11. Juli 2019

"Ich habe weniger Angst als früher"

Interview geführt von

Nach der Auster kommt die Perle: 25 Jahre nach ihrem Durchbruch mit dem Album "Oyster" veröffentlicht Heather Nova ihr neues Album "Pearl" – und sieht durchaus Parallelen zwischen den Longplayern.

Ein Vierteljahrhundert ist eine lange Zeit in einer schnelllebigen Branche wie dem Musikgeschäft. Heather Nova geht mit der Zeit – zumindest, was die Vertriebs- und Finanzierungswege angeht. Via Crowdfunding finanzierte sie einen großen Teil ihres neuen Albums "Pearl", suchte erst gar nicht die Hilfe einer großen Plattenfirma. Die Fans (ein Wort, dass sie nicht mag) konnten besondere Stücke der Künstlerin erwerben. Für ihr Vertrauen belohnte Heather Nova ihre Anhängerschaft mit einem Album, das viele Parallelen zu ihrem zweiten Album "Oyster" hat – nicht nur in puncto Albumtitel. Wir trafen Heather Nova zum Gespräch in Berlin.

25 Jahre nach Oyster veröffentlichst du "Pearl" – das passt natürlich schon vom Titel her gut. Worin besteht die Verbindung zwischen diesen beiden Alben?

Ich habe vor anderthalb Jahren eine Jubiläumstour zu "Oyster" gemacht, bei dem ich das Album von Anfang bis Ende durchgespielt habe. Es fühlte sich toll an, wieder mit der ganzen Band – inklusive Cello – aufzutreten. Meine letzten Alben waren ja eher reduziert, und so war es toll, wieder einmal so richtig zu rocken. Ich wollte auf gewisse Weise zu meinen Wurzeln zurückkehren. Mehr Rock, aber eben nicht nur. Es ist diese Vereinigung von Folk und Rock. Ich hatte unzählige Songs geschrieben, 15 davon fand ich wirklich großartig und ich war bereit, sie mit der vollen Band aufzunehmen. Ich habe Youth, meinen Produzenten angerufen, der auch schon "Oyster" produziert hatte. Wir hatten uns 20 Jahre lang nicht gesehen – ich habe ihm die Demos geschickt und gesagt, hey, lass uns doch ein Album machen. Und das haben wir getan.

Dafür bist du nach Spanien gegangen.
Ja, Youth lebt dort und hat dort sein Studio. Es war ein unglaubliches Privileg, in diesem Studio aufzunehmen, in dem du über die Berge blickst. Es hilft immer, eine inspirierend Umgebung zu haben.

Eine isolierte Arbeitssituation?

Total isoliert. Es gab dort nichts. Du konntest zum nächsten Dorf laufen, dort gab es eine Bäckerei. Aber das war's auch schon. Wir waren in der Mitte von nirgendwo.

Wie war in diesem isolierten Umfeld euer Arbeitsrhythmus?

Es war ziemlich intensiv. Es ist ja auch ganz schon teuer, wenn du ein Album aus eigener Tasche bezahlst. Wir hatten drei Wochen – und haben jeden Tag intensiv gearbeitet.

Du wusstest zu dem Zeitpunkt also bereits, wo die Reise hingehen soll?

Die Songs waren ja fertig geschrieben. Bei manchen wussten wir von Anfang an, wo es hingehen soll. Bei anderen haben wir es am jeweiligen Tag rausgefunden. Das ist oft sehr intuitiv. Ich habe die Musiker sorgfältig ausgesucht nach dem Stil, den ich von ihnen kannte. Ich kannte ja auch Youths Stil, er spielt ja auch Bass. Youth hat ja auf "Walk This World" diese extrem wiedererkennbare Basslinie gespielt, ich wusste dass er sowas einbringt. Ich wusste, dass die Rhythmusfraktion mit ihm und meinem Schlagzeuger Geoff Dugmore einfach perfekt funktionieren wird. Jeff ist einer der tollsten Schlagzeuger, er hat mit mir auf "Siren" gespielt und war auch live oft dabei. Er schlägt sehr hart, ein sehr punchy Drummer. Ich hatte also diese starke Rhythmus-Fraktion – und da kommt dann mein Gesang drüber, das Cello, die Gitarren.

Wann kamst du auf den Titel?

Erst nachdem das Album bereits fertig war. Ich überlege mir die Titel erst immer im Nachhinein. Ich dachte mir: Wow, es sind jetzt 25 Jahre seit "Oyster" vergangen, das ist eine coole, runde Zahl. Was passiert nach 25 Jahren? Na, hoffentlich findest du eine Perle in der Auster. Perlen bestehen ja aus Sand und Staub — sie sind nicht gleich schön. Sie werden von den guten, schlechten und hässlichen Erfahrungen geformt.

