6. August 2021

"Bei uns wird man ohne Wenn und Aber akzeptiert"

Interview geführt von

Nachdem die Dirty Heads mit ihrem Genre-Mix aus Reggae, Pop, Rock und vielen anderen Einflüssen fast 20 Jahre erfolgreiche Bandgeschichte hinter sich haben, erlebten sie Anfang des Jahres einen unglaublichen, weltweiten Popularitätsboost - allerdings aus unerwarteter Richtung.

Ihre 2017er Single "Vacation" bahnte sich ihren Weg durch die TikTok-Algorithmen und entwickelte sich unter dem #VacationTransition zur Hymne der wiederauferstandenen Urlaubsstimmung. Inzwischen veröffentlichte die Band mit "The Best Of Dirty Heads" Mitte Juli ihre erste Best-Of-Kompilation.

Im Zoom-Meeting treffe ich Leadsänger Jared Watson mit Bucket-Hat und gewohnt guter Laune. Die Geschichte des neuen Albums ist am Ende nur eine Anekdote von vielen, die der Frontman nach dem Höhenflug seiner Band auf Lager hat.

Hey Jared!

Hey Mann!

Wie gehts so?

Mir gehts echt gut.

Was macht das Wetter bei euch? Ich habe vorhin mal euren heutigen Tourstopp in den Staaten gecheckt, und es sieht so aus, als könntet ihr ein schönes sonniges Plätzchen erwischt haben.

Definitiv, es ist heiß. Es ist wirklich verdammt heiß. Die ganze Tour ist einfach schon extrem heiß. Wir sind an der Ostküste, dann gehen wir runter, dann an die Südküste und auch noch nach Texas, aber es ist echt cool. Ich bevorzuge sogar heiße, feuchte Shows, das ist gut für die Stimmbänder. Schwitzige, intensive Shows haben einfach was für sich, sie machen Spaß.

Das glaube ich dir auf jeden Fall. Wir haben hier auch endlich die ersten wirklich heißen Tage des Jahres und unser Büro ist noch dazu am Bodensee, kennst du den?

Nein.

Das ist der größte See in ganz Deutschland, deshalb: Ein großer See, sonniges Wetter, was will man mehr?

Oh man, das ist cool! Wir waren bis jetzt tatsächlich nur in Berlin, was Deutschland angeht. Wir hatten da einen Pressetermin und haben einmal eine Show mit mehr oder weniger zehn Leuten im Publikum gespielt. In dem Moment war mein erster Gedanke 'Das ist echt krass, wir haben Fans in Deutschland'. Danach habe ich sie kurz gesprochen, und es stellte sich heraus, dass sie in Wirklichkeit Marines aus San Diego waren und für das Militär hier stationiert sind und dachte nur 'Fuck' (lacht).

Immerhin hast du jetzt immer eine lustige Geschichte auf Lager. Jetzt aber mal zu eurer neuen Best Of-Kompilation, die ihr vor kurzem veröffentlicht habt. Beim Anhören dachte ich mir immer wieder, dass der Release, in Kombination mit dem schönen Wetter, wirklich perfektes Timing war.

Absolut, das ist auch unser Ziel. Das wollen wir mit unserer Band liefern, Musik für genau diesen Anlass.

Wie fühlt es sich denn an, sagen zu können 'Hey schaut uns an, unsere Band hat ein Best-Of Album'? Hat schließlich auch nicht jeder in seiner Diskografie.

Es steckt auf jeden Fall sehr viel Stolz in diesem Gedanken, aber natürlich auch viel Rechtfertigung für die ganze harte Arbeit, die wir über die Jahre investiert haben. Auf der anderen Seite ist es aber auch ein bisschen komisch, weil wir selbst das Gefühl haben, dass wir noch relativ jung sind. Wir sind ja noch nicht in unseren 50ern, und bei sowas denke ich immer viel mehr an Classicrock-Bands. Ich dachte mir, dass wir noch so viel Arbeit vor uns haben, und wir mit all den Sachen, die noch kommen werden, eine weitere rausbringen müssen.

