4. Februar 2025

"Digga, diese Terrorlesben!"

Interview geführt von

Lena Stoehrfaktor ist seit 20 Jahren dabei. Wer sich irgendwie mit politischem Rap beschäftigt, hat zumindest ihren Namen schon einmal gehört. In diesen 20 Jahren ist die Welt nicht gerade besser geworden, nach ups and downs steht auch Hip Hop für die Underground-Kids gerade nicht all zu blumig da.

Wie bewahrt man da einen kühlen Kopf? Ich habe ja an sich den Vorsatz, keine "ich bin so cool, warum checken die Leute das nicht?"-Interviews mit Leuten zu führen. Trotzdem fühlt sich Lenas Szenepessimismus sehr fundiert an. Abseits aller Schwarzmalerei hat sie ausgerechnet aus dieser Stimmung ihr wohl bestes und wärmstes Album aufgenommen. Doch bevor wir auf "Pretty World" und den sterbenden Untergrund zu sprechen kommen, muss ich zu einem Wort nachhaken, das sie in ihrem letzten Interview benutzt hat.

Terrorlesben!

Lena Stoehrfaktor: Digga, ich hab schon wieder viel zu viel aus dem Nähkästchen geplaudert.

Echt, findest du?

Oversharing. Weißt du? Ich kam irgendwann in den Lesbentalk rein.

Ich musste so lachen, als du angefangen hast, dich als Terrorlesbe zu bezeichnen. Der Begriff ist der Wahnsinn.

Ja, aber ich beschäftige mich damit! Das haben die meisten Leute ja nicht so auf dem Schirm. Digga, die Terrorlesben! Ich hab' neulich auch einem feministischen Magazin geschrieben und gesagt, ihr müsst jetzt auch mal was für die Terrorlesben machen, das geht nicht. Ich find's ja cool, wenn jetzt verschiedene Frauenbilder abgebildet werden. Aber ich als Terrorlesbe sehe mich da noch nicht so oft. Check die ganzen Rapperinnen: Schon cool, aber da kann ich mich persönlich oft nicht mit identifizieren. Und ich glaub, es gibt viele, die das gerne in Deutschland mehr sehen würde.

Gibt es Amirap-Terrorlesben-Repräsentation?

Ja, also Boss auf jeden Fall. Weiß nicht, ob die eine ist, aber die kommt schon rüber wie eine Terrorlesbe. Die ist leider gestorben. Boah, aber die Amirapperinnen haben eh immer was Rougheres, auch wenn die feminin sind, so eine Missy Elliot auch.

Stimmt schon, auch wenn man sich Lady Of Rage, Bahamadia oder Lyte anguckt: Das hat sich ja alles erst mit Nicki wirklich geändert. Und ich mag Nicki, ich mag auch viele der Rapperinnen, die nach ihr kommen. Aber sie hat diesen Barbie-Archetyp schon krass popularisiert.

Ja voll! Und ich finde es ja cool, wenn Frauen diese sexistische Gewalt nehmen und sagen, dass sie jetzt die Bad Bitches sind. Aber es kann sich ja nicht jede Frau damit identifizieren. Und viele checken das gar nicht: Die denken, die rappende Frau muss jetzt die Bitch sein. Aber da fallen ja voll viele raus.

Wie ist es für dich, darüber zu sprechen?

Es ist komisch. Ich habe in meinem Kopf ja schon voll viele Fragen durch, aber es ist eine andere Sache, sich Gedanken zu machen, oder Sachen wiederzugeben. Ich hab ja auch nicht studiert. Ich hab meine politische Meinung, aber wenn ich die vermitteln will: Dann will ich ja nicht dastehen und "die da oben!" schreien.

Du weißt ja auch wahrscheinlich, dass du mit solchen Sachen gerade als Linke gerne unter einem Vergrößerungsglas stehst. Dann heißt es schnell "die hat gesagt".

Ja, voll! Und das war dann so ein bisschen meine Sorge mit dem letzten Interview. Ich find's auch cool! Aber wenn da zwei Lesben sich unterhalten ... man muss sich ja auch überlegen, was der gemeine Leser oder die gemeine Leserin da draus mitnehmen, die nicht aus der Welt sind. Ein bisschen muss man vermitteln.

Ich fand den Begriff einfach killer, ich kannte den gar nicht. Ich hab das einfach als "Butch" verstanden, oder ist das was anderes?