"Die Songs kommen immer noch vom selben Ort"

Hatten die turbulenten Jahre vor "Pearl" Einfluss auf dein Songwriting?

Ich habe vor fünf Jahren eine Scheidung durchgemacht. Als ich "Pearl" aufnahm, konnte ich darauf zurückblicken – ich war ja nicht mehr in der Mitte der Geschehnisse. Ich konnte also aus der Distanz betrachtet darüber schreiben und das war toll. Darum geht es ja auch gleich im ersten Song: Die Realisierung, dass wir uns die Wege aussuchen, auch die schmerzvollen Teile davon. Auch wenn es sich nicht so anfühlt: Man musste da durch – um zu wachsen und zu lernen. Das macht es einfacher, die Dinge zu akzeptieren. Und wenn man etwas akzeptiert, kann man es auch loslassen. Ich konnte also loslassen und war nicht verbittert wegen der Scheidung. Das musste passieren, um etwas Neues und Wundervolles daraus wachsen zu lassen. Und das tat es auch.

Was hat sich für dich am meisten verändert, wenn du an dich als Musikerin für 25 Jahren denkst?

Ich glaube, mein Rhythmusgitarrenspiel ist jetzt besser als damals (lacht). Aber im ernst, ich denke, ich habe einfach generell weniger Angst als früher. Und das bedeutet mehr Freiheit. Ich kümmere mich nicht mehr so sehr darum, was andere denken. Ich vertraue mir selbst mehr.

Und was blieb gleich?

Es ist interessant: Die Songs kommen immer noch vom selben Ort. Dieser mysteriösen Quelle. Ich weiß nicht, wo Songs genau herkommen. Sie tauchen plötzlich auf. Das war so, als ich mit sieben Jahren begann und das wird auch so sein, wenn ich 90 bin. Das hört nie auf. Ich glaube, ich bin heute besser, an diesen Fragmenten zu arbeiten, daraus etwas zu bauen.

Und wann kommen diese Ideen?

Meistens kommen mir diese Ideen, wenn ich gerade spazieren gehe. Da wird mein Kopf frisch und die Ideen kommen. Ich setze mich mit der Gitarre hin und mache die Struktur. Und dann wird's zum Handwerk – aber ein Ohr bleibt auch für Inspiration offen. Für die Muse, oder wie auch immer man es nennen will.

Und wenn die Ideen kommen und du gerade keine Gitarre zur Hand hast?

Ich singe generell immer in mein Telefon rein. Da sind noch so 350 Ideen drauf, die noch immer nicht bearbeitet wurden.

Dann hoffe ich mal, dass du regelmäßig Backups machst – sonst ärgerst du dich vielleicht mal richtig.

Ja, da hast du recht – danke fürs Erinnern, ich sollte tatsächlich mal Backups machen.

"Mit Alben verdient man ja nichts mehr"

Für diesen Longplayer hast du dir fürs Pre Ordering ja eine besondere Aktion einfallen lassen: Fans konnten spezielle Dinge kaufen.

Ja, das ist es, wie man heute eben Alben macht – vor allem ohne Plattenfirma. Du brauchst einen eigenen Weg, um die Platte zu finanzieren. Die andere Hälfte muss ich trotzdem aus eigener Tasche bezahlen. Aber so machen Independent-Künstler heute eben Alben.

Findest du das gut, schlecht oder nimmst du es hin?

Ich würde sagen, es ist gut, weil du keinen Mittelsmann mehr brauchst. Die Beziehung zwischen den Fans und dir ist auch etwas Spezielles, es beruht auf Vertrauen. Eigentlich mag ich das Wort Fans nicht, weil es dich auf eine andere Ebene stellt, sagen wir einfach die Follower meiner Musik. Sie schenken mir ihr Vertrauen, dadurch, dass sie das Album vorbestellen – und dieses Vertrauen bedeutet mir eine Menge. Und ich bin mir sicher, dass ich ein Produkt mache, dass sie lieben werden – eine tolle Platte. Egal, ob es jetzt jedermanns Geschmack trifft – aber ich lege alles, Blut, Schweiß und Tränen in das Album.

Du bist in Bermuda aufgewachsen. Was waren deine ersten musikalischen Einflüsse als Kind?

Die Plattensammlung meiner Eltern hat mich sehr beeinflusst. Ich hatte Glück, sie hatten eine tolle Sammlung und waren große Musikfans. Sie hatten viel von den Singer/Songwritern der 1960er- und 1970er-Jahre im Regal stehen, Simon & Garfunkel, Cat Stevens, Joni Mitchell, The Beatles, Bob Dylan, Neil Young. Das waren Platten, die wir jeden Tag und den ganzen Tag gehört haben. Ich war also mit tollem Songwriting konfrontiert und das hat, denke ich, mein melodisches Bewusstsein sehr geprägt.