Es war aber auch ein brillianter Schachzug des Labels. Da wir mit "Vacation" und "Rage", der neuen Zusammenarbeit mit Travis Barker, so viele neue Fans dazugewonnen haben, kam ich beim Hören der Songs nicht um den Gedanken herum, dass ich all diese Songs so sehr liebe,und sie einen großartigen Startpunkt für die nächsten Kapitel darstellen. Und natürlich gibt es verschiedene Playlists und Essentials auf Spotify, Apple und den ganzen anderen Sachen, aber eine Auswahl unserer besten Songs fest zusammengestellt auf Vinyl oder CD zu haben, ist auch einfach genial.

In so einem Fall frage ich mich aber auch immer, wie sowas zusammengestellt wird. Waren das Management-Entscheidungen, Erfolgskriterien, persönliche Präferenzen oder vielleicht ein Mix aus allen Sachen?

Da spielen auf jeden Fall all diese Sachen eine Rolle. Da haben wir auch echt viel drüber geredet. Klar kann man auch Spotify gehen und sich unsere Top Ten anschauen, allerdings lassen sich einige dieser Songs nicht so gut auf die Bühne übertragen und unsere Live-Auftritte sind für uns der wichtigste Aspekt unserer Band. Wir sind eine Live-Band, touren seit 16 Jahren und darauf sind wir wirklich stolz.

Es sind vielleicht ein paar Songs dabei, deren Streamingzahlen nicht so gut sind wie die von anderen, weil sie nicht so viel Presserummel bekommen haben. Wenn wir die allerdings bei unseren Shows spielen, dann brennt die Hütte. Natürlich gibt es manche Hits, die mit auf die Platte müssen. Wir haben uns an manchen Stellen aber auch gegen Tracks entschieden, die aufgrund von Features oder zufälligen Werbeeinbettungen massive Klickzahlen erreicht haben, dafür allerdings wiederum für welche, die auf dem Papier weniger populär sind, live aber richtig abgehen.

Das ist auf jeden Fall nachvollziehbar. Der Aspekt Features ist aber auch gleich ein guter Stichpunkt. Ihr kombiniert in eurer Musik immer wieder verschiedene Genres wie Reggae, Pop, Rock oder Punk, und die Featureliste der Compilation enthält einige interessante Namen, die aus den unterschiedlichsten Ecken der Musikwelt kommen. Deshalb dachte ich grade an eine kleine Quickfire-Runde, ich sag' dir einen Namen und du kommentierst das Erste, was dir dazu in den Sinn kommt. Was hältst du davon?

Yeah, yeah (lacht).

Dann lass uns anfangen mit Travis Barker und Aimee Interrupter?

Woah, okay (überlegt). Freunde.

Tech N9ne?

Boah (lacht). Was ist das Wort, nach dem ich suche? Ah genau, Inspiration.

Oh, wieso gerade Inspiration?

Ich sags dir, Tech N9ne ist meiner Meinung nach als Lyriker und Rapper extrem unterbewertet. Ich war schon immer ein Fan von ihm, aber seine Fähigkeiten sind besser als die mancher Typen, die man immer in irgendwelchen Top-Listen findet. Das alleine ist schon beeindruckend, aber er ebnete halt auch noch den Weg für so viele junge Rapper*innen wie zum Beispiel Logic oder andere, die sich an diesen superschnellen Kadenzen und diesem ganzen Zeug probieren. Er war zwar nicht der erste, der das gemacht hat, er war kein Pionier, aber er ist zusammen mit Eminem einer der besten. Und als ich ihn zum ersten Mal getroffen habe, war er einfach so cool, freundlich und bodenständig.

Die Leute sagen immer man soll seine Idole nicht treffen, aber ganz ehrlich, es war so erfrischend zu sehen, dass er einfach ein cooler und angenehmer Typ ist. Inzwischen sind wir auch schon lange Freunde, und er ist einfach eine Inspiration, weil ich versuche, genauso bescheiden zu sein. Bis heute veröffentlicht er noch dazu regelmäßig neue Musik, das ist auch beeindruckend.

