Details

Datum: 4. — 6. Juni 2010
Location: Zeppelinfeld
Zeppelinfeld
90471 Nürnberg
Alle Termine ohne Gewähr

Review

laut.de-Kritik

Zum Jubiläum kreisten die Matten bis in die letzte Reihe.

Review von Giuliano Benassi

Verkehrte Welt: Kann man in der Regel mit großer Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass bis kurz vor Festivalbeginn die Sonne vom Himmel brennt und dann von den ersten Takten an der Himmel sine Schleusen öffnet, ist es im Jubiläumsjahr anders: Morgens regnet es so stark, dass man die Hand kaum vor Augen sieht, nachmittags klettern die Temperaturen dann plötzlich in den frühsommerlichen Bereich.

Genau rechtzeitig für den Startschuss, den Rage Against The Machine am ersten Abend setzen. Was die alten Recken leider nicht dazu inspiriert, Außergewöhnliches zu leisten. Die Hits sind zwar da, im Mosh-Pit gehts bis in die letzten Reihen gut ab, aber ein wenig fehlt Zac de la Rocha und Co. doch an Seele. Offenbar haben sie mit ihrer Reunion bereits genug verdient.

Zumindest setzt der US-Vierer die Messlatte hoch, was die Action betrifft. Bei sengender Hitze macht es auch am Tag darauf nicht unbedingt Spaß, bei My Bloody Valentine die Mähne kreisen zu lassen. Zumal sich die düsteren Gestalten zu sehr auf ihre Balladen versteifen. So gingen zuvor schon Pendulum zu Werke, die energiegeladen à la Prodigy beginnen, um sich im weiteren Verlauf aber in zu seichten Gebieten zu verlieren.

Alte Säcke-Alarm?

Dizzy Rascals fette Beats gehen derweil auf der Nebenbühne ebenfalls in der nachmittäglichen Trägheit unter. Die Dudelsäcke von In Extremo tönen unerträglich, und so also bieten Martin & James in der finsteren Eissporthalle eine willkommene Entspannung.

Doch es liegt nicht nur am langen sonnigen Tag, dass die Zuschauer hier auf ihre Hintern sinken. Der Mainstream-Folkrock der Schotten erinnert zu sehr an America, die seit "A Horse With No Name" nichts mehr auf die Reihe gekriegt haben. Das war natürlich lange bevor die meisten Rock im Park-Besucher überhaupt auf der Welt waren.

Erstaunlich, wie jung die meisten sind, obwohl im großen Ganzen auf den Bühnen Alte Säcke-Alarm herrscht. Bad Religion sind schon seit 30 Jahren unterwegs, wie sie stolz selbst feststellen. Schade, dass sie an die früheren Zeiten nicht mehr herankommen. Sänger Greg Graffin sieht aus wie ein biederer Bankangestellter und braucht bis "21st Century (Digital Boy)" am Ende des Sets, um halbwegs mitreißend zu wirken: "Machen auf intellektuell, aber können net mal ihre Instrumente gscheid spiele", lautet ein vernichtender Kommentar aus der Nachbarschaft.

Der bunte Truppe von Gogol Bordello gelingt das in wenigen Takten. Gefolgt von Tocotronic. "Die plätschern vor sich hin. Die tun keinem weh", so eine weitere Stimme. Damit wäre Bandchef Dirk von Lowtzow nicht ganz einverstanden, gibt es ich doch redliche Mühe, die friedliche Masse für seine politischen Ideen zu begeistern. Doch strecken nur wenige ihre linke Faust in die Höhe, wie schon am Tag zuvor bei der Internationalen während des RATM-Sets.

Politik ist out

Politik ist offenbar out – schließlich ist man hier, um Spaß zu haben. Wobei Schnapsleichen trotz der sengenden Sonne insgesamt die große Ausnahme bleiben. Die Hives können sich im Anschluss auf der Nebenbühne noch so Mühe geben – nach dem ersten Drittel ihres Sets fließt die Menge Richtung Zeppelinfeld, um dem Hauptact des Festivals beizuwohnen.

Was Spektakel angeht, sind Till Lindemann und seine Mitstreiter wirklich nicht zu überbieten. Pausenlos knallt und brennt es, dass man geradezu um die Bandmitglieder und einen Stuntman bangt, der brennend über die Bühne fegt. War das tatsächlich Panik, oder doch nur Spiel? Rammstein beherrschen den Grenzbereich wie sonst niemand.

