27. April 2017

"Es gibt viele schlechte politische Songs"

Interview geführt von

"Risk to Exist" heißt das neue und sechste Album der britischen Alternative-Rocker Maxïmo Park, für das sich die Band mit dem Produzenten Tom Schick zusammengetan hat. Im Studio von Wilco (deren Haus- und Hofproduzent Schick ist) nahm die Band die gesamte Platte live auf – ein Novum in der Karriere der Band.

Auch neu für die Band: Die Hinwendung zum Politischen. Warum dieser Schritt nur logisch war, wie die Aufnahmen liefen und was die Sache für die Bandmitglieder frisch hält, darüber sprachen wir mit Maximo Park – allen voran einem redefreudigen Paul Smith – in Berlin.

Ihr wolltet auf diesem Album über das aktuelle Zeitgeschehen schreiben – da habt ihr euch eine interessante Zeit dafür ausgesucht.

Paul Smith: Ja, scheint so. Unsere Platten sind allesamt sehr emotional, das war von Anfang an die Art von Musiker, die wir eben sind. Wir gehen sehr impulsiv an die Sache dran – aber wir reflektieren natürlich auch. Ich kann selbstverständlich nicht ignorieren, was in der Welt vor sich geht. Ich sehe mir die Nachrichten an. Als Musiker hast du auch die Zeit, Geschichten zu finden, über die du schreiben willst. Ich denke, in den letzten paar Jahren haben wir bereits einige Songs geschrieben, die in diese Richtung gehen. Wir haben uns hingesetzt und uns gefragt, ob wir nicht eine Platte mit kohärentem thematischen Bezug machen wollen, mehr als wir das bisher getan hatten. Und dann haben wir uns natürlich auch überlegt, wie die Musik werden soll. Die letzten Stücke waren immer sehr groovy – sollte das die Richtung sein, in die wir uns bewegen wollen? Für uns war die Antwort ein klares "Ja".

Die Songs sind dennoch sehr persönliche Sichtweisen, es geht nicht um Slogans. Wir predigen niemandem etwas, wir sagen nicht, wie die Welt sein sollte. Sie sind eher eine Antwort auf etwas – und die Leute können sie hören und eine Art Solidarität fühlen. Sie können aber auch einfach die Stücke auf sich wirken lassen, es geht ja in erster Linie um die Musik. Die Lieder lassen einem eine Menge Raum, um einfach in den Groove zu kommen – du kannst dir entweder über die Lyrics Gedanken machen oder einfach dazu tanzen. So ist Popmusik: du kannst kleine Botschaften in die Songs stecken und die Leute können sie auch später, nach mehreren Hördurchgängen oder vielleicht auch erst nach Jahren so richtig entdecken. "Ah, richtig, davon handelte dieser Song". Die Songs sind kompliziert, handeln von komplizierten Dingen. Manche Sachverhalte, vor allem politische, werden gerne zu sehr vereinfacht. Es sind komplexe emotionale Antworten auf die Welt, aber andererseits waren das auch alle unsere anderen Platten. Vielleicht legten die anderen Alben eher den Schwerpunkt auf persönliche Probleme und Befindlichkeiten oder Antworten auf andere Dinge. "Girls Who Play Guitars" war beispielsweise eine direkte Antwort auf einen Artikel in der "Daily Mail" – eine berüchtigte Zeitung. Da hieß es, wie können sich diese Mädchen nur betrinken und sich so gehen lassen. Darauf hin habe ich ein paar Zeilen geschrieben. Es geht einfach um Dinge, die mich belasteten, über die ich schreiben wollte. Ich schaue in mein Notizbuch, da steht: "It's a risk to exist". Da dachte ich an die Ertrinkenden im Mittelmeer, und so kam der Song zustande.

Also seid ihr definitiv politischer als auf euren bisherigen Alben.