So jetzt noch einen Namenn, den du vielleicht sogar schon erwartet hast, und zwar Rome Ramirez von Sublime With Rome)

(lacht) Die erste Sache, die mir sofort in den Sinn kam, war Freude. Einfach ganz willkürlich. Ich meine, ich könnte ihn jetzt einfach ein bisschen roasten und ein paar fiese Sachen über ihn sagen, weil Rome wie ein Bruder für uns ist (lacht). Eigentlich ist er fast schon ein Teil unserer Band. Er steht mir genauso nahe wie die anderen Jungs aus der Band. Wir haben über die Jahre so viel zusammen gefeiert und so viel dummes Zeug angestellt, aber seine besten Eigenschaften sind einfach sein Charakter, seine Energie und seine Sichtweisen auf das Leben. Er ist immer so positiv. Kennst du das, wenn manche Leute in einem Raum kommen und dich mit ihrer Energie einfach mitreißen? Und dann gibt es noch diese Leute, bei denen man am liebsten sofort verschwinden würde?

Na klar, auf jeden Fall.

Rome ist dieser Typ Mensch, dessen positive und angenehme Energie sich auf jeden überträgt. Du weißt, dass es eine tolle Zeit wird, wenn er da ist. Wir sind beide zusammen aufgewachsen und haben beide ungefähr zur selben Zeit mit der Musik angefangen. Wir haben uns erst letztens darüber unterhalten, wie schön es ist, dass niemand versucht dem anderen in den Rücken zu fallen oder irgendwie auf Kosten anderer einen Vorsprung zu gewinnen. Jeder will, das jeder gewinnt.

"Lieber habe ich den größten Erfolg am Ende meiner Karriere, als dass ich ihn gleich am Anfang erlebe und daran zerbreche"

So eine Bindung ist wirklich etwas besonderes. Jetzt ist Rome allerdings ein Freund, den ihr seit Ewigkeiten kennt, mit der Neuauflage von "Vacation" gibt es wiederum eine weitere, ganz aktuelle Kollaboration mit Pat Monahan von Train. Wie kam diese zustande?

Ich war selber ziemlich durch den Wind, als ich das zum ersten Mal mitbekommen habe (lacht). Pat ist befreundet mit unserem Management und Leuten vom Label. Als wir dann rausfanden, dass er eine Version des Songs machen wollte, waren wir erst mal geschockt, und mir persönlich hat das auch echt aus der Bahn geworfen. Ich meine Train? Das habe ich nicht kommen sehen. Danach habe ich mir dann mal alle ihre Songs angehört und geschaut, was Pat überhaupt so gemacht hat, was für Songs er geschrieben hat. Da ist mir dann wieder aufgefallen, was er für ein guter Songwriter und Sänger ist. Und auch, wenn wir vielleicht nicht dieselbe demographische Zielgruppe haben oder die Zusammenarbeit dem ersten Anschein nach vielleicht nicht hundert Prozent Sinn gemacht hat, das ist einfach das coole an der Musik.

Zwei Bands aus unterschiedlichen Welten können zusammenkommen und einen Song aufnehmen, ohne das irgendwelche Egos dazwischenfunken. Wenn jemand Lust hat, Teil eines Songs zu sein, warum dann nicht einfach Spaß haben und das machen? Wenn er bei einer unserer Shows wäre und sagen würde, dass er auf die Bühne kommen will, dann wären wir sofort einverstanden. Sowas macht einfach extrem Spaß, also sollte man es auch tun. In dieser Hinsicht denken wir nicht viel nach. Wenn Leute unsere Musik spielen wollen, einen Remix aufnehmen wollen oder ein Teil davon sein wollen, dann sind wir da dabei.

Aber denkst du, es wäre überhaupt soweit gekommen, wenn "Vacation" nicht diesen extremen TikTok-Hype erfahren hätte?

Naja, sagen wir mal so, warum würde jemand sonst eine neue Version eines vier Jahre alten Songs machen wollen? Der Song war schon damals ein Fanfavorit, und es kommt bald noch ein Südamerika-Remix, aber wir wissen, dass vor allem unsere Fans in den Staaten inzwischen ein bisschen über das Ganze hinweg sind. Es ist in der breiten Masse super populär, aber wir wollen es unserer Hardcore-Fanbase auch nicht mit aller Gewalt reinwürgen. Gleichzeitig ist es natürlich cool, dass sich jetzt zum Beispiel Interviews wie mit dir hier in Deutschland ergeben. Das Internet und Social-Media lassen uns als Band wachsen. Wir wissen, dass unsere Musik gut ist, aber es ist nicht immer leicht, damit nach Deutschland, Japan oder Australien zu kommen und dort zu touren. Social-Media macht das alles ein bisschen einfacher, sodass man zumindest schon mal eine kleine Grundlage hat. Wenn wir jetzt hier aufschlagen, ist die Wahrscheinlichkeit dann höher, dass die Leute bereits von uns gehört haben, und das können wir dann weiter ausbauen.

