23. August 2024

"Wir haben uns auch mal an den Rand des Wahnsinns getrieben"

Interview geführt von

Mit ihrem neuen Album "Romance" schlagen die Post Punk-Darlings von Fontaines D.C. einen Haken und verschmelzen ihren Sound mit dem Alternative aus den Neunzigern. Ich sprach mit Bassist Deego über die Neuausrichtung, japanische Bands und die Soziologie hinter ihrer Kunst.

Mit Outfits direkt von einer Berliner After Hour und Klängen aus der Alternative-Rotation der Neunziger scheren Fontaines D.C. auf ihrem neuen Album "Romance" aus. Die Vergleiche mit Korn oder Outkast im Vorfeld der Veröffentlichung kamen überraschend, wandelte der Vorgänger "Skinty Fia" ja noch auf recht konventionellen Post Punk-Pfaden.

Im Videocall begegnete mir ein entspannter Deego in seiner Londoner Wohnung und erklärte, was es mit diesem Wandel auf sich hat und welche Gesellschaftsforscher ihren Anteil daran hatten. Neben aufschlussreichen Geschichten zur Entstehung des Albums gab es dann auch noch eine sehr gute Bandempfehlung obendrauf.

Lass mich dir zunächst zum neuen Album "Romance" gratulieren. Die neuen Einflüsse im Sound gefallen mir sehr. Neben Nu Metal gibt es auch Alternative und Hip Hop zu hören. Wie kam das alles zusammen?

Ich denke, alles begann damit, als wir nach Covid wieder Gigs spielten. Das Green Man Festival war unser erstes als Headliner und wir suchten nach aufregender Musik für den Backstage-Bereich. Vor der Show wurden wir dann ein wenig albern und sprangen zu Songs von Outkast und Korn herum. Beide haben gemeinsam, dass ihre Musik mutig ist und sich nicht davor scheut, unkonventionell zu sein. Sie ist instinktiv, auch wenn sie mal ziemlich schräg sein kann. Wenn man unsere Musik so anhört, ergibt das total Sinn. Alles ist sehr befreit und bringt einem zum Lächeln.

Bevor ihr Ideen für das neue Album gesammelt habt, wart ihr mit den Arctic Monkeys auf Tour in den USA und Mexico. Wie hat dieses Erlebnis die Entstehung des Albums beeinflusst?

Ich konnte bei dieser Tour aus Gesundheitsgründen leider nicht dabei sein. Der Umfang dieser Live-Shows und die Art und Weise, wie sie die Ästhetik ihrer Alben dabei rüberbringen, ist sehr spannend. Dabei sind sie eine Band, die eine recht simple Zusammenstellung der Instrumente hat. Sie können die Ästhetik einfach sehr gut kommunizieren und das ist ein großartiges Erlebnis. In der Vergangenheit sind wir mit vielen tollen Bands wie Idles auf Tour gegangen. Die bringen ihre Message eher durch die Texte rüber. Das hat uns damals beeinflusst. Diese andere Herangehensweise hat uns dazu inspiriert, das auch bei uns mit einfließen zu lassen.

Ihr habt dann James Ford als Produzenten ausgewählt, der unter anderem auch die Arctic Monkeys und das aktuelle Depeche Mode-Album produziert hat. Was hat er mit eingebracht?

Er bringt's einfach. Er kann Künstlern sehr gut dabei helfen, ihre Ideen zu kommunizieren. Wenn man den Sound öffnet und versucht, mehr Instrumente mit einzubringen, kann das sehr verwirrend und überladen werden. Wenn man den Sound größer machen möchte und immer mehr Instrumente in den Stereomix packt, kann es passieren, dass du auf einmal einen großen Monoblock bekommst, wenn du es übertreibst. Es passt nicht mehr zusammen. Er hat die Skills, diese ganzen Dinge zusammenzufügen und den Sound breiter zu machen. Das hat er bei anderen Gruppen schon oft gemacht. Wenn du dir das aktuelle Album von The Last Dinner Party anhörst, ist da ordentlich was los, es klingt aber klar und ist angenehm anzuhören.

"Wir haben die Dinge in die Zukunft bewegt"

Ich habe viele Einflüsse aus den Neunzigern auf "Romance" heraushören können. Neben Grunge geht es auch stark in die Britpop-Richtung. Wo kommt diese Nostalgie her?

Ich denke, wenn du dich von gewissen Dingen beeinflussen lässt, wird es sicherlich mit einer Ära verknüpft werden. Jeder von uns hat so seine eigenen Dinge aus den Neunzigern auf diesem Album, wie die Drums von Korn oder Hip Hop. Oder Carlos, der auf manchen Tracks der typischen Grunge-Verzerrung nachgejagt ist. Das kam dann alles wie ein Neunziger-Sound zusammen, aber meiner Meinung nach haben wir die Dinge in die Zukunft bewegt.