Auf demselben Gelände fanden in den 30er Jahren die Reichsparteitage statt - doch Rammsteins Herz schlägt links zwo drei vier, wobei im Set Stücke aus den 90ern eher selten auftauchen. Immerhin darf Flake wieder im Schlauchboot durch den halben Moshpit schunkeln, bevor ein schaumspritzender Riesendildo in "Pussy" und das totalitär angehauchte "Ich Will" die Zuschauer entlässt.

Rock oder doch eher Theater? Wenn Rammstein jemals ein Musical veranstalten sollten, müssten sie jedenfalls kaum etwas ändern, denn zum Tanzen animieren ihre Riffs nicht gerade. Beim Moshen könnte man ja schließlich die eine oder andere spektakuläre Einlage verpassen. Also bleibt es beim eifrig Hände in die Luft strecken.

Die Geier räumen ab

Genau das Gegenteil bieten Them Crooked Vultures auf der Nebenbühne. Wieder Alte-Säcke-Alarm, aber was für einer! Befreit von der Auflage, Hits ableiern zu müssen, kloppt sich Dave Grohl die Seele aus dem Leib, während John Paul Jones einen absurden Basslauf nach dem anderen aus seinen wechselnden Instrumenten zaubert. Fronter Josh Homme versäumt dabei keine Gelegenheit, sich eine Kippe anzuzünden, hält das spielfreudige Rhythmusduo aber bei Stange und quält seine Gitarren, dass es eine Freude ist.

Als zweiter Gitarrist ist Queens-Klampfer Alain Johannes zugange, der eine beeindruckende Technik an den Tag legt. Improvisationen am laufenden Band und doch ein klarer roter Faden: Spielfreude ohne Ende. Der beste Auftritt am zweiten Tag, keine Frage.

Slash liefert an Festivaltag drei dann erst mal soliden, wenn auch nicht so vertrackten R'n'R ab. Seine Begleitband gibt sich dabei redlich Mühe, wie Guns N' 'Roses zu klingen - Sänger Myles Kennedy macht bei den alten Tracks auf Axl Rose. Unterm Strich aber ein gelungenes Set aus neuen und alten Stücken inklusive "Sweet Child O' Mine" und "Paradise City".

Die Tüte kreist

Nahtlos schließen sich da Cypress Hill an, bei denen Percussions ordentlich einheizen. Wie auch die spätmittägliche Sonne und die Tüten, die vereinzelt kreisten. Nichts, was Sittenwächter auf den Plan gerufen hätte, aber als B-Real zu "I Wanna Get High" mit einem dicken Joint auf die Bühne kommt, ist die Begeisterung groß. Dass da bis kurz vor Schluss des Festivals gerade mal 13 Leute wegen Verstöße gegen das Betäubungsmittel angezeigt werden beweist zweierlei: Gras ist nicht mehr so verbreitet wie früher und Polizei respektive Security geben sich eher locker.

Kasabian geben sich auf der Nebenbühne derweil redlich Mühe, die Nachfolge von Oasis anzutreten, und stoßen dabei auf mäßigen Zuspruch. Wie auch Kiss, die am Abend das Zeppelinfeld besetzen. Schminke und Perücke mögen die Zeichen des Alters verschleiern, doch der Body Mass Index ist gnadenlos.

Eines kann man den alten Herren mit Mut zum Brusthaar aber nicht vorwerfen: Dass sie sich keine Mühe geben. Im Vergleich zu Rammstein wirkt ihre Bühneshow eher wie eine Schulveranstaltung, doch die Klassiker sind alle dabei, inklusive Feuergitarre und einen Blut spuckenden Gene Simmons. Zum Schluss beweisen sie Größe, als sie "God Gave Rock'n'Roll To You" dem kürzlich verstorbenen Ronnie James Dio widmen - der übrigens auf erstaunlich vielen T-Shirts von Festivalbesuchern verewigt ist. Ein paar Minuten früher auf die Bühne gekommen, ein paar Minuten später als geplant gegangen – mit über zwei Stunden zeigen Kiss, dass sie noch aus jenen Zeiten stammen, als "Rock til you drop" noch wörtlich zu verstehen war.

Rock am Ring?

