laut.de-Kritik
Eine John J. Rambo-Lesung in hessischem Bassbariton.
Review von Max BrandlNeulich, in einem schwachen Moment: Ich, seit "Leben" Azad-Hörer, verspreche leichtsinnig, meine erste Azad-Kritik zu verfassen, sollte das Hip Hop-Urgestein es schaffen, mich sturmmaskenbewehrt und autotunebefreit per CAPSLOCK-Stahlfaustlyrik und mit zünftigen Wicki-Wicki-Scratches in die Napalmschwaden Nordwest-Frankfurts und damit also in die einzig wahre™ gute alte Zeit von Rap zu katapultieren.
Turns out: CAPSLOCK iz da, Sturmmaske iz da, Scratches und sogar irgendwelche Schwaden, siehe Cover, sind auch da. Und wenn einen Azad in den gut zwanzig Jahren seines Schaffens eines gelehrt hat, dann ja wohl, dass ein Mann, ein Wort. Somit schreibe ich also diesen Text und Azad seine Geschichte im Grunde nahtlos fort:
Auf dem größeren Teil von "Goat", seinem vierzehnten Studio-Album, verwaltet der Mann generalstabsmäßig sein Trademark: auf verbalen Schnickschnack umfassend verzichtende Machtdemonstrationen im Flecktarn-Imperativ, eine John J. Rambo-Lesung in hessischem Bassbariton.
Richtet sich der Blick nach innen, gehts auch fürderhin um die mentalen Krisen im Allgemeinen, den Zustand der Straße im Speziellen und wie man all das mit Betäubungsmitteln, respektive einem tiefergelegten G63 irgendwie erträglicher macht. Im Zweifel geschieht dies mit zwei Silben weniger als einem Zweckreim zu viel – die Kunst der Weglassung beherrscht Azad nach wie vor.
Ebenfalls weiterhin bleiben dabei Mütter, Töchter und anderweitig Unschuldige von den verbalen Bleisalven untouchiert. Es klingt paradox, aber falls es so etwas wie anständigen Battle-Rap geben sollte: Azad does it. Das ist ehrenwert. Ein paar Bemerkungen zur allgemeinen Großwetterlage im Deutschrap – Stichwort Modus Mio – sowie der eine oder andere Seitenhieb auf aktuelle oder frühere Kontrahenten bleiben aber natürlich nicht aus.
Alex Dehn und Gorex liefern passend dazu das Gros der Produktionen und rahmen Stücke wie "Headshot" oder "Dynamit" in herrlich ballernde 2005 type beats mit zeitgemäß drückendem Trap-Bassunterbau. Handwerklich ist das ganz klare Oberliga und ab Sekunde eins des "Intros" ist unmissverständlich klar, dass hier jetzt gleich irgendwelche Paramilitärs einreiten.
Innovativ ist dabei allerdings wenig. So oft, wie Azad schon von Streichern begleitet als Phönix X aus Asche Y aufstieg, cembalogestützt irgendwo raus möchte, aber drin bleiben muss, oder flankiert von Schussgeräuschen einen Gegner sucht, aber belastenderweise keinen findet: Ein Excel ist nicht genug.
Immerhin: "My Eyes" schielt mit seiner hochgepitchten Hook nicht gänzlich unauffällig auf eine gewisse RMR-Charakteristik, das ist neu. Und wenn in Deutschland einer das Sturmhauben-OK hat, dann ja wohl A. Interessant auch "Mein Blues": Wie Gorex den Frankfurter Kampfhund hier vermittels Santana-Gegniedel von der Zeil auf die Route 66 setzt, während dieser im besten Sinn Rap-onkelig einen auferzählt – da wachsen der Schussweste schon kurz Lederfransen.
"Fresher denn je" macht er Deutschrap damit zwar definitiv nicht, aber Props für die Selbstironie. Apropos Referenz: Auch "Regen" ist allein seiner larmoyanten Geige wegen sicher kein Stand-Out-Track des Albums, aber wenn ein Azad mit einem Max Herre in einen Song einsteigt, dann ist das definitiv eine Erwähnung wert.
Keinen großen Zugewinn bieten indes die persönlich anwesenden Features auf "Goat": Egal ob Farid Bang, AK Ausserkontrolle oder Erabi ihre überschaubar komplizierten Reime ins Mikro bellen — die vom Gastgeber kunstvoll zelebrierte Tristesse hätte ohne diese zusätzliche Farbe höchstwahrscheinlich sogar besser funktioniert.