Doch, doch, ist schon vergleichbar. Man kennt ja auch den Begriff Kampflesbe, ich hab den irgendwann davon abgeleitet. Es gibt so eine Lesbenwelt, wie soll ich sagen ... Du machst einfach andere Erfahrungen als Terrorlesbe. Auch auf der Straße. Männer sind anders zu dir, andere Frauen sind anders zu dir. Du gehst anders durch die Welt, weil Leute dir anders begegnen, weil du die Rolle nicht erfüllst. Sogar Feministen sehen dich anders. Und das fällt dann ja auch auf Rap zurück: Leute supporten Leute, mit denen sie sich identifizieren können. Die Überschneidungen haben. Und ich bin halt eine Terrorlesbe mit politischen Inhalten und ich bin jetzt vierzig Jahre alt. Und ich seh schon, dass Typen, wenn sie so einen generischen Typenrapper sehen, der einfache Reime hat, dem dann aber mit solchen Sachen mehr Vorschuss geben als zum Beispiel mir.

Ich hab mal einen Artikel gelesen, der hat einen Effekt beschrieben. Ich erinner mich nicht mehr 100%, ich nenn das jetzt den "Veganer auf einer Party"-Effekt. Leute nehmen die ja oft preachy und belehrend wahr. Das Ding ist aber: Jeder findet irgendwie Tiere süß. Wenn man - wie ich - trotzdem Tiere isst, muss man irgendwo in seinem Kopf eine Verrenkung aufbauen, die sagt: "Aber ist trotzdem okay, weil ..." Steht jetzt auf der Party jemand vor dir, der zeigt, dass man es einfach lassen könnte, stellt das diese Verrenkung in Frage. Und die Person sagt nichts und pöbelt nichts, aber trotzdem fühlt man sich auf dem Schlips getreten. Ich kann mir gut vorstellen, dass du ein bisschen einen ähnlichen Effekt auf Leute in der Rapszene hast: Du erinnerst die Leute an die Verrenkungen, warum die Szene so viel weirdes Zeug zu Frauen hervorbringt. Un dann denken die: "Warum hält DIE sich hier jetzt für schlau?"

Ja, genau sowas ist mir neulich auch erst wieder passiert in einem Thread auf Reddit. Da schreibt einer: "Ja, ist mir zu woke". Und dann hat jemand anderes drauf geantwortet: "Aber da ist doch gar nichts Wokes drin". Und dann hat die Person wieder geantwortet: "Ja, stimmt, ich hab irgendwie gedacht ..."

"DIE SIEHT DOCH SCHON SO AUS."

Ja, eben! Das wird sich dann schon gar nicht mehr angehört. Die denken, das ist so eine woke Fotze, da schreib ich das doch gleich mal rein. Die Vorurteile kommen aus jeder Ecke. Schon allein meine Stimme, dass ich eine tiefe Stimme hab, sprengt wohl echt schon bei manchen richtig hart Geschlechterrollen. Manche sind cool und offen, manche schieben es direkt weg.

"Ich will wenigstens Respekt."

Ja, und dann muss man sofort klein machen, was du zu sagen haben könntest. Aber das ist eh so ein bisschen ein Thema, das ich mit dir aufmachen wollte: Du hast im letzten Interview darüber gesprochen, dass es unfair ist, dass du trotz deiner Skills in einem größeren Hip Hop-Kontext gerne mal ignoriert wirst. Und einerseits check ich das komplett. Aber andererseits hat es in mir auch ein bisschen Widerstand ausgelöst. Es kann ja nicht sein, dass dein ganzer Sound und deine ganze Ästhetik diese Antithese zu Mainstream-Rap ist - und du dich dann aber trotzdem wunderst, dort dann nicht stattzufinden, oder?

