Porträt

laut.de-Biographie

Kenny Rogers

Schon vor seinem 40. Geburtstag erscheint Kenny Rogers auf Plattencovern und Fotos als Mann mit dem weißen Bart und weiß-grau melierten Schläfen. Zum Image des Geschichtenerzählers passt dieses Bild. Geschichten, die oft kein Happy Ende nehmen und in denen er scheinbar all seine Lebenserfahrung in die angeraute, helle Stimme packt um andere zu warnen. Dabei singt er nicht primär über seine Erfahrungen und teilt nicht seine tragischen Stories mit der Welt, sondern solche anderer Liedtexter und Komponisten.

Kenny Rogers: Der Multistilist des Country ist tot Aktuelle News
Kenny Rogers Der Multistilist des Country ist tot
Der Interpret von 70er-Hits wie "Lucille" wurde 81 Jahre alt. Er inspirierte u.a. Wyclef Jean zu mehreren Songs.

Country-Sänger kommen in der Regel aus Nashville. Doch Kenny Rogers startet weder mit Country in die Musik noch stammt er aus dem US-Staat Tennessee. Am nördlichen Stadtrand von Houston, Texas, nahe dem Golf von Mexiko, dort bringt ihn seine Mutter Lucille (sic!) am 21. August 1938 zur Welt. "Lucille", so wird später sein größter Hit heißen.

Den aber nicht er verfasst, sondern die Herren Bowling & Bynum, Liedlieferanten für die Hitfabriken Nashvilles. Die Hauptstadt der Country Music liegt 1.300 Kilometer Luftlinie entfernt, über zwölf Autostunden von Kenny Rogers Elternhaus. Seine Mutter ist Pflegehelferin im Krankenhaus, sein Vater Zimmermeister.

Rogers kommt zur Welt, als der zweite Weltkrieg heraufdämmert, wird eingeschult, als dieser noch tobt, lernt lesen, als die Atombombe auf Hiroshima fällt. Der Vietnamkrieg prägt später seinen ersten Country-Song, "Ruby, Don't Take Your Love To Town", 1969, über einen vom Krieg verkrüppelten Veteranen, der zuhause von seiner hübschen Frau, Ruby, verschmäht wird – die sich für andere fein macht, ohne ihn ausgeht und ihre Liebe in die Stadt wegträgt. Wie gerne würde er sie erschießen. Der Song aus der Feder von Lonnie Melvin Tillis könnte eine Antwort auf Johnny Cashs Formulierung "Bill, Don't Take Your Guns To Town", 1958, sein.

Musikalisch hört sich die Story über Ruby und ihren Mann im Rollstuhl so an, als wäre er für die Statler Brothers geschrieben. Folgerichtig nehmen auch sie "Ruby, Don't Take Your Love To Town" auf – aber nicht als Single. Das Album der Statlers erreicht zwar die #16 der Country-Charts, aber in den Pop-Ranglisten spielt es keine Rolle. Den Hit verzeichnet Kenny Rogers mit seiner Band The First Edition, Platz 9 in der Country-Liste des Billboard-Magazins, #6 in den allgemeinen Verkaufscharts, #4 in Holland, #2 in England, wo der Song sich bis in die Top 25 des Jahres 'peakt': Der Anfang von Kenny Rogers als einer der meistverkaufenden Plattenkünstler aller Zeiten.

Mit fast 62 Millionen vertickten Tonträgern geht er in die Historie der Pop-Industrie als 14.-bester Plattenverkäufer ein, dicht hinter Santana und Prince. Als Country-Act. Da entwickelt er sich zum zweiterfolgreichsten, hinter George Strait und noch weit vor Linda Ronstadt, Shania Twain und Johnny Cash.

Als Kenny 1956 die Schule verlässt, geht's gerade los mit den neuen großen Namen im Country wie auch im Rock'n'Roll. Elvis, Carl Perkins, Johnny Cash und Jerry Lee Lewis heißen das 'Million Dollar Quartet'. Doch es gibt zeitgleich, und schon länger, eine ganz andere Bewegung, das Folk Music Revival. "Tom Dooley" datiert bereits fast 100 Jahre zurück in die Zeit des US-Bürgerkriegs. Der Song schafft es 1958 auf Gold-Verkaufsrang und einen weltweiten Platz 1 in zahlreichen Ländern. Dies ist genau der Sound, dem der junge Kenny Rogers sich anschließt.