Smith: Ja, ich denke, das ist wahr. Einer der ersten Songs war "I'll Be Around". Das Stück handelt von Empathie und davon, wie sehr die Regierungen den Kontakt zur Bevölkerung verloren haben. Das bezieht sich nicht nur auf Großbritannien. Gender, Einkommen, sozialer Hintergrund: Die Leute, die dich repräsentieren, spiegeln nichts von dem wider. Und dennoch, dieses "I'll be around for you" im Text kann auch persönlich genommen werden, wer auch immer dieses "du" ist. Aber klar, sobald das Wort "Government" drin ist, wird es unweigerlich politisch. Und diese Wörter tauchten immer mehr auf im Verlauf der Platte. Es war eine gute Zeit zu sagen: Ja, davon handelt die Platte. Es ist die Antwort auf die nationale wie auch auf die globale Situation. Rechtsgerichtete Regierungen sind immer mehr am Kommen, solche Dinge kannst du nicht ignorieren.

Sollte Pop generell politischer sein?

Smith: Das ist eine sehr schwere Frage. Ich würde nie jemandem sagen, worüber er zu schreiben hat. Du solltest dich selbst ausdrücken. Aber ich denke, in einer Blase zu leben, weit ab von dem, was in der Welt passiert, ist sozial einfach unverantwortlich. Das spiegelt in deiner Kunst wider – und ich denke, dass Popmusik eine Kunstform ist. Das ist das Schöne an der Sache: du kannst hochgestochene Konzepte reinbringen oder eher simpel vorgehen, du kannst es gleichermaßen sehr rau halten und dann wieder einen hochsymphonischen Akkordwechsel reinbringen. Du kannst so viele Dinge damit machen – auch deine eigene Meinung reinbringen, auf eine Art und Weise, die nicht sloganhaft wird. Ich würde aber generell niemanden ermutigen, einen schlechten Songs zu schreiben – und das ist das Ding: Es gibt wirklich viele schlechte politische Songs. Die Intention war vielleicht gut, aber Dinge werden vereinfacht. Einer meiner Lieblingssongs, wenn es um politische Lieder geht, ist "Shipbuilding" von Elvis Costello. Es gibt eine tolle Version von Robert Wyatt, dessen zerbrechliche Stimme so wunderbar konträr zum Song an sich steht. In dem Song schickt eine Regierung Jugendliche in einen fragwürdigen Krieg – und zugleich handelt er davon, als zu Weihnachten ein Fahrrad geschenkt zu bekommen. Ein großartiger Song. Das ist ein erfolgreiches Beispiel.

Duncan Lloyd: Du kannst aber nicht jedem befehlen, politisch zu sein (lacht)

Smith: Wir haben ja auch schon viele Charity-Veranstaltungen gespielt, oder Einnahmen gespendet. Es gibt Dinge, die wir tun können. Es ist für Künstler manchmal hart, sich konkret zu äußern. Es ist oft eine heikle Sache, viele Leute werden dir widersprechen. Es gibt derzeit nur rechts oder links, Gegensätze, die schwierig zu erörtern sind. Vielleicht ist ein Popsong auch gar kein geeignetes Mittel, um über solche Dinge zu sprechen. Vielleicht aber schon – und genau das versuchen wir auf dieser Platte herauszufinden. Einen Raum für diese Dinge zu finden – und dafür großartige Melodien. Können wir das schaffen? Das war die Herausforderung.

"Als David Bowie starb wurde uns bewusst, dass es wieder an der Zeit ist“

Wie ist das Album entstanden?