Als wir damals angefangen haben, kam Napster gerade auf den Markt. Wir haben unseren ersten Labelvertrag verloren, weil Streaming und Downloading zu dieser Zeit auf dem großen Vormarsch waren. Für uns war das schrecklich. Wir dachten, dass wir niemals Geld verdienen können, und heute ist das alles völlig anders. Darüber bin ich sogar ganz froh, weil wer weiß, wie viele Leute uns allein durch Social-Media-Plattformen und das Internet entdeckt haben. Für Leute ist es inzwischen so viel einfacher dich zu finden, und sie können auch mal nur einen Song kaufen statt ein ganzes Album. Wenn ein Kind früher mal 15 Dollar für eine CD angespart hatte, dann war es ziemlich wahrscheinlich, dass es nicht unsere kauft.

Außerdem gibt diese Entwicklung die Musik zurück in die Hände der Fans. Da ist es egal, ob die Radiostation einen Song nicht mag oder eine verantwortliche Person wütend ist, weil wir nicht beim Geburtstag der Nichte aufgetreten sind oder sonst was. Was mich immer am meisten genervt hat, war die Aussage, dass etwas nicht so klingt wie das, was im Radio läuft. Und dann habe ich gesagt, dass es natürlich nicht so klingt, weil im Radio alles gleich klingt. Das war eine Sache, die ich nicht gerne gehört habe, und gleichzeitig war es so ein Spiel, das wir nicht gerne gespielt haben, und deshalb haben wir da auch nicht mitgemacht. Jetzt ist das völlig egal. Das Internet schnappt sich heute Sachen, lässt sie explodieren und verteilt sie überall auf der Welt. Ich finde das ist eine super Sache für die Musik.

Ich auch. Ich meine, ich bin in einer Generation aufgewachsen, die in Bezug auf Musik mit diesem Zugriff auf alles groß geworden ist, also ich kann definitiv damit leben.

(lacht)

Du hast im vergangenen Jahr in einem Interview allerdings auch erzählt, das der Sweetspot für einen großen Durchbruch deiner Meinung nach zwischen sieben und zehn Jahren harter Arbeit liegt. Das war noch vor eurem eigenen Social-Media-Hype. Hat sich deine Meinung dahingehend geändert, nachdem ihr die berüchtigte Kraft des Internets jetzt am eigenen Leib erfahren habt?

Oh ja, das hat sie. Ehrlich gesagt, habe ich da noch gar nicht so drüber nachgedacht, bis du es jetzt angesprochen hast. Wenn wir jetzt eine Diskussion führen würden, dann müsste ich sagen 'Scheiße, das ist ein verdammt guter Punk' (lacht). Ich meine, du hast recht, in meiner Generation und der Zeit, in der wir als Band angefangen haben, musste man rausgehen und touren. Man musste sich Abmühen, und es dauerte eine lange Zeit. Ich denke immer noch, dass es immer wieder eine Ausnahme der Regel gibt, man kann immer irgendwie die Lotterie gewinnen. Meiner Meinung nach ist meine Aussage zu einem gewissen Teil noch berechtigt, weil man es letztendlich immer noch so machen kann wie wir, aber es gibt natürlich viele neue Möglichkeiten, diesen Prozess deutlich zu beschleunigen.

Vor allem jungen, aufstrebenden Künstler*innen kann das natürlich auch zugute kommen. Man muss sich nur mal umsehen, wie viele inzwischen ja schon mit 19 oder so zum nächsten großen Megastar werden.

Schau dir beispielsweise Lil Nas X an, er hat sich mit Sicherheit nicht die letzten sieben Jahre über bis auf die Knochen abgemüht (lacht). Aber er gehört eben zu dem einen Prozent. Es gibt Millionen von Kids in den Staaten, Millionen von Kids in Deutschland, die versuchen, dasselbe zu schaffen. Sie sehen das und bekommen dabei allerdings wiederum auch eine unrealistische Perspektive auf die Realität. Dann passiert am Ende nach drei Jahren noch nichts, und sie geben auf, das ist schade. Das ist, wieso ich doch noch ein bisschen an meiner damaligen Ansicht festhalte. Das war sein Weg, und er hat es auf seine Weise geschafft, aber es ist nicht der Weg von allen anderen. Jeder kann es schaffen, nur manchmal dauert es einfach ein bisschen länger als bei den Erfolgsgeschichten, die man oftmals präsentiert bekommt.

