laut.de-Kritik

Der König von Mainhattan besinnt sich auf seine Stärken.

Review von

"Ich finde eigentlich nichts schlimmer, als wenn man versucht, so zu sein wie früher." Im sequelfreudigen Rap-Genre steht Fabian Römer mit seiner im Interview geäußerten Einschätzung ziemlich alleine da. Nach dem letzten Versuch, sich ein modernes Soundbild zu verpassen, beruft sich Azad mit seinem neunten Studioalbum auf sein 15 Jahre zurückliegendes Werk "Der Bozz". Den angriffslustigen Vortrag jüngerer Tage erreicht der Frankfurter zwar nicht mehr, doch stilistisch orientiert sich "Der Bozz 2" deutlich an den 2000ern.

"Es geht back to the roots, zurück zu den Geigen. MPC, bring' ein Stück alte Zeiten." Abgesehen vom Schlagwort-Rap in "KOK" und dem zurückhaltenden Trap-Beat von "Move Back" greift Azad kaum noch auf die Komponenten von "NXTLVL" zurück. Dafür verbreiten die Streicher Pathos ("Braveheart"), begleiten andächtig seinen Vortrag ("BTTR/BITD") oder erscheinen bedrückt, aber eingängig ("Fluch Und Segen"). Für die Songs "Alles Oder Nix" und "Pitfight" setzt er dagegen auf unauffällige Piano-Instrumentals. Immer wieder halten Scratches alte Hip-Hop-Tugenden hoch.

Die zumeist defensiven Produktionen bieten dem Frankfurter optimalen Raum, um Geschichten aus den Straßen der hessischen Metropole mit seinem tiefen Organ auszuführen: "Mittel waren oft begrenzt und Krisen haben mein' Kopf gesprengt. Dennoch habe ich mich aus dem Loch gekämpft." Zwar liefert Azad seit jeher weder großes Entertainment noch ausgefallenes Storytelling, doch zu der Kombination aus einer eisigen bis depressiven Grundstimmung und skizzierten Armutsberichten ist hierzulande wohl kein zweiter Rapper imstande.

"Sie woll'n, dass wir unten bleiben hier im Dreck." Nur selten blitzt etwa in "Eiszeit" oder "Pitfight" die Erkenntnis auf, dass ihn die herrschende strukturelle Gewalt in die "Spirale des Leides" zwingt: "Schicksale sind hier früh in Stein gemeißelt." Wenn er sich jedoch Adel Tawil für eine potentielle Radio-Single über die Unendlichkeit der Liebe ins Boot holt, will der Frankfurter freilich nichts mehr von der Abstiegs-Gesellschaft wissen: "Jeder ist des eigenen Glückes Schmied." Plötzlich ruft er auch zur Selbstgenügsamkeit auf und warnt vor den trügerischen Scheinen.

Zu den grundsympathischen Eigenschaften zählt die glaubhafte Verbrüderung mit den Armen und Schwachen der Gesellschaft. In "Schutzengel" wendet er sich an die sensibleren Vertreter seiner Anhänger: "Du hast das Gefühl, du kannst mit niemand' reden. Kein einziger Freund, doch so viele Tränen." Er schwingt sich dazu auf, diese zu behüten: "Ich werde dich allein auf meinen Schultern tragen. Und wenn du fällst und dann drohst aufzuprall'n, komm' ich im Sturzflug herab, um dich aufzufang'n." Die gelungene Atmosphäre der Songs lässt einige abgenutzte Sprachbilder verzeihen.

Schiefe Bilder bemüht er auch an der Seite von Kool Savas: "Twin Tower, keiner bringt uns je zu Fall." Falls sich der "König von Mainhattan" mal in Richtung des großen US-Vorbilds aufmachen sollte, erwartet ihn dort eine böse Überraschung. Das gilt im Übrigen auch für das ihm wohl unbekannte Finale von "Scarface": "Einer gegen alle, so wie Tony in der Endsequenz. Überlebenschancen für euch Hurensöhne sind begrenzt." Ohnehin gehört "Scarface" neben "Rocky" und "Braveheart" zu den abgegriffensten Film-Metaphern im Rap. Folgerichtig vereint er alle drei Referenzen in "Braveheart".

Wer "NXTLVL" als Weiterentwicklung empfand, muss "Der Bozz 2" unweigerlich als Rückschritt erachten. Dabei zeigte sich spätestens mit seinen Rechtfertigungsversuchen für den Vorgänger, dass es für Azad schlicht wenig Sinn ergibt, mit agilen Nachwuchstalenten wie Mero, Fero47 oder King Eazy zu konkurrieren. Zu stark ist ihm die Eastcoast-Mentalität in Fleisch und Blut übergegangen. So besinnt er sich auf seine Stärken, auch wenn er dabei mitunter wie aus der Zeit gefallen klingt: "Bring' wieder den Sound, den die Gangster pumpen."