Anders das Duett mit Goldkehlchen Faiz Mangat, der "So High" zur obligatorischen Soul-Eskapade eines jeden Azad-Releases macht. Der Mann kann singen, keine Frage, der Song ist butterweich, ohne Zweifel. Ich frage mich nur auch hier wieder, wie man diesen Spagat schafft – vor allem als Hörer: fünf Runden knallharter UFC-Cagefight, dann Bühnenwechsel, und zack, sitzt du in Schwanensee. Ich weiß nicht.
Während Azad mit "Leben 2" vor vier Jahren ein beachtliches Comeback und vor allem ein extrem beeindruckendes Update seiner Kunst vorgelegt hat, wird "Goat" diesem Anspruch nicht ganz gerecht. Es hat alles, das ein Azad-Album haben muss und sein möchte, ballert bös' und wird den Fans, zumal langjährigen, mehr als gefallen. Einen hervorgehobenen Platz in der Diskografie des Frankfurters wird es auf lange Sicht aber eher nicht einnehmen. Umgekehrt wäre es in Anbetracht von "Goat" allerdings genau so falsch, zu sagen: Azett – ade.
9 Kommentare mit 44 Antworten
Das Gegenteil von Goat ist Goat gemeint
ja ganz gut. Nix weltbewegendes.
In Zeiten von größtmöglichem Schmutz in hunderten Versionen ähnlicher Ausprägung, ist das eigentlich schon ein reines Meisterwerk. Vom Verhältnis her.
Aus ähnlichem Grund hab ich mich zb dabei erwischt, bei den neuen Afrob Songs mitzunicken. Aber ist das nicht eher traurige Bestandsaufnahme als Qualitätsmerkmal?
"In Zeiten von größtmöglichem Schmutz in hunderten Versionen ähnlicher Ausprägung,..."
Das ist doch Blödsinn. Dieses und letztes Jahr, sind so viele Topalben rausgekommen, wie schon lange nicht mehr. Einfach weniger auf Mero und Co. fokussieren und schon hört sich die Welt ganz anders an
Schon. Aber auf Deutschrap bezogen?
Ok, da mag das stimmen.
Deutschrap sollte man aber auch generell meiden, von einigen, wenigen Ausnahmen mal abgesehen.
Haine, war freilich auf Deutschrap bezogen, zu den US-Sachen sind wir ja mit Django und Dir im fortwährenden Austausch.
Nachdem Einwand von Chris, hat es dann auch Sinn ergeben
Maximal 2/5, braucht wirklich absolut niemand.
Hätte nicht zurückkehren sollen, es wird nicht besser mit jedem neuen Release.
Das trifft allerdings auf die gesamte alte Garde zu. Max Herre, Dende, Curse, Samy, Banjo, Retrogott etc pp
Warum es in den USA viele positive Beispiele dafür gibt, im Alter sogar pointierter und besser zu werden statt den Hunger zu verlieren und rapide abzubauen und hier nicht, bleibt mir ein ewiges Rätsel.
Weil 90% der Deutschrapperz halt schon immer wack waren.
Retrogott ist alte Garde? Der ist doch eher Mitte bis Ende der Nuller Jahre und die ganzen anderen Neunziger.
Es fallen mir im Deutschrap auch Beispiele ein, die - sagen wir mal - in Würde altern, bspw. Hiob und Morlockk Dilemma, aber auch Rhymin Simon oder Orgi und Arzt. Also zumindest haben die genannten nicht abgebaut und haben alle Alben aufgenommen, die sich mit ihren Frühwerken messen können, teilweise haben sie sich in verschiedenen Bereichen verbessert. Bogy auch zum Beispiel
Und Lakmann
Der einzige der immernoch so locker leicht flowt, dass er in Milch schwimmt ist S.M.U.D.O. - er ist halt so.
Huss&Hodn Debüt war 2007, kann man 2020 schon alte Garde nennen
Mit allen von dir genannten konnste mich auch früher schon jagen, von Morlock abgesehen. Zudem hat Frauenarzt das Genre Ballermanrap verbrochen, allein deshalb schon Persona Non Grata.
*2005
Mag ja sein, dass du die nicht magst (btw Dilemma hui aber Hiob pfui?!), geht ja auch eher darum, wer sich im Alter gut hält und evtl. sogar entwickelt statt abzubauen.
