laut.de-Biographie
Dave Davies
Dave Davies kommt in London als jüngerer Bruder von Ray Davies zur Welt. Geboren am 3. Februar 1947 unter dem Namen David Russell Gordon Davies, gründet er im Alter von 17 Jahren zusammen mit Ray sowie mit Mick Avory und Peter Quaife das Quartett The Kinks. Die Band findet im Jahr 1990 Aufnahme in die "Rock'n'Roll Hall Of Fame". Dave Davies prägt mit seinem Spiel an der Melodiegitarre den Stil späterer Bands wie The Fall und anderer Post-Punk-Gruppen der späten '70er und frühen '80er Jahre.
Auch auf den Britpop, insbesondere auf The Boo Radleys ("Wake Up Boo!"), Blur und Supergrass hat sich die Kinks-Kombination aus britischem Beat mit Blues-Einschlag, powervollen Gitarrenriffs und der frühen Vorwegnahme von Alternative und Punkrock hörbar ausgewirkt. Das Zwei-Akkord-Riff in "You Really Got Me" erweist sich als so ein Markenzeichen, das Dave im Sommer 1964 in die Musikgeschichte hinein droppt. Die Plattenfirma mag den Song zunächst überhaupt nicht - im D.I.Y.-Verfahren ohne Hilfe des Labels aufgenommen, schießt "You Really Got Me" auf die Eins der Charts.
Für Daves Songs findet Ray auf den The Kinks-Alben meist keinen Platz. Der ständige Bruder-Zwist steht auch für Oasis (bzw. die Gallagher-Brüder) Pate. Obwohl Dave da in Interviews keine Parallelen sieht. In puncto Streitlust wird Dave Davies auch eine Schlägerei auf der Bühne mit Schlagzeuger Mick im Jahr 1965 nachgesagt.
Doch The Kinks werden schnell erwachsen. Im Song "Susannah's Still Alive" rechnet Dave mit seiner Schulzeit ab. Mit "Susannah" meint er Sue, seine Freundin im Alter von 15. Er fliegt damals von der Schule, als ihm sexueller Kontakt unter Minderjährigen, damals verpönt, vorgeworfen wird. Sue wird von ihm schwanger, und ihre und seine Eltern untersagen den weiteren Kontakt. "And I hope Susannah's still alive", "und ich hoffe, Sue lebt noch", schreibt er mit 19 während der Aufnahmen zu "Something Else By The Kinks". Sie lebt damals tatsächlich noch und kommt dreißig Jahre später noch einmal kurz mit Dave zusammen.
Ray zeigt sich ebenfalls als erfinderischer Songwriter. Und er regiert die Band damit. Die sozialkritischen Beobachtungen über britisches Statusdenken, Adel, Spießertum, schräge Typen (wie die "Wicked Annabella" oder Transvestit "Lola") beschreibt er mit Wortreichtum und Witz. Dave liefert dazu mit seinem Gitarrenspiel stets die Balance aus 'scharfkantig' und 'lieblich'. Trotz ihrer mitunter auch mal harten Rocksongs beschreiten sie vor allem auf Rays Betreiben hin einen anderen Weg als ihre Londoner Zeitgenossen The Who und The Pretty Things. Während auch diese beiden Bands genauso wie The Kinks eifrig das Modell der Rock-Oper und des Konzeptalbums testen, kracht der Sound bei The Who zunehmend, und auch lange Songs sind Teil dieser Entwicklung. Dave kann da nur neidvoll in der zweiten Reihe stehen und verkneift sich epische Gitarren-Intros oder Soli.
Psychedelisch gar, wie andere englische Bands jener Phase, geraten The Kinks allenfalls mal in Form der LP-Cover-Abbildungen ("Sleepwalker", "Misfits") in den ausgehenden '70ern, als sie bereits das Plattenlabel gewechselt haben. Während ihrer Phase bei Arista Records hält sich Dave völlig mit dem Schreiben von Songs zurück. Die Band tourt viel, und seine wenigen Beiträge zu den Single-Hits, "Susannah's Still Alive" und "Death Of A Clown", lassen sich unter dem Spruch "Blindes Huhn findet auch mal ein Korn" zusammen fassen.
Unterdessen arbeitet Dave insgeheim an Solo-LPs. Sie folgen zwar ab 1980, floppen aber. Auch wenn Dave sich an seinen Longplayers "AFL1-3603" mit Stolz erinnert. Von einem europäischen Vertrieb wurde das Teil für die Remastered-CD peinlicher Weise in "AFLI-4036" umbenannt, was die Bedeutungslosigkeit unterstreicht.
The Kinks laufen Anfang der '80er als Band kurzzeitig wieder zur Hochform auf. Die politischer werdenden Songs ("UK Jive" mit Bezug zur die Apartheid, "War Is Over" als frühe Vorhersage des Mauerfalls), oft bluesrockiger als früher und nahe am Stadionrock, etablieren die Gruppe als Classic Rock-Band in den USA. Ihre Tourneen finden dort weiterhin Zuspruch. Doch die Verkaufszahlen sind zu schwach für MCA, eine Firma, die ums Überleben kämpft und The Kinks die weitere Unterstützung versagt.
