30. April 2002
"Die letzte Platte war eine Art Frankenstein, ein Monster"
Interview geführt von Michael SchuhAls die Blues-Bande schwer gejetlagged frühmorgens im Kölner Hotel einmarschiert, mag der gewitzte Hotelboy vielleicht "Hallo Spencer" gegrüßt haben, die gebuchten Hotelzimmer konnten jedenfalls nicht sofort freigegeben werden. Also mussten die Jungs hundemüde im Foyer herum lungern, um nach einem kurzen Nickerchen den lieben langen Tag Interviews zu geben. Rockstar-Leben, unglamourös. Vor allem wenn man nicht zu den redseligsten Persönlichkeiten gehört, wie unser Herr Spencer. Als um 17 Uhr schließlich LAUT den Fragebogen zückte, hätte Jon vermutlich lieber bei seinen Eltern den Rasen gemäht, als erneut den Wiederkäuer zu geben.
Ihr spielt morgen einen Club-Gig im Gebäude 9. Ist es das erste Mal, dass ihr Songs des neuen Albums live spielt?
Nein, die Songs existierten schon lange bevor wir sie aufgenommen haben. Die ersten wurden bereits im Herbst 2000 geschrieben. Vor dem Studiotermin waren wir dann lange auf Tour in den USA, zweimal in Südamerika und auch in Japan. Nicht zu vergessen die Handvoll Festivals in Europa im letzten Sommer. Wir hatten also genug Gelegenheiten, die neuen Songs auf der Bühne auszuprobieren.
An Silvester 2000 habt ihr dann in Nashville gespielt. War das schon ein Warm Up für die Aufnahmen?
Das war sozusagen der erste Schritt. Nashville war eine Station unserer Mini-Tour und wir probierten da bereits neue Songs aus. Die Blues Explosion hatte zu dem Zeitpunkt ein gutes Jahr Pause hinter sich.
Welche Gefühle empfindest du für das neue Material?
Oh, ich liebe es. Es hat großen Spaß gemacht, die Songs öfter zu spielen, bevor wir sie letztlich mit ins Studio geschleppt haben.
"Plastic Fang" ist im Verglich zu "Acme" ja bedeutend rauer und kantiger. Purer Rock'n'Roll eben.
Es ist in vielerlei Hinsicht eine Art Rückbesinnung auf alte Blues Explosion-Tugenden. Ich liebe dieses Album und bin sehr stolz darauf. Wir sind eine Rock'n'Roll-Band und "Plastic Fang" ist eine Rock'n'Roll-Platte.
Yeah, ich finde sie auch gut.
Damn, bist du sicher? (lacht)
Trotzdem: Wie kam es zu dem Wechsel von der "Acme"-Sample-Power zum R'n'B-infizierten Rock'n'Roll der neuen Scheibe?
Also ich finde, auf "Acme" war der R'n'B-Anteil wesentlich höher. Obwohl "Acme" im Nachhinein eigentlich als Experiment angesehen werden muss. Die Platte war eine Art Frankenstein, ein Monster.
War es demnach einfacher, die neue Scheibe aufzunehmen? Wusstet ihr, dass es diesmal wieder rauer ausfallen würde?
Das ist schwer zu sagen. Die Grundlage beider Alben sind wir drei Typen, die live im Proberaum spielen. Wir haben es auch diesmal so gehalten wie wir es immer tun. Man trifft sich, jammt zusammen und beginnt, Songs zu schreiben. Da redet man nicht darüber, wie etwas klingen wird. Bei uns wird sowieso nicht so viel diskutiert, sondern eher impulsiv gearbeitet. Wobei wir dieses Mal tatsächlich länger nachgedacht haben, welchen Produzenten wir dazuholen sollen. Unsere einzige Zielsetzung lautete: wir wollen DIE Platte aufnehmen. Kein Trash. Wir wollten eine Platte machen, an der niemand vorbei kommt.
Welche Einflüsse würdest du im Hinblick auf den Album-Sound zulassen?
Für mich persönlich gab es keinen direkten Einfluss, den ich mit dem Aufzählen einiger Bands erläutern könnte. Es ging eher um meine Idee vom Blues Explosion-Gesamtsound. Dinge, die eine große Rolle für unser Album gespielt haben sind aber zweifellos das Erinnern, die Rückbesinnung.