Umse ist auch in Würde gealtert. Größtes Butterhäschen des Deutschrap, aber ein superlieber Kerl und seine Mucke ist durchaus hörbar, teils fast schon süß.
Mein Mann Moses P auch sehr gut gealtert, auch wenn das alles mehr Pop und Songwriter ist, als Rap. Textlich hat er sich stark verbessert.
"Jetzt schämst Du Dich" ging mir damals unfassbar gut rein, btw. Aber das ging wohl sehr vielen so.
Ach, "Jetzt schämst du dich" kam natürlich 2007, kann man schon auch als deren Debüt sehen, wenn man möchte. 2005 kam aber "Unprofessionelle Musik", das war das erste, dass ich von denen gehört habe.
Ist nicht so richtig Deutschrap, aber Fuat würde ich trotzdem auch dazu zählen.
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Ist das wieder der psycho?
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Stimmt, hätten alle weg bleiben können. Wobei ich mir die neueren Retrogott Sachen auch nochmal anhören wollte, aber irgendwie fehlt mir immer die Stimmung dafür.
Außer Laki natürlich.
Neueren Retrogott-Sachen sind imo nur mittelmäßig.
Land und Leute oder auch schon Kontemporär...?
Hab letzeres nur sehr selten und lange nicht mehr gehört. Fand ich glaube ich noch besser als Land & Leute. Vintage Fresh ist die letzte gute Veröffentlichung von ihm imo.
Alles klar, danke für die Einschätzung.
@arge: Umse ist grundsympathisch. Mein bester Kumpel und Partner in Crime hat vor Ionen mit DJ Exzem im Studio gechillt, scheinen alle sehr locker und authentisch zu sein. Aber bei Umses Musik fehlt mir irgendwie das gewisse Etwas. Es ist alles okay. Flow, Reime, Inhalt. Aber irgendwie auch in allem so eine 2000er-Dende-Lightversion.
Ja, ist was dran. Halt wirklich harmlos wie sonstwas. Und ja, er bringt auch gefühlt jedes mal das selbe Album raus, das aber halt immer sehr solide. Craze würde vor lauter Hänger-BoomBap Pickel kriegen.
Sympathie hoch zehn, hatte auch mal persönlichen Kontakt zu ihm.
Wow, lauti kennt einen Rapper.
Naja, was heißt "kennen", wollte ihn 2008 mal buchen und da hatten wir ein wenig hin- und hergeschrieben. Er wollte halt nur Kost und Logis und Fahrtkosten, einfach sehr nett und bescheiden.
Naja, was soll der auch sonst verlangen? Ne Packung kernige Haferflocken?
Klar. Cerial Killer!
K.A. was der sonst so verlangen könnte, bzw. zu der Zeit, da war ja grad mal sein Debut raus. War halt wie gesagt "nett und bescheiden" und das machte einen sehr guten Eindruck.
GOAT? Vielleicht meint er damit auch „Ghetto-Opa Az talentfrei“, alternativ
„Grütze oder auch Tinnef“.
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Cringe????????????????????
Wer Interesse an gutem deutschen Hip Hop hat, kann gern mal die Labels Sichtexot und Daily Concept abchecken. Organischer samplelastiger Boom Bap sound. Von Battle bis Deep ist alles dabei. Hab ich gern gemacht :-*.
Wow, danke für diesen extremen raren Geheimtipp! Was würden wir nur ohne dich machen, müssten wohl Modus Mio hören von morgens bis abends.
Hab mir jetzt gerade mal die Diskografie von diesem Tufu angehört, den ich bis gerade gar nicht kannte, und ich bin echt beeindruckt! Der klingt fast gar nicht wie eine Retrogott-Kopie!
Und halt einfach 1 Liga tiefer.
wenn ich war 15 ich habe auch gedacht sowas ist gut aber auch sohnigo wird älter und verstehe dann unterschiede
Auch hier muss ich mich mal gegen die Mehrheit stellen:
Das Savas-Album war zwar stellenweise eine positive Überraschung, aber dieses Album hat mich vor ein paar Monaten echt umgehauen. Für mich Azads bestes Werk seit "Der Bozz", wenn nicht sogar besser. Seit "Der Bozz 2" steigt seine Leistungskurve merklich an und er wirkt hungriger und befreiter als in den Jahren zuvor. Ist es etwa die Erleichterung über die Trennung von Animus? Keine Ahnung, aber ich nehme es dankend an. Hoffentlich macht er noch eine Weile auf diesem Niveau weiter.