12. August 2011

"Ich nahm die Gitarre und rannte davon"

Interview geführt von

Sieben Jahre sind eine lange Zeit. Es gibt Menschen, die beenden innerhalb dieses Zeitraums ein komplettes Studium. Andere merken nach besagter Zeit, dass der angetraute Lebenspartner doch nicht der oder die Richtige ist. Und die meisten Bands heutzutage würden sich freuen wenn ihre Combo auch nur halb so lange Bestand hätte. Für Jonathan Jeremiah war dieser Zeitrahmen gerade groß genug um sein Debutalbum fertigzustellen.Zeit ist relativ. Für Jonathan Jeremiah spielen Kalender und Uhren in seinem Leben nur eine untergeordnete Rolle.Viel wichtiger ist dem bärtigen Engländer was am Ende dabei rumkommt. Für sein Debutalbum hat sich der Singer/Songwriterziemlich viel vorgenommen. Seine Stimme und seine Gitarre reichen ihm nicht, Jonathan will Opulenz und Minimalismus vereinen. Also engagiert er ein komplettes Orchester für sein Erstlingswerk. Die ersten Gedanken, Ideen und Songs entstehen im Jahr 2004. Sieben Jahre später, am 12. August 2011 erscheint "A Solitary Man", das Resultat seiner musikalischen Odyssee. In Berlin, zwischen der futuristischen O2-World und der geschichtsträchtigen Oberbaumbrücke, trafen wir auf einen entspannten Jonathan Jeremiah und plauderten über "kriminelle" Aktivitäten und seltsame Begegnungen.

Hi Jonathan, schön, dass du dir Zeit nimmst.

Jonathan: Gerne, gerne. Ich liebe Berlin. Ich war vor zwei oder drei Monaten schon einmal hier. Ich glaube, ich habe mich in diese Stadt verliebt. Vor allem hier (guckt aus dem Fenster) scheinen der Kreativität keine Grenzen gesetzt zu sein.

Ja, das stimmt. Der Bezirk Friedrichshain gilt allgemein als das Kreativitäts-Moloch von Berlin. Hier fühlt sich so ziemlich jeder zu Hause, vom Punker bis zum Banker findest du hier alles.

Jonathan: Diese Verschmelzung ist fantastisch. Ich war früher selber ein derber Rocker.

Ach, wirklich?

Jonathan: Ja, ich stand total auf Guns N' Roses und Jimmy Page.

Das verwundert schon ein wenig, wenn man sich deiner eigenen Musik zuwendet. So richtig rockig wird es auf "A Solitary Man" doch eher selten.

Jonathan: Irgendwann hat mich der ganze "Krach" nur noch gelangweilt und ich habe mich entschieden den leiseren Klängen zu lauschen (lacht). Musik hören und Musik machen ist auch Zweierlei. Ich habe bereits als kleiner Junge die Musik von Songwritern wie Cat Stevens, Bob Dylan oder Bruce Springsteen geliebt. Die Rock-Phase kam dann erst später.

Hattest du als kleiner Junge nie Angst davor, eher im Gefängnis als auf einer Bühne zu landen?

Jonathan: Nein, wie kommst du denn darauf?

Meinem Wissen nach begann deine Karriere doch mit dem Diebstahl einer ganz besonderen Gitarre, oder?

Jonathan: (Lacht) Yeah, das stimmt. Ich war sechs Jahre alt und ich entschied mich im Gegensatz zu meinen Geschwistern, die Französisch lernen wollten, für den Musikunterricht. Meine Lehrerin hatte diese Gitarre, die mich magisch anzog. Überall waren E.T.-Aufkleber drauf, die im Dunkeln leuchteten. Wir hatten zu Hause keine eigenen Gitarren und ich musste diese eine haben, also nahm ich sie einfach, rannte damit nach Hause und spielte damit die nächsten zehn Jahre auf unserem Dachboden.

Das hatte nie ein Nachspiel?

Jonathan: Nun, Mrs Reynolds, so hieß meine Lehrerin, hat es entweder nicht bemerkt oder sich nicht weiter darum gekümmert. Aber meine Mutter war erschüttert, als sie vor einigen Wochen in der englischen Presse davon Wind bekam. Ich hatte ihr nämlich immer erzählt, ich hätte die Gitarre geschenkt bekommen. Sie hat sich aber zum Glück wieder beruhigt.

Ich hatte teilweise drei Jobs am Stück

Lass uns über dein Album sprechen. Du hast sieben Jahre dafür gebraucht. Kamst du nicht irgendwann an den Punkt, alles hinschmeißen zu wollen?

Jonathan: Nein, niemals. Ich hätte zwar nicht gedacht, dass es sieben Jahre dauern würde, aber mit einigen Jahren hatte ich schon gerechnet. Es ist doch so: Als Fußballer weißt du irgendwann, dass deine Karriere dem Ende zugeht, wenn du ein gewisses Alter erreicht hast. In der Musik ist das anders. Viele Künstler, die ich verehre, wie beispielsweise Bill Withers, kamen erst sehr spät in die Gänge. Wenn man etwas gut und richtig machen will, dann dauert es halt seine Zeit und ich hatte keinen Zeitdruck, weil ich wusste, was ich wollte und mir klar war, dass es dauern würde. Manche Dinge dauern einfach. Sieh dir nur Peter Jackson an. Als er den Leuten erzählte, wie viele Jahre es dauern würde, bis "Herr Der Ringe" in die Kinos kommen würde, wurde er nur müde belächelt. Dieselben Leute kamen mit offenen Mündern aus den Sälen, als die Trilogie anlief.

War das Orchester der Hauptgrund, warum es so lange dauerte?

