laut.de-Biographie
Azad
Azads Hip Hop-Roots lassen sich bis ins Jahr 1988 verfolgen. Als kurdisches Flüchtlingskind findet er schwer Anschluss in den kalten deutschen Landen. Einzigen Bezugspunkt für Azad bildet die Kultur der Beats und Reime. Bereits mit 14 Jahren rockt er zusammen mit A-Bomb, Combad und D-Flame als Cold-N-Locco so manche Shows, später benennt sich die Crew in Asiatic Warriors um.
Der martialische Name ist durchaus Programm für das roughe Auftreten der Frankfurter. Die Mixtur aus harten, englisch-, deutsch- und türkischsprachigen Zeilen und brachialen Beats steht stellvertretend für die Ghetto-Attitüde der Headz aus der Mainmetropole. Die Warriors sorgen 1994 mit der beim Ruff'n'Raw-Label gedroppten EP "Told Ya!" überregional für Aufsehen. Ehe sie aber die Früchte der eigenen Arbeit ernten, kommt es zum Streit. Die Asiatic Warriors lösen sich auf.
Azad verschwindet eine Zeit lang in der Versenkung. Erst Ende 1997 taucht sein Name wieder in der Hip Hop-Presse auf: in der Rubrik Tratsch und Klatsch. Azad unterschreibt bei Moses Pelhams 3p-Label. Zu einer Zeit, in der Moses P noch als prolliger Pop-Rapper gilt, sorgt dieser Schritt eines Oldschool-Underdogs für Unverständnis in der dogmatischen Szene. Nicht nur sein Ex-Partner D-Flame findet es ein bisschen komisch.
Im Nachhinein klären sich die Fronten jedoch. Azad kennt Moses P und Thomas H vom Rödelheim Hartreim Projekt schon aus alten Basketball-Tagen, damals bildeten sie die lockere Crew Final Frontier. Zudem erobert Moses seine Streetcredibility zurück, indem er Kollabos mit den Stieber Twins, Eißfeldt oder den Spezializtz startet.
Azad profitiert vom 3p-Umfeld und präsentiert seinen Rapstyle als Feature-Artist bei den Labelkollegen Bruda Sven ("Front") und Illmatic ("Trauma"). Zudem hört man ihn immer wieder auch auf Mixtapes ("First There Waz The Word", "Ming" von Roey Marquis). Aber Azad rappt nicht nur, er produziert auch. Die Remixe für Moses Pelham ("Mein Glück") und Bruda Sven ("Ein Und Alles") belegen dies.
"Die Beats, die ich damals haben wollte, gab es nicht", erinnert er sich auf seiner MySpace-Seite. "Also habe ich sie selbst gemacht." Sogar an den Turntables beweist Azad sein Talent. Gemeinsam mit seinem seit Jahren erfolgreich rollenden Turntablism-Team Transformers (mit DJ Drago, Twister und Release) gewinnt er 1998 "Da Swing DJ Battle".
Nach den Maxis "Napalm" und "Gegen Den Strom" steht ab Ende Mai 2001 sein Debütalbum "Leben" in den Läden und beeindruckt mit einer großen Bandbreite von Skills. Azad scratcht, produziert und rappt, dass es eine wahre Freude ist. Dass er sich auch viele Gedanken über seine eigenen Aussagen macht, stellt sein Statement über die Benutzung des Begriffes "schwul" dar:
"Klar sag' ich solche Sachen, aber es kommt darauf an, wie du sie auffasst. Man kann auch ein Bild aus etlichen Richtungen betrachten, und aus jeder Richtung sieht es anders aus. Ich hab' nichts gegen Schwule, und gerade als Kurde will ich der letzte sein, der in irgendeiner Form diskriminierend ist. Ich will, dass jeder sein Leben leben kann, ohne dass es irgendwie klassifiziert wird. Für mich sind solche Worte halt Alltag, Straßenjargon."
2003 erscheint das zweite Soloalbum "Faust Des Nordwestens" und beweist, dass "Leben" kein Zufallstreffer war. Mit Linda Carriere und "Drama" verzeichnet er einen der größten Hits der Labelgeschichte. "Mein Licht" gilt noch Jahre später als eine der schönsten Liebeserklärungen in diesem Genre. Azad richtet sie an seine Tochter.
Scheinbar symptomatisch für den Frankfurter ist es, sich während seiner Albenreleases in schwelende Battles zu begeben. War es bei "Leben" noch Samy DeLuxe ("Samy DaBitch") und bei "Faust Des Nordwestens" das Urgestein MC Rene ("MC U-Reen"), ist 2004 pünktlich zu "Bozz" der Berliner Durchstarter Sido dran. Der beleidigt auf einem Konzert Azads Mutter. Dafür bekommt er zwar keinen Disstrack, aber auf die Maske. Im Nachhinein rügt der Veranstalter der Hip Hop Open beide Beteiligten.
Zum Release gründet Azad, inzwischen zu Urban gewechselt, sein eigenes Sublabel: Bozz Music. In Rekordzeit signt er aus alten Weggefährten eine schlagkräftige Truppe: Jonesmann, Jeyz, Chaker, Sezai, Lunafrow, Martelli und Sti, der wegen seiner Beats für "Der Bozz" und verschiedener Remixe zum gefeierten Produzenten-Newcomer der Jahres aufsteigt.