Nachdem er erst nur in der lokalen Szene auftritt, zeigt ihm Jazz-Pianist und Sänger Bobby Doyle dann New York. Mit Doyle spielt Kenny Rogers ab 1960 zusammen, zupft den Bass und singt Background, bricht dafür sein Studium ab. Sie tingeln als Trio durchs Land und nehmen ein Album auf; bis 1965 bleiben Rogers und Doyle zusammen aktiv. Kenny Rogers probiert sich danach im noch frischen Jazzrock aus, nimmt Jobs als Session-Musiker an und lebt full-time von der Musik. Er schließt sich einem großen Folk-Kollektiv an, aus dem dann seine Band The First Edition hervogeht. Seine Band: Denn er wird nun ihr Frontmann und auf vielen Stücken ihr Lead-Sänger; eine Frau gibt es auch in der Gruppe, die in ein paar Songs das Mikro übernimmt.

Zwölf Studioalben und ein Film-Soundtrack entstehen binnen kurzer Zeit von Ende 1967 bis Mitte 1974, mit einigen kleineren Hits wie "Just Dropped In (To See What Condition My Condition Was In)", "Are My Thoughts With You?" und "Tell It All Brother". Vor und rund um Woodstock klingt der dezent psychedelische Sound der Band cool, danach wendet sie sich mehr dem Country-Rock zu, und die Popularität verschleißt sich.

Nach der Trennung wächst Kenny Rogers als Nashville-Outsider zum Botschafter dieser Musik in den Pop-Charts heran. Auch wenn manche Fernsehauftritte hölzern aussehen und die Musik seifige Ansätze hat, stecken in den Texten seiner Hits wie "Lucille" und "The Gambler" ernste, traurige Geschichten. Rogers, nun ohne eigene Band und entsprechende Songwriter-Kollegen, lässt sich sein Material von diversen Autoren schreiben. Oft hat er den richtigen Riecher, manchmal auch nicht. Alben wie "Daytime Friends", "Kenny" und "The Gambler" verzeichnen tolle Verkaufszahlen und einen Riesenschub an Bekanntheit. Kenny, der bei der Filmfirma United Artists unter Vertrag steht, trägt auch Musik zum modernen Road-Western und Trucker-Filmklassiker "Convoy" bei.

In den Achtzigern klingen seine Aufnahmen weniger countryrockig, werden softer. "Islands In The Stream" mit Dolly Parton, das nicht zufällig nach Bee Gees klingt, haben die Brüder Gibb ihm geschrieben. "Lady" komponiert Lionel Richie. Mit diesen Hits bleibt er fortan auch in Europa im Radio, sie prägen das Image des Bärtigen.

In der Country-Krise der mittleren 80er folgen wie bei den meisten altgedienten Acts auch bei ihm Plattenfirmenwechsel. Erst geht er für einige Alben zu Reprise (heute: Warner) zurück, bei denen er mit The First Edition unter Vertrag stand. In den 90ern gibt es zahlreiche Einzelverträge für die folgenden Alben mit diversen Firmen. Doch Rogers' Zeit scheint vorbei, Garth Brooks heißt der neue gefeierte Crossover-Artist.

Erst als 1998 die Coen-Brüder alte Songs für den Film "Big Lebowski" ausgraben und Wyclef Jean Kenny Rogers mehrmals zu sampeln anfängt, kommt Rogers wieder ins Gespräch und hat nochmal einen kleineren Hit in den USA. Sein letzter Song in den Country-Charts wird 2006 "I Can't Unlove You", "ich kann mich nicht entlieben" aus dem schönen Softrock-Album "Water & Bridges", seinem letzten. Rogers hat insgesamt genau 50 Alben aufgenommen.

Mit 67 zieht er sich aus den Studios zurück. Schon lange verfolgen ihn Beschwerden wegen einer Hepatitis C-Infektion, 1994 schon diagnostiziert. Er hat Probleme mit Schulter und Knie, lässt sich mehrmals operieren, auch im Hals. Kurz vor seinem 80. Geburtstag möchte er es noch einmal wissen, kündigt eine US-Tour an - und muss sie doch canceln. Nachdem er im Mai 2019 wegen starken Flüssigkeitsmangels in der Klinik landet, erfährt er, dass er einen Blasentumor hat. Am Abend des 20. März 2020 schläft Rogers in Anwesenheit seiner Familie zum letzten Mal ein. Er bleibt in Erinnerung als der Mann, der Countrymusik aus dem strengen Purismus der Country-Szene befreite.

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