Trackliste

  1. 1. Dieser Weg
  2. 2. Eiszeit
  3. 3. All In (mit Samra)
  4. 4. Schutzengel
  5. 5. Fluch Und Segen (mit Chaker)
  6. 6. C'est La Vie (mit Bozza und Erabi)
  7. 7. KOK
  8. 8. Pitfight
  9. 9. BTTR/BITD
  10. 10. Lass Nicht Mehr Los (mit Jeyz und Adel Tawil)
  11. 11. SIG (mit Animus)
  12. 12. Alles Oder Nix
  13. 13. Move Back
  14. 14. HipHop (mit Kool Savas)
  15. 15. Braveheart

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LAUT.DE-PORTRÄT Azad

Azads Hip Hop-Roots lassen sich bis ins Jahr 1988 verfolgen. Als kurdisches Flüchtlingskind findet er schwer Anschluss in den kalten deutschen Landen.

15 Kommentare mit 20 Antworten

  • Vor 5 Jahren

    was wurde eigentlichaus den freunden von niemand? mainratten? GPC und co? wären die nid alle viel besser für ein feature als...samra oder savas?

  • Vor 5 Jahren

    Hör ich mal rein wenn ich schlechte Laune habe. Also hätt ichs schon seit Wochen machen sollen

    • Vor 5 Jahren

      Oh weh, Garri :( Muss man sich Sorgen machen?

    • Vor 5 Jahren

      Mittlerweile nicht mehr. Bin mitte des jahres iwo hart abgebogen und jetzt wieder in der spur. Sozusagen übern berg als hätt ich craze besucht

    • Vor 5 Jahren

      Zurück in der Spur freut mich zu lesen. War durchaus etwas beunruhigt, wenn schon Motivations-Leierkasten Ahzettahdäh zur Linderung herhalten muss ;)

      Überhaupt zurück und wieder zu lesen freut mich. Auch wenn ich als bekennender Wischiwaschler aus der schwanzlos-rosaroten Emanzenblase mit deinen diesbezüglichen, zuweilen verbittert wirkenden, Beiträgen natürlich nicht einverstanden bin :absinth:

    • Vor 5 Jahren

      Back mit voller Muni- und Motivation :klatbier:

  • Vor 5 Jahren

    Puuh. Ich dachte ja, dass nach dem allgemeinen Qualitätsabfall im Bereich deutscher Streetrap selbst ein Azad auf Sparflamme keine Schwierigkeiten hat, sich positiv abzuheben. So sehr kann man sich täuschen.

    Ich kann bei ihm normalerweise über die ein oder andere Schnulze großzügig hinwegsehen, aber das Ding mit Tawil übertrifft alles bisher Bekannte, weiß nicht, wann das letzte Mal ein Track bei mir so viel Brechreiz ausgelöst hat. Und wenn dann selbst die härteren Sachen dermaßen unmotiviert vorgetragen werden, bleibt viel zu wenig auf der Haben-Seite. Animus, Chaker und Jeyz als Features sind nicht nur vorhersehbar, sondern auch wirklich jedes Mal gleich mies. Wenn hier sogar ein Savas positiv auffällt, sagt das so einiges über die Platte aus...

    2/5 zumindest dafür, dass es im Gegensatz zum letzten Album keine soooo große Qual war, mich da durchzukämpfen. Da aber außer "Pitfight", "Move Back" und dem Samra-Part nichts weiter hängengelieben ist, Ist die Wahrscheinlichkeit für einen zweiten Durchlauf sehr klein. Samra gefällt mir hier aber zum allerersten Mal, "Ich f***e Grazien mitten in Kroatien" hat ja schon fast Baba-Saad-Level, und das meine ich wirklich positiv :ill: Mit Azad bin ich wohl fürs erste durch...

    • Vor 5 Jahren

      Seh‘ ich auch so.
      Azad ist dieses „Back to the roots“ Ding irgendwie nicht abzunehmen.
      Überhaupt finde ich das man Rapper ganz gut mit Boxern vergleichen kann!
      Es ist wohl sauschwer einen „Altersstil“ zu finden mit dem man noch was reißt!
      Manch einer wird blöd dabei und ganz wenige sind ein Archie Moore oder Bernhard Hopkins! In Deutschland sowieso keiner (evtl. Moses).

    • Vor 5 Jahren

      "Moses P. is der Chabo der schmeißt
      Mit Verben, Adjektiven, mir egal wie der Scheiß heißt "
      Bester Mann.

    • Vor 5 Jahren

      Moses P. unhatebar, fjeden. Herz fand ich - bis auf diesen bekloppten Track mit dem Kelly-Eumel - auch wirklich gelungen. Aber abgesehen von Moses... hm.