laut.de-Kritik

Kirchenmusik für Atheisten.

Review von

Wenn man Kali Malone in Interviews über ihre Arbeit sprechen hört, dann tun sich zwei Facetten auf. Die eine ist die einer Musik-Wissenschaftlerin. Was weißt du über die Geschichte davon, wie Orgeln gestimmt wurden? Wusstest du, dass es nur noch eine Handvoll Kirchenorgeln gibt, die traditionell gestimmt sind? Hört man ihr zu, entwirft sich das Gefühl, man solle ihre Musik studieren wie ein akademisches Paper, komplett mit Sinuskurven und Fußnoten und allem Brimborium.

Aber dann ist da noch die andere Kali Malone, die beim Sprechen über ihre Musik in Erinnerungen abschweift, von ihrem Vater erzählt, von den vielen Übergängen zwischen Ländern, von einer Einsamkeit, für die nur Musik ihr steter Begleiter zu sein scheint. Eine Kali Malone, die von ultrarechten Katholiken in Frankreich aus einer Kirche geschmissen wurde, weil die keine profane Musik in ihrem Laden hören wollten. "All Life Long" wäre ein seltsames Beispiel für profane Musik. Das Album gehört in das Drone-Genre, ist aber komplett mit Chor und analogen Instrumenten aufgenommen – zumeist die besagten Orgeln, die nicht auf den aktuellen Pitch gebracht worden sind. Es variiert zwischen meditativen Akkord-Loops, choralen Gebeten und Blechbläsern, alles allerdings so langsam gespielt, dass es sich zwischenzeitlich anfühlt, als würde man einen Film Bild für Bild abspielen. Und mit diesem Album stellt sich wirklich heraus: Every frame is a painting.

Das bedeutet natürlich nicht, dass wir es mit einem Blockbuster zu tun haben. Dieses Album bewegt sich in Zeitlupe und man wird sich regelmäßig dabei erwischen, ein wenig abzuschweifen. Drone ist halt auch ein Genre, das die Schnurrbart-zwirbelndsten Motherfucker anzieht, die "du raffst das nicht, das ist Kunst" sagen würden, selbst wenn sie vor einer röchelnden Laptoplüftung stehen. Trotzdem sollte man den Verdacht ablegen, so einer zu sein, wenn man sich auf Songs wie "Prisoned On Watery Shore" oder "Retrograde Canon" einlässt. Glaubt mir: Da ist etwas Magisches, das passiert.

Ich gehe einen kleinen Umweg. Kali Malone ist offensichtlich in ihrem ganzen Schaffen von Eliane Radigue inspiriert, der Godmother der Synthesizer-Musik, der Musikmaschinen-Ingenieurin, so einflussreich, das ein Großteil ihrer Arbeit aufs erste Hören klingt wie ein Staubsauger, den man eine Stunde durch ein Headset aufgenommen hat. Radigue hat sich vor allem für das langsame, fortschreitende Manipulieren von Klangwellen interessiert und dabei Musik wie "Transamorem Transmortem" gemacht, die einen so fundamental und existenziell einsaugen kann, dass man beim nächsten Mal Staubsaugen ehrfürchtig die Kopfhörer weglassen möchte.

Und genau wie Radigue in ihrer Spätphase des Schaffens zunehmend auf analoge Instrumente, das Ausklingen von Cellos und Holzbläsern umgestiegen ist, knüpft Malone auf ihrer Arbeit an diese mikroskopische Langsamkeit an. Da ist einfach etwas darin, auf die reine Substanz von Klang geworfen zu werden, wenn sie diese Orgelakkorde klingen und klingen und klingen lässt. Wie sie ganz leise auf und ab schwingen, wie sie im Raum stehen, wie sie sich subtil dissonant überlagern.

Es wäre jetzt so einladend, auf diese Musik irgendwelche Interpretationen und Metaphern zu laden. Zu sagen: Guck mal, dieser Track klingt für mich wie Einsamkeit und dieser Track klingt wie eine Hummel mit Holzschuhen. Dieser Track ist hellblau, der da ist gletschergrau. Aber vielleicht ist es es wert, die Musik in ihrer ungreifbaren Ander-Weltlichkeit einfach für sich stehen zu lassen. Ja, da sind Chorpassagen, die zehren von alten amerikanischen oder italienischen Gedichten, aber wahrscheinlich ist, dass wir sie nicht verstehen und auch nur als Klang existieren lassen.

Witzigerweise sieht Malone ihre Arbeit selbst als einen Akt der Profanität: Einen Akt, in dem man die heiligen Orte den Leuten zurückgibt. Ich würde gerne etwas Ähnliches in dieser Review versuchen. Ich will ein Argument dafür machen, dass das keine Musik der Schnurbartzwirbler sein muss. "All Life Long" ist etwas, auf das man sich einlassen muss, ja; aber es ist auch etwas, das in seiner Einfachheit so unverschämt unkompliziert und intuitiv ist, dass die meisten Leute sich davor verkopfen möchten.

Der Twist ist: "All Life Long" ist ein bisschen wie diese modernen Kunst-Dingies, in denen jemand einfach nur ein großes, blaues Viereck malt. Klar, will man erst schnippisch fragen, was da die Kunst ist und was das jetzt sagen soll. Aber eigentlich ist es nur eine Einladung, zu fragen: Habe ich je so genau ins Blaue geguckt und mich gefragt, was das Blaue mit mir macht? Dieses Album ist eine Gelegenheit, in ein ganz ureigenes Klingen zu hören. Es ist Sakralmusik für Atheisten - das kommt schließlich auch auf dem letzten Song Statement-mäßig zusammen. Der heißt "The Unification Of Inner & Outer Life". Und es ist so endlos beeindruckend zu hören, wie in etwas so Einfachem, so Simplen etwas so Transzendentales entsteht.

Trackliste

  1. 1. Passage Through The Spheres (feat. Etienne Ferchaud)
  2. 2. All Life Long (For Organ)
  3. 3. No Sun To Burn (For Brass)
  4. 4. Prisoned On Watery Shore
  5. 5. Retrograde Canon
  6. 6. Slow Of Faith (feat. Etienne Ferchaud)
  7. 7. Fastened Maze
  8. 8. No Sun To Burn (For Organ)
  9. 9. All Life Long (For Voice)
  10. 10. Moving Forward
  11. 11. Formation Flight
  12. 12. The Unification Of Inner & Outer Life

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