Das ist mir auch schon aufgefallen und ich hab mir diese Frage auch schon oft gestellt: Was will ich eigentlich? Will ich anecken? Mittlerweile seh ich das so, dass die Mehrheitsmeinung so komisch ist, dass ich mir schon wünsche, dass meine Inhalte im Mainstream ankommen könnten. Nicht nur um meiner selbst willen! Ich seh das so ein bisschen als ein Politikum. Ich will wenigstens Respekt. Wenn Leute jetzt sagen, das entspricht total meiner politischen Haltung, dann denk ich mir, das ist in Ordnung. Aber ich will schon, dass Leute ehrlich mit sich sind und verstehen, warum gewisse Dinge gepusht werden und gewisse Dinge nicht gepusht werden. Das ist ja kein Zufall, wer in der Gesellschaft Erfolg hat, wem sich Türen öffnen und wem nicht. Wenn ich dann sage: Okay, es ist unfair. Dann geht es mir um die Musikindustrie. Und selbst Leute die sich als links und woke sehen, verschließen mir die Tür, weil ich DIY bin und ohne Booking-Agentur ankomme. Weil sie auf die gleichen kapitalistischen Mainstream-Mechanismen hören. Weil sie Klickzahlen angucken und danach entscheiden, was sich lohnt oder nicht. Da geht meine Kritik hin: Dass diese Verwertungslogik bis tief in die linke Szene rein. Politik ist ja auch eine Ware. Jede Frau im Kulturbetrieb bezeichnet sich als Feministin. Viele sind gar keine und supporten sexistische Männer. Seid Deutschrap-MeToo will das jeder sein, aber man muss doch auch irgendetwas dafür tun. Dann musst du Leute supporten, die über Sexismus sprechen. Du kannst doch nicht sagen: "Ich möchte das und das sein, aber auf Politik hab ich keinen Bock". Und da will ich entweder den Respekt, oder dass die Leute ehrlich zu sich selber sind. Genau so mit der AfD: Niemand in der Szene hat Bock auf die! Ich mach seit 20 Jahren politischen Rap und höre dann wieder und wieder, dass Leute keine Lust auf politische Inhalte haben. Ey Leute, das kann nicht sein. Musikförderungen geben mir Absagen, obwohl ich seit 20 Jahre auf die Dörfer im Osten fahre. Ich war im kleinsten Dorf im Osten, ich supporte die Initiativen und die Strukturen. Und sogar die "woken" Hipster wollen mich da nicht haben, weil ich nicht das Image und die Ästhetik mitbringe, die sie gern sehen würden.

Aber wenn wir über diesen linken Mainstream sprechen, oder zumindest den, von dem du sagst, er sieht sich gerne so: Was sind denn die ästhetischen Kriterien, auf die sie dann anspringen?

Ich glaub da interessiert man sich auch für Popmusik, die in einem pretty Kostüm verkauft wird, sozusagen. Die umgänglich ist. Ja, ich würd sagen, Leichtverdauliches. Glattes. Da liegt das Interesse. Das wird supportet. Manchmal auch anhand von Identitätskategorien. Politik beschränkt sich sehr auf Identitätspolitik. Kapitalismuskritik seh ich zu wenig. Dabei denke ich, dass der Rechtsruck mit dem Kapitalismus und mit dem neoliberalen Leistungssystem Hand in Hand geht.

Fakt.

Wenn wir ernsthaft etwas unternehmen wollen, müssen wir kapitalismuskritische Inhalte pushen.

Ich find's sehr interessant, weil grundsätzlich machst du hier doch aber gerade zwei verschiedene Stränge auf? Du hast den inhaltlichen Strang und du hast den ästhetischen Strang. Und klar, Inhalt und Form hängen zusammen, aber man könnte doch auch einen kapitalismuskritischen Popsong machen, oder?

Mit Pop mein ich eher die Einstellung, nicht den Klang. Das Drumherum. Wie glatt es ist. Es fängt ja schon mit dem Netzwerken an. Viele Leute können da ja nicht einmal mit einer negativen Rückmeldung etwas anfangen. Man muss rumschleimen. Für mich ist das schon gegen den Charakter von eingängigem Pop, wenn man ein konfrontativer Charakter ist. Dann fühlen die Leute sich direkt vor den Kopf gestoßen. Ich meine mit Pop die Glätte.

Die Anschmiegsamkeit.

Genau: Ich finde es ja cool, dass es Rapperinnen gibt, die gegen Slutshaming sind und sagen "hey, ich habe Sex mit dem und dem". Alles super. Aber seien wir ehrlich: Was ist denn mit den Dicken? Was ist denn mit den Alten? Sind die jetzt raus, weil die das nicht für sich claimen können?

Es ist wieder so ein Vegan-auf-der-Party-Effekt: Am einfachsten werden es immer die haben, die die Leute am wenigsten daran erinnern, dass ihr eigenes Wertesystem vielleicht manchmal schräg ist. Und eine wunderschöne Frau, die über Sex rappt, hat für mich definitiv etwas Feministisches. Aber ich sehe auch, dass es für die Mehrheitsgesellschaft trotzdem nicht unbedingt die große Herausforderung der eigenen Werte ist. Die kommt damit wohl schon klar.

