laut.de-Kritik
Nach 20 Jahren Untergrund mit BoomBap in neue Fahrwasser.
Review von Yannik GölzIch wusste die längste Zeit nicht so richtig, was ich von Lena Stoehrfaktor halten sollte. Erstens: Die ist schon ultralang dabei. Eigentlich verdient sie auch den Respekt, grundlegende Arbeit für dieses ganze Leftie-Rap-Ding geleistet zu haben. Und darüber hinaus: Sie hat handwerklich ja auch zweifelsohne viel drauf. Man merkt, dass ihr Rapstil und ihre Rapstimme von diesen dreckigen Jugendhaus-Bühnen mit bestenfalls halbfunktionalen Monitoren geprägt wurde. Das heißt, ihr Stimmeinsatz hat gerade in früheren Tracks Momente, in denen er Eleganz für Durchschlagskraft opfert. Aber für mich sind diese Schönheits-Abzüge in der B-Note eher Sachen, die sie als Performer rougher und authentischer machen.
Trotzdem hatte ich diese Momente, in denen ich sie nicht so richtig fühlen konnte. Es gibt diese Artists, für die "gute Lyrik" und "richtige Sachen sagen" absolut kein Unterschied sind - und auch Lena wäre wirklich eine von denen, die ein Goldstern dafür verdient, wirklich konsequent gegen Nazis zu sein. Aber macht es einen Song gut, gegen Nazis zu sein? Ist eine richtige Aussage automatisch schön? Wenn ich es zusammenfassen müsste, würde ich mein größtes Problem mit Lena bisher so beschreiben, dass sie mir zwischen all den richtigen Takes und stabilen politischen Einstellungen nur in zu wenigen Tracks wirklich als Person begegnet ist.
Ich freue mich deswegen zu berichten, dass ich mir diese Sorge für dieses Album nicht die Bohne machen musste. "Pretty World" ist mit weitem Abstand ihr bestes Album. Es ist ihr wärmstes, ihr greifbarstes, ihr vielschichtigstes. Der größte Faktor dafür scheint mir definitiv die Produktion von Blake Beauty, der sie mit unterschwellig-trauriger, aber dennoch wunderschön simpler BoomBap-Produktion in völlig neue Fahrwasser holt.
"Komisch 2" gibt einen ihrer besten Songs ab: Wir nehmen den Satz "politische Strukturen normen dich - oder du gehst an ihnen kaputt" und führen ihn in drei Minuten autobiographischem Buddeln wundervoll aus. Und WIE sie dann durchrappt, keine Hooks, kein Schnörkel: Nur eine stark ausgebaute Momentaufnahme nach der anderen - eine Biographie, erzählt in kleinen Momenten des Aneckens und des Scheiterns, wie sie jeder von uns vermutlich zu einem gewissen Grad erzählen könnte. Aber in einer Welt, in der wir Artists gerne auch als Idols behandeln, spricht es wirklich für ihre erzählerische Stärke, dass sie sich als MC genuin mit den Losern und Ausgestoßenen gemein machen kann. "Das geht raus an die, die Dinge nicht hinkriegen. Ich bin mit euch. Immer.", sagt sie am Ende. Nichts daran fühlt sich anbiedernd an. Im Gegenteil: Es ist einer der menschlichsten Momente auf einem Rapalbum, die ich je gehört habe.
Wer 20 Jahre im Untergrund rappt, hat ja vermutlich auch genug Frust für noch tausend Tapes. "Nimm Es Persönlich" schildert das Gefühl von Verlust, wirklich für DIY und Untergrund einzustehen und dafür in genau der Szene anzuecken und belächelt zu werden, die diese Werte eigentlich hochhalten sollte. "Weißt Du Noch" lässt all die weirden und kranken Sachen, die man als Kind, insbesondere als Mädchen, so erlebt, mit einer zynischen Beiläufigkeit Revue passieren. "Schuldig" bettet Imposter-Syndrom melodisch auf einen absurden Humor.
Aber trotzdem ist es der Gesamteindruck, der dieses Album so frisch und hungrig erscheinen lässt. Blakes zurückhaltende Produktion ist trügerisch schlicht: Manchmal ist es ein Detail unter der Drumline, das die Songs erst so richtig zusammenbringt. "Schuldig" hat zum Beispiel diese hallende, leise Synthmelodie, die stellenweise durch den Hintergrund hallt. Nicht nur gibt das einen schönen melodischen Konterpunkt zu Lenas atemlosem Vortrag, diese Akzente leuchten tatsächlich so einsam und verloren durch den Mix, dass sie den ganzen Song melancholisch und abgeschottet tünchen.
"Pretty World" ist ein Album, das BoomBap als Form und Stil ganz wunderbar nutzt. Lena ist am sichersten, am klarsten und am einfühlsamsten ihrer ganzen Karriere. Und die Beats tragen sie nicht nur, sie geben ihr emotional wie atmosphärisch nie dagewesenen Rückenwind. "Pretty World" ist auch eine Totale auf ihre aktuelle Lebenssituation - und damit der Situation von Untergrundrap - die sich so klar und packend anfühlt, wie es lange niemandem mehr gelungen ist. Es fühlt sich an, wie Tapes von Little Brother oder gar KRS. Ja, es erfüllt alle Realkeeper-Klischees. Aber es tut so gut, dass jemand diese Klischees endlich wieder nutzt, um so richtig etwas zu erzählen.
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