laut.de-Biographie
Lucio Dalla
Die Ausnahmestellung des Italieners zeigt sich unter anderem daran, dass die Verkündung seines Todes nicht vom Management oder einer Nachrichtenagentur stammt. "Lucio Dalla ist gestorben. Die Gemeinschaft der Franziskanermönche von Assisi ist entsetzt und zutiefst bestürzt vom plötzlichen Tode des Liedermacher-Gottes", meldet am 1. März 2012 um 12.10 Uhr der Twitter-Account des Ordens der Basilika zu Assisi. Die offiziellen Pressemitteilungen folgen erst 20 Minuten später.
Dalla als christlichen Musiker zu bezeichnen wäre jedoch verfehlt. In seinem Werk vereinte er Jazz mit Pop, Unterhaltung mit Anspruchsvollem. Seine hohe Stimme begleitete er am Klavier, meist umgeben von wechselnden Bandmitgliedern, in seinen Texten verarbeitete er aktuelle wie auch existentialistische Themen.
1943 in Bologna geboren, begeistert sich Dalla als Jugendlicher für Jazz, lernt Klarinette und Saxophon. 1960 spielt er mit dem späteren Regisseur Pupi Avati in der Rheno Dixieland Band (benannt nach dem Fluss Reno, der durch die Stadt fließt) und verbucht erste Auftritte im größeren Rahmen.
Hauptsächlich ist er jedoch als Studiomusiker tätig, bis ihm 1964 Gino Paoli das Stück "Lei (Non È Per Me)" auf den Leib schreibt. Der Erfolg hält sich in Grenzen, doch der Aufstieg hat begonnen. Mit den Idoli gründet Dalla seine erste Begleitband und nimmt mit ihr das ambitionierte Album "1999" (1966) auf. Die Singleauskopplung "Paff Bum" stellt er mit den Yardbirds beim Sanremo-Festival vor.
Der wichtigsten Musikveranstaltung Italiens bleibt er Zeit seines Lebens verbunden. Mit dem 1971 vorgetragenen "4/3/1943" (auch bekannt als "Gesù Bambino") kommt der endgültige Durchbruch.
Dallas künstlerisches Leben lässt sich danach grob in drei Phasen einteilen. Bis 1977 arbeitet er mit dem Dichter Roberto Roversi zusammen. Die gemeinsamen Alben sind "experimentierfreudig wie sensationell, mit verspielten, aber nicht schwierigen Melodien, nicht voraussehbar aber doch leicht verdaulich", so urteilt die Zeitung La Repubblica.
Danach zeichnet Dalla für seine eigenen Texte verantwortlich. "Com'è Profondo Il Mare" (1977) und "Lucio Dalla" (1979) etablieren ihn als einen der erfolgreichsten Musiker Italiens, auch dank einer Tour mit seinem Kollegen Francesco De Gregorio, die zum Livemitschnitt "Banana Republic" (1979) führt.
In den 80er Jahren bleibt Dalla höchst produktiv, wobei er weiterhin künstlerische Haken nicht scheut. Bis 1983 ist er eher rockig unterwegs und verbucht auch in Deutschland und der Schweiz Erfolge.
Als sich seine Begleitband Stadio unabhängig macht, werden die Arrangements deutlich poppiger. 1986 gehen sie noch einmal gemeinsam in den USA auf Tour, wobei die Liveplatte "DallAmeriCaruso" entsteht. Das einzige neue Stück, "Caruso" (auch bekannt als "Ti Voglio Bene Assai") ist wohl Dallas bekanntestes, später auch erfolgreich in den Interpretationen Luciano Pavarottis und Andrea Bocellis.
Das Album "Cambio" (1991) mit der Singleauskopplung "Attenti Al Lupo" führt Dalla noch einmal an die Spitze der italienischen Charts. Danach beginnt die dritte künstlerische Phase. Bis zu Dallas Tod wechseln sich eher poppige Momente mit klavierbetonten Singer/Songwriter-Alben ab, wobei Dalla auch Klassik (Stücke von Vivaldi mit den Solisti Veneti oder die Umsetzung einer Oper John Gays), Filmmusik ("Prima Dammi Un Bacio" des Regisseurs Ambrogio Lo Giudice) oder gar Soap Opera-Begleitung ("Sottocasa" auf dem Staatssender RaiUno) nicht scheut. 2008 stellt er mit "Un Uomo Solo Può Vincere Il Mondo" das offizielle Lied des italienischen Aufgebots bei den Olympischen Spielen in Peking.
Im November 2011 veröffentlicht Dalla mit "Questo È Amore" eine Doppel-CD mit drei neuen, vor allem aber alten Stücken. Im Februar 2012 sorgt er für Schlagzeilen, als er nach seiner erfolgslosen Teilnahme beim Sanremo-Festival Adriano Celentano angreift, der sich fast eine Stunde lang über die Lage in Italien echauffiert und wie gewohnt kein Blatt vor den Mund genommen hatte. "Es ist nicht üblich, dass sich ein Sänger als Soziologe improvisiert und 50 Minuten lang den Saal zur Geisel macht. Er hätte einfach nur singen sollen", erklärt Dalla.
Am 27. Februar beginnt eine Europatour, die ihn im März auch nach Deutschland führen sollte. Am Morgen nach seinem Auftritt im Montreux ereilt ihn am 1. März nach dem Frühstück ein tödlicher Herzinfarkt, wenige Stunden später erfolgt die Meldung der Mönche von Assisi.
Am 4. März wäre Dalla 69 Jahre alt geworden. Ein schwacher Trost für Familie und Fans: Wenigstens ist er bei der Ausübung seiner Tätigkeit gestorben. "Er hat mir erzählt, wie berührend es sei, die Tour von vor 30 Jahren noch einmal zu wiederholen. Die Zeiten haben sich geändert, aber das Publikum ist immer noch sehr herzlich. Er war glücklich", gibt sein Jugendfreund Roberto Serra zu Protokoll, der noch vor dem Auftritt mit ihm telefoniert hatte.
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