Ja, voll. Und außerdem: Man darf Sachen ja auch nicht einfach nur über Repräsentation und Gesinnung denken. Ich finde es toll, dass es heute mehr Vorbilder geben kann, dass man Bücher über Kinder mit zwei Mamas sieht. Aber am Ende darf das nicht alles sein. Für mich entscheidet sich Identität eher durch Gesinnung, nicht nur durch das, was du bist. Es ist, was du denkst. Nicht nur das, was du konsumierst.

Ich mein, damit kommen wir auch zu einem größeren Punkt. Ich wollte mit dir vorhin ja schon über die Ästhetik von Underground sprechen. Ich habe das Gefühl, viele Musikerinnen und Musiker in dieser Ecke leben in diesem komischen Zwiespalt, dass Musik in unserer Gesellschaft als Konsumgut verstanden wird, man sich aber doch dagegen wehren möchte, dass Musik nur Konsum ist. Und in Genres wie Punk oder Politrap sedimentiert dieser Widerspruch sich ja musikalisch, und zwar in genau dieser Schranzigkeit. Dass man sagt: "Nein, das ist jetzt nicht hübsch und glatt, das ist kratzbürstig, wütend und schwer konsumierbar, deal with it". Würdest du mir da rechtgeben, auch in Bezug auf deine Musik?

Auf jeden Fall. Ich hab das auch immer so gesehen. Ich glaube nur halt, dass es früher im Untergrund viel mehr Chancen gab, Aufsehen zu erregen. Die Subkultur stirbt die letzten Jahre so hart weg, dass du kaum noch stattfinden kannst. Ich hab die Erfahrung gemacht, dass du einfach nicht mehr existierst, wenn du nicht den kommerziellen Weg gehst. Das ist, warum ich mich nie für ein Label entschieden hab. Ich will jetzt natürlich nicht so tun, als wären da tausend Angebote dagewesen, die Leute haben nicht auf mich gewartet. Aber meine Einstellung dazu hat sich geändert. In Zeiten von dieser Verdummung will ich meine Message nicht klein machen. Sie ist wichtig. Auch im Hip Hop: Der hat sich inhaltlich verändert. Heute würde ich, glaube ich, alles mitnehmen. Wenn man nicht beim Booking bist, nicht bei einem Label bist, dann hört es bei ein paar Demogigs einfach auf. Du kommst nicht auf die Festivals, wo früher Leute im Booking saßen, die gesagt hätten: Komm, ein bisschen Indie kann schon sein. Die das recherchiert haben. Heute ist das nur noch Agentur. Underground kriegt keinen Slot mehr.

"Ich seh den Sinn in Underground nicht mehr."

Woran liegt das denn, dass der Underground so ausgestorben ist?

Na, natürlich auch am Kapitalismus. Die ganzen besetzten Häuser, die Jugendzentren, die Clubs, die nicht gerade das Berghain sind: Alle sind am Strugglen. Dadurch hat sich alles krass kommerzialisiert. Früher hatten Leute auch einfach mal mehr Zeit und Ressourcen, um ein Konzert zu veranstalten. Seit Corona ist das wirklich weg. Leute machen das heute beruflich oder gar nicht mehr. Und das betrifft auch die Konsumenten: Es gibt weniger Konzerte, es verlagert sich alles auf Festivals, da zahlst du einen Hunderter für ein Ticket und damit hat sich's. Hip Hop-Kultur hat sich meiner Ansicht nach verändert. Früher hat es auch dazugehört, Teil der Kultur zu sein, indem man Veranstalter war. Jetzt kommt es mir vor, als wäre es nur noch: Ein Festival will so und so viele Tickets verkaufen, da sind die Acts, da sind die Sponsoren. Alles ist viel mehr kapitalisiert. Ich seh den Sinn im Underground nicht mehr so recht. Du wirst einfach keine Gigs mehr bekommen. Du wirst nicht stattfinden. Oder ganz wenig.

Ich fand's tatsächlich auch krass. Ich bin ja 2020 nach Berlin gezogen und dachte dann nach den Lockdowns: Hip Hop-Hauptstadt, let's go! Ich will dahin, wo sie um die brennenden Mülltonnen freestylen. Ich hab meine Freunde von hier gefragt: Cyphers, Open Mics, Grassroots-Zeug? Nix gab's.

Ja, wir hatten früher unser Kollektiv am Start, da gab's das alles. Und neulich: Da hat Torch mich angeschrieben, ...

Oh damn, wir kommen in kritisches Kultur-Territorium: Wie real bist du? "Torch hat mir neulich geschrieben"!