Du hattest ja eine sehr freie Kindheit.

Ja, es war schon alles sehr frei und entspannt. Wenig Strukturen.

Mit 18 Jahren bist du dann ausgezogen.

Ja, ich ging dann auf eine Art School in den USA. Danach zog ich nach London und lebte dort 15 Jahre. Dort habe ich meine Karriere begonnen.

Wo lebst du heute?

Ich lebe wieder in Bermuda, dort wo ich herkomme. Ich wollte, dass mein Kind auch dort aufwächst.

Du hast Darstellende Kunst studiert mit Schwerpunkt auf Video, hast dich auch immer für andere Kunstarten interessiert. Wenn du nicht Musikerin geworden wärst, welches Feld wäre es dann geworden?

Ich denke, ich hätte etwas mit visueller Kunst gemacht. Ich interessiere mich auch für natürliche Heilmethoden, vielleicht hätte ich Akupunktur gelernt, oder Mind/Body-Medizin.

Du hast auch einen Lyrik-Band geschrieben.

Ja und es wäre mal an der Zeit für einen zweiten Band. Das kann ich mir durchaus vorstellen. Es haben mich einige Leute gefragt, ob ich den ersten Band nicht mal nachdrucken lassen könnte – und ich sagte: 'Nein, ich sollte einen neuen machen!' Ich habe die letzten Jahre nur Songs geschrieben, ich müsste noch warten, bis ich mehr Material beisammen habe. Es ist einfach eine andere Geisteshaltung, Songs und Gedichte zu schreiben. Gedichte entstehen im Kontext der Stille, das ist einfach ein andere Kreativitätsmodus.

Es stellt sich für dich also nie die Frage, ob eine Zeile eher in einen Song oder in ein Gedicht gehört.

Nein, weil eine Zeile aus einem Songtext nicht alleine stehen kann. Sie ist mit der Musik verheiratet. Du kannst vielleicht ein Gedicht in einen Musikkontext bringen, das funktioniert manchmal. Ein Gedicht ist aber gemacht, um es leise zu lesen – oder zu sprechen. Aber es ist einfach keine Musik.

Lass uns mal über "Oyster" sprechen – ich habe da das LP-Cover dabei als visuelle Repräsentation. Wenn du dich auf dem Albumcover siehst, was denkst du dir?

Ich denke mir nur, was für eine junge, unerfahrene Person ich war. Und ich denke mir: 'Aaaaw, es ist okay!' Ich war damals einfach hin und weg, dass ich in ein Tonstudio gehen durfte, um eine Platte zu machen. Ich hatte keine Ahnung, ob ich je eine zweite machen würde. Es passierte alles wirklich schnell. Ich denke, ich sehe etwas verloren aus – aber auf eine gute Art.

Wie waren die Aufnahmen damals?

Es war alles umwerfend. Ich war von dem Szenario etwas eingeschüchtert, weil ich das noch nie gemacht hatte. Es fühlte sich aber großartig an, meine Songs in dieser Umgebung zu singen. Es war eine besondere Zeit – und es war unglaublich, dass die Songs, die ich geschrieben hatte, plötzlich so riesig klangen. Das war aufregend – und ich finde es heute immer noch richtig aufregend! Alles ist immer noch so frisch. Oft fragen mich die Leute, ob ich noch aufgeregt bin, wenn ich auf die Bühne gehe: Jedes einzelne Mal bin ich das!

Hörst du dir deine alten Alben hin und wieder an?

Nein, das mache ich nie. Ich denke immer ans nächste. Ich hab mir kürzlich "Pearl" mal angehört. Und "Glow Stars", kennst du die? Das ist eine coole Platte. Ich hatte sie mit meinem damaligen Freund im Wohnzimmer mit einer 8-Track-Maschine aufgenommen. Es ging darum, innovativ mit dem, was wir eben hatten, zu arbeiten.

Eine letzte Frage: 1996 warst du mit dem Song "London Rain" ja auf dem "Dawson's Creek"-Soundtrack – eine Serie, der man damals ja nicht entkommen konnte. Hat dir das damals einen spürbarem Karriereboost beschert?

Oh ja, besonders in Amerika bekam ich dadurch ganz neue Fans. Jeden Tag rief die Plattenfirma an und sagte, die Verkäufe gingen nach oben – jedesmal, wenn Dawson's Creek gespielt wurde. Heute ist so etwas noch wichtiger, weil dir TV-Shows oder Filme Geld einbringen, mit Alben verdient man ja nichts mehr.

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