Porträt

laut.de-Biographie

Kino

Das Ende des Staatenbundes, dessen Niedergang er besungen hatte, erlebte Wiktor Zsoi nicht mehr. Ende August 1990 ist der Sänger auf dem Rückweg von einem Fischerurlaub, als er die Kontrolle über sein Auto verliert und mit einem Bus kollidiert.

Musikspecial Russland: Ground Zero des russischen Rock Aktuelle News
Musikspecial Russland Ground Zero des russischen Rock
Rockmusik war der Soundtrack der Perestroika. Doch die alten Helden sind heute tot oder korrumpiert. Und der russische Metal-Papst ist ein Faschist.

Zu diesem Zeitpunkt ist der Sohn eines Sowjetkoreaners als Sänger und Songschreiber seiner Band Kino kultisch verehrtes Jugendidol und der größte Rockstar der Sowjetunion. Angelehnt an die Schockwelle, die das Auftreten der Beatles Anfang der Sechzigerjahre auslöste, wird von einer regelrechten "Kinomania" gesprochen. Zsois Tod löst Schockwellen unter jungen Sowjetbürgern aus, Dutzende Fans sollen sich in den Tagen nach der Nachricht das Leben genommen haben.

Es trägt zum Legendenstatus bei, dass eines der wenigen Dinge, die aus dem nahezu vollständig zerstörten Auto gerettet werden können, die Tonbänder mit den Gesangsaufnahmen für das geplante nächste Album seiner Band sind. Von der Band komplettiert, werden die acht titellosen Lieder als "Schwarzes Album" veröffentlicht. Im Nachgang lösen die verbliebenen Mitglieder die wohl bedeutendste Band des Ostblocks auf.

Deren Ursprünge liegen knapp zehn Jahre vorher im frisch gegründeten "Leningrader Rockclub". Was nach einem Ort der Rebellion, nach Untergrundkonzerten versteckt vor den Sowjetbehörden klingt, ist tatsächlich viel mehr ein Versuch der Regierung, die als verwestlicht beäugte Musikbewegung stärker unter die eigene Kontrolle zu bringen.

Andererseits ist der "Rockclub", in dem, wenn auch nur für sehr kleine Kreise, auch legale Konzerte stattfinden, bei aller Überwachung durch den KGB der erste offizielle Vernetzungspunkt für die Szene. Hier treffen sich der Gitarrist Aleksei Rybin, Schlagzeuger Oleg Valinsky und eben Wiktor Zsoi, der gerade von der städtischen Kunstakademie geflogen ist.

Ebenfalls über den "Rockclub" trifft das Trio Boris Grebenschtschikow, als Frontmann der Band Aquarium so etwas wie ein Begründer der sowjetischen Rockszene, der mit seinen Mitmusikern kräftig dazu beiträgt, dass Kino 1982 unter dem Titel "42" ein erstes Album veröffentlichen können.

Wie bei den meisten Bands dieser Zeit wird auch dieses nicht öffentlich vertrieben. Stattdessen werden Kassettenaufnahmen überspielt und weitergegeben. Obwohl die Band über eine solche Samisdat-Verbreitung und geheime Wohnzimmerkonzerte eine steigende Untergrundpopularität gewinnt, lässt sich über die Musik also kaum Geld verdienen.

Wiktor Zsoi etwa arbeitete als Heizer in einem Leningrader Mehrfamilienhaus, was für die Wochenzeitung New European erheblich zu seiner Rolle als Jugendidol beiträgt: "Wenn er von den Hoffnungen, Träumen und Mühen der russischen Arbeiter sang, wusste er genau, wovon er sprach: seine Lieder strahlten etwas aus, weil sie die Authentizität der Erfahrung hatten."

Kino - Zvezda po imeni Solntse Aktuelles Album
Kino Zvezda po imeni Solntse
Musik mit Sogwirkung aus einem Land vor unserer Zeit.

Der endgültige Durchbruch seiner Band ist eng mit dem einhergehenden politischen Wandel verknüpft. Als Michail Gorbatschow mit dem Schlagwort Glasnost die Beschränkungen der Meinungs- und Pressefreiheit lockert, wird die Rockmusik vom Rand- zum Massenphänomen. In veränderter Besetzung, mit Gitarrist Juri Kasparian, Alexander Titow am Bass und Georgi Gurjanow am Schlagzeug, veröffentlicht die Band das Album "Gruppa Krovi", das zu einem großen Erfolg wird und Kino auch zur politischen Stimme einer Generation macht.

Dabei ist die Band gar nicht besonders revolutionär eingestellt. Der Großteil, der von Zsoi geschriebenen Lieder ist eher persönlich gehalten und stilisiert den Sänger als einsamen Außenseiter. Aber gerade die Lieder, die sich politisch lesen ließen, sind besonders erfolgreich wurden mit zum Soundtrack der Perestroika-Bewegung.

Der Zug, in dem der Protagonist im Song "Elektritschka" sitzt und der ihn in die falsche Richtung fährt, wurde als Metapher für das Leben in der Sowjetunion interpretiert, der noch heute immens populäre Titelsong auf "Gruppa Krovi" ließ sich als Protest auf den Afghanistan-Krieg lesen und "Khochu Peremen" erzählte mit seinem Refrain, von genau den Veränderungen, nach denen sich die Menschen sehnten. Noch heute ist das Lied in den postsowjetischen Staaten eine Hymne des Protestes, die wie zuletzt in Weißrussland auf Demonstrationen gesungen wird.

Sogar auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs spielt die Band Konzerte. Auch als Filmstar pflegt Wiktor Zsoi höchst erfolgreich das Image des einsamen Helden. Der Film "Igla", die Nadel, für den er auch den Soundtrack beisteuerte, wird von Millionen Menschen gesehen und heizt die Kinomania weiter an. Auf dem Höhepunkt der Popularität spielen Kino ihr größtes und gleichzeitig letztes Konzert vor über 60.000 Fans im Moskauer Olympiastadion.

Den prognostizierten Durchbruch im Westen verhindert Zsois tödlicher Autounfall. Selbst Alben der Band sind hierzulande eher schwierig zu bekommen. In Russland hingegen ist Wiktor Zsoi eine musikalische Legendenfigur, die es mit Street-Art-Gemälden bis ins Straßenbild der großen Städte geschafft hat. Sein Grab und seine Gedenkmauer in Moskau sind, wie zum 30. Todestag im August 2020, Pilgerstätten für Musikfans.

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