laut.de-Kritik

Es steckt ein Album in dieser Frau.

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Lakonisch klingen ihre Zeilen, mantraartig wiederholt, wie ein Selbstgespräch. Flankiert von sparsamer Instrumentierung drehen sich die Gedanken im Kopf im Kreis, wieder und wieder. "Wir Laufen" ist schon halb vorbei, da legt Babyjoy den Schalter um. Sie rezitiert, was sie eben noch nur für sich vor sich hingemurmelt zu haben schien, nun noch einmal, urplötzlich wirkt es aber wie echt solider Rap und das "Ich bin die Stärkste hier" nicht wie Selbstüberhöhung, sondern wie eine unaufgeregt-schlichte Tatsachenfeststellung. "Ich zeig' dir meine Wunden. Ich bin ein Ritter. Ritter brauchen wir."

"Berlin Tag & Nacht" ist noch keine zwei Minuten alt, da hat Babyjoy schon einen beeindruckenden Beleg dafür geliefert, wo ihre größte Stärke liegt: Als wäre es gar nichts, verändert sie von einem Moment auf den anderen die Stimmung ihrer Songs komplett. Auch "2 Fledermäuse" lebt von seiner nokturnen, dichten Atmosphäre. Hier zeigt die Berlinerin außerdem ihr Talent für so fantasievolles wie fesselndes Storytelling. Ihre Geschichten bevölkern plastische Akteurinnen, der Plot ändert die Richtung so schnell, mühe- und lautlos wie die titelgebenden Flatterviecher.

Man merkt Babyjoy an, dass sie sich mit emotionalen Ausnahmezuständen auskennt. Beginnende wie endende Beziehungen beschreibt sie so gefühlsecht, dass man meint, man hadere selbst um die innere Balance zwischen Aufgeschlossenheit und Abgrenzung, Hingabe und Selbstschutz. Es fällt leicht, sich in diesen Songs zu verlieren, wie Babyjoy selbst und ihr Gegenüber Carlo5 sich in "Babe Wir Tanzen" auf dem Dancefloor und ineinander.

Spannung erwächst zudem aus dem krassen Kontrast zwischen der hohen, zarten, stellenweise sogar fast piepsigen Gesangsstimme und der wesentlich dunkleren Tonlage, in der Babyjoy rappt. Sie hat beides im Griff: eine gute Voraussetzung, um Hip Hop und R'n'B zu einem dunkel schillernden Amalgam zu legieren. Dazu noch ein paar rhythmische Extravaganzen wie in "Vorbei", und schon bewegen wir uns in Soundbildern, wie sie sich wirklich nicht an jeder Straßenecke finden.

Vielfältige musikalische Einflüsse schimmern durch. Das gerade konstruierte "Wir Heben Ab" wirkt, als habe jemand reichlich Alphaville gehört, wohingegen "Gestern/Heute?" auf "Overload" von den Sugababes fußt. Wobei ... wahrscheinlich eher auf der A Little Sound-Verwurstung desselben in "Situation". Dass Babyjoy diesmal auf die Dienste verschiedener Produzenten setzt, unterstreicht noch die Vielseitigkeit ihrer Vocals. Die Bandbreite erscheint enorm, gerade für so ein winziges Release.

Dass "Berlin Tag & Nacht" doch nicht, wie geplant, das längst überfällige Album geworden ist, erklärte Babyjoy jüngst im Interview mit Diffus mit den Umständen. Schade, aber verständlich. Wenn das Schicksal zuschlägt, gibt es eben wirklich Wichtigeres, als an Releaseplänen festzuhalten. An dreierlei bleibt am Ende von "Berlin Tag & Nacht" jedenfalls wenig Zweifel: Es steckt ein Album in dieser Frau, Bruder Pablo wäre stolz, und Babyjoy ist tatsächlich die Stärkste hier.

Trackliste

  1. 1. Wir Laufen
  2. 2. 2 Fledermäuse feat. Dauner
  3. 3. Vorbei
  4. 4. Wir Heben Ab
  5. 5. Babe Wir Tanzen feat. Carlo5
  6. 6. Gestern/Heute?
  7. 7. 6uhrmorgens feat. Longus Mongus

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