laut.de-Biographie
Hoplites
Was würde einen Metal-Typen am alten Griechenland interessieren? Drei Antworten würden sofort in den Sinn kommen. Zu allererst wäre da natürlich die Mythologie, mit der sich bestimmt fast jeder schon einmal ein bisschen beschäftigt hat. Das ist einer der Grundsteine der Weltkultur, sicher kann man da auch Metal-technisch mit arbeiten. Als nächstes wäre da natürlich die Philosophie, zu der ja bereits gesagt wurde, die europäische Philosophiegeschichte sei nur ein Riesenhaufen Fußnoten zu Platon. Und schließlich gibt es ja immer noch eine Riesenmenge an Schlachten, die man bearbeiten könnte.
Der chinesische Linguist Liu Zhenyang hat zwar die Ein-Mann-Band Hoplites gegründet, gibt diesen Erwartungen aber direkt den Stiefel. In einem Interview mit Invisible Oranges macht er unmissverständlich klar: Mythos interessiert ihn nicht, Philosophie schon gar nicht (sich und alle seine Mentoren bezeichnet er als Anti-Philosophie) und trotz der Tatsache, dass er sein Bandprojekt nach einer Sorte griechischer Soldaten benannt hat, scheinen ihn auch die Schlachten nicht besonders zu interessieren. Einzig und allein bespaßt er sich mit Sprache.
Das fängt schon damit an, dass er zwar früh über die Children of Bodom mit dem Metal sozialisiert wird und auch schnell in seiner Heimatstadt Ningbo in die Bandszene einsteigen möchte, aber sein Studium der Linguistik dann doch stets Vorrang hat. Seine erste Band, mit der er Hard Rock spielt zum Beispiel, macht ein paar Cover, aber weil er am Tag nach ihrem ersten Auftritt eine wichtige Prüfung hat, lässt er den Gig sausen und die Band zerfällt. Danach guckt er sich nach Black oder Prog-Metal-Projekten um, aber findet in Ningbo nicht so richtig die passenden Leute.
Also muss es wohl alleine gehen mit der Musik, die er machen will. Um so besser, denn Zhenyang ist nicht gerade der geselligste Zeitgenosse, wie er selbst behauptet und überhaupt ganz froh darum, wenn er einfach nur versuchen kann, wirklich progressiven Scheiß zu machen, wie er es will, ohne die Ergebnisse irgendwem schicken und tagelang auf eine Antwort warten zu müssen. So geht absurder Metal in griechischer Sprache und ein sehr ernstgenommenes Studium wunderbar Hand in Hand.
So zieht es ihn nach Frankreich, denn auch, wenn seine altgriechischen Lyrics niemand versteht, ist er doch irgendwann gefrustet, weil die chinesischen Behörden inzwischen Übersetzungen sehen wollen, bevor man auftritt. Und bis dahin hat er zumindest für sich ordentlich Regime-kritische Sachen, vor allem zur Lage der Frauen, hinter seinen antiken Lyrics versteckt. In Frankreich muss er sich den Kopf nicht mehr machen, wer seine Lyrics wann und wo nicht versteht und kann das erste Mal so richtig frei aufspielen.
2023 wird dementsprechend ein regelrechtes Durchbruchs-Jahr für ihn, denn wer denkt, dass dieses Zeug zu nischig wäre, der kennt die Kraft der Penetranz nicht. "Pseudomenae", "Trouthaesomenae" und "Antitimouroumenae" erscheinen alle in einem Jahr, und ihr bizarrer Mix aus Black Metal, Prog und Technical Death setzen den Mann quasi sofort auf die Karte von all jenen, die auf der Suche nach genuiner Experimentation statt reinem Technik-Gewichse in der extremen Metal-Musik sind.
So wird er schnell zu einem kleinen Darling der Rateyourmusic- und Bandcamp-Crowd, was sich fortsetzt, als er direkt im Januar 2024 sein viertes Album in kürzester Zeit auf den Markt bringt. "Paramainomenae" ist sein bis dahin längstes Werk, fast eine Stunde und durchsetzt mit diesen dissonanten, fiesen Elementen der Proggigkeit gegen einen absolut halsbrecherischen Dissonant Death-Grundriss. Ob er dieses Tempo an Releases und Kreativität beibehalten wird, muss sich erst noch zeigen; aber sicher ist, dass er für einen Youngin, der im Jahre 2000 geboren ist, einen extremen ersten Eindruck in der Szene hinterlassen hat.