Im gleichen Jahr erscheint mit "Bozz Music Vol.1" der erste Labelsampler. Nebenher steuert Azad zu Bushidos "Electro Ghetto" einen der besten Parts bei. Gemeinsam mit seinem Arbeitstier-Seelenverwandten Kool Savas releast er im März 2005 mit "One" einen ersten Höhepunkt des Jahres.
Für Azad und Savas soll die Veröffentlichung nicht die letzte bleiben. Schon die erste Single "Monstershit" ballert sich dank Monroe-Beat in die Herzen der Fans. Einen drauf legt noch "All 4 One", das mit Kinderchor in der Hook in die Top fünf der deutschen Charts wandert: bislang Azads größter kommerzieller Erfolg.
Anfang des Jahres 2006 kündigt Azad sein neues Solo-Album an und bezeichnet es bescheiden als "das beste Werk, das ich je geschaffen habe". Mit tatkräftiger Major-Unterstützung von Universal Music und der aggressiv nach vorne gehenden Single-Auskopplung "Alarm" schickt Azad im April 2006 "Game Over" ins Rennen. Das vierte Soloalbum klettert bis auf Platz acht der Albencharts, womit sich sein Urheber zumindest kommerziell konsequent von Platte zu Platte steigert.
In Deutschland wenig beachtet, darf Azad im Winter des selben Jahres auf der Scheibe des russischen Rap-Superstars Seryoga einen Part zu "2 Könige" spitten. Das verschafft ihm erstmals nennenswerten überregionalen Ruhm, und das in Staaten des ehemaligen Ostblocks, für die deutscher Rap vermutlich bis dato völliges Neuland darstellte.
Passend zu seinem spätestens jetzt erworbenen Status als Dinosaurier im deutschen Rapgame landet er 2007 einen Coup, mit dem wohl niemand gerechnet hätte. Am 17. August zischt zum dritten Mal in der Geschichte ein Song eines deutschen Rap-Acts auf Platz eins der Singlecharts. Gemeinsam mit Sänger Adel Tawil beschert er der Fox-Serie "Prison Break" die deutsche Titelmusik und sich selbst eine Goldplatte. Vor ihm durften nur die Fantastischen Vier ("Die Da") und Schwester S. ("Du Liebst Mich Nicht") ganz nach oben, und das liegt zehn bzw. zwölf Jahre zurück. Für Azad bedeutet der Erfolg kolossale Promotion für sein fünftes Album "Blockschrift", das er im Dezember mit publikumswirksamen Gästen wie Joy Denalane, Gentleman und J-Luv veröffentlicht.
Für sein Streetalbum "Azphalt Inferno", das das Rap-Jahr 2009 einleitet und den Weg für das nächste Album "Assassin" bereitet, treten neben den üblichen Verdächtigen 439 und Jeyz Kool G Rap, Tone, Manuellsen, die Franzosen Savant Des Rimes und Freeman, Reggae-Legende Capleton und der einst so geschmähte Samy Deluxe an. Azad setzt seine Zeilen offenbar in die Tat um: "Ich such' mein Glück, lass den Hass hinter mir zurück."
Ende 2009 geht Bozz Music pleite, "Azphalt Inferno 2" erscheint bereits über Groove Attack. Aber der Künstler trägt keine sichtbaren Schrammen davon. Im Gegenteil: Die Verbindung aus roher Naturgewalt und kritischer Selbstreflektion, die Azad verkörpert, bleibt unerreicht. Er überragt sein Umfeld wie der Messeturm ein Pfadfinderzeltlager.
2010 veröffentlicht Azad ein zweites "Azphalt Inferno", danach gerät der Produktionsfluss gehörig ins Stocken. Immer wieder kündigt Azad das nächste Album an. Immer wieder laufen die Versprechungen ins Leere.
Nachdem knappe fünf Jahre außer FACEBOOKPOSTINGS IN GROSSBUCHSTABEN nichts weiter das Licht der Öffentlichkeit erblickt, haben viele das Frankfurter Rap-Urgestein schon abgeschrieben. "Leben 2" befindet sich auf dem besten Weg, zum Treppenwitz im "Detox"-Style zu verkommen.
Diesen Trend hält erst das brandneue Jahr 2016 auf: Im Januar erscheint das Werk nämlich doch noch. Alte Weggefährten wie Jeyz sind wieder vertreten, aber auch neue wie MoTrip oder die 187 Strassenbanditen Gzuz und MC Bonez. Die Produktionen pfeifen auf den Zeitgeist: Azad fährt traditionell Bass-, Klavier- und Streicher-lastige Drama-Kulissen auf. Auf gerade angesagte Trends aufzuspringen gehörte noch nie zu seinem Stil.
Bei Azad ist nichts Pose, alles ist Haltung: "Ich werd' häufig verwechselt mit euch, weil ich rappe / Es enttäuscht und verletzt mich, ich bin kein Armleuchter und rappe nicht so wie ihr / Ich hab' vor Frauen Respekt und schreib' nicht sexistische Texte / Sohn einer Frauenrechtlerin, erzogen mit diesem Denken / Bin nicht wie ihr / Unterdrückte Minderheit und Außenseiter kenn' ich gut / Und ich hab' Respekt vor jeder Religion, mir ist egal, wie sie heißt / Bin kein Antisemit, ich bin Frieden und mein Name ist frei." Azad, nämlich, lautet das kurdische Wort für "frei".
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