26. Mai 2022

"Die Gitarre war mein Zufluchtsort"

Interview geführt von

Der Titel "Diamond Star Halos" mutet mit seiner optimistischen Wortwahl bandtypisch an. Mittlerweile versprühen die in Amerika so erfolgreichen Briten auf ihrem zwölften Studioalbum wieder eine Spielfreude, die ihnen zeitweise erheblich abhanden gekommen war.

Nach den Anfängen in der New Wave Of British Heavy Metal mit "On Through The Night" und "High And Dry", feierte das Quintett mit "Pyromania" und "Hysteria" ihre größten Erfolge. Mit dem Coveralbum "Yeah" folgte die Rückbesinnung auf die eigenen Tugenden, die in "Songs From The Sparkle Lounge", dem selbstbetitelten Statement und nun mit "Diamond Star Halos" ein veritables Spätwerk ergeben. Qualitativ mehr Licht als Schatten setzt die Band neben ihren Trademarks aus Meterdicken Chören, himmlischen Hooks und Rock-Riffing auch auf ungewöhnliche Klänge.

Der auf der Bühne wie ein James Bond Look-Alike wirkende Phil Collen ist im wirklichen Leben ein umgänglicher Zeitgenosse. Entsprechend schaltet sich der Gitarrist und Songwriter gut gelaunt via Videocall dazu.

Hey Phil, hoffe alles klar bei dir!

Oh mir geht es blendend. Das Studio hinter mir war während des Lockdowns mein Zufluchtsort gewesen. Hier habe ich alle Vocals und Gitarren aufgenommen. Wir haben definitiv mehr gestemmt bekommen als in der herkömmlichen Arbeitsweise in Präsenz. Von einem künstlerischen Standpunkt aus betrachtet konnten wir uns voll fokussieren und die Hintergrundgeräusche ausblenden. Wir waren in einem ständigen kreativen Austausch und ließen die Files kursieren.

Das schaut auf jeden Fall nach einem sehr kreativen Ort aus, an dem du dich befindest. Alleine die Gitarren im Hintergrund wirken beeindruckend.

Alles lief direkt über den Rechner. Es war nicht mit der Tüftelei in einem echten Studio vergleichbar, wo du ewig an einzelnen Sounds herumschrauben kannst. Ich lebe nicht weit vom Strand entfernt. Während des Lockdowns bin ich früh aufgestanden, eine Runde schwimmen gegangen und habe ziemlich coole Ideen entwickelt. Mein Handy war mein verlängerte Arm zum Studio. Ich habe ständig Ideen eingesungen, die ich dann zuhause weiter entwickeln konnte.

Gut, dass du dein Handy nicht verloren hast. Es gibt doch die Story von Kirk Hammett, der vor der Produktion der letzten Metallica-Platte "Hardwired" sein Handy verlegt hatte und somit keinen Songwriting-Beitrag leisten konnte. Vor zwei Jahren habt ihr euch in den Startlöchern für eine große Nordamerika-Tour mit Mötley Crüe und Poison befunden, dann kam Corona und die Welt war auf einmal eine andere. Bestand eure Reaktion auf die ausgefallenen Shows darin zu sagen, ok, wenn wir schon nicht live spielen können, dann nehmen wir wenigstens neue Musik auf?

Nein! Die erste Reaktion war eine Auszeit zu nehmen. Ich habe etwa Unmengen an Junk-Food in mich reingestopft und erst einmal nur abgehangen (lacht). Mein Sohn ist mittlerweile drei, es war cool, so hautnah zu erleben, wie er aufwächst. Daneben habe ich mich meiner Leidenschaft für Filme gewidmet.

Nach und nach kamen die ersten Songideen. Joe (Anm.: Elliott, Sänger) und ich planten eigentlich für die Tour ein oder zwei Songs zu schreiben, weil wir zu dieser Zeit kein neues Studio-Material am Start gehabt haben. Während des Lockdowns kam der Stein ins Rollen, wir waren ständig im Austausch und schickten uns Ideen. So kreativ und ergiebig haben wir meines Erachtens noch nie gearbeitet.

Ich lebe in Kalifornien, er in Großbritannien. Er wurde wach, arbeitete weiter an den Ideen und sendete sie mir über den Teich. So entstanden nach und nach die Bausteine für die einzelnen Tracks. Dieser Prozess war sehr inspirierend und es hat einige Zeit gedauert bis wir realisierten, das ein neues Album am entstehen ist.

Welche Tracks sind denn als erstes entstanden? Es sind insgesamt fünfzehn Songs auf dem Album, die voller verschiedener Farben und Überraschungen stecken. Kannst du uns den Startpunkt verraten? Ich stelle mir vor, dass es ein Trademark-Rocker wie "Kick" gewesen ist, der die Band-Essenz vereint und dich direkt mitreißt.