Lloyd: Wir hatten ein paar Ideen herumschwirren und dann beschlossen, uns jetzt richtig zusammenzusetzen, um zu schreiben. Anfang letzten Jahres, kurz nachdem David Bowie starb, wurde es uns bewusst, dass es wieder an der Zeit ist. Wir wollten etwas anderes machen, mit mehr Platz, mehr Grooves – etwas, wozu die Leute tanzen können. Paul hatte sein Solo-Ding gemacht, Tom und ich hatten mit einem Freund ein Projekt durchgezogen. Wir haben uns um andere Sachen gekümmert und sind dann wieder zusammengekommen. Letztes Jahr haben wir alle alleine geschrieben, unsere Ideen an Paul geschickt und uns dann zusammengesetzt. Nach und nach sind Stücke entstanden – wir schreiben immer viel mehr, als das, was schlussendlich auf dem Album landet. Das meiste auf der Platte ist aber ziemlich neu. Auf anderen Alben gab es Stücke, die schon ewig in der Schublade lagen – aber das hier ist immer nur frisch, alles letztes Jahr geschrieben.

Smith: Wir haben zu schreiben begonnen, dann habe ich erstmal meine Solo-Platte macht. Danach gab's einige Shows zum zehnjährigen Jubiläum – und kurz bevor meine Solo-Platte entstand, entstand "I’ll Be Around" – und damit die Idee, wie die neuen Stücke klingen könnten. Wir haben uns in den Hansa Studios in Berlin getroffen und haben dort vier, fünf Tage lang nur geschrieben. Wir haben ein Demo von ein paar Stücken aufgenommen – und damit begann der Prozess dann so richtig.

Lukas Wooler: Die anderen Songs am Demo waren vom Stil her anderes, aber "I'll Be Around" hatte diesen minimalistischen Anspruch.

Smith: Die anderen Stücke haben auch funktioniert, aber klangen irgendwie nach dem, was wir schon gemacht hatten in der Vergangenheit. Nicht, dass das schlecht wäre – aber wir wollten nach vorne. Und dann kam ein Song wie "Risk To Exist", der vielleicht nicht ganz soviel Raum und Groove hatte wie die andere neuen Sachen, aber zu gut war, um ihn zu ignorieren. Aber auch da gibt es eine Verbindung.

"Risk To Exist" habt ihr live eingespielt

Smith: Ja, wir haben die Platte live in Chicago eingespielt – das ist das erste Mal, dass wir das gemacht haben. Wir haben wirklich viel geprobt (lacht). Wir kamen ins Studio, mit einem Typen, den wir noch nie gesehen hatten, Tom Schick. Wir kannten Sachen, die er gemacht hatte – Parquet Courts und Wilco, deren Studio es war. Nach vierzig Minuten waren wir schon am Aufnehmen. Normalerweise brauchen wir erstmal drei Tage für den Drumsound (lacht, blickt zum Schlagzeuger) – aber darüber reden wir jetzt mal nicht, wir hatten schon zu viele Drumsound-Albträume. Es war alles schon fertig, er hatte ein Drumkit für Livesound, eines, das etwas steriler klang – wir mussten einfach nur loslegen.

Lloyd: Genau deshalb sind wir auch in dieses Studio gegangen. Wir haben uns bewusst dafür entschieden, die Songs wirklich oft zu spielen und perfekt zu beherrschen, bevor wir ins Studio gehen. Das war eine für uns recht neue Herangehensweise. Wir wollten die Platte eben so live wie nur irgendwie möglich machen. Deswegen sind wir in das Studio von Wilco gegangen – das ist eben wie gemacht dafür. Die Maschine rennt, du musst dich nur einstöpseln. Alles hat funktioniert.

Wooler: Der erste Track, "What Did We Do To Deserve This" war ein First Take. Wir dachten "Halt mal, das kann doch nicht alles so einfach werden"

Tom English: Und das wurde es auch nicht, das konnten wir dann nicht mehr wiederholen (lacht)

Wooler: Ja, dann waren's halt eher vier Takes. Aber es gab uns das Selbstvertrauen, die Platte so einzuspielen. Dass wir gut genug sind, das so zu tun! Wir wollten auch Fehler drin lassen.

