laut.de-Biographie
Kali Malone
Man muss sich die Kindheit von Kali Malone ein kleines bisschen wie Pippi Langstrumpf für Hardcore-Artsy-Kids vorstellen. Ihr Vater ein Bergsteiger, der mehr als ein paar Mal in den Gebirgen Denvers verschwindet, um sein Adrenalin zu suchen. Kali bleibt zurück und sucht sich, getrieben von Langeweile, schon als junger Teenie ältere Freunde mit extravagantem Geschmack.
Das führt dazu, dass Kali Malone schon mit dreizehn Jahren, dem Alter, in dem selbst die coolsten Kids normalerweise noch auf Bravo Hits stehen, auf ihren ersten Noise-Shows herumhängt. Damit aber nicht genug: Das amerikanische Mittelland interessiert sie schnell nicht mehr, und sie schwingt sich auf Achse, um sich selbst in seltsamste Musik-Kreise zu involvieren. Sie interessiert sich für Musikproduktion und Komposition, fährt irgendwie bis an die Ostküste und schmuggelt sich mit falschem Ausweis auf die Show der Schwedin Ellen Arkbro.
Solche Kids muss es eben geben, die mit 17 Ellen Arkbro durchs halbe Land verfolgen. Die Komponistin scheint aber etwas in Malone auszulösen – und Malone auch in ihr. Ellen wird eine wichtige Mentorin, die Malone schließlich sogar dazu inspiriert, nach Stockholm zu ziehen und dort ein Studium der Agrarwissenschaft aufzunehmen. Natürlich ist das gewissermaßen nur ein Platzhalter, denn schleunigst schmiegt sie sich an die dortige experimentelle Musikszene an.
Sie macht Arbeit an Synthesizern und analogen Instrumenten, zeichnet sich durch Eifer und Emsigkeit aus und veröffentlicht 2017 ihr erstes Album, "Velocity Of Sleep". 2019 gelingt ihr ein erster Szene-Volltreffer mit dem Projekt "The Sacrificial Code". Man kann in einer so speziellen Community wie Drone, Noise oder Ambient kaum so richtig berühmt werden, aber dieses Album macht durch seine Tiefe und seine Aura auch jenseits der Genre-Grenzen von sich hören. Pitchfork oder The Wire nehmen es in ihre Liste der Alben des Jahres auf.
Von da an genießt Malone Geheimtipp-Status in der Musikwelt und Superstar-Status in der Drone-Welt. Sie zieht ähnlich einer Anna von Hausswolff durch europäische Kirchen und arbeitet sich an Orgeln ab, sie wird zu Künstler*innen-Residenzen eingeladen und performt sogar einmal auf einem der legendären Synthesizer von Eliane Radigue, der Genre-Godmother.
Ihr ambitioniertestes Werk erscheint im Januar 2023: "Does Spring Hide It's Joy?" ist ein fünfstündiges Mammut-Projekt mit Cellistin Lucy Railton und einem gewissen Stephen O'Malley, das alle, die es wirklich gehört haben, ziemlich umgehauen hat. Wem letzterer Name übrigens bekannt vorkommt: O'Malley ist der kreative Kopf hinter der Drone Metal-Band Sunn O))) – und seit dem selben Jahr auch Malones Ehemann. Man mag sich den ersten Hochzeitstanz zu einer zwanzigminütigen Harsh Noise-Improvisation ausmalen.
Im Folgejahr gibt es dennoch keine Flitterwochen, sondern vielleicht noch tiefere Introspektion. "All Life Long" hält die Intensität des Vorgängers 2024 radikal hoch und beschäftigt sich mit den wenigen europäischen Orgeln, deren Stimmung nie aktualisiert wurde. Gleichzeitig liefert es eine assoziative Reise in die Erinnerung, zu Bergsteigervätern und einer einsamen Kindheit. Und auch wieder gilt: Dass das hier überhaupt auf dem Radar der Musik-Allgemeinheit landet, ist ein absurdes Qualitätsmerkmal in einem Genre, das sonst sehr insulär unter sich bleibt. Aber diese Musik verdient es. Kali Malone macht definitiv etwas Besonderes.
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