Metal oder zumindest Hard Rock, lautet auch an Tag vier die Devise. Corey Taylors zweite Combo Stone Sour eröffnet am frühen Abend die Zeremonien auf der Nebenbühne. Energiegeladene Promo fürs neue Album, das am 7. September erscheint. Was er ständig wiederholt und damit mächtig nervt. Gossip wirken da zeitgleich auf der Hauptbühne etwas verloren. Beth Ditto feuert die ganze Zeit "Rock am Ring" an und bewegt sich angesichts der Körperfülle erstaunlich gelenkig. Doch die Stücke klingen zu sehr nach Album, als dass der Funken überspringen mag.

Etwas verpeilt wirken auch die deutlich in die Jahre gekommenen Alice in Chains. Als Sänger William DuVall den letzten Song jenen Menschen widmet, "die schreckliche Dinge tun, weil wir sie nicht tun wollen" und damit allen Ernstes Unterstützung für die Kriegseinsätze seiner Regierung einfordert, hält sich die Begeisterung des Publikums doch stark in Grenzen.

Völlig politikbefreit geben sich dagegen Volbeat, die tätowierten Pogo-Rock'n'Roll der härteren Sorte bieten und bei den älteren Generationen auf Zuspruch stoßen. Das jüngere Publikum ist dagegen gleich auf dem Hauptgelände geblieben, um den Emo-Rockern von 30 Seconds To Mars zu lauschen und anschließend den letzten Hauptact, Muse, zu genießen.

Muse setzen Maßstäbe

Nach dem Rauch und den Explosionen der vorangegangenen zwei Abenden ist es eine Genugtuung zu erleben, dass man auch in Jeans und T-Shirt eine Show der Superlative abliefern kann. Für die sonischen Feuerwerke sind Matthew Bellamy und seine Gitarre verantwortlich, perfekt unterstützt durch eine Bilder- und Lichtshow, die geschickt auch die großen Bildschirme neben der Bühne einsetzt.

Selbst das Wetter binden die Briten in ihre Spektakel ein – und zwar die ersten, schweren Regentropfen, die durch die Laserstrahlen glitzern. Vorboten eines harmlosen Gewitters, dass sich zum Schluss des Sets von Slayer über das Gelände ergießt und die getrockneten Körperausscheidungen der vier Festivaltage in Form von Feinstaub an die Urheber zurückführt. Passt irgendwie zu einer Band, die trotz aller Routine etwas unbeholfen wirkt.

sWas daran liegt, dass Sänger Tom Araya seit seiner Nacken-OP nicht mehr Headbangen kann und herumsteht wie eine Vogelscheuche. Dabei ist der Sound so breiig, das die Gitarre des mit Ketten behangenen zweiten Gitarristen Kerry King so gut wie nicht zu hören ist.

Gelungenes Jubiläum

Erstaunlich eigentlich. Denn eines der prägenden Merkmale des Festivals ist die sehr gute Klangqualität: gleichgültig, wo man steht - und das ohne Berge an Lautsprechern an allen Ecken. So gut haben sich Motörhead wohl selten angehört. Wenige Minuten vor Beginn ihres Sets kurz vor Mitternacht hört es auf zu regnen, was den Moshpit noch einmal ordentlich füllt. "Do you know Rock'n'Roll? No, you're to young", grinst Lemmy ins Mikrophon, mit einer Doppelwarze ausgestattet und kurz vor dem gewöhnlichen Rentenalter stehend. Die abschließenden "Ace Of Spades" und "Overkill" sind jedenfalls gute Vertreter des Genres.

Zwar darf das Alkaline Trio den offiziellen Schluss in der Halle setzen, doch bis dahin haben Müdigkeit und Wetterumschwung die meisten Besucher vom Gelände oder in ihre Zelte vertrieben.

Zum 15. Jubiläum ist es den Organisatoren gelungen, das gut durchdachte Konzept noch einmal zu verfeinern. Angesichts von 65.000 Zuschauern (bei einer Kapazität von maximal 70.000) war die Stimmung ausgesprochen friedlich. Leitsysteme verhinderten, dass sich allzu große Menschenstaus entwickelten. Der glasklare Klang und große Bildschirme hatten dazu geführt, dass nicht alle nach vorne drängten.

Als zum Ende der Veranstaltung der Himmel seine Schleusen endgültig öffnet, war die Festivalwelt auch in dieser Hinsicht wieder völlig in Ordnung.

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