15. Mai 2013
Wir mussten Jiles fast vor jedem Song wecken oder anschreien
Interview geführt von Kai ButterweckSchrammeliger Kindercountry zum Liebhaben: Mit ihrem zweiten Album "Jiles" untermauern die vier emsigen Hauptstädter von Chuckamuck ihren Status als derzeit unbekümmertste Jungbande zwischen Reinickendorf und Lichtenrade.Berlin-Mitte, irgendwo zwischen fernöstlichen In-Restaurants und siffigen Spätkauf-Spelunken: hier, inmitten eines der gefühlten Dutzend Herzen der Spreemetropole befindet sich die musikalische Schaltzentrale von Chuckamuck. In einem brüchigen Mietshaus mit vollgeschmiertem Holzportal ohne Klingelanlage tüfteln Oskar, Lorenz, Jules und Julius nun schon seit über zwei Jahren an ihrem Traum von fernen Ländern, großen Bühnen und dekadentem Catering.
Zwar wird dem Quartett spätestens seit der Veröffentlichung des Debütalbums "Wild For Adventure" von allen Seiten eine rosige Zukunft vorausgesagt, doch im Hauptquartier der Band ist von sich anbahnendem Ruhm noch nicht viel zu sehen. Stattdessen führt mich Bassist Lorenz mit einem Dauergrinsen im Gesicht durch ein chaotisches Labyrinth aus Sperrholz, verrottetem Equipment und vollen Aschenbechern. Man müsse halt etwas aufpassen, wo man hintritt, flüstert mir der schlaksige Musiker ins Ohr, als wir uns der Hausbesetzer-Couch nähern, auf der unser Interview stattfinden soll. Nach knapp zehn Minuten trudelt mit Drummer Jiles das zweite Bandmitglied ein – in der Hand einen frischen Chicken-Döner von "umme Ecke".
Jiles: Ey, sorry. Aber ich hatte totalen Kohldampf. Alle da?
Lorenz: Nö. Oscar ist auf dem Weg und Jules hat heute keine Zeit.
Jiles, du scheinst ziemlich außer Atem zu sein?
Jiles: Total. Mich hätten sie im Bus gerade fast wieder gekrallt.
Wer?
Jiles: Na, die Kontrolleure. Habs aber noch geschafft.
Wie? Müsste es mittlerweile nicht schon längst für eine Monatskarte reichen?
Jiles: (lacht) Ha, schön wär's. Nix da, keine Kohle. Weder wir, noch sonst irgendwer.
(In der Zwischenzeit gesellt sich auch Sänger Oska dazu, während Lorenz seinem Drummer voller Stolz einen Zettel unter die Nase hält, auf dem ein gebrauchter Tourbus abgebildet ist)
Jiles: Ne, ich glaube, der ist zu teuer.
Lorenz: Meinste?
Jiles: Jop.
Kein Geld für eine Monatskarte und ein gebrauchter Tourbus ist auch zu teuer, vom Ambiente hier mal ganz zu schweigen – es scheint mir nicht so, als hätten euch die positiven Feedbacks auf euer Debütalbum auch finanzielle Türen geöffnet, oder?
Lorenz: Naja, eigentlich leben wir noch von der Hand in den Mund.
Oska: Klar hätten wir gerne ein bisschen mehr Kohle zur Verfügung. Aber wir sind auch so zufrieden. Das kriegen wir alles schon irgendwie hin.
Jiles: Ich würde schon gerne etwas öfter live spielen.
Oska: Achso, habe ich dir noch gar nicht erzählt? So wie es derzeit aussieht, kriegen wir im Herbst eine Tour zusammen.
Jiles: Geil.
"Unser Basser ist vom Baum gefallen"
Ihr wirkt, trotz aller "Handicaps", ungemein gelassen und entspannt. Habt ihr euch mittlerweile mit der doch scheinbar etwas zähen Ruhm-Entwicklung abgefunden? Oder war euch von Beginn an bewusst, dass der Weg zum Popstar, über den klassischen Anti-Casting-Weg, mit vielen Entbehrungen verbunden ist?Lorenz: Man blickt da schon ziemlich schnell durch. Wir sind ja jetzt schon ein paar Jahre dabei und haben schon ziemlich früh gemerkt, dass wir wahrscheinlich eine ganze Weile kämpfen müssen. Das war auch sehr hilfreich für die Entwicklung und den Zusammenhalt in der Band. Wenn man den ganzen Tag nur mit Luftschlössern durch die Gegend rennt, dann hat man irgendwann keine Lust mehr.
Oska: Letztlich wollen wir uns aber echt nicht beschweren. Ich meine, wir bringen jetzt unser zweites Album raus und waren auch schon viel unterwegs, auch im Ausland.
Lorenz: Wir sind keine Jammerband (lacht).
Wo wart ihr denn schon überall?
Lorenz: Frankreich, Belgien, Dänemark, Schweiz, Polen.
Jiles: Dänemark.
Lorenz: Ja, stimmt. Da haben wir auf dem Roskilde-Festival gespielt. Das war richtig geil.