"Kick" war tatsächlich der letzte Song (lacht). Er war eigentlich für eine weibliche Stimme gedacht. Als ich ihn Joe und den anderen Jungs vorspielte, waren sie komplett aus dem Häuschen und nagelten mich mit den Worten fest: "Das ist ein verdammter Def Leppard-Song". Die ersten Songs, die sich aus unseren Ideen herausschälten, waren "Open Your Eyes" und "All We Need".

Der älteste Song heißt "This Guitar". Den Track habe ich mit meinem guten Freund C.J. Vanston vor siebzehn Jahren geschrieben. Joe hing mir die ganze Zeit in den Ohren, dass wir den Song mal ausprobieren sollten. Ich fertigte ein Demo an, sang auch einige Passagen, von denen schlussendlich sogar welche auf der neuen Platte verwendet wurden. Wir sind dieses Mal sehr unbelastet an das Songwriting herangetreten und haben uns in die Fanperspektive versetzt. Das hat die Dynamik verändert und uns richtig gut getan.

"Ich bin nie in die Teenage-Angst verfallen"

"This Guitar" zeigt einige coole Schmankerl auf der Gitarre. Gut, dass der Track nun zu seinen verdienten Ehren auf einer Platte kommt. Ich frage mich, in welcher Weise der Song ein wenig aus deiner Biografie erzählt. Die Lyrics "This Guitar saved my life" weisen in die Richtung, oder nicht?

Absolut. C.J. spielt die Keyboards, er ist der beste Session-Keyboarder von Chicago und hat mit Tina Turner, Tony Bennett oder Dolly Parton gespielt. Er teilt meine Erfahrungen. Als wir den Track geschrieben haben, hat uns dieses Gefühl geleitet. Ich bin nie in die Teenage-Angst verfallen. Die Gitarre war mein Zufluchtsort, an den ich immer und jederzeit zurückkehren konnte. Man kann sich auf so viele Arten ausdrücken. Dieser Song spiegelt definitiv meine Erfahrungen wider.

Und es ist ein cooles Duett gleichermaßen. Wie kam die Zusammenarbeit mit Alison Krauss zustande? Ihr habt bereits in der Vergangenheit mit einer Country-/Pop-Ikone gearbeitet, nämlich Taylor Swift.

Es war ein sehr natürlicher Prozess. Alison ist Fan der Band, das gleiche gilt für uns und das seit ungefähr dreißig Jahren. Es hat sich folgendermaßen ereignet: Joe hat sich mit Robert Plant unterhalten. Das Thema war Fußball (grinst). Dann schwenkte Joe auf unser kommendes Album um. Robert meinte, dass diese Nachricht Alison sehr erfreuen dürfte. Und so kam eins zum anderen. Zunächst war ein Beitrag auf einem Song geplant. Wir haben ihr schlussendlich zwei Songs geschickt. Aufgrund ihrer tollen Performance ist sie nun auf beiden Songs zu hören (Anm.: Neben "This Guitar" ist dies noch "Lifeline"). Die beiden Stimmen von Alison und Joe harmonieren wirklich gut miteinander.

Die Band ist bekannt für ihre überlebensgroßen Produktionen. Ihr habt bereits zu einem frühen Zeitpunkt in eurer Karriere digitale und zeitgenössische Sounds integriert. Du hast es bereits zu Beginn unseres Gespräches anklingen lassen, dass es einfach gewesen ist, digital zusammenzukommen. Hast du es nicht vermisst, in einem Raum gemeinsam zu spielen?

Ich habe natürlich vermisst, mit der Band zu spielen. Allerdings blockiert es bisweilen den kreativen Prozess, wenn alle an Bord sind. Außerdem ist es eine spürbare Drucksituation. Wenn jeder seinen Senf zugibt, kann man sich nicht fokussieren. In der momentanen Arbeitsweise kannst du etwas nach verfolgen, bis es fertig ist oder wenn du inspiriert bist, folgst du einfach deiner Intuition.

Selbst wenn wir gemeinsam im Studio gewesen sind, haben wir immer getrennt aufgenommen. Insofern fiel dieser Schritt gar nicht mal so groß aus. Auch bei den letzten Alben habe ich meine Gitarre direkt in den Computer eingespielt, ich hatte es bereits erwähnt. Für mich war es wundervoll, den Prozess von zu Hause aus zu gestalten. Ich konnte viel Zeit mit meinem Kind verbringen. So konnte ich Musik und Familie vereinbaren. Einfach raus in den Park, wenn mir danach ist. Wenn ich nun am aufnehmen war, hat meine Frau übernommen und mit meinem Sohn gespielt und getobt, während ich an Songs herumgetüftelt habe.

Nebenbei erledigt man die musikalische Früherziehung für die Kids.

Ja, genau. Schau, ein Freund von mir ist Schlagzeuger und wir spielen von Zeit zu Zeit gemeinsam. Sein Sohn ist ein kleiner Dummer, der die ganze Zeit über am Kit sitzt.

Zudem sind Kinder sehr ehrlich und direkt, was Dinge angeht, die gefallen oder eben auch nicht.

Das kommt auch noch dazu (grinst).

"Die Tour ist die größte Party!"