'Halbmast' ist eine schwer euphorische Umschreibung für den Zustand von Jon Spencers Augenlidern. Vielleicht taut er ein wenig auf, wenn ich ihn mit seinen Idolen konfrontiere, von denen zumindest zwei bei "Plastic Fang" mitgewirkt haben.
Anstelle von Andre Williams habt ihr dieses Mal Legenden wie Bernie Warrell von Funkadelic oder den unglaublichen Dr. John ins Studio gelotst ...
Vergiss nicht Elliott Smith!
Ok, und Elliott Smith. Fallen dir diese Leute ein, während neue Songs langsam Form annehmen?
Also, die Idee mit Dr. John und Bernie Warrell hat unser Produzent Steve Jordan angeschleppt. Und er hat nicht blind irgendwelche Leute vorgeschlagen. Nein, es machte alles Sinn. Sie haben die Songs definitiv weiter gebracht. Yeah. Und ... äh, wie war deine Frage nochmal?
Es ging um Kollaborationen. Ob die Blues Explosion bei manchen Songs Einflüsse von außen braucht.
Aah, beim Komponieren? Nein! Aber es macht einfach viel mehr Spaß! Und wenn ich was nicht spielen kann, müssen wir sowieso jemand anderen dazu holen. (lacht)
Und wie verlief die Studio-Arbeit mit solch großen Namen?
Es war cool. Mit Dr. John zu arbeiten gehört natürlich zu den besonderen Erlebnissen. Er ist einfach ein total verrückter Typ. Was das Thema Leute treffen angeht, bin ich von Natur aus eher der schüchterne Typ. Da kann es natürlich schnell peinlich werden, wenn man jemanden trifft, von dem man auch Fan ist. Aber es war aufregend und ja, very nice.
Den Songwriter Elliott Smith einzuladen war dann aber deine Idee?
Yeah. Elliott ist ein guter Bekannter von mir.
Hat Russell eigentlich dich oder Judah letztes Jahr gefragt, ob ihr zu seinem Soloalbum "Public Places" etwas beitragen wollt?
Ich weiß nicht, ob er Judah gefragt hat. Mich jedenfalls nicht.
Mochtest du das Ergebnis?
Ähm ....
... oder hat es dich überrascht?
Genau, ich war überrascht.
Vielleicht noch ein Wort zu der fiesen Geschichte von 1999, als euer gesamtes Equipment auf Tour geklaut wurde. Hat man den Dieb je erwischt?
Nein.
Aber ihr bekamt Geld von der Versicherung, oder?
Ja, schon. Aber du musst wissen, dass die Sachen einfach unersetzlich waren, beinahe Antiquitäten wenn du so willst. Der emotionale Wert ist mit Geld nicht aufzuwiegen.
Wir merken: Jon wird zunehmend einsilbiger. Die eben gestellte Frage stocherte außerdem nochmal zielgenau in nicht verheilten Wunden, was die Situation nicht entspannter gestaltet. Es scheint also angebracht, nach einem kleinen JSBX-Ausblick in Frieden auseinander zu gehen.
Mal angenommen, "Plastic Fang" stürmte plötzlich die Charts. Würde sich massiver Erfolg auf die Arbeitsweise oder die Gewohnheiten der Blues Explosion auswirken?
Yeah, das könnte durchaus sein. Aber man kann das nicht vorhersagen. Wir machen das Ganze schließlich schon sehr lange.
Wen würdest du denn gern von der Charts-Spitze verdrängen?
Ähm, keine Ahnung. Wer ist denn an der Spitze der Charts?
Puh. Wahrscheinlich jemand, den du nicht besonders schätzt.
Das mag sein. Aber ich will hier ja niemanden runtermachen. Ich bin hier, um über die Blues Explosion zu reden.
Richtig. Und das hat der gute Mann getan. Allein heute schon ein Dutzend Mal. Artig bedankt er sich, das mit Koteletten überwucherte Gesicht zeigt ein erschöpftes Lächeln und wendet sich dann in Richtung seiner Kollegen Judah und Russell. Die sind schon eifrig dabei, die Interviewpause für einen Imbiss zu nutzen, der an einem Nebentisch gerichtet wurde. Auch Jon wird sich gleich Obst in den Mund schieben und am Folgeabend im Gebäude 9 dann wie üblich sein Mikro. Der Club ist ausverkauft und die Blues Explosion spielt einen coolen, routinierten Gig, der nebenbei verdeutlicht, wofür die Jungs eigentlich die Reise nach Europa angetreten haben.
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