Ey! (lacht) Ja, isso! Torch hat mir geschrieben und mich gefragt, was so am Wochenende in Berlin geht. Und ich konnte ihm nix sagen. Da hab ich mich auch schon echt komisch gefühlt. Ich hätte ihm das supergerne gesagt!

Klar: "Ich, Lena Stoehrfaktor, kenne selbstverständlich alle brennenden Mülltonnen Berlins"! Aber gut, klar. Was du sagst ist ja erstmal alles korrekt. Leute sind brokes, Clubs sterben weg, Veranstaltungen müssen tighter geplant werden. Leuchtet mir alles ein. Aber warum hat der Untergrundrap sich dann nicht um so mehr ins Internet verlagert?

Weil den Leuten ein bisschen der DIY-Geist fehlt. Sie wollen es nicht machen und sie wollen es auch nicht so richtig hören. Für mich würde ich schon sagen: Die Möglichkeit, live zu spielen, ist meine Realität als Künstlerin. Und es nervt mich total. Ich habe eine Base an Leuten, die mich wirklich gerne hören. Wenn ich mal auf einem Festival bin oder sonst wo, dann ist das alles immer wack vom Booking. Die kommen dann zu mir und fragen mich, warum ich schon wieder so früh gespielt habe, obwohl ich eigentlich größer als Artists nach mir gewesen wäre? Und ich sag denen: Ganz ehrlich? Weil ich kein Label und kein Booking habe. Und ich will doch ehrlich nicht nach zwanzig Jahren Rap vor fünf Leuten spielen, oder?

Das erinnert mich an eine Freundin die ich habe: Die ist mit ihrer Band in ihrer Stadt eigentlich super-etabliert. Sie ist keine Terrorlesbe, aber definitiv queer und artsy und hat ihre sehr solide Fanbase, vor Ort und überregional. Aber trotzdem wird sie dann wieder und wieder auf die kleinen lokalen Festivals geholt, um irgendwann nachmittags die leere Crowd zu bespaßen. Und die Veranstalter klopfen sich noch auf die Schulter, dass sie jetzt ja auch mal so einen rumpeligen Weirdo supportet haben, egal, wie gut und populär sie eigentlich ist.

Was ist das? Das nennt man auch Flinta-Washing.

Flinta-Washing?

Den Begriff hab' ich mit Steff etabliert, weiß nicht, ob es den vorher schon gab. Wir waren auf so einem Festival als Flinta-Band. Haben schon eine superschlechte Zeit bekommen und wurden von der Gage voll runtergehandelt. Eine andere linke Band hat das Zehnfache bekommen. Und dann stehen wir in so einer komischen Glashalle zu gottloser Zeit und teilen uns zu viert eine echt kleine Gage. Aber die Veranstalter haben unseren Namen auf dem Flyer und können sagen: Guckt mal, wie divers wir sind. Wir haben die doch eingeladen! Muss man aufpassen. ich schreib den Leuten inzwischen ja auch, ich spiel nicht mehr als Opener. Ich bin das echt langsam leid - und das Musikalische isses echt nicht. Leute behandeln mich immer von wegen: Boah, da kommt wieder diese politische Tante.

Ich verhalte mich jetzt den richtig klassischen Typenmove und spiele devil's advocate. Aber man muss ja schon sagen: Linker BoomBap ist gerade kein Publikumsmagnet, deine Klickzahlen sind nicht gigantisch. Booker von heute müssen, um zu überleben, notwendigerweise diese knallharten Kalkulationen machen. Die müssen dann eine populäre Band holen. Wenn die Tickets nicht verkauft werden, ist am Ende niemand geholfen, wenn dich mal jemand als Headliner bucht.

Digga, ich erwarte ja nicht, dass die mich als Headliner buchen. Aber es ist halt dieser Effekt: Wenn jemand mal den Mut hat, dich gut zu platzieren, dann hast du die Chance, von dir zu überzeugen. Dann wirst du von vielen gesehen, nächstes Mal kommen mehr und du hast gerechtfertigt, gut platziert worden zu sein.

Ein Multiplikator.

Wenn du aber immer den Scheißslot bekommst, immer da vor niemandem spielst, dann ist dein Misserfolg doch eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Würde jemand mal sagen, ich pack die ein bisschen besser aufs Line-Up, dann wird denen deswegen nicht der Laden zusammenbrechen. Und es gabt ja Leute, die mich gelobt haben, nachdem sie mir die Chance gegeben haben. Du kannst das machen, ohne alles zu sprengen. Du musst einfach Mut zur Veränderung haben.

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