Wie bei allen Sachen auf dieser Welt, hat halt auch diese Entwicklung mal wieder Vor- und Nachteile.

Es ist irgendwo sogar auch gefährlich. Ich denke gerade an die Zeit zurück, als wir von einem Label unter Vertrag genommen wurden. Da waren wir 21. Wenn wir da schon den Erfolg gehabt hätten, den wir jetzt haben, dann wäre ich vielleicht nicht unbedingt ein Arschloch geworden, aber ich hätte wahrscheinlich viel härter gefeiert. Ich wäre einfach nicht für das bereit gewesen, wo wir jetzt stehen. Deshalb bin ich sogar froh, dass wir langsam Stück für Stück gewachsen sind. Lieber habe ich den größten Erfolg am Ende meiner Karriere, als dass ich ihn gleich am Anfang erlebe und daran zerbreche. Ich bin einfach zufrieden mit dem Weg, der sich für uns ergeben hat.

Mit "Lay Me Down" hattet ihr in der Vergangenheit schon mal eine ähnliche Geschichte, der Song entwickelte sich ja zu einem Radiohit. Hat euch dieser damals schon große Popularitätsboost, - quasi wie eine Art Trittbrett - auf die noch größere Aufmerksamkeit durch euren TikTok-Triumphzug vorbereitet?

Definitiv, es war wie ein Schritt nach dem anderen. "Lay Me Down" half, dass wir nicht mehr vor 100, sondern auf einmal vor 1.000 oder 2.000 Leuten gespielt haben. Es brachte auf jeden Fall eine neue Zuhörerschaft. Daraus haben wir auch gelernt, dass man nicht einfach einen Hit hat, reich wird und dann aufhören kann. Es hat geholfen, aber es war nicht die Endstation. Es gab immer noch etliche Leute, die noch nie etwas von uns gehört haben. Man braucht mehr als nur einen Durchbruch.

"Die Leute sind bereit, von anderen Leuten umgeben zu sein, sie sind bereit, Spaß zu haben"

Was mir auch aufgefallen ist, seitdem "Vacation" viral gegangen ist, bespielt ihr euren eigenen Kanal regelmäßig mit Content, der übrigens extrem unterhaltsam ist und viel Meme-Potential birgt. Wer ist dafür eigentlich zuständig?

(lacht) Wir haben Anthony. Er füttert unseren TikTok-Kanal und ist auch unser Video-Editor. Er kommt überall mit hin, editiert die Videos und veröffentlicht sie. TikTok ist eine verzwickte Sache, entweder tanzt man oder macht Comedy, Stunts oder Pranks, aber das sind halt nicht wir. Wir machen keine von diesen Sachen. Wir sind nur Musiker, aber inzwischen kommt man ja eigentlich gar nicht mehr drum herum, überall präsent zu sein, sei es Instagram, TikTok oder sonst was. Das ist eine Menge Arbeit, und man sollte darin auch gut sein, aber wir wollen einfach nur Musik machen. Wenn es irgendwo da landet, ist es natürlich eine super Sache, dann haben wir passende Musik dafür gemacht. Wir verstehen, dass das natürlich ein Teil der heutigen Zeit ist. Aber anstatt das zu machen, was richtige Content-Creator auf TikTok machen, wollten wir lieber Behind The Scenes liefern. Wir sind alle in unseren 30ern, wir machen sicherlich keine Tänze und so ein Zeug.

Ich persönliche finde aber, dass ihr damit auch echt einen guten Job abliefert, vor allem was Authentizität angeht, nachdem ich dich hier jetzt mal persönlich kennengelernt habe.