Lass uns mal über einige ungewöhnliche Klänge auf der neuen Platte sprechen. "Liquid Dust" hat einige coole orientalische Manierismen im Klangbild, die deutlich auf die späten Sechziger und die Experimente der Beatles verweisen. "From Here To Eternity" steht in der Tradition der ausufernden Tracks wie "Die Hard The Hunter" und hat einen schönen Siebziger-Bezug.

"Liquid Dust" dreht sich um Reinkarnation und verweist auf östliche Philosophien. Wir sind am Leben, bestehen aus Flüssigkeit und werden früher oder später zu Staub und dann geht alles wieder von vorne los. Das ist die Message hinter diesem Track. Hier stand die Melodie zuerst und ich wollte die von Dir angesprochenen Elemente mit rein bringen und dachte auch an die späte Beatles-Phase, die ich vergöttere.

"From Here To Eternity" geht auf einen Einfall von Rick Savage zurück. Unserer Vorstellung nach tendiert der Song in Richtung Film Noir. Dies gab gewissermaßen die klangliche Umgebung vor. Künstlerisch vollziehen wir mit dem Song eine ziemliche Wendung. Wir haben auch in der Vergangenheit Tracks, auf denen es viel zu entdecken gibt, wie bei einem Jigsaw-Puzzle oder einem Kreuzworträtsel, wo man auch eine Strategie der Herangehensweise benötigt, um durchzublicken.

Soundtrack-Analogien finden sich auch im Song "Goodbey For Good", der äußerst orchestral gehalten ist. Die Band tritt förmlich aus dem Rampenlicht, von der spanischen Gitarre und einigen Drum-Rolls einmal abgesehen.

Joe arbeitete zwei Stücke auf dem Klavier aus. Neben "Goodbey For Good" ist dies der Track "Angels" gewesen. Mike Garsons, der lange Jahre David Bowie begleitet hat, spielt auf beiden Songs Klavier. Es gibt einen Track auf "Aladin Sane" namens "Lady Grinning Soul", auf dem Garsons Klavier spielt und Mick Ronson die spanische Konzertgitarre spielt. Somit zollen wir mit unserem Track Tribut für Mick Ronson und dessen Bowie-Ära. Gerade durch die Streicher erhält der Song zusätzliche Schönheit. Jeder Song benötigt seine eigene Umgebung, Seele oder Bestimmung, wie auch immer man es nennen möchte. Es muss nicht alles mit Gitarren und Schlagzeug vollgestopft sein.

Jeder Song ist für sich ausdrucksstark. Dennoch macht ihr euch das Album-Format zu eigen. Am Ende von "Liquid Dust" hört man eine Mandoline oder ein hohes Gitarren-Voicing, das direkt zum darauffolgenden Track "U Rok Mi" überleitet. Beiden Songs ist eine traditioneller Hintergrund zu eigen. Im ersten Falle die angesprochenen orientalischen Einflüsse, im zweiten Fall schimmern Irish Folk-Vibes durch. Habt ihr die Nummern aufgrund des jeweiligen traditionellen Backrounds zusammengebunden.

Das war Joes Idee. In der Tat beziehen beide Tracks ihre Inspiration aus unterschiedlichen traditionellen Spielarten. Das von dir angesprochene Voicing erklingt auf eine Ukulele. Meine Tochter hatte sich eine gewünscht. Sie bekam eine und alle anderen im Haushalt eine mit. Ich habe mir dann das Instrument meiner Frau geschnappt und damit experimentiert, was in "U Rok Mi" gemündet ist. Der Song startet mit der Ukulele, dann fadet ein Hip Hop-Drum Loop ein und explodiert in diesem riesen Rock-Refrain, der durchaus an Queen erinnert.

Es passte einfach perfekt, Joes Idee aufzugreifen und die beiden Tracks zu verbinden. Der eine Song basierend auf dem indischen Thema fadet aus und geht in dieses keltische Thema über, das wiederum in einem Rock-Song explodiert. Beide Songs führen dich auf eine Reise. Nicht nur musikalisch sind die Songs verbunden. "U Rok Mi" dreht sich um Inspiration wie von einer Muse geküsst zu werden. Dieses Feeling beschreiben wir, wenn du plötzlich inspiriert bist. "Liquid Dust" dreht sich bekanntlich um Reinkarnation. Beide Texte beschreiben auf ihre Weise menschliche Erfahrungssphären.

Nun stehen zwei Jubiläen an: 40 Jahre "Pyromania" und 40 Jahre Phil Collen als Mitglied von Def Leppard. Wie gedenkt ihr dies zu feiern?

Die Tour ist die größte Party, die wir feiern können. Wir haben alle angefangen Musik zu machen, weil uns das Live-Ding großen Spaß bereitet. Das ist die eigentliche Feier. Den Rest binden wir dann in die Konzerte mit ein. Außerhalb der Konzerte halten wir uns mit Feierlichkeiten kurz. Ich gehe gewöhnlich um 10 Uhr ins Bett. Die Bestimmung ist die Bühne. Das wollen wir schleunigst wieder hin.

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