laut.de-Biographie
Glauque
Doppel- und Mehrdeutigkeiten sind bei Glauque Dauerthema, davon kündet bereits der Projektname des belgischen Kollektivs. Die französische Vokabel "glauque" bezeichnet nämlich gleicherweise einen Farbton zwischen Grau und Grün, wie sie für ein diffuses, trübes, beklemmendes Gefühl steht.
"Wir sind große Fans von schlichter Optik", erklären die Herren im Interview mit Branchés Culture, überhaupt legen sie Wert auf die visuelle Komponente ihrer Kunst. Auf dem Cover ihrer selbstbetitelten Debüt-EP, die im März 2020 erscheint, stellen sie deshalb die unterschiedlichen Bedeutungen von "glauque" ins Zentrum des Artworks, verziert mit einem Pinselstrich in ... nun, ja ... Glauque.
Dass besagte EP überhaupt existiert, ist den Umständen geschuldet: Eigentlich, so die Belgier, haben sie sich immer in erster Linie als Live-Band betrachtet. Sie fokussieren sich auf die Ausarbeitung von Songs für die Bühne. Daran, etwas aufzunehmen, denken sie zunächst gar nicht groß. Erst als Covid-19 den Livebetrieb lahmlegt und die Menschen weltweit in die Isolation zwingt, nimmt "Glauque" greifbare Formen an.
"Unser Stil kam uns dabei entgegen", so Louis Lemage, einer der beiden Gründer und der Vokalist des Projekts. "Würden wir Rock machen, sähe die Sache schon ganz anders aus." Ihre Mischung aus Hip Hop mit elektronischer Musik gestattet Glauque aber, dass ihre Mitglieder einzeln, jeder für sich, an ihren Parts werkeln und die Einzelteile später zu einem Ganzen zusammenfügen.
Mit dem Etikett "Electro-Rap" arrangieren sich Glauque über die Jahre: "Das ist schon irgendwie die Zone, in der wir uns herumtreiben. Auch wenn es nie unsere Absicht war, uns hinter einem Tag zu verstecken." Nö, am Anfang geht es einfach nur ums Musikmachen, und darum, Gefühle auszudrücken.
"Bis ich so 16 oder 17 war, habe ich witzigerweise gar keinen Rap gehört", so Louis gegenüber Actualité Musicale Belge. "Wie viele Leute, die nichts mit Rap an Hut haben, hatte ich eine Menge Klischees im Kopf. Ich dachte, Rap sei vulgär, uninteressant, beleidigend, herabwürdigend ... Als ich dann aber zugehört habe, habe ich festgestellt: Das stimmt ja alles gar nicht, das ist Poesie!"
Louis ist angefixt, hört französischen Rap rauf und runter und beginnt bald, selbst zu texten. Jetzt fehlt ihm jemand für die Produktion. Louis fragt seinen älteren Bruder Lucas um Rat. Der klassisch ausgebildete Pianist, später selbst als Dozent am Konservatorium in Jambes tätig ist, weiß Rat: Er bringt ihn mit Aadriejan Montens in Kontakt, der wie Louis im beschaulichen Nemur studiert. Es funkt sofort: Am Tag nach dem Kennenlernen steht steht bereits der erste Track - genau wie der Kern von Glauque, auch wenn sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht so heißen.
Das Projekt bleibt nicht lange ein Duo. Lucas Lemans steigt ebenfalls ein und bringt seinen Studienkollegen Baptiste Lo Manto mit, noch einen Pianisten. Eine Zeit lang gehört außerdem Aaron Godfroid zum Line-Up. Aus den unterschiedlichen musikalischen Sozialisierungen, Vorlieben und Talenten der Akteure kristallisiert sich bald Rap auf Im-weitesten-Sinne-Elektro-Beats als der gemeinsame Nenner heraus.
Mit Musikwettbewerben fängt es an. Zwei Wochen vor einem geplanten Auftritt fällt jedoch auf: huch! Die Formation hat noch immer keinen Namen. Den findet Lucas in einem Buch über Farbtöne, das ein Weihnachtsgeschenk seines Freundes Baptiste war: Glauque? Passt.
Gerade, als die Karriere Fahrt aufzunehmen beginnt, grätscht die Pandemie dazwischen. Mit Live-Auftritten ist es erst einmal Essig, immerhin können sich Glauque so auf ihre erste EP konzentrieren: "Glauque" versammelt sechs Tracks, mit denen die Belgier bereits gut auf sich aufmerksam gemacht haben. Bei den D6bels Music Awards 2020 werden sie als "Offenbarung des Jahres" gefeiert, Stromae lädt sie als Support-Act zu etlichen seiner Shows ein.
Außerdem beschleunigt der Lockdown tatsächlich die Arbeiten am ersten Album. Wäre man nicht auf sich selbst zurückgeworfen irgendwo eingesperrt gewesen, Glauque hätten sich wahrscheinlich eher auf ihre Bühnenkarriere konzentriert, glaubt Louis. Bis "Les Gens Passent, Le Temps Reste" erscheint, ziehen insgesamt dennoch mehrere Jahre ins Land.
Der Herbst 2023 zeigt jedoch, dass das Album, das um Verlust, Trauer, innere Zerrissenheit und Selbstzweifel kreist, jede Minute des Wartens wert war. Es entpuppt sich als zwar tieftraurige, aber fesselnde, hochemotionale Tour de Force von faszinierender Schönheit, das musikalische Spektrum der Beats reicht von Ambient bis Industrial. Zu künstlerischen Kompromissen sind Glauque nicht bereit: Sie veröffentlichen unabhängig, auf ihrem eigenen Label Ecluse.
Die enge Verzahnung von Text, Musik und Optik ist Glauque zentrales Anliegen: "Das war immer Teil unserer Identität als Gruppe, wir sind nicht das Projekt eines Rappers, der einem Instrumental wenig Raum lässt", sagt ausgerechnet der wortgewaltige Rapper Louis. "Nein, Text und Instrumentierung müssen einander dienen, sich gegenseitig verstärken und zugleich unabhängig voneinander bestehen können. Auch wenn das bedeutet, dass der eine oder andere auch einmal zurückstecken muss."
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