Jonathan: Ja. So ein Unterfangen kostet zunächst einmal eine Menge Geld. Ich habe teilweise drei Monate arbeiten müssen, um einen einzigen Tag im Studio bezahlen zu können. Es gab Zeiten, da hatte ich drei Jobs am Stück, das war schon hart. Zudem habe ich noch alles selbst produziert, also musste ich mich erst einmal in die Materie einarbeiten.

Zwischenzeitlich warst du eine Weile in Amerika auf Inspirationssuche. Kann man das so sagen?

Jonathan: Ja, wobei das, was ich eigentlich finden wollte, nicht wirklich existierte. Ich war auf der Suche nach Leuten wie Carol King und James Taylor, oder zumindest einer gleichgesinnten Generation. Leider bin ich diesen Menschen nie wirklich begegnet, stattdessen traf ich andere illustre Leute, wie beispielsweise Zach de la Rocha von Rage Against The Machine. Ich wusste, irgendwoher kenn ich diesen Typen, aber ich konnte ihn nicht richtig einordnen. Es gab viele verrückte Momente. Ich hatte kaum Geld und bin mit einem Bus-Ticket unterwegs gewesen. Manchmal gab es richtige Schlägereien im Bus. Man hat richtig gemerkt, dass die Kultur und das Miteinander sich von Staat zu Staat total unterscheiden. Es gab teilweise übelsten Rassismus. Leute stiegen nicht in den Bus ein, wenn ein Farbiger drin saß, oder sie stiegen wieder aus, wenn ein Farbiger einsteigen wollte. Das kennt man als Europäer in so krassem Ausmaß höchstens aus dem Fernseher. Insgesamt kam ich mit tiefen Impressionen wieder zurück.

Zwei Songs auf deinem Album handeln indirekt von dieser Reise. Zum einen "Happiness" und nicht zuletzt auch der Titeltrack "A Solitary Man". War es dir wichtig dieses Amerika-Abenteuer mit in die Platte einzubeziehen, obwohl es dir vielleicht nicht das gebracht hatte, was du eigentlich erwartet hattest?

Jonathan: Ja, absolut. Ich war eine lange Zeit drüben, und auch wenn es letztlich in den Songs eher um die Freude geht, die man empfindet, wenn man wieder nach Hause kommt, war es mir sehr wichtig diesen Teil meines Lebens mit auf das Album zu nehmen.

Es gibt keinen Grund traurig zu sein, wenn dir Leute bei deiner Musik zuhören

Kritiker sagen, deine Musik klinge unmodisch, während Fans sie als zeitlos bezeichnen. Wie würdest du "A Solitary Man" kategorisieren?

Jonathan: Ich finde beide Ansichten wunderbar, denn genau das wollte ich erreichen. Ich war schon immer eher gegen den Mainstream. Meine Schwestern sind da ganz anders. Vielleicht kommt dieses ausgeprägte "Rebellentum" bei mir auch daher, keine Ahnung. Ich wollte im Gegensatz etwas kreieren, was sich keinem Trend unterwirft. Ich hasse das. In England ist dieses Phänomen weit verbreitet. Ständig kommt vermeintlich Innovatives um die Ecke was zur Folge hat, dass sich unzählige Nachahmer dem anschließen, von denen aber einige Monate später schon keiner mehr etwas wissen will. Das ist furchtbar. Musik sollte zeitlos sein.

Mir kam zu Ohren, dass deine Freundin wohl nicht ganz so begeistert war, als du sie mit dem Material konfrontiert hast, stimmt das?

Jonathan: Das stimmt so nicht ganz. Als ich ihr das Album vorspielte, fehlte noch der Song "All The Man I'll Ever Be" und sie zeigte sich ein bisschen enttäuscht darüber, dass es kein wirkliches Liebeslied gab. Also setzte ich mich noch mal hin und schrieb "All The Man I'll Ever Be". Das fand ich nur fair (grinst).

Du schreibst sehr offene und intime Texte. Ist es manchmal schwierig für dich all diese Gefühle jeden Abend mit hunderten "Fremden" zu teilen, wenn du live spielst?

Jonathan: Manchmal ist es schon schwierig, aber man muss lernen sich für den Moment etwas zu distanzieren. Ich liebe es live zu spielen. Es gibt für einen Musiker doch nichts Schöneres als vor Publikum aufzutreten, oder? Man lernt mit der Zeit selbstbewusst damit umzugehen. Wenn du live spielst, sollten der Spaß und die Freude im Vordergrund stehen. Es gibt keinen Grund traurig zu sein, wenn dir Leute bei deiner Musik zuhören. Der ganze Aufnahmeprozess war sehr schwierig für mich. Ich habe so ziemlich alles selbst gemacht und war dabei stundenlang allein mit massig Equipment und Technik um mich herum. Da freut man sich dann um so mehr, wenn man sein Schaffen mit anderen teilen kann.

Jonathan, die Zeit rennt, aber ich will dich nicht gehen lassen ohne dein Versprechen an all die Fans da draußen, die Angst davor haben, die nächsten sieben Jahre lang auf dein zweites Album warten zu müssen. Kannst du dieses Versprechen geben?

Jonathan: Oh, mit Versprechungen ist das immer so eine Sache (lacht). Aber ich denke und hoffe, dass es beim zweiten Album etwas schneller gehen wird.

Das hört sich doch schon einmal gut an. Hab vielen Dank für die Zeit.

Jonathan: Es war mir ein Vergnügen.

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Jonathan Jeremiah

Wer sieben Jahre braucht, um sein Debütalbum fertigzustellen, der hat entweder die berühmte Ruhe weg oder eine ausgeprägte Veranlagung zum Perfektionisten.

Noch keine Kommentare