Oska: Es ist natürlich immer ein bisschen schwer im Ausland, wenn man deutsche Texte im Gepäck hat. Aber es funktioniert irgendwie trotzdem. Und es wird immer besser.
Lorenz: Damit haben wir ja auch schon ziemlich früh angefangen. Ich kann mich noch an Frankreich erinnern, da waren wir gerade mal zwei Jahre zusammen.
Oska: Ja, da haben wir über MySpace einen Gig in Paris organisiert. Kurz davor ist unser ehemaliger Basser aber vom Baum gefallen und konnte nicht mit. Jules hatte dann irgendwie auch keinen Bock mehr, und so sind Lorenz und ich dann alleine nach Paris getuckelt und haben da auf der Straße gespielt. Solche Sachen prägen natürlich. So was Ähnliches haben wir auch einmal in Amsterdam abgezogen. Zwar wollte uns keiner was in den Hut schmeißen, aber geil war's trotzdem.
Euer Basser ist vom Baum gefallen?
Lorenz: Ja, der war irgendwie ziemlich schräg drauf. Der hat sich dauernd irgendwie verletzt und war krank. Ich glaube, der hatte eine Menschenphobie. Aber egal. Im Ausland zu spielen ist für uns ein ganz wichtiger Punkt, den wir auch in Zukunft verstärkt im Auge behalten wollen.
Oska: Wir überlegen gerade auch, ob wir ihr für jedes europäische Land eine Single in der jeweiligen Sprache aufnehmen. Das wäre total cool. Wir haben das mal in Polen probiert und die fanden das total gut.
"Wir gehen gerne angeln und wandern"
An passendem Songmaterial dürfte es ja nicht scheitern. Ich habe gelesen, dass ihr euch für das neue Album das Ziel gesetzt habt, insgesamt zwölf Singles aufzunehmen. Hat's geklappt?Oska: Das war auf jeden Fall die Marschrichtung (lacht).
Lorenz: Ich finde schon, dass jeder Song auf dem neuen Album das Potenzial dazu hat. Die Songs wurden auch alle einzeln produziert und abgemischt, sodass jeder Track für sich steht.
Und an den Reglern stand Moses Schneider (Beatsteaks, Turbostaat). Wackelige Knie gehabt?
Lorenz: Nö, den kannten wir ja vorher gar nicht (lacht).
Oska: Unser Mischer bei der Fete De La Musique kannte den Moses und hat ihm von uns erzählt. Daraufhin hat der uns im Proberaum besucht. Naja, und das was er dann gehört hat, fand er ziemlich gut. So hat sich das dann entwickelt.
Lorenz: Wir haben uns danach ja ein bisschen schlau gemacht und erst einmal geguckt, mit wem wir es denn da überhaupt zu tun haben. Da waren wir auch ein bisschen skeptisch als wir von den ganzen Bands gelesen haben, mit denen er schon gearbeitet hat. Aber am Ende war alles super. Wir haben uns total gut verstanden und er hatte richtig Bock auf uns.
Ihr steht total auf die Black Lips und die Libertines. Das sind, oder waren ja Bands, die wie kaum eine andere unter dem Sex'n'Drugs'n'Rock'n'Roll-Banner unterwegs waren. Wie sieht's denn da bei euch aus?
Oska: Für uns sind die "Dinge" alle gleichermaßen wichtig (grinst).
Lorenz: Naja, ich finde es eigentlich viel spannender immer wieder in neuen Hotels aufzuwachen und andere Gegenden kennenzulernen. Wenn wir Off-Days haben, gehen wir beispielsweise immer gerne wandern und angeln.
Ihr geht wandern und angeln?
Jiles: Ja, das ist total geil. Als wir in Dänemark waren sind wir abends total benebelt irgendwo am Meer gelandet. Da war eine riesige Steilküste mit Leuchtturm. Da haben wir dann rumgegammelt und in die Sterne geguckt. Das hatte schon was.
Oska: Aber nicht, dass ein falscher Eindruck entsteht: wir können auch gut feiern. Ich kann mich noch an einen Silvester-Gig erinnern, der ziemlich derbe abging.
Jiles: Oh, hör auf. Das war total peinlich.
Warum?
Jiles: Da waren all unsere Freunde da und auch viele von unseren Familien. Ich habe mich schon vorher total abgeschossen und konnte kaum mehr geradeaus laufen. Naja, dementsprechend lief dann auch die Show. Das war ziemlich peinlich.
Oska: Wir mussten Jiles fast vor jedem Song wecken oder anschreien, weil er entweder hinter den Drums eingepennt war oder aber mit irgendeinem Typen quatschte. Das war schon heftig. Am Ende wollten wir noch das komplette Schlagzeug zerlegen, aber das war gar nicht so einfach. Vor allem dann, wenn die halbe Mannschaft kaum noch auf den Beinen stehen kann. Alles übrigens nachzusehen in unserem "Alcohol"-Video. Demnach: wir angeln und wandern zwar gerne; wir können aber auch sehr gut auf die Kacke hauen.
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