18. August 2014

"Retro als Selbstzweck geht mir total auf die Eier"

Interview geführt von

Die bis vor kurzem noch unbekannten Mantar mischen die Hartwurstszene gehörig auf. Medien zeigen sich begeistert vom frischen Debüt "Death By Burning". Es hagelt Anerkennung und Einladungen zu Festivals. Und wie schafft es das Duo, wie eine fünfköpfige Band zu klingen? Alles Fragen, die mal geklärt werden müssen. Sänger und Gitarrist Hanno steht Rede wie Antwort und erklärt uns allen gern, warum Szenezwang der Tod für kreative Musik ist.

Lass mich erstmal nach eurem Namen fragen. Woher kommt das Wort Mantar?

Das ist ein türkisches Wort. Der Schlagzeuger Erinc ist türkischer Herkunft. So kam die Idee auf, einen türkischen Namen zu nutzen. Wir wollten beide etwas klanglich ausgefalleneres als ein englisches Wort. Die englischen Sachen nutzen sich so schnell ab, weil es fast jeder macht. Es gibt bei Bandnamen immer zwei Gefahren: Einmal, dass es den gewählten Namen bereits gibt und zum anderen, dass er irgendwie dumm pathetisch klingt. Mantar ist ein hartes und sehr griffiges Wort. Das kam wie gerufen.

Was bedeutet es denn?

Ich glaube, es bedeutet "Pilz" oder sowas.

Nun schlagt ihr gleich mit der ersten Platte voll in der Szene ein. Wie lange gibt es euch schon?

Noch nicht sehr lang. Als Duo-Konzept, in dem wir zusammen Musik machen, sind es anderthalb Jahre. Aber wir kennen einander schon sehr, sehr lange. Wir haben in der kurzen Zeit wirklich effektiv und diszipliniert gearbeitet. Wir haben dauernd miteinander geprobt und auf einmal waren 50 Songideen da. Von denen schnappten wir uns dann einfach die besten. Und schon ging es los, die Platte in Eigenregie aufzunehmen. Das Album gab es auch schon vor dem Bandnamen. Wir waren im Grunde fertig mit den Tracks und dann erst kamen wir auf Mantar.

Wie seid ihr dann zu der künstlerisch sehr interessanten Plattenfirma gekommen? Neben euch unterstützen Svart Records doch unter anderem auch die tollen Beastmilk.

Oh ja, total interessantes Label. Noch sehr oldschool! Wir hatten deren Emailadresse und einfach mal ein paar Sachen als Demo geschickt. Da haben die sich drei Tage später bei uns gemeldet und gesagt: Ok, finden wir geil; lasst uns das machen! Kurze Zeit später hatten wir einen Vertrag in der Hand, der auch unseren Vorstellungen als Musiker sehr entgegen kam. Ein sehr kleines Label, aber mit das coolste! Die Leute sind nicht nur einfach nett, sondern sie lassen uns künstlerisch in Ruhe. Wir können unser Ding machen.

Mantar hat demnach die komplette und alleinige Kontrolle über Mantar? Das ist selten.

Absolut! Egal ob Artwork, Ausstattung oder Inhalt des Produkts. Nichts findet ohne uns statt. Man merkt einfach, dass das Label von Musikliebhabern betrieben wird und nicht von Buchhaltern. Dementsprechend lassen sie uns Künstlern freie Hand. Nur so können sie sicher sein, auch das bestmögliche Produkt zu bekommen.

"Es gab keinen Masterplan."

"Death By Burning" ist ja auch ein echter Brocken geworden. Ein Metal-Highlight des Jahres. Habe ich auch so ähnlich in der Laut-Review geschrieben.

Die Laut.de-Rezi fand ich sehr gut. Das hat mich gefreut. Ich hab den genauen Wortlaut zwar nicht mehr im Kopf. Aber ich weiss noch, dass es sehr wohlwollend war. Die gesamte Presse ist aber auch extrem überraschend gut gewesen. Auch die ganzen Metalmedien wie Hammer und Co. haben uns zwischen "gut" und "sehr, sehr gut" fast euphorisch angenommen. Es ist schön, dass so viel Liebe auf uns zurückfällt. Und das für eine Sache, die wir mal eben in Eigenregie aus der Hüfte geschossen haben. Es gab ja keinen Masterplan oder so etwas. DVielleicht ist aber genau das unser Geheimnis. Ich weiß es nicht.

Mit einem Hamburger und einem Bremer habt ihr ja auch die ganze hanseatische Power am Start.