Währenddessen entfaltet Dave ein kompliziertes Privatleben. Insgesamt vier Kinder zählt er bereits aus seiner ersten Ehe, die 1990 zu Bruch geht. Einer der Sprösslinge ist Russell T., mit dem er 1998 und 2017 jeweils Alben einspielt und der unter dem Namen Cinnamon Chasers ein Alternative Rock-Musiker wird. Auch aus einer anderen Beziehung hat Dave mehrere Kinder, darunter Daniel Davies. Auch der wird später ein erfolgreicher Musiker.
Nachdem das letzte und eines der besten Album von The Kinks, "Phobia", 1993 sang- und klanglos untergeht, beginnt die Auflösung der Band, das Auseinanderleben und Daves Solokarriere. Ausgerechnet jetzt, nachdem Dave Davies, jüngerer Bruder von Ray, gleich vier der 17 Songs beisteuern durfte. Nie waren's so viele auf den 27 Alben zuvor, und deswegen hat Dave auch die Schnauze voll.
Kurz bevor sie 50 werden, erkennen die Geschwister, dass eine Zusammenarbeit bis in den Tod keinen Sinn ergeben wird. "Hatred is the only thing that keeps us together!" - "Hass ist das einzige, was uns verbindet", duellieren sie sich in ihrem einzigen Gesangsduett aller Zeiten, "Hatred (A Duet)".
Dass Van Halen die Kinks ohne Ende coverten und The Modern Lovers sie als Vorbild angaben, hätte den Kinks zu denken geben können. Doch sie nutzen ihre Berühmtheit nie, um mit jüngeren Acts zusammen ins Studio zu gehen.
Für beide, Ray wie auch Dave, entpuppen sich die Solo-Wege als schwieriges Pflaster. Rays Autobiographie und Solo-Tour wird zunächst von den Kritikern heiß erwartet, doch das Interesse verglüht allzu schnell. Dave gibt ebenfalls Memoiren heraus, macht einen Schritt in Richtung Soundtrack-Arbeit und arbeitet für einen Film. Letztlich kommt er aber überhaupt nicht in die Position, sich auf sein eigenes Songwriting zu konzentrieren, verzettelt sich und bringt über obskure Kleinst-Labels immer wieder Live-Mitschnitte und Demo-Versionen heraus. Dazwischen, sowie auch auf den Live-Alben, immer wieder: die alten paar Hits ("Death Of A Clown", 1967, "This Man He Weeps Tonight", 1969 usw.). Dave braucht lange, bis er zu seinen eigenen Ideen findet und an seine Qualitäten als Songschreiber glaubt.
Als er gerade an dem Punkt angelangt, mit "Bug" 2002 ein originelles richtiges Soloalbum mit Punkrock-Einflüssen ausgetüftelt zu haben, wirft ihn kurz darauf ein schwerer Schlaganfall aus der Bahn. Das Album leidet unter mangelnder Promo-Aktivität. Einziger Trost: Das amerikanische Rolling Stone-Magazin kürt ihn zu einem der hundert besten Gitarristen aller Zeiten. Die Solo-CD "Fractured Mindz", die DVD-CD-Kombi "Kronikles - Mystical Journey" und die Compilation "Rippin' Up Time" aus Anlass von 50 Jahren The Kinks laufen immer wieder mal als Versuche, sich in Erinnerung zu bringen. Auf Tour zu gehen, verbietet meist sein Arzt.
Inzwischen spielt sein Sohn Daniel Davies als feuriger Gitarrist und Komponist bei den Stoner Rock-Gruppen Year Long Disaster und Karma To Burn und macht so dem Vater alle Ehre. 2018 ist Sohnemann Daniel Davies auf John Carpenters beachtlichem Soundtrack zu "Halloween" zu hören, der am gleichen Tag erscheint wie Daves Songs, an denen er lange im Geheimen gearbeitet hatte.
Die Lieder von "Decade" hatte Dave Davies noch in den The Kinks-eigenen Konk Studios eingespielt - in den 70er Jahren. Seine Kinder hatten Dave darauf gebracht, dass diese Songs an die Öffentlichkeit gehören. Gut, wenn man so viel Nachwuchs hat: Sohn Simon restaurierte die alten Aufnahmen. Er legte zusätzliche Gitarren- und Gesangsspuren auf einige der Tracks, fügte ein paar (unauffällige) Effekte hinzu.
Mit der so veredelten CD beginnt 2018, vier Jahrzehnte später als es wohl geplant war, nun wirklich die Solo-Karriere von Dave Davies. "Decade" zeigt auf verblüffende Weise, wie Dave die klanglichen Duftmarken der Kinks mit kreiierte. Vom ersten bis zum letzten Ton klingt die Platte nach The Kinks, obwohl nur einer von ihnen an Bord ist (und in zwei Songs der Drummer).
Und wie nun weiter? Ray Davies zeigt sich bereit für eine Re-Union von The Kinks. Drummer Mick würde mitmachen. Dave eiert und druckst im Interview mit dem NME herum: zusammen spielen, ja. Man rede darüber. Aber ein Album sei wahrscheinlicher. Wenn man Material zusammen bekäme. Doch eher Shows? Oh, nein, Auftritte seien nicht so wahrscheinlich. Für Ray ist 2019 das Jahr des The Kinks-Comebacks - einig sind sich die Brüder offenbar immer noch nicht.
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