Das weiß ich echt zu schätzen. Das ist ein größeres Kompliment als du wahrscheinlich denkst. Wir haben diese Diskussion schon immer innerhalb der Band, aber auch mit unseren Familien, dass es immer darauf ankommt, man selbst zu sein. Das ist immer der richtige Weg. Ich habe schon oft Freunde gefragt, ob sie meinen, dass ich in Interviews zu ehrlich bin oder ob ich mir eine Art Fassade zulegen sollte, damit unsere Fans uns vielleicht noch mehr mögen. Aber das ist einfach nicht die Art und Weise, wie es sein sollte. Wenn jemand behaupten würde, dass wir noch viel populärer werden könnten, indem ich mich auf eine Weise verhalte, die sich für mich nicht echt anfühlt, dann würde ich lieber klein bleiben, aber dafür ehrlich. Da muss ich keine Sekunde überlegen.

Ich glaube das ist auch der Grund, wieso viele Megastars früher oder später mit einem Burn-Out gegen die Wand fahren. Sie spielen oftmals eine Rolle, die sie spielen müssen. Ich kenne das ja selber, wenn man jeden Abend auf die Bühne geht und einfach jedes Mal funktionieren muss. Und wenn das dann auch noch nicht dein wahres und ehrliches Ich ist, dann stelle ich mir das einfach nur verdammt anstrengend und ermüdend vor. Da fragt man sich natürlich auch: 'Mögen die mich oder nur den Charakter, den ich spiele?'. Deshalb sagen wir, dass wir immer zu 100 Prozent ehrlich sein wollen, und wenn Leute das nicht mögen, dann ist das halt so. Wir versuchen nicht, Celebrities oder Popstars zu sein, wir wollen einfach nur Musik für so viele Leute wie möglich spielen.

Hat euch gerade so eine offene und aufgeschlossene Sichtweise dabei geholfen, den Erfolg zu erreichen, den ihr heute habt?

Ich denke schon. Unsere Kern-Fanbase ist hier in den Staaten inzwischen zu einer großen Gemeinschaft geworden, und ich bin mir ziemlich sicher, dass das funktioniert, weil wir einfach so sind, wie wir sind. Die Leute sehen und merken das, selbst in Meet & Greets, wenn sie realisieren, dass wir richtige Menschen wie alle anderen sind und keine Show abziehen.

Damit hast du mich jetzt tatsächlich auf einen spannenden Gedanken gebracht. Ich persönlich war aufgrund von Corona selbst schon fast zwei Jahre auf keinem Konzert mehr, womit ich natürlich keineswegs alleine bin. Jetzt wo allerdings wieder nach und nach alles geöffnet wird und Musiker*innen endlich wieder anfangen können zu touren: Verhalten sich die Menschen nach Monaten oder Jahren des Konzert-Entzugs anders als vor der Pandemie, sei es bei Meet & Greets, Liveshows oder ähnlichem?

Ich persönlich empfinde es schon so. Es ist aber irgendwie schwer zu beschreiben. Es gibt immer eine gewisse Energie, eine gewisse Magie bei Liveauftritten, die man spürt, wenn es losgeht. An manchen Abenden führt diese Energie zu einer unvergesslichen Show, an manchen allerdings auch nicht. Sie ist nie komplett weg, aber nicht immer gleich stark. Jetzt sind wir ja seit ein paar Wochen wieder auf Tour und tatsächlich war diese Energie einer speziellen und atemberaubenden Show jede Nacht aufs Neue da. Du musst dir das einfach vorstellen, wirklich jede einzelne Show seit Wochen strotzt nur so vor Energie. Die Leute sind bereit, von anderen Leuten umgeben zu sein, sie sind bereit, Spaß zu haben.

Man könnte meinen, dadurch läge mehr Druck auf uns, aber es ist sogar weniger. Wenn wir eine ausverkaufte Show haben, fühle ich weniger Druck, weil ich mir denke, es es ist ausverkauft, also wollen die Leute auch hier sein. Wenn sie nicht ausverkauft ist, mache ich mir oft Gedanken, ob alles gut geht oder die Leute uns hier vielleicht nicht mögen. Aber gerade ist es egal, ob ausverkauft oder nicht, ich will hier sein und dadurch fühlt es sich für mich an, als würden auch alle anderen unbedingt hier sein wollen. Alle wollen einfach zusammen sein. Ich fühle auf jeden Fall die veränderte Energie bei den Leuten, jeder einzelne freut sich und ist aufgeregt.

