24. August 2015

"Wir versteckten uns hinter privaten Posts"

Interview geführt von

Und plötzlich sind sie wieder am Start! Nach einer vierjährigen Schaffenspause meldeten sich Disturbed vor einigen Wochen völlig überraschend mit der Single "The Vengeful One" zurück. Doch das war erst der Anfang. Für Ende August wurde zudem die Veröffentlichung eines komplett neuen Studioalbums ("Immortalized") angekündigt.

Das Internetzeitalter kennt kein Erbarmen. Nichts bleibt mehr gemein. Schon gar nicht das Leben und das Arbeiten von Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen. Promis stehen ganz oben auf der Spionage-Liste einer Gesellschaft, die sich mehr und mehr in den endlosen Weiten des World Wide Web verliert.

Doch es scheint noch Mittel und Wege zu geben, die Öffentlichkeit an der Nase herum zu führen. So hat es die Band Disturbed doch tatsächlich geschafft, ihr erstes Album nach einer vierjährigen Pause bis knapp einen Monat vor dem VÖ-Termin weitestgehend unter Verschluss zu halten. Wie der Band dieses Husarenstück gelang, was die Fans vom neuen Album erwarten dürfen und warum Disturbed für die Herangehensweise an "Immortalized" wieder alte Erinnerungen auffrischten, verrät uns Gitarrist Dan Donegan im Interview.

Hi Dan. Wie oft hast du in deinem Leben schon das Internet verflucht?

Dan Donegan: Naja, ein paar Mal bestimmt schon. Man führt ja als Musiker eine sehr innige Beziehung mit dem Internet – ob man will oder nicht. Und wie in jeder anderen "Partnerschaft" gibt es Aufs und Abs. Aber ich weiß natürlich auf was du hinaus willst. (lacht)

Auf was will ich denn hinaus?

Du willst wissen, wie wir unser neues Album so lange geheim halten konnten.

Exakt. Da müssen doch Unsummen an Geldern geflossen sein.

(Lacht) Mit Geld hatte das nichts zu tun. Es geht einfach nur darum, etwas wirklich zu wollen. Dann hat auch das Internet mit all seinen Millionen Spähern keine Chance. Als wir uns entschieden, wieder miteinander zu arbeiten, war uns klar, dass die Welt da draußen früher oder später Wind davon bekommen würde. Das wollten wir aber nicht. Wir wollten in Ruhe arbeiten, uns Zeit lassen und uns einen langen Produktionsprozess gönnen. Wir saßen dann eine Weile rum und diskutierten mögliche Varianten aus. Und irgendwann hat es dann schließlich klick gemacht.

Bei wem?

Wer genau dann mit dem Vorschlag ankam, weiß ich nicht mehr. Ich glaube, es war David.

Der Vorschlag sah dann wie aus?

Es ging einfach darum, den Spieß umzudrehen. Die sozialen Netzwerke haben ja jeden einzelnen von uns permanent auf dem Schirm. Dort wird am meisten getuschelt. Wo steckt David gerade? Hat jemand Dan gesehen? Und was treiben eigentlich John und Mike? Hätten wir uns also mehr oder weniger über Nacht abgeschottet und uns im Studio verbarrikadiert, wären überall sofort die Alarmglocken losgegangen. Also haben wir uns zwischendurch immer mal wieder bei unseren Familien blicken lassen und eifrig auf die Auslöser gedrückt. So wurde der Hunger nach Neuigkeiten über die Band schnell gestillt. Unsere Fans wurden in regelmäßigen Abständen mit neuen Fotos von uns versorgt. So gingen keine Suchmeldungen raus. Und aufgrund der relaxten Fotos im Kreise unserer Liebsten kam auch niemand auf die Idee, dass hinter der Fassade vielleicht irgendetwas laufen könnte.

"Wir fühlten uns wie in einem Käfig gefangen"

Hättet ihr gedacht, dass das so reibungslos funktioniert?