Tatsächlich sind wir beide Bremer. Wir sehen uns eigentlich als Bremer Band. Wir wohnen zwar in Hamburg. Aber unsere gesamte musikalische Sozialisation fand in Bremen statt. Da sind wir auch lokalpatriotisch veranlagt. Ich für meinen Teil kann sogar sagen, dass ich sehr, sehr gern wieder nach Bremen zurückkehren würde. Es ist leider so, dass die meisten immer nur mit Hamburg eine gewisse musikalische Qualität verknüpfen. Das ist schade. Es gibt dort natürlich großartige Bands. Aber nochmal: Mantars Schatten hat mit Hamburg im Grunde nichts zu tun.

Wenn es um Metal, musikalische Sozialisaton und Bremen geht, kommt niemand an Rumble Militia vorbei. Liegt da eine eurer Wurzeln?

Ich kenne die recht gut. Erinc kennt sie sogar besser, weil er nochmal eine Ecke älter ist als ich. Ich bin ja erst 1982 geboren. Meine musikalische Sozialisation war der Do-it-yourself-Undergroundbereich. Großartige Bands wie Mörser. Viele Leute unterschätzen Bremen massiv. Im Ausland ist das anders. Wir waren gerade etwas auf Tour in Portugal und Spanien. Als wir sagten, dass wir Bremer sind, holten erst einmal alle ihre alte Mörser-Platten und manch anderes heraus und fragten, ob wir das kennen. Total gut, da sagen zu können: Das sind Freunde von mir!

Ihr klingt sehr speziell. Nicht wie ein Duo, sondern wie eine ganze Metal-Armee. Warum gibt es eigentlich keinen Bass? Bass ist was für Luschen oder wie?

Neee, das war keine dogmatische Entscheidung, den Bass wegzulassen. Als wir anfingen, war es auch noch nicht klar, ob wir ausschließlich zu zweit Musik machen wollen. Aber weißt du: Wir hatten einfach keine anderen Leute zur Hand. Also fingen wir an, mit Gitarre und Schlagzeug zu proben. Um des Basses willen einfach irgendjemanden zu casten, kam nicht in die Tüte. Das hätte nicht gepasst. Erinc und ich sind seit 17 Jahren enge Freunde. Nichts und niemand darf diese musikalische Vision und Energie zwischen uns beiden verwässern. Es existiert also wirklich keine Aversion gegen den Bass. Wir können aber auch ohne ihn eine Menge Stress generieren. (lacht)

Bei uns ist das ja nicht so: Da sitzt ein Typ mit ner Trommel und dazu kommt einer mit nem Kofferverstärker unterm Arm. Nein! Wir spielen Equipment für eine fünf- bis sechsköpfige Band mit massenhaft Verstärkern und so. Es gibt auch kein Netz oder doppelten Boden. Live-Ausrüstung und Studioequipment sind immer identisch. Was ihr auf Scheibe hört, bekommt ihr auch beim Gig!

Klingt wie eine Metalversion von The Edge (U2) oder A Place To Bury Strangers.

The Edge hat mir etwas voraus. Er kann sehr gut Gitarre spielen.
Eigentlich bin ich ja Bassist. Von Groove und Soundspektrum her denke ich vielleicht auch eher wie ein Bassist.

Dann spielst du noch nicht lange Gitarre?

Doch, doch. Seit ungefähr 20 Jahren. Mit zwölf hatte ich meine erste Punkband.

"Wir bedienen keine Szene"

Wie empfindet ihr die gegenwärtige Metalszene - von A bis Wacken? Stagnierend-konservativ und musikindustriell kommerzialisiert oder frisch und innovativ?

Eigentlich ist weder Erinc noch ich selbst ein echter Metalhead. Ich hab ganz klar einen Punk-Background und Erinc hat mit Metal sowieso noch nie etwas zu tun gehabt. Wir sind auch keine Plattensammler oder gehen viel auf Konzerte. Vieleicht wirkt aber gerade deshalb unsere Musik so frisch auf viele. Wir gehen auf der Platte ziemlich unbedarft, fast schon naiv, an diese Musik heran. Wir sehen uns nicht als Metalband. Unsere einzge Agenda: So hart und intensiv wie möglich zu spielen! Wenn Hörer das mit Metal assoziieren und als solchen wahrnehmen, ist das total in Ordnung. Und ich mag Metal natürlich auch. Vor allem, wenn er extrem und innovativ ist. Meine Metalscheibe und -band der letzten Zeit ist Oranssi Pazuzu. Die machen eine Mixtur aus Black Metal und Krautrock.