Ihr habt in einer Pariser Burg aufgenommen, wo ihr auch in manchen Nächten zwischen euren Instrumenten geschlafen habt. Das hört sich fast schon ungesund an. Wie war diese Erfahrung für euch?

Das war wirklich großartig und wohl die luxuriöseste Aufnahmesession, die wir je hatten. Es hatte schon leicht den Vibe eines verfluchten Schlosses. Und es gab viele coole, alte Instrumente. Wir haben schon ein paar Nachtschichten geschoben und uns auch mal an den Rand des Wahnsinns getrieben.

Also nur ihr und eure Instrumente? Dazwischen gab es nichts?

Naja, nicht wirklich. Wir verbrachten viel Zeit im Keller.

Okay, was ging da im Keller ab?

Ich hörte die Ketten in der Ferne rasseln. Weihnachten war schon vorbei. Ich habe mein Geschenk dieses Jahr sehr genossen. (lacht)

"Die Welt zerbricht an vielen Stellen um uns herum"

Bevor ihr dort zusammen kamt, wart ihr auf Reisen. Carlos ging nach Spanien und wurde Vater, Grian war in Los Angeles und du hast Zeit in Paris verbracht. Wie kamen diese verschiedenen Eindrücke zusammen?

Ja, wir alle sind verschiedene musikalische Straßen entlang gewandert und haben neue Sachen für uns entdeckt. Ich bin zum Beispiel auf die Fischmans gestoßen.

Die kenne ich nicht.

Eine tolle japanische Band aus den Neunzigern! (lacht) Die haben einen sehr dichten, experimentellen Sound, der auch an die Melodien aus den Sechzigern anknüpft und gleichzeitig eben auch total nach 90s klingt. Das ist ein großartiges Subgenre. Das hat mich auf jeden Fall inspiriert, als ich zu den Sessions zum neuen Album kam. Es ist eine schöne Sache, in einer Band zu sein und sich zu fragen, was die anderen gerade so tüfteln.

Hört sich gut an. Die checke ich mal aus. Welches Genre wolltest du schon immer mal in die Band einbringen, was sie dir bisher nicht erlaubt haben?

Ich möchte mal einen Song machen, der folkig und Hip Hop zugleich ist. Der hat dann eine sehr rhythmische Akustikgitarre und gestapelte Harmonien, die sich wiederholen. Sowas wie die Beta Band oder Becks "Guero".

Mit den Hip Hop-Einflüssen auf "Starburster" geht es ja schon in die richtige Richtung. Auf "In This Modern World" singt Grian "I don't feel anything in this modern world". Während es auf "Skinty Fia" eher um die Umstellungen ging, die euer Umzug nach London mit sich brachte, habe ich das Gefühl, dass "Romance" mehr die allgemeinen Sorgen behandelt, die mit der heutigen Zeit einhergehen.

Das ist spannend, weil es auch darum geht, aber auch darüber, wie man die eigene Perspektive auf bestimmte Dinge entwertet. Dass man Dinge nicht mehr richtig verorten kann. Wir haben viel von unserem Freund Nikolaj Schultz gelesen, den wir in der Zeit zwischen den Alben getroffen haben. Er ist Soziologe und hat das Buch "Land Sickness" geschrieben. In der Vergangenheit hat er mit Bruno Latour an dem Buch "Zur Entstehung einer ökologischen Klasse" gearbeitet. Ich will jetzt nicht zu tief darauf eingehen, aber im Grunde geht es um den Einfluss, den wir auf die Welt haben, in der wir nicht einfach nur existieren. Ich lebe in London, mein T-Shirt wurde aber irgendwo in Asien produziert und mein Kaffee kommt aus Südamerika. Mit meinem Bedarf für diese Sachen existiere ich also auch an diesen Orten. Wir alle erfahren diese Dezentralisierung des Ichs. Wie kann ich durch diese Welt navigieren, wenn mein Ich in so viele Teile zerbrochen ist? Wir schlagen vor, dass man seinen Weg mit Romantik finden kann. Indem man sein Leben romantisiert, kämpft man gegen dieses existenzielle Dilemma an. Wichtig ist, dass man sich um sein Umfeld und die Auswirkungen, die man auf die Welt hat, kümmert.

Also hat es auch mit Achtsamkeit und Dankbarkeit zu tun. Glaubst du, diese Dinge fehlen in der heutigen Zeit mehr?

Als Millenials haben wir viel Wandel miterlebt. Den Wechsel von analog zu digital und die Finanzkrise. In unserer Kindheit gab es noch so viele Möglichkeiten. Als Teenager wurde uns dann gesagt, dass wir realistischer sein sollen. Die Eltern haben ihre Jobs verloren. Nicht alles ist noch möglich und die Welt zerbricht an vielen Stellen um uns herum. Das hat unsere Weltanschauung eingefärbt. Das zieht sich dann weiter zu Covid und der politischen Unruhe in Europa und Amerika. Also ja, ich denke, dass die Hochzeit des Westens bereits hinter uns liegt.

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