Smith: Es ist das erste Mal, dass wir mit jemandem zusammen arbeiten, der nicht in unserem Kreis ist. Wir arbeiteten mit einer Gastsängerin, haben Bläser am Album.

English: 2015, als wir mit dem Touren der letzten Platte fertig wurden, waren wir bei einer Radioshow zu Gast. Wir hatten eine Sängerin dabei, einen Percussionisten – ich glaube, da sind wir auf die Idee gekommen, Gäste dabei zu haben, so etwas öfters zu machen. Das macht Spaß und ist erfrischend.

"Wir sind versessen darauf, unseren Sound weiterzuentwickeln"

Wenn ihr schon so eingeprobt und mit fertigen Stücken ins Studio kamt: was war dann die Rolle des Produzenten?

Smith: Er hat einfach auf RECORD gedrückt (lacht). Er war einfach eine tolle Hilfe. Wir wussten, wozu er fähig ist, weil wir seine Arbeit ja kennen. Er hat uns sehr geholfen – auch mit seiner Meinung. Weil wir so viel geprobt hatten und an den Arrangements gearbeitet haben, brauchten wir nicht viel Hilfe. Er war mehr ein Engineer – aber er hat sich auch eingebracht. Er kennt das Studio ja auswendig. Sein Wissen des Studios und seine großartigen Fähigkeiten als Engineer halfen uns immens. Er hat uns nach ein paar Takes auch gesagt, wenn wir aufhören können. Er wusste, wann der richtige Take da war. Am Anfang meinte er noch, es ist doch okay, wenn Fehler zu hören sind. Am Ende war er dann aber mit den Fehlern doch nicht mehr so glücklich (lacht). Er ist ein sehr entspannter Typ – im Gegensatz zu Paul Epworth, der ein sehr intensiver Typ ist. Tom ist relaxt – und genau das haben die Songs gebraucht.

Was hält die Sache für euch nach all den Jahren frisch?

Smith: Immer hilfreich ist es, sich anderen Dingen zu widmen. Sich bewusst zu sein, dass man nicht der Mittelpunkt des Universums ist. Man ist ja so fokussiert auf das, was man tut, dass es immer "Leben oder Tod" ist, eben weil es einem so viel bedeutet. Aber es geht nicht um Leben oder Tod. Es ist Musik, es soll Spaß machen, locker und spielerisch sein. Wir haben kein Interesse daran, ein Album zu veröffentlichen, weil es wieder an der Zeit dafür ist. So wird es zum Job – und wir haben da immer darauf acht gegeben. Wir wollen etwas Gutes machen, das uns und den Leuten etwas bedeutet. Ja, es ist unser Job und wir haben auch Familien, für die wir sorgen müssen – auf gewisse Weise müssen wir ja tatsächlich eine neue Platte machen. Aber den Gedanken muss man abstellen, so kann man nicht kreativ arbeiten. Die Ratenzahlung für dein Haus? Das MUSST du ausblenden. Wir hatten als Band unsere Höhen und Tiefen, aber wir sind eng zusammengeschweißt, auf eine Art, die ich gar nicht erklären kann. Ich glaube, wir machen das aus den richtigen Gründen. Wir finden es immer noch aufregend, Platten zu machen. Wenn du das nicht mehr tust und es als Mühe empfindest, solltest du damit aufhören.

Wooler: Wenn wir irgendwann Songs schreiben, die einfach nicht mehr funktionieren, dann würden wir es sein lassen. Dann hätten wir unser Limit eben erreicht.

English: Wir sind noch immer ganz versessen darauf, unseren Sound weiterzuentwickeln.

Smith: Wir haben vor Musik generell einfach zu viel Respekt, um irgendetwas Unausgegorenes machen zu wollen. Ich weiß, das klingt recht einfach. Wir überlegen uns, wie wir als Hörer wollen würden, dass Maximo Park klingt, wohin die Entwicklung gehen soll. Wenn du nicht mehr so denkst, solltest du es wohl besser sein lassen.

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