Naja, wir haben es zumindest gehofft. Glücklicherweise hat es geklappt. Da diese Option der Geheimhaltung aber demnächst jedem da draußen bekannt sein wird, müssen sich andere Bands, die ähnliches geplant haben, wohl leider neu orientieren. Aber wie man sieht: Wenn man etwas will, dann gibt es auch einen Weg. Man muss sich halt nur etwas einfallen lassen.

Mir kam zu Ohren, dass ihr auch für die Produktion an sich neue Wege gegangen seid.

Ja, das stimmt. Während der letzten Produktionen haben wir verstärkt mit Audiofiles gearbeitet. David und John wohnen in Texas, Mike In Wisconsin und ich lebe in Illinois. Das sind ganz schön lange Strecken, wenn man sich mal in die Arme schließen will. Also haben wir uns die heutige Technologie zu Nutze gemacht. Das war auch völlig ok. Es hat auch vieles vereinfacht. Aber irgendwie ging dadurch auch dieses Bandgefühl ein bisschen verloren. Das gemeinsame Proben, das Ausarbeiten von Songideen, der persönliche Kontakt untereinander: Das wurde alles auf ein Minimum beschränkt. Diesmal haben wir wieder verstärkt als Kollektiv gearbeitet. Statt sich gegenseitig mit Mails zu bombardieren, haben wir uns lieber regelmäßig in den Flieger gesetzt. So kamen wir uns auch menschlich wieder näher. Dieser Prozess war ungemein wichtig für die Entstehung von "Immortalized".

War diese "digitale Entwicklung" der Band auch ein Grund dafür, warum ihr euch nach der letzten Tour für eine längere Pause entschieden habt?

Ja, auf jeden Fall. Dieses Gemeinschaftsgefühl war irgendwann nicht mehr so richtig da. Wir hatten zwar keinerlei Stress untereinander. Aber es ging mit der Zeit einfach zu viel verloren. Wir fühlten uns wie in einem Käfig gefangen. Vieles war Routine geworden. Zum Glück haben wir das erkannt. Die Pause war wichtig für die Band. Sie war auch wichtig für jeden einzelnen. Wir mussten unsere Köpfe wieder frei bekommen. Sonst hätte es irgendwann vielleicht richtig geknallt.

Danach seid ihr alle neue musikalische Wege gegangen. David hat Device gegründet, John reiste mit Adrenaline Mob um die Welt und Mike und du, ihr seid mit Fight Or Flight beschäftigt gewesen. Hatte irgendeiner von euch das Gefühl, dass aus einem dieser Projekte etwas Größeres hätte werden können?

Das ist schwer zu sagen. Alle Projekte hatten und haben Potential. Adrenaline Mob hatten mit "Undaunted" eine richtig starke Single am Start. David hatte mit Device ebenfalls Erfolg. Und auch Mike und ich konnten mit Fight Or Flight viele Leute da draußen überzeugen. Der Erfolg spielte bei diesen Projekten aber eher eine untergeordnete Rolle. Jedem von uns war klar, dass Disturbed wieder an erster Stelle stehen würden, wenn die Zeit reif ist. Es ging also eher darum, am Ball zu bleiben, nicht einzurosten und sich während der Pause nicht allzu weit vom Business zu entfernen. Wir wussten alle, dass das Disturbed-Kapitel noch längst nicht abgeschlossen war.

Wann war die Zeit denn reif? Gab es einen bestimmten Moment, der den Disturbed-Kreis wieder schloss?

Während der Pause hatten wir alle immer mal wieder lose Kontakt. Wir telefonierten hin und wieder. Und ab und zu traf man sich auch. Der eigentliche Auslöser war dann ein Meeting mit unserem Management im Januar 2014. Dort merkte man jedem an, dass es wieder an der Zeit für Disturbed war. Kurze Zeit später besuchte ich David in Texas. So kam die ganze Sache ins Rollen.

"David war zu Beginn etwas verkrampft"

Hat es sofort klick gemacht?

Naja, David brauchte einige Zeit, um ehrlich zu sein. Er war zu Beginn etwas verkrampft.

Wie habt ihr den Knoten lösen können?