Was mir nicht so gefällt, ist der im Genre anhaltende Retrotrend. Natürlich kann man nicht immer das Rad neu erfinden - das schaffen wir mit Mantar auch nicht. Aber Retro als Konzept und Selbstzweck geht mir total auf die Eier.

Von Doom bis Sleazy Thrash'n'Roll und sogar einem Hauch Industrial ist eure Stilpalette sehr groß. Es wirkt auf mich jedoch, als ob ihr besonders dem Doom sehr zugetan seid. Höre ich da Ikonen von Saint Vitus bis Candlemass als Einfluss heraus?

Ja, das stimmt. Doom ist total mein Ding. Es darf da auch gern sehr extrem werden und bis in die Drone-Ecke gehen. Auch Sunn O))) ist voll meine Welt. Und Erinc ist halt der Rock'n'Roller von uns beiden. Ich komme meist mit düsteren, abstrakten Songideen und er erdet das alles mit seinem Groove. Auf jedem der Albumtracks findet in irgendeiner Art und Weise Groove statt.

Ich höre in eurer Musik auch oft eine unter dem ganzen Schutt begrabene Liebe zur Melodie.

Weder Zufall noch Absicht. Ich kann wohl einfach nicht anders. Ich mag ja auch das Riff als Konzept. Eine der geilsten Erfindungen in 60 Jahren Rock- und Popmusik. Einfach nur Krach ist nämlich auch nicht meins. Ein markantes Riff ist aber immer ein markantes Riff! Damit steht und fällt – nach meinem Ästhetikempfinden – ein guter Song.

Das extrem eigenständige und nahezu unkopierbare Gesamtbild gibt euch Recht. Thematisch wirkt die Platte wie ein echter Zornklumpen, der mit der negativen Seite der menschlichen Existenz abrechnet. Was treibt euch um? Horror- oder Politecke?

Ganz ehrlich: Weder noch! Wir sind beide sehr politische Menschen. Besonders ich mit meinem Punk-Hintergrund. Aber Mantar ist keine politische Band. Auch keine Splatterkapelle. Ich glaube, es liegt wohl an der Härte vom Musik und Gesang, dass alle denken, es ginge hier ständig um Wut oder Hass. Das ist aber weder so gemeint noch ist es der Fall. Die Härte ist eher eine Art von Reinigung, eine Katharsis. Eine Art Trance, ein Rausch, der wegen seiner Wucht vielleicht zunächst destruktiv wirkt. Aber am Ende fühlt man sich frisch gereinigt. Das wird dich jetzt vielleicht überraschen. Aber ich würde behaupten, es geht bei uns viel um Natur. Nicht auf diese verachtenswerte Kitschart, eher so wie die Naturkomponente im lyrischen Black Metal-Segment. Weder religiös, noch antireligiös.

Wenn man euch fragte: "Was bringt ihr dem Metal, das es noch nie gab", dann sagtet ihr was?

Mit absoluter Gewissheit: Dass wir auf keinen Fall so etwas sagen würden! Denn wir haben mit dem ganzen Szeneding nichts zu tun. Bei Erinc bin ich mir nicht mal sicher, ob er überhaupt den Unterschied zwischen Death und Black Metal kennt. Diese absolute Ignoranz und Naivität unserer Herangehensweise empfinden viele jedoch als neu, weil es anders ist als alteingetretene Szenepfade. Da wir aus keiner Szene kommen, müssen wir auch keine bedienen. Machen wir auch nicht.

Naivität trifft auf Anarchismus?

Wenn du das so nennen möchtest: Gern! Viele Leute schmeißen uns mit Bands in einen Topf, die sie lieben. Das ist auch legitim für Fans und Journalisten. Man muss das vielleicht tun, um vor sich selbst die Liebe zu einer neuen, unbekannten Band zu legitimieren. Das hast du in deinem Text zum Glück nicht gemacht. Aber soll ich dir was sagen? Die meisten dieser vielen Bands, mit denen wir gern verglichen werden, kennen wir beide überhaupt nicht. (beidseitiges Gelächter) Diese Freiheit ist uns auch wichtig. So können wir auf so unterschiedlichen Festivals wie Reeperbahn oder Summerbreeze spielen und höchst ganz verschiedenes Publikum vor uns haben. Wir bemühen uns mit Mantar definitv, zu zeigen, dass man sich nichts aus Schubladen, Namen und stilistischen Betitelungen machen muss. Braucht man echt nicht. Alles nur Schall und Rauch. Ich bin ja nun keine 20 mehr.

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