Wenn man jede Nacht von derart viel positiver Energie umgeben ist und wie bei euch die Live-Shows und Fans an erster Stelle stehen, fließen diese Gefühle dann auch in die Studioarbeit ein? Twenty One Pilots haben beispielsweise immer betont, dass schon beim Schreiben ihrer Songs ein genaues Bild der Live-Show in ihren Köpfen existiert, und sie eine exakte Vorstellung davon haben, wie alles auf die Bühne übertragen wird. Wie läuft dieser Prozess bei euch ab?

Wenn wir mit einer Tour fertig sind und bemerken, dass sich währenddessen irgendetwas falsch angefühlt oder eine Sache gefehlt hat, dann nutzen wir das direkt als Anlass für Veränderung. Daraus lässt sich oft ablesen, dass wir vielleicht ein paar mehr schnelle Songs oder vielleicht auch eher ein paar mittelschnelle Songs brauchen. Genauso könnte eine Ballade oder eher etwas Chilliges fehlen. Wir schauen, was uns bei den Live-Shows fehlt, das übertragen wir ins Studio, aber wir erzwingen es natürlich auch nicht. Wir haben am Ende dann vielleicht 21 Songs und dabei machen wir uns gedanklich Notizen, dass wir zum Beispiel drei schnelle Songs brauchen, weil die Auftritte langsam repetitiv werden und an Intensität verlieren. Oder wir haben zu viele mittelschnelle Songs, sodass der mittlere Part der Show, in dem wir vom Gas gehen, einfach zu lange dauert. Dann müssen wir etwas dagegen machen.

Ich war allerdings noch nie im Studio, habe einen Song geschrieben und wusste genau, an welcher Stelle er im Set auftaucht und wie die exakte Bühne dafür aussehen soll. Mir fällt eher auf, wenn einer unserer Songs im Tempo, Arrangement oder allgemeinen Vibe verändert werden muss, da ich merke, dass er andernfalls nicht auf der Bühne funktionieren wird. Diese Gedanken schwirren uns auf jeden Fall immer im Kopf herum. Ansonsten würden unsere Shows wahrscheinlich auch irgendwann langweilig werden. Nach jedem Auftritt, selbst wenn er sich noch so perfekt angefühlt hat, stehen wir danach zusammen als Band in der Umkleide und besprechen, was wir noch besser machen können. War das cool? Warum war das nicht so cool? Was können wir machen, dass eine großartige Sache noch besser wird? Wirklich, nach jeder einzelnen Show befassen wir uns mit solchen Fragen, und dafür liebe ich meine Kollegen.

Wir haben Freunde aus anderen Bands, die verlassen die Bühne und gehen danach separate Wege bis zum nächsten Gig. Das ist natürlich auch völlig legitim. Aber bei uns ist es egal, ob die Show gut oder schlecht lief, für so zehn Minuten nach unserem Auftritt kann niemand in unseren Backstage-Bereich kommen, weil diese Zeit reserviert ist, um über Verbesserungen nachzudenken. Und das ist der Grund, warum wir immer weitermachen können.

Dafür habe ich wirklich großen Respekt. Mit all der Leidenschaft und Hingabe, die ihr in eure Live-Vorbereitungen steckt, ist jetzt eigentlich auch der beste Zeitpunkt zu erfahren, was ein Dirty Heads-Konzert so besonders macht, und was Menschen erwarten können, wenn sie zum ersten Mal eins besuchen?

Man würde ein Gefühl der Freiheit spüren. 100 Prozent. Ich bin stolz auf die Fans und die Band, aber genauso auf die Gemeinschaft aller, die Stimmung und der Charakter unserer Musik. Bei unseren Shows wird man ohne Wenn und Aber akzeptiert. Unsere Fans sind so offen und jeder, der da ist, hat normalerweise dasselbe Mindset und ist auf derselben Wellenlänge. Alle sind da, um eine gute Zeit zu haben. Lass einfach los. Man trifft junge und alte Leute. Sexualität spielt keine Rolle, Hautfarbe spielt keine Rolle, keine dieser Sachen spielt eine Rolle. Man kommt zu einer unserer Shows und hat einfach eine gute und vor allem positive Zeit. Und natürlich feiert man eine ordentliche Party (lacht).

Besser hätte man es nicht zusammenfassen können, ein super Abschluss. Danke für das tolle und angenehme Gespräch.

Nein nein, danke dir. Ich habe es wirklich genossen.

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