in Stolberg geboren, wächst er nach der Trennung seiner Eltern bei Mutter und Schwester in Duisburg auf. Daheim fehlt der Familie das Geld für die Stromrechnung, also zieht Achim mit gerade einmal elf Jahren los und fängt an zu klauen.
Es dauerte nicht lange, bis seine Verhaltensauffälligkeiten die Polizei auf den Plan rufen. Als die erkennen, in welchen Umständen er zu Hause lebt, schicken sie ihn erst zu einer Pflegefamilie, wo er seites des Vaters körperliche Gewalt erfährt, und anschließend in ein Heim in Trier. "Die Ausbildungsstätte zu allem Kriminellen, was man sich vorstellen kann", so beschreibt Cashmo rückblickend seine Bleibe in einer Dokumentation über sein Leben, die er selbst veröffentlicht.
Ergo dauert es nicht lange, bis er erneut mit dem Gesetz aneinander gerät. Es folgt eine halbjährige Freiheitsstrafe in Untersuchungshaft. Nach Entlassung ist Achim obdachlos, schläft in Parkhäusern und klaut sich genug Essen zusammen, um gerade so über die Runden zu kommen. Ohne Perspektive fasst er den Entschluss, mit einem Freund eine Tankstelle zu überfallen. Ein Coup, der kläglich scheitert und ihm eine dreijährige Freiheitsstrafe einbringt.
Inspiriert vom Straßen-Rap aus Übersee, den er schon seit Kindheitstagen intensiv verfolgt, und angetrieben von jeder Menge Langeweile nutzt Cashmo seine Zeit im Knast, um erstmals selbst Reime zu schreiben. Deutschen Rap kennt er nur unter dem Weißbrot-Deckmantel der privilegierten Studenten, also schreibt er zunächst auf Englisch. Er versucht es zumindest, denn der Sprache ist er nicht wirklich mächtig und ein Langenscheidt-Übersetzer gerät auch irgendwann an seine Grenzen.
Also noch einmal von vorn, dieses Mal auf Deutsch. Spätestens seit ihm ein Zellengenosse auf Kool Savas und Spezializtz aufmerksam machte, sieht Cashmo ein, dass die Art von Rap, wie er sie feiert, auch im Deutschen eine Daseinsberechtigung hat. "Savas war Therapie", sagt er. Also feilt er jahrelang an seiner Technik und brennt darauf, seine Musik endlich mit der Welt zu teilen.
Nach einem etwas holprigen Start mit dem Projekt Rebellous-Soldia, das Cashmo zusammen mit dem Rapper Tu2Face kurz nach seiner Entlassung 2002 gründet, beschließt er, solo durchzustarten. Der Düsseldorfer DJ Plattenpapzt, der auch schon mit Savas arbeitete, ist eine der wenigen Connections in der Musikindustrie, die Cashmo zuvor mit Demo-Tapes für sich begeisterte. Mit ihm zusammen gründet er 2008 das Label Blokkmukke.
Es folgen erste Gehversuche auf professioneller Ebene. Doch auf all die Mixtapes und Freetracks, die er zu dieser Zeit veröffentlicht, blickt Cashmo eher kritisch zurück. "Es hätte keine Berechtigung gegeben, Erfolg zu haben. Weil es nicht gut genug war", sagt er. Vollständig musikalisch mit sich im Reinen sei er erst seit dem Release seines Albums "1994" im Jahr 2017. Zuvor habe er selten Zeit gehabt, um sich vollständig auf seine Musik zu konzentrieren. Auch weil er bereits kurz nach seiner Entlassung erneut obdachlos wurde und fünf Jahre mit einem Haftbefehl im Nacken umher reiste. "Eigentlich sollte ich Haftbefehl heißen", erzählt er.
Den Erfolg, den er zuvor nicht verdient zu haben glaubt, beschert ihm "1994". Das Album steigt auf Platz 51 in die deutschen Albumcharts ein und platziert Cashmos Namen prominent in einer Soundlandschaft, in der sein altbackener Street-Rap zwischen all dem zeitgenössischen Trap und Cloud-Rap ein wenig anachronistisch daherkommt. Das kommt aber bei Kritikern und Fans gleichermaßen gut an. Als "deutsches 'Get Rich Or Die Tryin'" beschreibt ein User auf Amazon sein drittes Studioalbum.
Der autobiografischen Blickwinkel, der sich durch die Tracklist von "1994" zieht, bestätigt sich auch auch seinem nächsten Studio-Album "1998". Schon zur Promo von "1994" erzählt Cashmo der Backspin, dass er der Welt zeigen wolle, wie es sich anfühle, auf der Straße als Deutscher zwischen Menschen mit Migrationshintergrund aufzuwachsen. Er habe Angst, seine Fans würden ihm nicht glauben, dass er die Sachen, die er rappt, auch am eigenen Leib erlebt hat, weil er deutsch ist. Also veröffentlichte er eine Dokumentation zum Album und bringt Licht in die dunklen Flecken seiner Biografie.
Die Rolle des deutschen Straßenjungen, spitzt er mit der 2020 erschienen Leadsingle "Alman" für "1998" auf sehr provokante und kontroverse Art und Weise zu. Er kokettiert im Video mit nationalistischer Symbolik und rappt unter anderem Lines wie: "Wenn schwarz-rot-gold dich hier zum Nazi macht / Wo die anderen stolz steh'n am Fahnenmast."
Die Reaktionen einer seit jeher links geprägten Szene fallen entsprechend harsch aus. HipHop.de verfasst einen Artikel, der Cashmo vorwirft, er gebe mit seiner Musik rechter Ideologie ein Sprachrohr und ziehe unwissend einen rechten Mob an. Im Podcast "Schacht & Wasabi" geht Musik-Journalistin Jule Wasabi sogar noch einen Schritt weiter und bezeichnet den Rapper aus Stolberg frei heraus als Nazi, sollte er sein Wording zukünftig nicht ändern.
Cashmo reagiert prompt mit einem zwanzigminütigen Video, in dem er sich verteidigt und auf seine Kritiker losgeht. "Ich ficke die AfD, ich ficke die Nazis, ich ficke alle Rassisten" sagt er wutentbrannt. Doch damit nicht genug. Er nimmt auch Toxik, den Autor des HipHop.de-Artikels, und vor allem Jule Wasabi ins Kreuzfeuer und lässt die Grenze des guten Geschmacks weit hinter sich. Nicht nur aufgrund sexistischer Beleidigungen, er hetzt auch seine Gefolgschaft dazu auf, Wasabi zu terrorisieren und ihr das Leben zu Hölle zu machen. "Ich arbeite dafür, dass solche Leute einen psychischen Dachschaden bekommen [...] Ich trete so lange auf die ein, bis deren Karriere am Ende ist", sagt er in einer von ihm veröffentlichten Sprachnachricht. Aus der Szene bekommt er währenddessen von Künstlern wie Sido, Azad und Haftbefehl Rückendeckung.
Ob die Provokation geplant war oder nicht, der Popoularität des 36-Jährigen hat sie definitiv nicht geschadet. Die teils durchaus überspitzten Rassismus-Vorwürfe, räumt er mit seinem Statement weitestgehend aus dem Weg. Die Art, wie er jedoch mit Wasabi ins Gericht geht, gibt all dem, unabhängig davon, wer am Ende im Recht ist, einen bitteren Beigeschmack. So verkommt sein "1998"-Album fast schon zum Beiwerk eines der größten Deutschrap-Aufreger im Jahr 2020.
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