Wir haben viel miteinander geredet. Irgendwann haben wir dann beschlossen mit den Skizzen und Ideen nach Chicago zu fliegen und sie mit den anderen Jungs auszuarbeiten. Das war der Knackpunkt. Von da an lief alles wie geschmiert.

Wie war denn das erste gemeinsame Zusammentreffen im Proberaum nach der Pause? Hattet ihr Berührungsängste?

Nein. Die Magie der Anfangstage war von der ersten Sekunde an wieder spürbar. Die ersten Sessions waren wirklich unglaublich. Es war wie eine Zeitreise. So haben wir ja auch angefangen. Als wir die Band gründeten, verbrachten wir die meiste Zeit der Woche gemeinsam im Proberaum. Dort entstand das Disturbed-Feuer. Diese Vibes haben wir in den Jahren vor der Pause etwas aus den Augen verloren. Für das neue Album haben wir alle wieder den Ausgangspunkt vor Augen gehabt. So sollte es normalerweise auch laufen. Vier Musiker in einem Raum. Man jongliert mit Ideen und arbeitet sie sofort aus.

Für die Finalisierung eurer Ideen habt ihr euch Kevin Churko (Ozzy Osbourne) ins Boot geholt. Was hat er, was andere nicht haben?

Die Chemie passte einfach. Und zwar vom ersten Moment an. Wir waren uns alle einig, dass wir auf jeden Fall mit einem neuen Mann zusammenarbeiten wollten. Das war uns wichtig. Kevin hat einfach perfekt ins Bild gepasst.

Gab es noch andere Kandidaten?

Oh ja, so einige. Der Job des Produzenten ist immens wichtig. Er macht am Ende den Deckel drauf. Die Songs können noch so gut geschrieben sein; wenn der Sound aber nicht passt, kann man das ganze Paket in die Tonne kloppen. Wir haben mit vielen Top-Leuten Kontakt aufgenommen. Wir haben beispielsweise mit John Feldman (The Used, Good Charlotte, Story Of The Year), Rob Cavallo (Green Day, Linkin Park, Black Sabbath) und Bob Rock (Metallica, Bon Jovi, The Offspring) gesprochen. All diese Leute wissen genau was sie wollen. Und jeder einzelne wäre eine Option gewesen.

Neue Herangehensweise, neuer Produzent, neues Feuer: Was ist von der alten Disturbed-Maschinerie geblieben?

Der Sound, die Power und der unbedingte Wille, das bestmögliche Ergebnis zu erzielen. Das sind auch die Dinge, die an erster Stelle stehen. Wir wollten uns nicht komplett neu erfinden. Es war ja nicht so, dass wir mit unserer Musik an sich unzufrieden waren. Wir wollten unsere Basis einfach nur auf ein neues Level hieven. Jeder Song des neuen Albums steht für sich. Es gibt kein Album-Konzept. Jeder Song erzählt eine eigene Geschichte. Es gibt jede Menge Hartes für die Harten und Melancholisches für die Träumer. "Immortalized" ist Disturbed pur. Es präsentiert sich aber auch das eine oder andere Unerwartete auf dem Album.

Da fällt mir doch glatt eure Neuinterpretation des Simon & Garfunkel-Evergreens "Sound Of Silence" ein. Der perfekte Schlusspunkt?

Ja, dieser Song ist wohl das i-Tüpfelchen. Ich kann mich noch sehr gut an die Entstehung erinnern. Eigentlich hatten wir eine klassische Metal-Version des Songs vorgesehen. Aber das klang irgendwie zu simpel, zu einfallslos und zu vorhersehbar. Kevin kam dann irgendwann mit den Piano-Arrangements um die Ecke. Und so pumpte sich das Ganze richtig auf und entfaltete sich letztlich in diesem orchestralen Bombast. Wir hatten alle Tränen in den Augen, als der Song im Kasten war. Vor allem Davids Stimme ist der Hammer. In diesem Song kommt seine komplette Bandbreite zum Vorschein. Wahnsinn!

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